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Cristiano Ronaldo bei Juventus: Der unvollendete Abschluss?

3. Mai 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Es war der 10. Juli 2018, als der Wechsel des portugiesischen Superstars Cristiano Ronaldo von Real Madrid zu Juventus Turin bekannt gegeben wurde. Die Fußballfans in ganz Europa staunten nicht schlecht und fragten sich, ob „CR7“, der mit den Königlichen unter anderem dreimal in Folge die Champions League gewinnen konnte, diese Serie auch bei der „Vecchia Signora“ fortführen kann.

Ronaldo, der sich auf dem Zenit seiner Schaffenskraft befand, unterzeichnete einen Vertrag bis 2022. Seine Beweggründe waren klar: Ronaldo wollte auch in der dritten großen Liga zu einer prägenden Figur werden, Titel gewinnen und nach Manchester United und Real Madrid auch den Branchenprimus in Italien auf Europas Thron führen.

Cristiano Ronaldo: Der Schlüssel für Juventus

Genau diesen Gedanken hatte auch die „Alte Dame“. 2015 und 2017 stand Juventus im Endspiel um den Titel in der Champions League, 2018 schied man knapp im Viertelfinale aus. Der große Wurf sollte gelingen, einer guten Mannschaft fehlte aber ein entscheidendes Puzzleteil: Der Killerinstinkt. Und Cristiano Ronaldo sollte dem Spiel von Juventus diese fehlende Nuance hinzufügen, so der Plan. Unter Massimiliano Allegri wurde der italienische Serienmeister zu einer extrem unangenehmen, gut ausbalancierten Ergebnismaschine. Juventus konnte jedem Gegner Probleme bereiten, spielte auf hohem Niveau, aber sorgte selten für Spektakel.

Cristiano Ronaldo, der eben nicht nur ein eiskalter Vollstrecker ist, sondern gerne auch ein Dribbling im Mittelfeld startet, ein Kabinettstückchen auspackt, wenn es nicht zwingend notwendig ist, sollte aus einer sehr guten eine noch bessere Mannschaft machen. Und das Werk Allegris nach vielen Jahren ernsthafter Bemühungen endlich vollenden.

Doch wenn die Geschichte eines gezeigt hat, dann, dass für einen Sieg in der Champions League viele Dinge zusammenkommen müssen. Eine sehr gute Mannschaft ist natürlich ein wichtiges Element, aber auch Faktoren wie Glück mit Verletzungen, mentale Stärke und Tagesform, die teilweise nicht planbar sind, spielen eine Rolle.

Cristiano Ronaldo schafft es im Verlauf seiner Karriere sehr häufig, am Tag X auf den Punkt voll da zu sein. Selbst in schwächeren Phasen, in denen er sich nicht in Topform befand, erzielte er viele Tore. Die Spiele, die ihn zu einem der größten Fußballer aller Zeiten machten, waren aber entscheidende Duelle in der Königsklasse, für die sich der Portugiese schier grenzenlos motivieren konnte.

Cristiano Ronaldo: Die Atletico-Explosion, die keine Initialzündung war

Vor der Saison 2018/19 war man bei Juventus also guter Dinge. Und Ronaldo machte das, was er immer machte: Er erzielte Tore, wichtige Tore. Zunächst allerdings nur in der Serie A, in der er am Ende auf 21 Treffer kam. In der Königsklasse wurde CR7 mit einer für ihn ungewohnten Ladehemmung konfrontiert, traf nur einmal in den ersten sieben Spielen – bis er explodierte. Nach einem 0:2 im Hinspiel bei Atletico Madrid, einer der defensivstärksten und unangenehmsten Mannschaften in Europa, schlug Ronaldos große Stunde für Juventus.

Das Rückspiel in Turin wurde zu einer Ronaldo-Show, einer Machtdemonstration des Spielers, der maßgeblich an den drei Triumphen Real Madrids in Folge beteiligt war. Atletico versuchte alles, spielte den typischen, simeonesken Fußball, aber konnte Ronaldo nicht stoppen. Mit 3:0 schlug Juventus die Colchoneros, alle drei Tore waren Chefsache. Juventus hatte in einer kniffligen Situation, in der man mit dem Rücken zur Wand stand, durch den Einfluss von Cristiano Ronaldo einen wichtigen Sieg eingefahren. Genau so, wie man es sich beim Transfer vorstellte.

 (Photo by Marco BERTORELLO / AFP)

Doch dann passierte es: Im Viertelfinale kam es zum Duell zwischen Juventus und Ajax Amsterdam. Ronaldo traf in beiden Spielen – aber sonst kein Spieler der „Alten Dame“. Ein 1:1 im Hinspiel und eine 1:2-Niederlage im Rückspiel besiegelten das Aus von Juventus. Eine junge, wilde, hungrige Mannschaft voller herausragender Talente schlug die erfahrenen Italiener mit ihrem eigentlich unfehlbaren Anführer. War es Pech, vielleicht Zufall? Nein. Juventus musste an diesen Tagen erkennen, dass Cristiano Ronaldo alleine nicht reicht.

Probleme verlagert, nicht behoben

Eigentlich malte die Mannschaft von Juventus Turin in der Saison 2018/19 das alte, gewohnte Bild. Der Ligatitel wurde angesichts 90 erreichten Punkten und elf Punkten Vorsprung sehr souverän gewonnen, international fehlte etwas. Es ist eine Kunst, einen Kader zusammenzustellen, der keine oder zumindest kaum Schwächen hat. Bei Juventus sollten Schwächen durch den Faktor Ronaldo behoben werden. Diese Rechnung ist aber zu einfach, denn durch die Erhöhung individueller Klasse werden die Schwächen eben „nur“ seltener sichtbar, sie bleiben dennoch vorhanden.

Juventus fehlte in der Saison 2018/19 – neben Ronaldo, der mehr als die Hälfte der Partien außen spielte – ein Flügelspieler auf extrem hohem Niveau. Juan Cuadrado und Douglas Costa brachten vor allem Tempo mit, aber ihre Schwächen sind offensichtlich. Probleme mit der Kostanz, wiederkehrende Blessuren, eine häufig nicht ideale Entscheidungsfindung – diese Faktoren machen auf höchstem Niveau den Unterschied. Bleibt noch der junge Federico Bernardeschi, der zwar sehr talentiert ist, aber auch nicht den erhofft großen Einfluss hatte. Die Zahlen belegen die Problematik: Cuadrado, Costa und Bernardeschi erzielten gemeinsam lediglich fünf Tore.

(Photo by Marco BERTORELLO / AFP)

Doch das ist nicht die einzige Baustelle. Juventus schafft es in den letzten Jahren immer wieder, großartige Mittelfeldspieler zu verpflichten und in den eigenen Reihen zu haben, nicht jedoch, ein großartiges Mittelfeld zu kreieren. Die individuelle Klasse war stets hoch, eine Ansammlung vieler gleicher oder zumindest ähnliche Spielertypen, sinnbildlich die dynamischen Box-to-Box-Spieler, sorgte aber für Probleme. Das Mittelfeld war im Prinzip nie perfekt ausbalanciert – und ist es bis heute nicht.

Maurizio Sarri und neue (alte) Probleme

Im Sommer 2019 folgte die Trennung von Massimiliano Allegri und die Verpflichtung von Maurizio Sarri. Der exzentrische Kettenraucher sollte mit seinem typischen, ballbesitzlastigen „Sarri-Ball“ begeistern und gleichzeitig den Henkelpott gewinnen. Nun ist die aktuelle Saison zwar aufgrund der Coronakrise unterbrochen, dennoch lässt sich ein Zwischenfazit ziehen. Der Stil, der die SSC Neapel in den letzten Jahren unter Sarri prägte und der beim FC Chelsea schon nur schemenhaft erkennbar war, ist bei Juventus unter Sarri offenbar kaum ein Thema. Individuelle Elemente überwiegen, auch in dieser Saison wirkt der Kader unausgewogen, zudem gibt es bereits erste kritische Stimmen in Richtung des neuen Trainers.

Die italienische Serie A ist eng wie selten zuvor, obwohl Juventus eigentlich eine gute Saison spielt. Spektakuläre Spiele sieht man selten, auch die sarriesken Passstaffetten fehlen zuweilen und die für den „Sarri-Ball“ traumwandlerisch sichere Pressingresistenz im Aufbau ist nur als Momentaufnahme sichtbar. Zum Zeitpunkt des Abbruchs befand sich die Saison von Juventus in einer Phase, in der sich vieles hätte entscheiden können.

Zweifler werden sagen, dass der Mannschaft eine spielerische Identität, die unverwechselbar ist, fehlt. Und dass die angesprochenen Probleme im Kader ich behoben wurden. Im Gegenteil: Ein Flügelspieler der Extraklasse fehlt weiterhin, im Mittelfeld konnten die Neuzugänge Ramsey und Rabiot noch nicht vollumfänglich überzeugen und durch die fehlende Kontinuität und mangelnde Weltklasse auf der Rechtsverteidigerposition entstand zudem ein neuer Unruheherd.

Bleibt Cristiano Ronaldo unvollendet?

Nun ist die aktuelle Saison, wie bereits erwähnt, aufgrund des Coronavirus unterbrochen. Das letzte Spiel von Juventus in der UEFA Champions League war die 0:1-Niederlage bei Olympique Lyon. Dieses Spiel zeigte die Schwächen der Alten Dame auf, das Rückspiel bietet aber die Möglichkeit, die Dinge wieder zu korrigieren. Mit Ronaldo und seiner unglaublichen Qualität. Die Frage, die sich stellt, ist aber: Warum ist das gegen einen Gegner wie OL überhaupt nötig? Juventus ist nicht unfehlbar, sogar weit davon entfernt. Die Gegner wissen, dass dieser Gegner zwar sehr stark, aber auch nicht unbesiegbar ist. Schwachstellen existieren, diese müssen „nur“ aufgedeckt werden. Und Cristiano Ronaldo kann zwar häufig, aber nicht immer zum Helden avancieren.

(Photo by Isabella Bonotto / AFP) 

Die Grundstruktur, die Basis, die Ronaldo bei Real Madrid und auch in der erfolgreichen Saison bei Manchester United vorfand, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei Juventus Turin nicht gegeben. Und diese Basis sorgt für den Unterschied zwischen einer sehr guten und einer großen Mannschaft. Traut man Maurizio Sarri bei Juventus zu, diese Mannschaft zu einer großen zu formen? Und wenn Zweifel bestehen, wie lange hat Sarri noch Zeit?

Der Vertrag von Cristiano Ronaldo läuft noch bis 2022, dann ist der Portugiese 37 Jahre alt. Zwar ist „CR7“ noch immer topfit und spielt auf hohem Niveau, irgendwann wird aber selbst er nicht mehr diesen enormen Einfluss haben können. Das bedeutet, dass er – zumindest als prägende Figur – nur noch ein, zwei, im Idealfall drei Jahre auf diesem Niveau spielen kann. Seine Klasse kann vieles kaschieren, aber sie reicht nicht, um alle Fragen, die rund um Juventus derzeit auftreten, zu beantworten.

La Vecchia Signora ist also gut beraten, sich nicht nur auf Ronaldo zu verlassen, sondern zu erkennen, auf welchen Positionen noch Nachholbedarf besteht und den Kader zu verbessern. Blöd nur, dass aufgrund des Coronavirus und den ungewissen finanziellen Auswirkungen unklar ist, inwieweit Verstärkungen im Sommer überhaupt praktikabel sind.

Juventus könnte also auch in der Saison 2020/21 mit offensichtlichen Schwachstellen im Kader zu kämpfen haben. Cristiano Ronaldo kann vieles kaschieren, aber nicht alle Probleme alleine beheben. Und genau deswegen ist es sehr gut denkbar, dass zu den fünf Titeln in der Königsklasse, die Ronaldo bisher gewinnen konnte, bei Juventus kein weiterer hinzukommen wird. Und das würde bedeuten, dass einer der größten Fußballer aller Zeiten zumindest bei dieser Station seiner Karriere „unvollendet“ bleibt.

(Photo by Isabella Bonotto / AFP) 

Manuel Behlert

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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