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Premier League: Die Saison 2020/21 und mögliche Schlüsse für 21/22

25. Mai 2021 | Trending | BY Chris McCarthy

Spotlight | Titel- und Abstiegskampf der Premier League 2020/2021 sind schnell erzählt. Der Kampf um Europa war deutlich spannender. Doch was bedeutet das für die neue Saison? Wir liefern einen Rückblick und ziehen erste Schlüsse. 

Premier League 2020/2021: Manchester City das Nonplusultra

Zugegeben, es dauert einige Wochen, ehe sich die beste Mannschaft auf der Insel herauskristallisierte. Doch spätestens ab dem 19. Spieltag ließ Manchester City keine Zweifel mehr aufkommen. Das Team von Pep Guardiola hatte nach einer gewissen Anlaufzeit die Tabellenführung erobert und würde sie nicht mehr abgeben. Mit einem Lauf von 15 Siegen in Folge sorgten die Cityzens an der Spitze für klare Verhältnisse.

 

Neuzugang Ruben Dias erwies sich als Eckpfeiler der besten Verteidigung der Premier League. Die beste Offensive stellte ebenfalls der Meister. 83 Tore erzielten die Cityzens, und das ohne einen richtigen Angreifer. Sergio Agüero hatte in seiner letzten Saison im hellblauen Trikot mit Form, Verletzungen und dem Coronavirus kämpfen. Trotzdem knackte er zum Abschluss noch einen Rekord. Gabriel Jesus‘ endgültiger Durchbruch blieb aus. Doch Guardiola verteilte die Offensivlast auf mehrere Schultern. Die meisten davon, ganze 13, gingen auf das Konto von Ilkay Gündogan, der als offensiver Achter brillierte und dabei ungeahnte Torjägerqualitäten demonstrierte.

Manchester United war bei letztendlich zwölf Punkten Rückstand noch der engste Verfolger. Insgeheim ist das als Erfolg zu bewerten, denn das Team zeigte eine spielerische Entwicklung, die viele Kritiker unter Trainer Ole Gunnar Solskjaer nicht erwartet hatten. Nichtsdestotrotz fehlte es den Red Devils weiterhin an der gesamtmannschaftlichen Spielphilosophie, Konstanz und Dominanz, um dem Meister tatsächlich gefährlich zu werden. Das Spiel stieg und fiel zu sehr mit der Form von Bruno Fernandes. Darüber hinaus ist die qualitative Lücke im Vergleich zum Stadtrivalen noch zu groß. Apropos groß, das ist das Herz von Marcus Rashford. Der Engländer glänzte nicht nur mit 22 Torbeteiligungen auf dem Platz, sondern auch in der Politik und Gesellschaft. Mit zahlreichen wohltätigen Aktionen, Spenden und politischen Statements versuchte er, seine Reichweite zu nutzen. Ein beachtliches Jahr für den erst 23-Jährigen.

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Champions League: Liverpool und Chelsea zittern

Einen Namen suchte man im Titelkampf 2020/2021 vergeblich, nämlich den des amtierenden Meisters. Nachdem in der Vorsaison so ziemlich alles im Sinne des FC Liverpool lief, trat dieses Mal das Gegenteil ein.

Das oft zitierte Spielglück und die Heimstärke an der Anfield Road (sechs Niederlagen) waren auf einmal weg. Plötzlich waren es die Reds, die späte und kuriose Gegentreffer kassierten (so beispielsweise beim 2:7 gegen Aston Villa), während das gegnerische Tor wie vernagelt schien. Darüber hinaus wirkte die Mannschaft von Jürgen Klopp nach einer emotionalen und intensiven Saison 2019/2020 mental wie physisch ausgelaugt. Eine schwere Verletzungskrise in der Verteidigung (darunter Kapitän Virgil Van Dijk) sorgte für unzählige Umstellungen und eine Achterbahnfahrt einer Saison. Mit einem späten Lauf von acht Siegen aus zehn Spielen, darunter einem sagenhaften Siegtreffer von Torhüter Alisson, erreichte der Meister am letzten Spieltag doch noch die Champions League.

Alisson ist der erste Torhüter, der für den FC Liverpool ein Pflichtspieltor erzielte

Photo via Imago

Auch der FC Chelsea strauchelte gerade so in die Königsklasse. Ausschlaggebend dafür war der Trainerwechsel von Frank Lampard zu Thomas Tuchel. Der Deutsche übernahm die Blues auf Rang neun und riss das Ruder rum. Die Defensive wurde durch einen Systemwechsel stabilisiert. Mit einer verbesserten Kommunikation sorgte er zudem für klare Rollenverteilungen und führte die Londoner damit in die Top-Four, dem FA-Cup-Finale und das Champions-League-Finale. Der Lohn für Tuchels sagenhaften Einstand wurde im Saisonfinale beinahe verspielt. Erst verloren die Blues das Pokalfinale gegen Leicester. Eine Woche später wurde beinahe noch der sicher geglaubte Platz in den Top-Four aus den Händen gegeben. Am letzten Spieltag setzte es eine 1:2-Pleite bei Aston Villa. Doch auch die Konkurrenz patzte. Schon wieder.

 

Leicester implodiert (schon wieder)

Wie schon im Vorjahr ging Leicester City nach einer überragenden Spielzeit auf den letzten Metern die Puste aus. Sonntag, um 17.30 Uhr Ortszeit, war die Welt im King Power Stadium noch in Ordnung. Die Foxes führten mit 2:1 gegen Tottenham und steuerten der ersten Champions-League-Saison seit 2016 entgegen. 15 Minuten später gab es trotz einer starken Saison auf Augenhöhe mit den Schwergewichten der Premier League nur enttäuschte Gesichter auf den Rängen und auf dem Platz. Die Foxes implodierten, gaben das Spiel binnen weniger Minuten aus der Hand, verloren mit 2:4 und stürzten auf Platz fünf: Europa League.

Die beeindruckende Arbeit in Leicester – vom Bilderbuchbesitzer Aiyawatt Srivaddhanaprabha (Sohn des verstorbenen Vichai), über Trainer Brendan Rodgers bis hin zu den Spielern auf dem Platz – erntete dennoch Früchte. In der Vorwoche gewannen die Foxes dank eines 1:0 über Chelsea den FA Cup.

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Von wegen Super League: Arsenal und Tottenham

Manchester City, Manchester United, Chelsea und Liverpool lieferten zumindest sportliche Gründe für ihren vielkritisierten Vorstoß einer Super League. Ganz anders sieht es bei zwei ehemaligen Stammgästen der Top-Six, meistens sogar der Top-Four aus: Tottenham und Arsenal.

Der hervorragende Saisonstart der Spurs – nach elf Spieltagen stand Platz eins zu Buche – erwies sich als ein Produkt von Spielglück und Übereffizienz. Sechs Punkte hatten sie zu diesem Zeitpunkt mehr auf dem Konto, als gemessen an den Chancen der jeweiligen Spiele zu erwarten gewesen wäre („expected Points“) – die größte Diskrepanz der Premier League. Schon bald passte sich die Ausbeute an den pragmatischen und wohl veralteten Spielstil José Mourinhos an. Auf Platz sieben angekommen, musste der Portugiese nach 32 Spieltagen gehen. Am Ende reichte es für den Champions-League-Finalisten von 2019 nicht mal zur Europa League. Tottenham geht als Siebter 2021/2022 in der Europa Conference League an den Start. Der Kader benötigt einen Umbruch – Heung-min Son und Harry Kane (2020/2021 zusammen 40 Tore) täuschten in den letzten Jahren über einige Defizite hinweg. Das dürfte sich ändern, Talisman Kane will den Klub nach zwölf Jahren verlassen, um Titel zu gewinnen.

 

Auch beim FC Arsenal offenbarte die Saison 2020/2021 schonungslos den Durchschnitt, der sich in den Kader eingeschlichen hat. Der junge Sportdirektor Edu sowie Coach Mikel Arteta konnten die jahrelange Stagnation in ihrer ersten vollen Saison bei den Gunners nicht bremsen. Die lethargischen Londoner lieferte einen historisch schlechten Saisonstart und belegten an Weihnachten Rang 15. Doch Arteta riss mit dem Jahreswechsel das Ruder um: Nur Manchester City und Manchester United holten bis zum Saisonende mehr Punkte. Das Loch, das sich die Gunners gegraben hatten, war aber zu groß. Die anhaltenden Formschwankungen, zu vorsichtigen Auftritte und immer wiederkehrende, teilweise haarsträubende individuelle Fehler ließen mehr als Platz acht nicht zu. Erstmals seit 1996 ist Arsenal nicht mal in der Europa League vertreten. Ein wichtiger Sommer steht bevor, mit den Senkrechtstartern Bukayo Saka, Emile Smith Rowe und Kieran Tierney ist zumindest junges Potential vorhanden.

West Ham und Everton auf dem Vormarsch

Die bestenfalls durchschnittliche Arbeit abseits des Platzes hat die beiden Klubs aus Nordlondon eingeholt. Leicester City hat das bereits zum zweiten Jahr in Folge tabellarisch unterstrichen. Mit West Ham und Everton sind 2020/2021 zwei weitere Konkurrenten aufgetaucht.

Insbesondere die Hammers, wohl die Überraschungsmannschaft der Saison, hatte wohl keiner auf dem Zettel. Doch David Moyes formte aus einem heimlichen Abstiegskandidat eine homogene, schwer zu knackende und effiziente Truppe, die bis kurz vor Schluss sogar auf die Champions League schielte. Ein gutes Händchen auf dem Transfermarkt (Rechtsverteidiger Vladimir Coufal, Mittelfeldkante Tomas Soucek und der wiederaufblühende Jesse Lingard) sowie klare Strukturen zeigen, was möglich ist. Die Hammers sicherten Platz sechs und die Europa League.

Auch mit dem FC Everton ist ebenfalls zu rechnen. Mit James Rodriguez und Allan wurde der solide Kader qualitativ punktuell verstärkt. Dominic Calvert-Lewin (16 Tore) gehört plötzlich zu den besten Angreifern der Premier League. Carlo Ancelotti hat dem jahrelang im Mittelfeld dümpelnden Verein Flair und Siegermentalität eingehaucht. Am Ende fehlten noch ein paar Prozent, genauer gesagt sechs Punkte, um den Top-Six gefährlich zu werden.

Carlo Ancelotti und David Moyes.

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Brighton und Leeds begeistern die Premier League

Womöglich können wir sogar einen Aufsteiger zu den größten Verfolgern des oberen Tabellendrittels dazuzählen. Bereits am ersten Spieltag deutete sich an, dass Leeds United kein normaler Aufsteiger war. Der schlafende Riese, der nach 16 Jahren in der Championship endlich in die Premier League zurückkehrte, verlor zum Auftakt mit 3:4 gegen den FC Liverpool. Der Trend würde sich fortsetzen. Die Mannschaft von Taktikfuchs Marcelo Bielsa scheute sich vor keinem Gegner, hielt an ihrem unbekümmerten wie mutigem Spielstil fest und strotzte vor Intensität. Manchester City wurde beim 1:1 im heimischen Stadion phasenweise an die Wand gespielt, auswärts beim Meister gab es mit einem ungewohnt konterorientierten Auftritt sogar einen 2:1-Sieg. Am Ende sicherte Leeds United einen beachtlichen neunten Platz und zeigte, dass auch mit weniger Qualität viel möglich ist, solange Spielidee und Mentalität stimmen. Bielsa sei Dank.

Beinahe all das trifft auch auf Brighton & Hove Albion zu. Beinahe, denn 2020/2021 fehlte vor allem eines: die Tore. Das Team von Graham Potter ließ den Ball mit wenig Kontakten zielorientiert über den Rasen laufen und erspielte sich somit Woche für Woche eine Vielzahl an Chancen. Über die Saison zusammengerechnet, hätten laut expected Goals (xG) dabei 53,82 Tore herausspringen müssen, am Ende waren es nur 40. Mit 61,41 expected Points hätte Brighton die Saison auf Rang fünf beenden müssen – am Ende war es nur Platz 16. Die 20,41 Punkte Abweichung zu den expected Points war 2020/2021 die größte der Liga. Das sollte den Seagulls zeigen, dass man insgeheim auf dem richtigen Weg ist.

 

Abstiegskampf, der keiner war

Bereits am 35. Spieltag standen alle Absteiger der Premier League fest. Der Absturz von Sheffield United war sogar schon am 32. Spieltag besiegelt. Im Vorjahr noch mit überlappenden Innenverteidigern das Hipsterteam der Premier League, war die unkonventionelle Magie von Aufstiegsheld Chris Wilder 2020/2021 schnell verpufft. Der Qualitätsunterschied wurde schonungslos entblößt.

Ähnliches galt für die Aufsteiger Fulham und West Bromwich. Beide hatten schlichtweg nicht die individuelle Klasse, um sich in der Beletage des englischen Fußballs zu halten. Die Londoner hielten dabei bis zum Schluss an Trainer Scott Parker fest, bei West Brom übernahm Chef-Feuerwehrmann Sam Allardyce für Slaven Bilic und stieg erstmals in seiner Karriere ab. Elf Punkte Puffer hatte der erste Nichtabsteiger, der pragmatische FC Burnley, am Ende der Saison zu den unteren Drei.

Premier League 2021/2022: Was erwartet uns?

Eine Prognose für die kommende Saison zu treffen, ist vor der Öffnung des Transferfensters natürlich unmöglich. Leichte Tendenzen sind dennoch zu erkennen. Es gibt keinen Grund, einen Leistungsknick bei Manchester City zu erwarten, dafür sind Trainer und Kader zu gut, die Mannschaft zu sehr eingespielt. Darüber hinaus sind weitere punktuelle Verstärkungen, vor allem im Sturm, zu erwarten. Das hat allerdings nicht unbedingt einen erneuten Durchmarsch zur Folge.

Kann Manchester United im Sommer personell nachlegen und Ole Gunnar Solskjaer sich weiter als Trainer entwickeln, könnte die Lücke zum Stadtrivalen etwas kleiner werden. Die größte Gefahr geht jedoch auch nach einer enttäuschenden Saison vom FC Liverpool aus. Vielleicht sogar deswegen. Die Mannschaft sollte frischer und vor allem gesund in die neue Spielzeit starten und hat einiges zu beweisen. Langzeitverletzte Leistungsträger, aber auch die Fans kehren an die Anfield Road zurück. Neuzugänge sind ebenfalls zu erwarten. Der FC Chelsea sollte das Quartett der Titelkandidaten abrunden. Tuchel formte binnen kürzester Zeit ein Top-Team. Was gelingt dem Deutschen mit einer vollen Vorbereitung und weiteren Verstärkungen?

Ebenfalls Spannung verspricht der Kampf um die europäischen Plätze. Können West Ham und Everton auf ihre starken Spielzeiten aufbauen und im Sommer nachlegen? Kann Arsenal den Umbruch vorantreiben und ohne zusätzliche Belastung im zweiten vollen Jahr unter Arteta, der wegen Corona nach wie vor keine richtige Vorbereitung hatte, endlich wieder angreifen? Kann Tottenham die Millionen durch die Kane-Abgang sinnvoll re-investieren, eine richtigen Trainer finden sowie Verjüngung und Ambition vereinen? Was hat der Abstiegskampf zu bieten? Southampton und Burnley rutschten bedrohlich nah an den Strich. Sind die Aufsteiger Norwich City und Watford FC in der Lage, zu überraschen?

Viele Fragen, die Antworten kann nur die neue Spielzeit liefern.

Chris McCarthy

Photo: xCarlxRecinex/Imago

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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