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FC Bayern | Jerome Boateng: Der Abgeschriebene glänzt in Topform

13. Juni 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Es gab Zeiten, da bestand kein Zweifel daran, dass Jerome Boateng einer der absolut besten Innenverteidiger der Welt ist. Der Weltmeister von 2014 spielte über Jahre hinweg konstant auf höchstem Niveau, war in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern kaum zu ersetzen.

Doch Jerome Boateng durchlief nach seiner wohl besten Phase in der Karriere auch ein Tief. Ungewohnte Konzentrationsschwankungen traten auf, auch athletisch war Boateng zeitweise von seiner Topform weit entfernt. In der Nationalmannschaft war er nicht mehr gefragt, beim FC Bayern saß er häufig auf der Bank. Und spielte mit Wechselgedanken. 

Paris? Manchester? Turin? München!

Nicht nur das. Mehrfach führte sein ehemaliger Berater Christian Nerlinger Gespräche mit anderen Klubs. Mehrfach stand ein Wechsel kurz bevor, Paris Saint-Germain, Manchester United und Juventus Turin interessierten sich für Boateng. Aus verschiedenen Gründen kamen die Transfers nicht zustande. Dass Boateng aufgrund seiner Leistungen bei den großen Klubs in Europa geschätzt wird, ist kein Zufall. In Topform ist der Innenverteidiger nämlich ein Allround-Paket, das es auf dieser Position nicht allzu häufig gibt.

Doch die langen Bälle, die einst so herausragende Spieleröffnung hatte plötzlich eine Streuung, die man so nicht von Boateng kannte. Manchmal wirkte er etwas leichtsinnig, im Kopf zu langsam. Unter Niko Kovac, der im Sommer 2018 als Trainer zum FC Bayern kam, spielte Boateng keine allzu große Rolle, ihm fehlte insbesondere in der Rückrunde der Rhythmus, trotz immerhin 20 Einsätzen in der Bundesliga. Doch das ist nicht der Anspruch eines Jerome Boateng.

Die Verlockungen aus dem Ausland brachten Boateng auch eine Art Wertschätzung entgegen, die er beim FC Bayern in dieser Phase nicht immer spürte. Uli Hoeneß, damals noch Präsident des Rekordmeisters, riet Boateng im Mai 2019 sogar öffentlich zu einem Wechsel. Doch der mittlerweile 31-jährige Innenverteidiger bekundete mehrfach, nicht wegrennen, sondern um seinen Platz kämpfen zu wollen.

Jerome Boateng: Die Antwort gibt er auf dem Platz

Und genau das tat er auch. Die Hinrunde verlief über weite Strecken nicht ideal. Zu Beginn der Saison stand er zunächst nicht auf dem Feld, gegen Frankfurt, bei der 1:5-Niederlage, wurde er mit einer roten Karte des Feldes verwiesen. Nach dem Trainerwechsel fehlte Boateng in den ersten beiden Bundesligaspielen gesperrt, im ersten Spiel unter Neu-Trainer Flick in der Champions League saß er 90 Minuten auf der Bank. Ein Zeichen? Keineswegs.

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images)

Nach seiner Sperre verpasste Boateng nur fünf von 25 Spielen, eines wegen einer Gelbsperre, eines krankheitsbedingt. Boateng spielt nicht nur fast immer, er spielt auch gut. Sehr gut sogar. Hansi Flick hat der gesamten Mannschaft neues Leben eingehaucht. Sie ist stabiler, die Automatismen greifen. Davon profitiert auch ein Jerome Boateng – und die Mannschaft profitiert von ihm.

Sieht man den 31-jährigen Innenverteidiger dieser Tage auf dem Feld, fühlt man sich an seine beste Zeit zurückerinnert. Zugegeben, in Sachen Athletik fehlen marginale Prozentpunkte im Vergleich zu vergangenen Tagen, aber mit welch einer Ruhe und fast schon Gelassenheit Boateng viele potenzielle Gefahrenherde bereinigt, beeindruckt. In den letzten Wochen und Monaten verstummten die Kritiker mehr und mehr, Boateng gab die Antwort auf dem Platz.

Boateng in Topform: Die Konkurrenz kann kommen

Es ist aber nicht nur die defensive Stabilität, die Jerome Boateng zurückerlangt hat. Es ist auch der Spielaufbau, der wieder traumwandlerisch sicher ist. Im Zusammenspiel mit David Alaba, seinem derzeitigen Partner in der Innenverteidigung, baut Boateng das Spiel sehr konstruktiv auf. Während Alaba immer wieder dynamisch andribbelt, hat Boateng ein hervorragendes Auge für sich bietende Räume, spielt flach und fest zwischen die Linien, aber gleichzeitig auch punktgenaue lange Bälle in den Lauf der Offensivspieler. Sinnbildlich dafür steht die fantastische Vorlage auf Thomas Müller vor der coronabedingten Saisonunterbrechung im Spiel gegen den FC Augsburg.

Jerome Boateng glänzt derzeit in einer Form, die ihm viele vor der Saison nicht mehr zugetraut hätten. Die Konkurrenz, bestehend aus Lucas Hernandez (24) und Niklas Süle (24), wird dies registriert haben. Boatengs Leistungen auf dem Platz sind eine Kampfansage, ohne dass diese verbal geäußert werden muss. Hernandez, der nach vielen Blessuren noch nach seinem Rhythmus sucht und Süle, der nach einem Kreuzbandriss erst zur neuen Saison wieder zur Verfügung steht, werden hart dafür arbeiten müssen, Jerome Boateng zu verdrängen.

Der Vertrag des 31-jährigen läuft noch bis 2021. Ob er diesen verlängert, steht noch in den Sternen. Ein Verbleib über die Saison 2019/20 hinaus ist aber sehr wahrscheinlich. Denn von den Gründen, die Boateng in den letzten Wechselperioden für einen Transfer gehabt hätte, sind kaum noch welche übrig.

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(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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