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Ronaldinho: Der „Magier“ beendet seine Karriere

17. Januar 2018 | Spotlight | BY Nico Scheck

Das war’s: Ronaldinho Gaucho hat nun endgültig seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt. Dies verkündete heute Vormittag Roberto de Assis Moreira, Manager und Bruder Ronaldinhos, offiziell. Im Sommer sind nach der WM in Russland drei Abschiedsspiele für den Brasilianer geplant. Damit verlässt ein ganz Großer die Fußballbühne. Ronaldinho: Dieser Name steht für „Joga Bonito“ – Das schöne Spiel. Es ist also Zeit, einem der großartigsten Fußballer aller Zeiten Danke zu sagen.

Kaum ein anderer Spieler hat jemals den Ball so behandelt, wie es Ronaldinho in seiner Hochform tat. Kaum ein Spieler erzeugte so viel Spielfreude auf dem Feld. Und kaum ein Spieler wurde so sehr geliebt. Ronaldo de Assis Moreira, so Ronaldinhos ganzer Name, wurde am 21. März 1980 in Porto Alegre geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Schon im Kindesalter blühte der Junge mit dem markanten Gebiss und den hervorstechenden Augen bei diversen Futsal-Hallenturnieren auf und ließ seine Gegner reihenweise stehen. Im Alter von 17 Jahren schließlich folgte er seinem Bruder Assis zu Gremio Porto Alegre und begann seine Profi-Karriere. Es sollte der Start für den Weg zum Weltfußballer sein.

 

Der Start in Europa

Mit dem Wechsel 2001 zu Paris Saint-Germain nach Europa sollte der Stern für Ronaldinho richtig aufgehen. Schon hier wusste der Brasilianer mit seinen Tempodribblings, seiner unnachahmlichen Ballbehandlung und seiner Kreativität zu überzeugen. In 69 Pflichtspielen gelangen ihm 22 Treffer und er reifte in dieser Zeit in der brasilianischen Nationalmannschaft zum absoluten Stammspieler, für die er 1999 sein Debüt gegeben hatte. Bei der WM 2002 gehörte mit Legenden wie Roberto Carlos, Rivaldo und Ronaldo zu den Leistungsträgern der „Selecao“ und gewann am Ende gegen Deutschland (2:0) im Finale den WM-Titel. Unvergessen bleibt sein Auftritt im WM-Viertelfinale gegen England. Obwohl Brasilien von Anfang an den Ton der Partie angab, führte plötzlich England mit 1:0. Brasilien rannte daraufhin unaufhörlich an und wurde schließlich belohnt: Ronaldinho ließ Ashley Cole aussteigen und bediente Rivaldo, der den Ausgleich markierte. Kurz darauf bekam Brasilien einen Freistoß aus dem rechten Halbfeld zugesprochen. Ronaldinho sah, dass Englands Keeper David Seaman zu weit vor seinem Tor stand und verwandelte den Freistoß zur Überraschung aller direkt. Ein Kunstschuss, der das 2:1 bedeutete. Ronaldinho war der gefeierte Held, obwohl er in der 57. Minute zu Unrecht mit Rot vom Platz gestellt wurde.

Doch schon während seiner Zeit bei Paris kam Ronaldinhos Disziplinlosigkeit zum Vorschein. Oft war er bis tief in die Nacht unterwegs und erschien nicht zum Training. Sein ehemaliger Mitspieler Jerome Leroy formulierte es noch drastischer, als er sagte, Ronaldinho erscheine nur freitags zum Training für das Spiel am Samstag. Sicherlich ist das klar überspitzt dargestellt, doch der Dribbelkünstler schwänzte tatsächlich das ein oder andere Training, was ihm Jahre später noch zum Verhängnis werden sollte. So entwickelte sich der Spielmacher zu einer Mischung aus Genie und teilweise vergeudetem Talent, was ihn keineswegs daran hinderte, im Sommer 2003 zu einem der größten Klubs der Welt zu wechseln.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

 

Die Ära Barcelona

Während Ligakonkurrent Real Madrid David Beckham von Manchester United verpflichtete, sicherte sich der FC Barcelona den umworbenen Ronaldinho für 32,25 Millionen Euro. Er sollte maßgeblichen Anteil an einer neuen Ära der Katalanen haben. Schon bei seinem Debüt im Camp Nou gegen den FC Sevilla wurde deutlich, wen der FCB da verpflichtet hatte. In der 58. Minute bekommt Ronaldinho den Ball nahe der Mittellinie und sprintet los. Dabei lässt er zwei Spieler des FC Sevilla wie Fahnenstangen stehen und zimmert das Spielgerät anschließend aus über 25 Metern Entfernung unter die Latte ins Tor. Was folgte, war pure Emotion. Das Camp Nou tobte und Barca-Coach Frank Rijkaard fasste sich fassungslos an den Kopf. Dieses Tor war bezeichnend für die Saison, die folgen sollte. Ronaldinho spielte ganz Spanien schwindelig und er wurde zum absoluten Publikumsliebling. Zwar konnten die Katalanen in dieser Saison nicht den Ligatitel gewinnen, doch man zählte wieder zur absoluten Spitze in Spanien.

Somit wurde der neue Star von Barca völlig verdient zum Weltfußballer 2004 gewählt und das gleich in seiner ersten Saison für die Spanier. In der Folgesaison setzte Ronaldinho noch einen drauf. Am Ende sicherte sich der FCB den La Liga-Titel und der „Magier“ , wie Ronaldinho gerne genannt wurde, verteidigte den Titel als Weltfußballer. In der Champions League scheiterte der Klub im Achtelfinale am FC Chelsea, doch auch hier ist vor allem Ronaldinhos Tor mit der Picke im Rückspiel in Erinnerung geblieben. In großer Bedrängnis bekam er am gegnerischen Sechzehner den Ball, bewegte wie ein Tänzer kurz die Hüfte und täuschte einen Schuss an, um den Ball dann aus dem Stand mit der Picke an den verdutzten Chelsea-Verteidigern vorbei ins linke untere Toreck zu befördern. Am Ende verlor Barca dennoch mit 2:4 und schied aus der Königsklasse aus, doch diese sollte in der darauffolgenden Saison dominiert werden.

(Photo by Mike Hewitt/Getty Images)

Die Spielzeit 2005/2006 wurde zu einer der erfolgreichsten in der Geschichte der Katalanen. Man wurde erneut spanischer Meister und setzte sich zudem mit 2:1 im Finale gegen den FC Arsenal die europäische Krone auf. Auch hier überragte wieder der Mann mit der Nummer zehn. Highlight der Saison war neben dem CL-Finale definitiv die 3:0-Demontage der „Galaktischen“ rund um Ronaldo, Raul und Zidane im Santiago Bernabeu am 19. November 2005. Vor diesem Clasico hatte sich Ronaldinho einen Scherz erlaubt, wie Iniesta in seinem Buch“The Artist: Being Iniesta“ Jahre später verriet:

Einige Tage vor dem Clasico gegen Real Madrid rief mich ‚Dinho‘ (Spitzname Ronaldinhos, Anm. d. Red) mitten in der Nacht an. Ich nahm ab und er sagte mir: ‚Andres, ich weiß, dass es schon drei Uhr morgens ist, aber ich muss dir etwas sagen. Im Juni werde ich Barca verlassen. Mein Bruder hat sich mit Real Madrid geeinigt. Es ist ein unglaubliches Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Du bist jung, du verstehst das … Aber bitte, sage niemandem in der Umkleide oder vom Verein etwas davon. Verrate mich nicht, ich vertraue dir mehr als irgendwem hier. Schlaf gut, Andres.‘ Er hat mir keine Zeit gegeben etwas zu sagen. Am nächsten Tag herrschte auf dem Trainingsplatz eine ganz komische Atmosphäre. Das ganze Team war still und alle grüßten Ronaldinho so, wie sie es nie zuvor getan hatten. Am Tag des Clasico sagte ‚Dinho‘ in der Umkleide des Santiago Bernabeu dann zu uns: ‚Jungs, heute ist ein sehr wichtiges Spiel. Sie sind stark, aber ich habe dieser Tage festgestellt, dass wir wie eine Familie sind. Ich habe Euch alle in der Nacht angerufen und Euch gesagt, dass ich im Juni gehen werde, aber keiner von Euch hat etwas verraten. Das hat mir gezeigt, dass wir lieber in Stille leiden, als einander zu verraten. Ich werde noch eine lange Zeit hierbleiben … Jetzt lasst uns raus gehen und Real eine Lektion erteilen!'“

An diesem Abend erzielte Ronaldinho zwei Treffer und wurde sogar von den Real-Fans mit Standing Ovations gefeiert. Mit seiner Art, den Sport so leicht aussehen zu lassen, verzückte er sowohl die eigenen als auch die gegnerischen Fans. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein gewisser Lionel Messi an seiner Seite. Dieser bezeichnet Ronaldinho als einen seiner wichtigsten Bezugspersonen während seiner Anfangszeit bei Barca. Er habe viel von ihm gelernt und für Messi war er der Hauptgrund für den Erfolg in dieser Zeit: „Ronaldinho war verantwortlich für den Wechsel im Klub. Der Verein ging durch eine schwere Phase, aber mit seiner Ankunft änderte sich das.“ Schon hier bezeichnete Ronaldinho Messi als seinen Nachfolger bei Barca. Jahre später sagte er im Interview: „Ich wusste schon da, dass er ein besserer Spieler als ich ist.“ Doch in diesem Jahr wurde Ronaldinho zu Europas Spieler des Jahres ernannt. Es sollte sein vorerst letzter Titel werden.

 

 Das Kapitel Italien

In den folgenden Jahren büßte Ronaldinho immer mehr an Leistung ein. Viele führen dies auf das ausgeprägte Nachtleben des Brasilianers zurück. So kam es schon mal vor, dass er in Straßenklamotten zum Training erschien und oder morgens in den Umkleidekabinen des Trainingsgeländes nach einer langen Party-Nacht schlafend gefunden wurde. Denn auch das war Ronaldinho: Ein Lebemensch, der nicht nur den Fußball so leicht aussehen ließ, sondern diesen manchmal auch zu leicht nahm. Doch vielleicht hat genau das ihn ausgemacht. In einer Generation vieler markanter Stars wie Zidane, Ronaldo oder Beckham war er abseits des Platzes ein fröhlicher Mensch, der seine Macken hatte und das Profi-Dasein nicht immer ernst nahm.

Nach zwei titellosen Jahren wechselte Ronaldinho im Sommer 2008 für 25 Millionen Euro nach Italien zum AC Mailand. Für Barca hatte er in 198 Spielen 91 Tore erzielt und 52 weitere vorbereitet. Bei Milan spielte er mit Stars wie Pirlo, Kaka, Gattuso und Seedorf zusammen, doch auch hier konnte er nicht mehr an die glorreiche Barca-Ära anknüpfen. Trotzdem zählte er weiterhin zu den Besten der Welt und kam in 95 Spielen auf 55 direkte Torbeteiligungen. Gegen Ende jedoch fand sich R10 immer häufiger auf der Bank wieder und wechselte schließlich im Januar 2011 zurück nach Brasilien zu Flamengo Rio de Janeiro.

(Photo by Denis Doyle/Getty Images)

 

Zurück zu den Wurzeln

In Brasilien wurde die Rückkehr Ronaldinhos euphorisch gefeiert. Zwar hatte er deutlich an Tempo verloren, doch mit seiner Genialität, seiner Passstärke und seiner einzigartigen Ballbehandlung machte er immer noch den Unterschied aus. Ein Jahr später folgte der Wechsel zu Atletico Mineiro, mit denen er 2013 die Copa Libertadores gewann. Auch hier erfreute er das Publikum mit seinen Toren und Tricks. Über sich selbst sagte der Publikumsliebling einmal: “ Ich gucke mir nicht die Videos von meinen Toren an, ich gucke nur die Videos der Tunnler, die ich gemacht habe.“ Tatsächlich tunnelte er bei seinen Dribblings sehr oft seine Gegenspieler. Dabei schien es oft so, als streichle er den Ball, den er selbst als seine Freundin bezeichnete.

2014 unterschrieb Ronaldinho beim Queretaro FC in Mexiko, bevor er ein Jahr später, wohl vor allem aus marketingtechnischen Gründen, zu Fluminense nach Brasilien wechselte. Seit Ende September 2015 hat er kein Pflichtspiel mehr bestritten, stattdessen nahm er regelmäßig an Futsalturnieren, unter anderem in Indien, und an Charity-Spielen teil. Dabei wurde er überall, wo er hinkam, euphorisch begrüßt.

(Photo by Ed Mulholland/Getty Images)

Der zweimalige Weltfußballer brachte es insgesamt auf 190 Tore und 126 Assists in 513 Spielen und wurde zum absoluten Liebling des Fußballfans. Keiner ließ Tricks und Tore je leichter aussehen und keiner war je glücklicher, wenn er den Ball am Fuß hatte. Obwohl er schon sehr früh einen Leistungsabfall zu verzeichnen hatte, zählt er dennoch zu den Größten seiner Generation und zu den Besten in der ruhmreichen Historie des FC Barcelona.

 

Ronaldinho. Danke.

Danke Ronaldinho für deine Spielfreude und dein Lächeln auf dem Rasen. Danke, dass du im ausverkauften Stadion die Tricks gezeigt hast, die wir als Kinder auf dem Schulhof probiert haben. Danke für die zahlreichen Elasticos, Übersteiger, Tunnler und No-Look-Pässe und für die vielen unvergesslichen Momente. Danke für Joga Bonito und die Standing Ovations im Bernabeu. Kaum einer konnte mit dem Ball, was du konntest und niemand hat den brasilianischen Fußball-Samba so verkörpert wie du. Ronaldinho, für mich bist und bleibst du der Größte aller Zeiten. Es war uns eine Ehre!

 

 

Nico Scheck

Aufgewachsen mit Elber, verzaubert von Ronaldinho. Talent reichte nur für die Kreisliga, also ging es in den Journalismus. Seit 2017: 90PLUS. Manchmal: SEO. Immer: Fußball. Joga Bonito statt Catenaccio.


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