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Zwei Gründe – Warum der Profi-Fußball doch besonders ist

30. April 2020 | Spotlight | BY Christoph Albers

Die Diskussionen rund um den Profi-Fußball haben sich im Zuge der Corona-Krise verändert. Gewisse Themen und Dimensionen, an die man sich als Fußball-Fan zuvor schon gewöhnt hatte, stehen wieder in Frage und werden nicht mehr als selbstverständlich angenommen. In dieser Veränderung steckt sicherlich Potenzial, sie ermöglicht Korrekturen, doch sie birgt auch Gefahren, vor allem die Gefahr einer vergifteten Diskussion.

Um einer möglichen Vergiftung der Diskussionen vorzubeugen oder entgegenzutreten (falls es schon zu spät ist), möchte ich an dieser Stelle einige Aspekte hervorheben, die dabei von wesentlicher Bedeutung sein könnten und oftmals unter den Tisch zu fallen drohen.

Die zwei Zielsysteme

Dass der Profi-Fußball kein gewöhnliches Business ist, klingt zugegebenermaßen etwas abgedroschen. Es klingt wie ein Versuch, die Branche in einem romantischeren, schmeichelhafteren Licht darzustellen. Doch darum geht es mir nicht. Natürlich ist der Profi-Fußball auch ein Geschäft, aber er ist kein Geschäft wie jedes andere, zumindest wenn man etwas genauer hinsieht. Denn anders als in den meisten Branchen, gibt es im Profi-Fußball gleich zwei Zielsysteme, die parallel funktionieren sollen.

Auf der einen Seite gibt es die wirtschaftlichen Ziele und auf der anderen Seite gibt es die sportlichen Ziele. Beide Zielsysteme haben den Anspruch das primäre zu sein und beide sind eng miteinander verzahnt. Erfolgserlebnisse im sportlichen Bereich bringen in der Regel auch wirtschaftliche Erfolge mit sich und andersherum genauso. Doch der sportliche Erfolg kann auch zulasten des wirtschaftlichen Erfolgs gehen. Auch hier kann es umgekehrt genauso ablaufen.

Beispiele dafür sind nicht schwer zu finden: Die Qualifikation für die Champions League sorgt für Einnahmen, aus sportlichem Erfolg wird finanziell Kapital geschlagen. Ein Abstieg wiederum bedeutet genau das Gegenteil, die sportliche Talfahrt wird zum finanziellen Misserfolg. Hohe Ausgaben für Transfers könnten allerdings auch sportlichen Erfolg bringen, ohne dass es sich wirtschaftlich lohnt, ebenso wie Verkäufe von wichtigen Spielern wirtschaftlichen Erfolg bedeuten könnten, der wiederum zu sportlichem Misserfolg führt.

Es geht immer um Balance

Aus diesen simplen Überlegungen wird klar, dass es in dieser Hinsicht niemals eine Entweder-Oder-Entscheidung geben kann. Es geht immer um die Balance, die Ziele müssen in Einklang gebracht werden, damit ein Verein in Gänze und nachhaltig erfolgreich sein kann. In der Praxis führt das dazu, dass es natürlich nicht allen Vereinen gleichermaßen gut gehen kann.

Fußball ist (mehr oder weniger) ein Null-Summen-Spiel. Wenn eine Mannschaft ein Tor schießt, kassiert die andere eins, wenn eine Mannschaft gewinnt, verliert die andere. Oder es gibt ein Unentschieden, nun ja. Übertragen bedeutet das, dass nicht alle Teams ihre sportlichen Ziele auch erreichen können, da wohl kaum alle Teams mit dem Status quo zufrieden sind. Das wiederum hat offensichtliche Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Ziele, wie eben in Kürze dargestellt. Zwar ist es durchaus möglich, dass alle Teams zeitgleich wirtschaftlich erfolgreich sind, doch die jeweiligen Ambitionen sorgen i.d.R. dafür, dass gewisse Risiken eingegangen werden, um einen sportlichen Erfolg zu erzielen, in der Hoffnung, dass sich daraus auch ein wirtschaftlicher Erfolg ergeben könnte.

Exkurs: „Rattenrennen“

Diese Mechanismen sind ein wesentlicher Teil der Branche und sorgen dafür, dass der Profi-Fußball eben doch keine Business wie jedes andere ist. Nun mag man das „Rattenrennen“ (O-Ton Thomas Röttgermann, Vorstand Fortuna Düsseldorf), das sich daraus ergibt, sportlich wie wirtschaftlich, zwar kritisieren, doch was ist die Alternative? Sportlicher Ehrgeiz gehört zum sportlichen Wettbewerb dazu und in einem Ligen-System mit Auf- und Abstieg (die Europapokal-Qualifikation ist ähnlich zu betrachten) wird es immer Vereine geben, die dafür ein wirtschaftliches Wagnis eingehen.

Momentan hört man deshalb immer wieder eine Forderung nach strengeren Regel, das „amerikanische Modell“ und sein „Salary Cap“ werden gerne da gerne bedient. Doch ist das wirklich eine Lösung? Die kurze Antwort: Nein. Das „amerikanische Modell“ sieht eine geschlossene Liga vor, die gewissermaßen den jeweiligen Vereinseigentümern gehört. Sie ist in dem Sinne eine Interessengemeinschaft dieser. Wie der Name schon sagt, verfolgen die Eigentümer ein gemeinschaftliches Interesse, was wiederum ermöglicht, dass Regeln wie das „Salary Cap“ eingeführt werden können. Zudem sind die Spieler bei nicht bei den Vereinen angestellt, sondern bei der Liga, sodass sich ein völlig anderes Verhältnis ergibt.

Eine Übertragung auf das „europäische Modell“, dass Auf- und Abstiege vorsieht, ist der im Grunde auszuschließen. Wenn man so will stellt das europäische System eine Analogie zur Marktwirtschaft dar, mit all ihren Nachteilen, aber auch mit ihren Vorteilen, insbesondere auch für die Spieler und die übrigen Akteure. Da die Branche natürlich auch in den marktwirtschaftlichen Zusammenhängen der übrigen Wirtschaft eingebunden ist, ist der Profi-Fußball auch den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und all seinen Folgen unterworfen, z.B. der derzeitigen Krise.

Die Pflicht zur Solidarität

Allerdings hat der Profi-Fußball auch noch eine weitere Besonderheit, nämlich die gemeinschaftliche Leistungserstellung. Ein Klub kann nicht allein funktionieren. Der Kern der Branche ist immer noch der sportliche Wettkampf, das Spiel zweier Mannschaften, das in der Regel in einen Wettbewerb mit vielen weiteren Teams eingebettet ist. Ohne den Wettkampf geht es nicht, jede weitere Leistung, die ein Klub erbringt, wäre ohne ihn uninteressant. Umgekehrt ist ein guter, spannender Wettkampf umso interessanter, was wiederum alle Leistungen wertvoller macht.

Daraus ergibt sich für den Profi-Fußball im Grunde eine Verpflichtung zur Solidarität untereinander. Jeder Klub braucht auch andere Klubs und hat damit auch ein Interesse daran, dass es den anderen Klubs gut geht. Oder anders ausgedrückt: Dass es ihnen so gut geht, dass es ihnen selbst gut geht. Natürlich will jeder Klub, dass es ihm selbst am besten geht (und das ist auch wichtig) und so ergibt sich auch hier ein Balance-Akt. Doch es steht außer Frage, dass zumindest ein Grundmaß an Solidarität absolut notwendig ist, was momentan wohl mehr denn je von großer Bedeutung ist.

Diese zwei Besonderheiten, die zwei Zielsysteme und die gemeinsame Leistungserstellung, sollte man in der aktuellen Gemengelage auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, wenn man über den Profi-Fußball diskutiert. Natürlich lässt sich nicht immer alles eins-zu-eins anwenden und es gibt sicherlich auch Ausnahmen, gerade im Hinblick auf die wirtschaftlichen Ziele (insbesondere abhängig von der jeweiligen Gesellschaftsform und vor allem den jeweiligen Besitzern), oder anderweitige Entwicklungen (man denke an die Gerüchte rund um eine „Super League“), die das zu einem gewissen Grad aushebeln, doch auch hierbei lohnt es sich stets ein bisschen weiterzudenken.

Die Kunst des Fragens

Wenn ein Klub stets Verluste macht und der Besitzer diese bereitwillig ausgleicht, welche Ziele werden da verfolgt und mit welchen Mitteln? Welche Folgen ergeben sich aus strengeren Regeln? Kann ein Verein wirklich Rücklagen bilden und in welcher Höhe sollte er das tun? Welche Auswirkungen haben Gehaltsverzichte aus Steuerabgaben? Wo fließt das Geld hin, wenn es die Spieler nicht bekommen? Sind Berater wirklich das größte Problem im Fußball und warum werden sie auch von Vereinen genutzt? Bekommt der Profi-Fußball immer eine „Extra-Wust“ und wenn ja, woraus besteht diese? Welche Interessen müssen gegeneinander aufgewogen werden? Und wie wirkt sich das auf die übrige Gesellschaft aus? Welchen Einfluss haben Vereine auf die lokale Wirtschaft? Welchen Einfluss hat der Fußball auf die Gesellschaft und was kann er ihr zurückgeben?

Die Liste der Fragen ist endlos. Und die Antworten darauf sind selten trivial oder eindeutig. In solchen Fragen gibt es selten schwarz oder weiß, sondern eine ganze Menge Grautöne und eine gute Diskussion beherrscht die ganze Klaviatur. Naja, vielleicht ist es dann doch eher wie mit Excel. Der gute Anwender kennt eine ganze Reihe an Funktionen und ist gewillt sich stets mehr davon anzueignen, auch wenn er weiß, dass er niemals alle Anwendungen kennen wird.

In dem Sinne möchte ich euch gerne einladen zu diskutieren. Entweder über unseren bekannten 90PLUS-Kanäle oder direkt mit mir auf Twitter (@Chri5tophh).

(Photo by Hector Vivas/Getty Images)

Christoph Albers

Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.


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