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3 Ligen, 3 Brennpunkte – Teil 2: West Ham United und die Seifenblasen

24. März 2018 | Spotlight | BY Chris McCarthy

In den europäischen Topligen neigt sich die Saison 2017/18 allmählich dem Ende zu und neben den positiven Überraschungen und den Gewinnern der Saison gibt es traditionell auch die Krisenteams, deren Saison nicht den gewünschten Verlauf nahm und die in den letzten Wochen Lösungen finden müssen, um diese Krise zu bewältigen. Wir beschäftigen uns mit drei Vereinen, analysieren die Problematik und geben eine Prognose, ob die Saison in den letzten Wochen noch irgendwie gerettet werden kann. 

Teil 1: VfL Wolfsburg

Teil 2: West Ham United

Seifenblasen

I’m forever blowing bubbles,
Pretty bubbles in the air.
They fly so high,
Nearly reach the sky,
Then like my dreams,
They fade and die.
Fortune’s always hiding,
I’ve looked everywhere,
I’m forever blowing bubbles,
Pretty bubbles in the air.

Das ist die Vereinshymne der Hammers und diese spiegelt auch die aktuelle Situation des Vereins wieder. Trotz oder gerade wegen des Umzugs in das London Stadium sollte West Ham United 2017/2018 endlich ein ernstzunehmender Konkurrent im harten Kampf um die europäischen Plätze werden. So wurde es den treuen Fans zumindest von der Vereinsführung offenkundig versprochen. Die Träume, besser gesagt die Seifenblase genannt „Europa“ sollte wieder steigen…

 

They fly so high, nearly reach the sky

…wie schon in der Saison 2015/2016, als diese Seifenblase mit der tatkräftigen Unterstützung eines Dimitri Payet in Bestform Platz sechs der Premier League und damit sogar die Qualifikationsrunde zur Europa League erreichte. Dann verkümmerte die fragile Seifenblase und platzte letztendlich…

(Photo by Tom Dulat/Getty Images)

…they fade…

Der steigende Erfolgsdruck, die geringen Transferausgaben ( zumindest gemessen an den großen Ambitionen) und eine fragliche Personalpolitik ließen West Ham 2016/2017 schon früh auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Die Hammers scheiterten in der Euro-League-Qualifikation schon früh an Astra Giurgiu und beendeten die enttäuschende Runde auf Platz elf.

Slaven Bilic überlebte die Saison. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass das unschöne Wechseltheater um Dimitri Payet sich bis in den Winter zog. Der Schaden, hauptsächlich durch sein unprofessionelles Verhalten abseits des Platzes verursacht, war zu diesem Zeitpunkt bereits angerichtet. Befreit von dieser Last gingen die stets erwartungsvollen Fans der Londoner daher auch 2017/2018 mit großen Erwartungen in die neue Spielzeit.

Sie wurden einmal mehr schon früh enttäuscht. Der schwache Saisonauftakt mit drei Niederlagen in Serie offenbarte schnell, dass die großen Probleme der Hammers nicht nur den Unruhen oder dem Trainer geschuldet waren. Viel mehr zollten die unnatürliche Erwartungshaltung und die suspekte Transfer-, beziehungsweise Personalpolitik ihren Tribut.

Das Versprechen an die Fans, man würde um die europäischen Plätze mitspielen, sollte eigentlich durch namhafte Ergänzungen zu einem (rückblickend) eher durchschnittlichen Kader gehalten werden.Die Strategie, dies durch überbezahlte Neuverpflichtungen zu erreichen, die entweder ihren Zenit bereits überschritten hatten (José Fonte, Pablo Zabaletta), von ihren einstigen Vorschusslorbeeren eine Karriere machten (Joe Hart, Robert Snodgrass) oder schlichtweg nicht in das Spielsystem passten (Chicharito), war zum Scheitern verurteilt.

Nach einem satten Fehlstart und der zunehmenden Unruhe im Umfeld verlor die Mannschaft letztendlich komplett den Faden…

(Photo IAN KINGTON/AFP/Getty Images)

 

So kam es, wie es kommen musste. Auf Platz 18 angekommen wurde Slaven Bilic im November 2017 schließlich entlassen und David Moyes als Nachfolger präsentiert. Nach Startschwierigkeiten schien der Trainerwechsel die erhoffte Wirkung zu zeigen. Die Hammers verloren nur eines von zehn Spielen, gewannen sogar gegen Chelsea und holten sowohl gegen Arsenal als auch gegen Tottenham je einen Punkt.

Die zugegeben etwas unattraktive Magie des schottischen Trainers verpuffte jedoch schnell.

 

…and die?

Nach dem 1:4 beim FC Liverpool, eine Niederlage, die eigentlich zu verkraften sein sollte, verlor die Mannschaft auf einen Schlag das mühsam angesammelte Selbstbewusstsein.

Die zwischenzeitlich endlich stabilisierte Defensive offenbarte wieder ihre alt bekannten Schwächen. In der mutlosen Offensive war der wiedererstarkte Marko Arnautovic, nicht zuletzt wegen einiger namhaften Verletzten (Andy Carroll, Michail Antonio oder Manuel Lanzini), komplett auf sich allein gestellt. Das gesamte Konstrukt fiel auseinander.

(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

Auf das erschreckende 1:4 beim direkten Konkurrenten Swansea, folgte zuhause gegen Burnley dann der absolute Tiefpunkt der Saison. Trotz einer starken ersten Halbzeit gelang West Ham kein Treffer und so geriet das Team von David Moyes kurz nach dem Seitenwechsel plötzlich in Rückstand.

In Anbetracht der nächsten drohenden Niederlage und der damit verbunden Abstiegsangst kippte die Stimmung bei den ohnehin schon angespannten Fans im heimischen London Stadium endgültig. Vereinzelte Anhänger stürmten den Platz und gingen auf die Spieler los. Unmittelbar danach kassierte die sichtlich geschockte Mannschaft direkt das 0:2, was das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Eine große Menschenmasse stürmte wutentbrannt auf die VIP-Tribüne zu und beschimpfte die Vereinsführung um Klub-Boss David Sullivan, der sogar von einer Münze am Kopf getroffen wurde. Das Geschehen auf dem Platz wurde zur Nebensache (Endstand 0:3), die Spieler wirkten regelrecht traumatisiert.

Die im alten Upton Park noch so optimistisch herbeigesehnten Heimspiele sind in der neuen Heimat endgültig zu einer psychischen Belastung geworden.

Das gesamte Umfeld um den traditionsreichen Verein ist in eine tiefe Krise gestürzt. Man kann von Glück sagen, dass das darauffolgende Heimspiel gegen Manchester United am vergangenen Wochenende aufgrund der Pokalteilnahme der Gäste ausfiel. Da nun auch eine Länderspielpause ansteht, haben Fans und Spieler die Gelegenheit, die erhitzten, bzw. geschockten Gemüter etwas zu beruhigen. Vereinslegende Trevor Brooking bat die unzufriedenen Anhänger sogar bei den verbleibenden Heimspielen nicht ins Stadion zu kommen, um die Situation zu entspannen.

Bei nur zwei Punkten Vorsprung auf die Abstiegsplätze, fünf von acht Spielen vor der plötzlich so giftigen Kulisse im London Stadium und einem horrenden Restprogramm mit Gegnern wie Manchester United, Manchester City, Arsenal und Chelsea ist die Angst vor der Zweitklassigkeit so groß, wie lange nicht. Die Qualität ist da. Die hausgemachte, angespannte Stimmung und die mentale Verfassung der Mannschaft könnte West Ham jedoch den einst für selbstverständlich gehaltenen Klassenerhalt kosten. Wie das verunsicherte Team mit dieser Situation nun umgehen wird, ist unmöglich vorherzusehen.

 

Endlich kleinere Seifenblasen!

Was können die Verantwortlichen daraus lernen? Der stolze Verein aus dem East End Londons muss sich, egal in welcher Liga, endlich wieder auf seine wahre Identität konzentrieren und seine Versprechen halten. Talentierte Spieler aus der eigenen Jugend, wie beispielsweise ein fast schon weggejagter Reece Oxford, müssen gefördert und an die erste Elf herangeführt werden. Genau solchen Spielern werden die leidenschaftlichen Fans während ihrer Entwicklung nämlich auch Fehler verzeihen. Mit solchen Akteuren können sie sich identifizieren. Eine familiäre, ruhigere Umgebung und damit der aktuell verpuffte Heimvorteil wären wieder hergestellt.

David Sullivan und Co. müssen eine kontinuierliche Entwicklung erlauben. Die finanziellen Mittel sollten dabei für punktuelle und vor allem sinnvolle Verstärkungen eingesetzt werden, nicht für klangvolle Namen, um den Erfolg zu erzwingen.

Die Vereinsführung wäre daher gut beraten, die Anhänger und vor allem sich selbst, nicht mit Wunschdenken wieder ins Träumen geraten zu lassen. Kleinere Seifenblasen steigen zwar nicht so schnell, sind in diesem Fall vielleicht aber stabiler…

(Photo by Ben Radford/Getty Images)

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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