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Manchester United | Anthony Martial – Das erfüllte Versprechen

20. August 2020 | Spotlight | BY Marius Merck

Spotlight | Im Halbfinale der Europa League ließ er einige Chancen liegen. Doch insgesamt kann Anthony Martial dennoch auf eine erfolgreiche Runde bei Manchester United zurückblicken. Der Franzose scheint nun endlich das Versprechen einzulösen, welches sich schon in seiner Debüt-Saison vor fünf Jahren andeutete – und dann auf einige (portugiesische) Widerstände traf.

  • Anthony Martial: 35 Torbeteiligungen 2019/20
  • Vom „Golden Boy“ zum Topstar
  • Martial: Teil einer jungen, hungrigen Offensive bei Manchester United

Martial: DER Fixpunkt im United-Angriff 2019/20

Köln, 16. August 2020: Im Halbfinale der Europa League trifft Manchester United auf den Rekordsieger FC Sevilla. Zur Halbzeit der Semifinals steht es 1:1. Die Spielanteile sind recht ausgeglichen. Kurz nach dem Wiederanpfiff taucht Anthony Martial (24) frei vor Torhüter Bono auf, scheitert aber, nachdem der Keeper den Winkel auch gut verkleinert. Nur wenige Sekunden später wird der Franzose erneut an der Strafraumkante angespielt. Mit der ersten Bewegung lässt der Stürmer zwei Abwehrspieler ins Leere laufen und steht erneut blank vor dem Sevilla-Keeper. Doch wiederholt will dem 24-Jährigen der Führungstreffer nicht gelingen.

(Photo by MARTIN MEISSNER/POOL/AFP via Getty Images)

Die Partie erinnert in diesen Momenten an das Viertelfinale gegen Kopenhagen wenige Tage zuvor, als die „Red Devils“, und auch Martial, zahlreiche Chancen auslassen. Am Ende rettet in diesem Spiel ein Elfmeter von Bruno Fernandes die Engländer, welchen Martial durch eine Körpertäuschung rausholte. Gegen Sevilla hatte es den Elfmeter schon früher gegeben, abermals war der Stürmer mit einem Geniestreich der Initiator. Am Ende werden sich die Spanier durchsetzen, auch weil die Nummer 9 von ManUtd keine seiner Chancen zu nutzen weiß. Dennoch zeigen die bisherigen Ausführungen: Nahezu keine Gelegenheit des englischen Rekordmeisters kommt aktuell ohne ein Zutun des besten Angreifers im Klub zustande.

2015 – ManUtd verpflichtet Martial für 50 Mio EUR

Bis der heute 24-Jährige diesen Status (wieder) innehatte, mussten einige Jahre vergehen. In diesem Zeitraum stand der Franzose mehrmals vor dem Absprung, wurde zudem auch von einem Trainer gedemütigt. Solche Schmähungen erhielt Martial zu Beginn seiner Zeit bei ManUtd allenfalls von der englischen Presse. Robin van Persie und Javier Hernandez wurden nach zahlreichen Toren für den Verein im Sommer 2015 von Louis van Gaal vom Hof gejagt. Als Nachfolger präsentierte Manchester United einen jungen Franzosen von der AS Monaco, welcher damals höchstens Kennern in der Branche ein Begriff war.

(Photo by VALERY HACHE/AFP via Getty Images)

Für den damals 19-jährigen Martial überwies man astronomische 50 Millionen Euro ins Fürstentum, mit zahlreichen Boni („Ballon-d´Or“-Klausel) kann diese Summe auf rund 80 Millionen Euro anwachsen. RVP und Chicharito weg – und für zwei solche Stürmer von internationalem Format kommt lediglich ein auf den ersten Blick überteuerter Youngster, welcher in Monaco vornehmlich als Linksaußen (in seiner bis dato einzigen Profi-Saison als Stammspieler) eingesetzt wurde?

Die Medienlandschaft und auch viele der eigenen Anhänger kritisierten United für diesen Schritt enorm. Martial wurde direkt mit der Nummer 9 ausgestattet und saß im September 2015 gegen der Erzrivalen Liverpool erstmals auf der Bank. Beim Stand von 2:1 kam das Talent in die Partie – und benötigte nur kurz, um seine Kritiker Lügen zu strafen. Wenige Minuten nach seiner Einwechslung ging Martial mit Vollgas auf Martin Skrtel zu, ließ den Abwehrspieler mit einer herrlichen Körpertäuschung stehen und entschied die enge Begegnung mit seinem Tor zum 3:1 – das Old Trafford explodierte.

Martial wird der „Golden Boy“ 2015

Nur eine Woche später legte Martial einen Doppelpack bei Southampton nach und spielte bei einem Treffer auch einem gewissen Virgil van Dijk einen Knoten in die Beine. Dieser vielversprechende Start sorgte auch für einen schnellen Stimmungsumschwung bei dem eigenen Anhang. Das bis heute über ihn gesungene Lied war geboren:

Tony Martial, he came from France, English press said he had no chance, 50 million down the drain, Tony Martial scores again…

Martial beeindruckte mit einer Spielweise, die teilweise Elemente der Dribbelstärke des brasilianischen Ronaldo sowie der Eleganz von Thierry Henry aufweist. Selbst auf engstem Raum fand der Angreifer Lösungen, zeigte sich kombinationsstark und war für sein junge Alter sehr abgebrüht vor dem gegnerischen Gehäuse. Der Höhenflug hält an: Im Dezember 2015 wurde der Angreifer als „Golden Boy“ ausgezeichnet. In einer inkonstanten United-Mannschaft war Martial unter van Gaal zunächst im Sturmzentrum gesetzt. Nach dem Jahreswechsel musste er dann wegen der Entdeckung eines gewissen Eigengewächses namens Marcus Rashford häufiger auf den linken Flügel weichen.

Das Talent lieferte auch auf dieser Position ab, schoß United unter anderem in der Nachspielzeit gegen Everton ins Finale des FA Cups, der später gegen Crystal Palace gewonnen wird. Am Ende verspielte der Verein die Qualifikation für die Champions League mit einem 2:3 bei West Ham, trotz eines Martial-Doppelpacks. Mit elf Treffern in der Premier League war der Franzose in einer äußerst mäßigen Offensive (nur 49 PL-Tore insgesamt!) als bester Torjäger des Teams der Lichtblick und hatte die hohen Erwartungen trotz der Ablöse beeindruckend geschultert. Als Belohnung stand Martial daraufhin im Kader der französischen Nationalmannschaft für die EM 2016 und wurde Vize-Europameister.

(Photo by ALBERTO PIZZOLI/AFP via Getty Images)

Ibrahimovic kommt zu United: Mourinho demütigt Martial

In Manchester übernahm unterdessen José Mourinho für van Gaal und brachte mit Zlatan Ibrahimovic einen seiner persönlichen Lieblingsspieler mit. Kommt ein Weltstar zu einem neuen Klub, so ist es aus Marketing-Gründen in der Regel naheliegend, ihm eine entsprechende Rückennummer mit Prestige zu geben. Dass der Schwede bei den „Red Devils“ daher die Nummer 9 erhält, mag auf den ersten Blick zwar Sinn machen. Doch war es dennoch als gewisse Affront gegen den bisherigen Träger zu sehen, dessen eigene Leistungen eigentlich keinen Anlass zu diesem Schritt gaben.

Martial selbst, nun mit der Nummer 11 auf dem Rücken, soll sehr enttäuscht über diese Maßnahme gewesen sein. Der Start zwischen ihm und Mourinho stand somit unter keinem guten Stern. Dieser Eindruck sollte sich auch sportlich fortsetzen. Seine Leistungen konnte Martial 2016/17 nicht bestätigen. In der Offensive hatte er gegenüber Ibrahimovic, Rashford, Wayne Rooney, Jesse Lingard oder Henrikh Mkhitaryan oftmals das Nachsehen. Die Siege im Carabao Cup sowie in der Europa League erlebt er lediglich als Statist.

(Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Als im Sommer 2017 auch noch Romelu Lukaku unter Vertrag genommen wurde, schien sich seine Lage weiter zu verschlechtern. Auch aus diesen Gründen keimten Gerüchte auf, dass Mourinho den jungen Franzosen ganz gerne für Ivan Perisic (Inter) in einem Tausch abgeben würde. Aus diesen Planspielen wurde letztendlich nichts. Zu Beginn der Spielzeit saß Martial weiterhin häufig auf der Bank. Er beann aber eine gewisse Reaktion darauf zu zeigen: Nach mehreren gelungenen Auftritten als Joker spielte sich der Offensivspieler wieder als Linksaußen fest. Bis Mitte Januar 2018 stand er bei beachtlichen neun Treffern in der Premier League. Darüber hinaus staubte er bis dahin gleich drei Mal die Auszeichnung des vereinstinternen Spieler des Monats ab. United lag im zweiten Jahr unter Mourinho einsam auf dem zweiten Rang. Martial schien nach anfänglichen Schwierigkeiten unter dem Portugiesen einen großen Schritt nach vorne gemacht zu haben.

United im Januar 2018: Alexis bremst Martial aus

Und ausgerechnet während dieses Hochs verpflichtete Manchester United Alexis Sanchez von Arsenal. Und Mourinho sollte den Chilenen genau auf der Position von Martial einplanen. So sah sich der Youngster, trotz seiner starken Vorrunde, abermals einem Dasein als Reservist ausgesetzt. Ab dem Januar und eben der Ankunft von Alexis erzielte er kein weiteres Pflichtspieltor in der Saison 2017/18.

Aus diesen Gründen musste Martial auch vor dem Fernseher miterleben, wie Frankreich bei der Weltmeisterschaft in Russland den WM-Titel errang. Daher überraschte es auch niemanden, als der Berater des Spielers zu dieser Zeit verlauten ließ, dass sein Klient einen Arbeitsplatzwechsel anstrebe. Das Arbeitspapier lief in diesem Moment nur noch bis 2019 und eine Verlängerung schien völlig ausgeschlossen.

(Photo by LINDSEY PARNABY/AFP via Getty Images)

Abermals kamen Gerüchte auf, dass Mourinho den Angreifer gerne gegen Perisic tauschen würde. Offenbar kam dieses Tauschgeschäft nur wegen Sportvorstand Ed Woodward nicht zustande, der große Stücke auf Martial halten soll. Dieser Vorgang missfiel wiederum Mourinho, der dem Spieler dann während der Vorbereitung offen kritisierte, weil dieser das Trainingslager verließ, um bei der Geburt seines Sohnes dabei zu sein. Der Verein startete in die Saison 2018/19 auch aufgrund der zahlreichen Nebengeräusche, welche der Trainer größtenteils selbst heraufbeschwor, miserabel.

Schon zu diesem Zeitpunkt war erkennbar, dass das Engagement mit Alexis kaum von Erfolg gekrönt sein wird. Somit kehrte Martial wieder in die Startelf zurück. Und ausgerechnet der Ungeliebte hielt mit einer Serie von wichtigen Toren seinen angezählten Coach im Herbst 2018 etwas länger im Amt. Ende Dezember war die Ära Mourinho jedoch vorbei. Ole Gunnar Solskjaer übernahm und setzte damals 23-Jährigen weiterhin auf dem Flügel ein. Das Team, wie auch Martial selbst, erlebt unter dem Norweger zunächst einen großen Aufschwung, um dann im Frühling völlig einzubrechen.

Martial 2019: Wieder die Nummer 9 bei United

Trotz der sportlichen Tristesse war nach dem Abgang von Mourinho eine Stimmungsänderung zu vernehmen. Martial unterschrieb kurz nach dessen Demission im Januar 2019 einen neuen Fünfjahresvertrag. Im Sommer 2019 schwang Solskjaer dann den eisernen Besen: So musste Alexis den Klub bereits wieder verlassen. Auch Lukaku hatte keine Zukunft mehr bei den „Red Devils.“ Neue Angreifer fanden allerdings nicht den Weg nach Manchester, weswegen der Verein nach dem englischen Deadline Day 2019 eigens verkündete: „AM9“ ist wieder da.

Nach Lukakus Abgang war die Nummer vakant und Martial ließ es sich nicht nehmen, wieder in seiner ursprünglichen Rückennummer aufzulaufen. Darüber hinaus war dieser Wechsel auch mit einer Änderung der Position verbunden. Zum ersten Mal seit drei Jahren wurde mit dem Franzosen wieder in der Sturmmitte geplant. Motiviert von dieser Chance startete Martial mit zwei Toren in den ersten zwei Spielen stark in die Spielzeit 2019/20. Doch schon am dritten Spieltag folgte der Schock: Der Spieler verletzte sich gegen Crystal Palace schwer und fiel bis in den November aus. United hatte zu jener Phase außer Rashford keine weiteren Stürmer und fand sich zeitweise nur auf den zweistelligen Plätzen wieder. Erst im November kehrte Martial wieder in die Startelf zurück und knüpfte direkt an seinen Saisonstart an.

Vor allem mit Rashford auf dem linken Flügel, für den er einst selbst aus der Mitte weichen musste, entwickelte er eine prächtige Harmonie. Erinnerungen an das legendäre Sturmduo aus Dwight Yorke und Andy Cole kamen bei den Anhängern auf. Durch die Ankunft von Fernandes im Januar kamen die Qualitäten des 24-Jährigen nun noch besser zur Geltung. Nach einer furiosen Aufholjagd in der Rückrunde gelang dem Klub, auch wegen den exzellenten Leistungen des Stürmers, noch der Sprung auf den dritten Platz. Mit 17 Toren sowie sieben Vorlagen spielte Martial seine bisher beste Saison in der Premier League. Ohne die achtwöchige Verletzungspause im Herbst hätte er womöglich gar berechtigte Chancen auf die Torjägerkanone (sechs Tore mehr sollten für den Triumph genügen) gehabt.

(Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

United: Martial benötigt Vertrauen

Auch wenn solche Momente wie im Spiel gegen Sevilla offenbaren, dass der 24-Jährige an seiner Abschlussstärke noch arbeiten muss, hat Martial in der laufenden Saison die Erwartungen erfüllt. Zudem zeichnen ihn zwei weitere Fähigkeiten aus, welche kein anderer Angreifer im Kader so nachweisen kann: Seine Technik und sein Spielverständnis. Der Franzose ist in der Lage, den Ball zu halten oder aus einer eigentlich aussichtslosen Lage, etwas Besonderes zu machen. Vor allem seit der Ankunft von Fernandes kommt sein besondere Qualität, auch auf engstem Raum zu kombinieren, noch viel besser zur Geltung. Fehlt er als die Anspielstation in der Sturmmitte, lähmt das ganze Offensivspiel Uniteds.

Aus diesen Gründen spielt Martial für die Offensive des Teams noch eine noch integralere Rolle, als beispielsweise Rashford. Der Engländer mag als Home-Grown-Player einen größeren Rückhalt in der Presse genießen. Der Franzose ist in seiner Spielanlage aber deutlich effizienter und klarer in seinen Aktionen. Wegen eben dieser Qualitäten hat der sich 24-Jährige seinen derzeitigen Status als Sturmführer zurecht erspielte. Seine insgesamt 23 Pflichtspieltreffer 2019/20 haben belegt, dass das von Solskjaer gesetzte Vertrauen vor ziemlich genau einem Jahr in ihn berechtigt war.

Dem englischen Rekordmeister fehlen sicher noch einige Upgrades im Kader, damit man wieder ganz oben angreifen kann. Der Bereich in der Sturmmitte gehört jedenfalls nicht dazu. Dort haben sich seit der Ankunft von Martial unter anderem Ibrahimovic, Lukaku oder Rooney versucht, auf den hinteren Positionen hat der Franzose mit Mkhitaryan, Alexis, Memphis Depay, Lingard oder Juan Mata konkurriert. Alle diese Spieler sind aus verschiedenen Gründen nicht mehr im Klub oder spielen keine sportliche Rolle mehr.

Martial hat sie alle überlebt – und kann wegen des erhaltenen Vertrauens nach Jahren der Demütigungen und der Ersatzbank endlich auf dem Weg weitermachen, welchen bereits er vor fünf Jahren bei Manchester United eingeschlagen hatte.

(Photo by OLI SCARFF/AFP via Getty Images)

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(Photo by Ian MacNicol/Getty Images)

Marius Merck

Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.


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