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Julian Weigl – Ankersechser auf Abwegen

5. Mai 2020 | Spotlight | BY Simon Lüttel

Kurz nach seinem Wechsel zu Borussia Dortmund war Julian Weigl die größte Entdeckung der Bundesliga-Saison 2015/2016. Dem Talent wurde eine große Zukunft prophezeit, doch für Weigl folgten beim BVB schwere Zeiten mit wenig Kontinuität. Heute blicken wir auf die Entwicklung des mittlerweile 24-jährigen Mittelfeldspielers.

Weigl zum BVB – Ein unspektakulärer Wechsel

Die offizielle Verkündung des Transfers von Julian Weigl zu Borussia Dortmund sorgte am 08. Juni 2015 nicht für sonderlich große Verwunderung. Dies lag vor allem daran, dass die BILD den Transfer bereits zehn Tage zuvor als perfekt vermeldete. Doch auch diese Meldung war keine, die die für gewöhnlich sensationslustige Tageszeitung in großen Druckbuchstaben auf der Titelseite präsentierte. Der 2,5 Millionen Euro teure Wechsel von Julian Weigl zum BVB galt als Transfer für die Zukunft.

Der damals 19-jährige lief zuvor für den TSV 1860 München in der zweiten Bundesliga auf und zeigte regelmäßig gute Leistungen. Dennoch stellten sich Fans und Medien die Frage, ob Julian Weigl schon bereit für den Schritt in die 1. Bundesliga sei. Das mag auch daran gelegen haben, dass Weigls Qualitäten wie Zuverlässigkeit und Passsicherheit von der breiten Masse eher weniger Wertschätzung erhielten, als spektakuläre Dribblings oder ein überragender Torabschluss.

(K)ein Perspektivspieler unter Thomas Tuchel

Ähnlich war auch die interne Erwartungshaltung beim BVB, wie Michael Zorc den Transfer in der offiziellen Pressemitteilung der Schwarzgelben kommentierte: „Julian Weigl ist ein Perspektivspieler für das zentrale Mittelfeld, dem wir großes Entwicklungspotenzial zutrauen.“

Aufgrund der eher ruhigen Erwartungshaltung gegenüber Weigl dürften nicht wenige am Abend des 15. August 2015 überrascht gewesen sein, als verkündet wurde, dass Julian Weigl am 1. Bundesliga-Spieltag gegen Borussia Mönchengladbach in der Startaufstellung des BVB stehen würde. In einem 4-1-4-1 fungierte Weigl zwischen den Innenverteidigern und zwei offensiver orientierten Achtern als zentralen Mittelfeldspieler. An Konkurrenz in der Schaltzentrale mangelte es damals nicht, so mussten mit Sven Bender, Kevin Kampl und Gonzalo Castro gleich drei nominelle Mitstreiter für die Mittelfeldposition auf der Bank Platz nehmen.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Der BVB schlug Borussia Mönchengladbach im Auftaktspiel mit 4:0 und Julian Weigl gab ein überzeugendes Bundesliga-Debüt. Der damalige U20-Nationalspieler überzeugte als freier Aufbau- und Verbindungsspieler mit Passsicherheit, Pressingresistenz und Zuverlässigkeit. Der damals 19-jährige wirkte für sein Alter äußerst routiniert und fiel durch cleveres Positionsspiel und eine hervorragende Spielintelligenz auf. Julian Weigl wurde mit seinen Finten, kurzen Dribblings und Spielverlagerungen zum essenziellen Bestandteil des Dortmunder Aufbauspiels. Die Aufgabe von Weigl war es nicht, den einen Schlüsselpass zu spielen, sondern die unzähligen kurzen bis mittellangen Pässe, die das Spiel im Ballbesitz für den BVB erst eröffneten. Eine ähnliche Rolle gab es im Spielsystem des FC Barcelona, dort wurde diese von Sergio Busquets ausgeführt. Im Fachjargon wird diese Rolle auch als Ankersechser bezeichnet. Diese Wortschöpfung fiel erstmals beim Taktikportal Spielverlagerung.de.

Weigl beim BVB: Der Ankersechser

Der Plan, Julian Weigl als Ankersechser einzusetzen, ging beim ersten Versuch auf. Der Ex-Münchener wurde auf Anhieb zum Stammspieler und wusste die gesamte Saison über mit den Qualitäten zu überzeugen, die das Jungtalent gegen Gladbach zur Schau stellte.

Im defensiven Mittelfeld absolvierte Weigl in seiner Debütsaison wettbewerbsübergreifend 51 von 56 möglichen Spielen. Mit dem Wissen, dass Thomas Tuchel ein Freund von regelmäßigen Rotationen ist, wird diese Einsatzquote noch beeindruckender, als sie ohnehin schon ist.

Julian Weigl ist kein kompletter Mittelfeldspieler, doch das war keinesfalls ein Problem, denn die Rolle, die sich für Weigl im Tuchel-System ergab, war nahezu perfekt auf seine Stärken zugeschnitten. Im diesem Ballbesitz-orientierten Spielsystem stand die Arbeit gegen das Spielgerät für den schmächtigen Weigl oft nur im Hintergrund, so blieben seine physischen Defizite oft verborgen.

Am 34. Spieltag der Saison 2015/16 stellte Julian Weigl gegen den 1. FC Köln mit 214 Ballkontakten einen neuen Rekord für die meisten Ballkontakte in der Bundesliga seit Erfassung der Daten auf. Zwei Wochen nach Saisonende debütierte Julian Weigl in der deutschen Nationalmannschaft. Im darauffolgenden Sommer wurde er mit einem Wechsel zu Paris St.-Germain, Manchester City und dem FC Barcelona in Verbindung gebracht. Ein Abgang stand für die Verantwortlichen des BVB jedoch nicht zur Debatte und so blieb Julian Weigl weiterhin in Dortmund. Im Dezember 2016 erfolgte sogar die vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2021.

Weigl: Verletzung, Formations- und Trainerwechsel

In der Folgesaison wechselte Thomas Tuchel die Formationen häufiger, dennoch blieb Julian Weigl eine Konstante im Spielsystem des ehemaligen Mainz-Trainers.

Weigl war unumstrittener Stammspieler, bis er sich kurz vor Saisonende einen Verrenkungsbruch des Sprunggelenks zuzog und erstmals in seiner Karriere für längere Zeit zwangsläufig pausieren musste. Nach Saisonende wurde Thomas Tuchel, obwohl er mit dem BVB den DFB-Pokal gewann, aufgrund von internen Differenzen entlassen. So trennten sich die Wege von Julian Weigl und Thomas Tuchel.

Im Juli 2017 übernahm Peter Bosz das Traineramt bei Borussia Dortmund. Der Niederländer war weniger flexibel als Thomas Tuchel und verfolgte stets einen festen Matchplan. Fester Bestandteil der Spielidee des Niederländers waren ein dominantes Offensivspiel mit aggressivem Gegenpressing nach Ballverlusten.

Bosz wählte dazu ein 4-3-3 als feste Grundordnung. Das Drei-Mann-Mittelfeld in dieser Formation setzte sich aus zwei zentralen- und einem defensiven Mittelfeldspieler zusammen. Die Rolle, die Julian Weigl im Tuchel’schen System einnahm, war im Spielsystem von Bosz nicht existent. Ein markanter Unterschied war, dass die Sechser physisch mehr gefordert wurden und die Anweisung bekamen, sich offensiver zu positionieren. So bewegten sich die zentralen Mittelfeldspieler zwischen dem eigenen und dem gegnerischen Sechzehner. Der defensive Mittelfeldspieler war über weite Strecken nicht nur unmittelbar vor der Viererkette zu finden und führte die Rolle ebenfalls offensiver aus. Obwohl Julian Weigl nicht perfekt in dieses Rollenprofil passte, bestand von beiden Seiten die Bereitschaft, es zu versuchen.

(Photo PATRIK STOLLARZ/AFP via Getty Images)

Weigl unter Bosz in ungeliebter Rolle

Am 6. Spieltag der Saison 2017/18 gab Julian Weigl gegen Borussia Mönchengladbach sein Startelf-Debüt unter Peter Bosz. Der BVB schlug vollkommen überforderte Gladbacher auf dominante Art und Weise mit 6:1. Julian Weigl konnte mit gewohnten Qualitäten glänzen. Dies lag allerdings vor allem daran, dass die Gladbacher über weite Strecken des Spiels komplett chancenlos waren. Der BVB konnte nach Spielende 79% Ballbesitz vorweisen und für Julian Weigl war in diesen 90 Minuten die Arbeit mit dem Ball deutlich präsenter, als die Arbeit gegen den Ball. Dieses Spiel sollte das beste Spiel von Julian Weigl unter Peter Bosz bleiben.

In den folgenden Wochen geriet der BVB mit Peter Bosz in eine Krise. Die Schwachstellen des Systems wurden enttarnt und anschließend von nahezu jedem Gegner ausgenutzt. Die Ballbesitz-Anteile für den BVB sanken und somit wurde von den Mittelfeldspielern mehr Arbeit gegen den Ball gefordert.

Unter Peter Bosz kam Weigl zwar weiterhin zu Einsatzzeiten, doch überzeugen konnte er nicht. Der schmächtige Sechser kam mit der neuen Rolle nicht gut zurecht, was der Ex-Löwe dem Niederländer nach Informationen der SportBild in der Halbzeit-Pause des Bundesliga-Spiels gegen Bayer Leverkusen im Dezember 2017 offen mitteilte. Nur zwei Wochen später endete die kurze Ära Bosz in Dortmund. Am 17. Dezember 2017 wurde der der ehemalige Ajax-Trainer nach nur fünf Monaten entlassen.


Keine Konstanz unter Stöger

Als direkter Nachfolger von Peter Bosz übernahm Peter Stöger beim BVB mit einem Vertrag bis zum Saisonende. Mit dem Trainerwechsel änderte sich auch das Rollenprofil des defensiven Mittelfeldspielers erneut.

Julian Weigl zählte als Sechser im 4-2-3-1 von Peter Stöger wieder zum Stammpersonal und seine Leistungen weckten zu Beginn Erinnerungen an die Glanzzeiten unter Thomas Tuchel. Dennoch konnte Weigl, ähnlich wie die gesamte Mannschaft des BVB, aus mehreren Gründen nicht konstant überzeugen.

Weder die Zusammenstellung des Teams, noch die taktische Einstellung wirkten ideal. Dem BVB gelang mit letzter Kraft die Qualifikation für die Champions League, dennoch endete das Kapitel Stöger beim BVB mit dem 34. Spieltag der Bundesliga-Saison 2017/18.

Weigl als Innenverteidiger unter Favre

Unter Lucien Favre kam Julian Weigl größtenteils als Innenverteidiger zum Einsatz. Lucien Favre setzt in seinem 4-2-3-1 im Regelfall auf robustere Spieler im defensiven, beziehungsweise zentralen Mittelfeld. In Favres erstem Jahr waren das Axel Witsel und Thomas Delaney. Favres Versuche, Julian Weigl in das Spielsystem zu implementieren, waren nur bedingt erfolgreich.

Aus der Personalnot geboren, erhielt Weigl schließlich eine Chance in der Innenverteidigung. Der Versuch glückte. Die Adaption der Innenverteidiger-Position gelang dem gelernten Sechser sehr schnell, was vor allem für seine Spielintelligenz spricht.

Obwohl Julian Weigl durchaus gute Auftritte in der Innenverteidigung hatte, war sowohl ihm selbst als auch Trainer Lucien Favre klar, dass Weigl auf dieser Position nicht sein volles Potential ausschöpfen kann. Dementsprechend entschieden die BVB-Verantwortlichen, in Absprache mit dem Trainer, dem 24-jährigen die Freigabe für einen Vereinswechsel zu erteilen.

Interessenten für Weigl gab es aus dem In- und Ausland, letztendlich konnte Benfica Lissabon den Mittelfeldspieler von einem Transfer überzeugen.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Neues Kapital für Weigl in Lissabon

Am Silvesternachmittag 2019 bestätigte Borussia Dortmund via Pressemeldung den 20 Millionen Euro teuren Wechsel von Weigl zu Benfica. Nach Informationen der WAZ soll Weigl der absolute Wunschspieler von Benfica-Coach Bruno Lage gewesen sein.

In der Hinrunde setzte Lage im Regelfall auf das eher offensiv eingestellte Mittelfeld-Duo Taarabt und Gabriel. Mit Weigl bekam der Klub aus Lissabon einen Spielertyp, der so im Kader des amtierenden portugiesischen Meisters noch nicht vorhanden war.

Bei Benfica zählt Julian Weigl seit der Ankunft im Januar zwar zum Stammpersonal, doch an alte Bestleistungen konnte der 24-jährige bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht anknüpfen. Dass der Mittelfeldspieler sein volles Potential noch nicht ausschöpfen konnte, ist auch darauf zurückzuführen, dass das Team von Bruno Lage im Februar in eine sportliche Krise geriet. In den letzten acht Spielen konnte Benfica nur einen Sieg einfahren, zudem schieden die Lissabonner in der Zwischenrunde der Europa League gegen Shakthar Donetsk aus.

Um der sportlichen Talfahrt entgegenzuwirken, griff Lage zu diversen Formationswechseln, die dafür sorgten, dass Weigl sich in Lissabon noch nicht optimal integrieren konnte. Dass Weigl jedoch als Wunschspieler von Lage galt, gibt Hoffnung zur Annahme, dass der 43-jährige durchaus noch Ideen für ein System im Sinn hat, in dem Weigl wieder mit Bestleistungen glänzen könnte.

(Photo by PATRICIA DE MELO MOREIRA/AFP via Getty Images)

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