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Rassismus in Deutschland: Es zählen die Extra-Meter

25. Februar 2020 | Spotlight | BY Damian Ozako

Nachspielzeit – Die 90PLUS-Kolumne | Der stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Landessportbundes Berlin hat sich zum Fall Torunarigha geäußert. Seine Schlussfolgerung ist höchst problematisch.

Relativierungen mischen sich in den Diskurs ein

Nachdem sich vor einigen Wochen Hertha-Profi Jordan Torunarigha beim Pokalspiel auf Schalke Affenlaute von der Tribüne anhören musste und auf dem Platz in Tränen ausbrach, folgte eine kurze Welle öffentlicher Entrüstung und man sicherte dem gebürtigen Chemnitzer vollste Unterstützung zu. Kurze Zeit später wurde Würzburg-Spieler Leroy Kwadwo ebenfalls mit Affenlauten konfrontiert. Die Fans von Preußen Münster reagierten mit „Nazis Raus“-Gesängen und der 29-Jährige Täter wurde von der Polizei ausfindig gemacht. Nun hat sich Stefan Chatrath, Professor der University of Applied Sciences Europe in Berlin und stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Landessportbundes Berlin, zu Wort gemeldet. In seinem Text „Die Leiden des jungen Torunarigha“, den er auf der Seite „Novo-Argumente“ veröffentlichte, argumentiert er, dass Fußballer, die professionell spielen, rassistische Beleidigungen ertragen müssen. „Die Vorfälle ereigneten sich in einem Fußballstadion, wo es dazugehört, dass der Gegner mit Spott und Häme überzogen wird“, so Chatrath.

Er erkenne den Rassismus in diesen Vorfällen, die er keinesfalls schönreden wolle, wie er betont, aber teilt gleichzeitig mit, dass die Täter von der Wirkung überrascht sein könnten und diese eventuell bereuen. Aufgrund der drohenden Strafen melde sich auch niemand, um sich zu entschuldigen. Was er noch weiter zu Torunarigha sagt? Er nennt seine Tränen eine emotionale Überreaktion und kritisiert seine Entscheidung Anzeige gegen Unbekannt zu stellen. Hätte Stefan Chatrath etwas bei Hertha BSC zu sagen, hätte er sich Torunarigha geschnappt und ihm erklärt, dass er „seine Gefühle im Griff haben müsse“.

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Der Klub kommt ohnehin nicht gut weg in seinem Text. Da die U16 nach einem rassistischen Vorfall ein Spiel abbrach, wurde die Partie als Niederlage gewertet, obwohl Herthas Jugend mit 2:0 führte. Für Chatrath ein schlechtes Zeichen. Was sind schon Wertevorstellungen, die der Verein vorleben und gerade Heranwachsenden mit auf den Weg geben will, im Gegensatz zu drei Punkten im Juniorenbereich? 

Zum Abschluss rät er jedem, der damit nicht umgehen könne, zu Hause zu bleiben. Das Publikum dürfe nun einmal alles machen, was die physische Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtige. 

„Du musst mindestens doppelt so hart arbeiten“

Ich wünschte wirklich, dass ich diesen Text hier nicht schreiben müsste. Als eine Person, die selbst schon genügend unangenehme und klar rassistisch motivierte Auseinandersetzungen ertragen musste, gehen mir die letzten Wochen nahe. Ich muss meine Gedanken dazu niederschreiben, weil ich sonst nicht wüsste wohin mit meiner ganzen Trauer und Frustration. Kurz nach Hanau muss ich sinngemäß lesen, dass ich mich nicht so anstellen solle, wenn es ein offensichtliches Problem mit Rassismus gibt. Für Chatrath ist das im Stadion hingegen Normalität. Das ist laut seinem Text nämlich ein rechtsfreier Raum, wenn es um nicht-physische Handlungen geht. Wer glaubt, dass Menschen, die dort Affenlaute und andere eindeutig rassistische Parolen von sich geben, außerhalb des Stadions keinerlei Anzeichen von Hass gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund haben oder zeigen, ist eindeutig ein Teil des Problems. Sie gewähren Hass und wollen ihn normalisieren.

Welcher Mensch findet es in Ordnung seine Gegner derart zu verunglimpfen? Dabei wird Stefan Chatrath nicht einmal wissen, wie es sich anfühlt auf diese Art und Weise ausgegrenzt zu werden. Vermutlich kommt er auch genau deshalb zu diesem, ich muss das so betonen, menschenverachtenden Fazit. 

Als mir mein Vater in meiner Kindheit gesagt hat, dass ich mindestens doppelt so hart arbeiten müsse wie die anderen Kinder, habe ich das nicht wirklich ernst genommen. Eher als ein Ansporn oder eine Motivation immer sein Bestes zu geben. Mit der Zeit musste ich realisieren, dass es purer Ernst war und es so viele andere Menschen gibt, die diese Worte von ihren Eltern ebenfalls gesagt bekommen haben. Wenn man andere Haare, eine andere Hautfarbe oder andere Merkmale besitzt, die darauf hinweisen, dass man Wurzeln außerhalb Europas hat, ist das für viele Menschen Anlass einen nicht ernst zu nehmen, zu belächeln oder sogar zu hassen. Ausgangspositionen müssen hart erkämpft werden, die für andere komplett normal sind. Man muss im Gegensatz zu anderen nun einmal paar Extra-Meter machen. 

Erklär mir nicht, wie ich mich zu fühlen habe

Stefan Chatrath, der übrigens einen seiner Schwerpunkte in Ethik im Sportmanagement hat, will Torunarigha erklären, wie er sich zu fühlen habe. Das sind die Momente, die mir persönlich immer am meisten weh getan haben. Der Schmerz, den dir ein Faustschlag bereitet, geht relativ schnell weg. Diese Erfahrung habe zumindest ich gemacht. Sätze wie z. B. „Wir wollen dich hier nicht haben“, die einem dabei noch zugerufen werden, bleiben schon länger. Aber wirklich langfristig präsent, sind die Relativierungen von anderen. „Naja, das war ja auch eine Ausnahme. Passiert dir ja nicht regelmäßig“, „Stell dich nicht so an, gibt schlimmeres“ und vor allem Aussagen in der Form derer, die Chatrath tätigte, sind schmerzhaft.

Warum fühlen sich andere Menschen dazu berufen Leuten wie Torunarigha, Kwadwo und letztendlich auch allen anderen, die mit Rassismus (oder in anderen Fällen Sexismus, Homophobie etc.) konfrontiert wurden, erklären zu müssen, wie sie mit emotionalem Schmerz umzugehen haben? Vor allem dann, wenn man diesen niemals erleben wird und auch gar nicht wissen kann, wie sich so etwas anfühlt?

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images for DFB)

Man fühlt sich im Stich gelassen und alleine. Dagegen ankämpfen? Verschwendet nur Energie, die anderweitig gebraucht wird. Von seinen Erlebnissen berichten? Mache ich persönlich nur ungern, weil einem oft nicht geglaubt wird, die Geschehnisse heruntergespielt werden oder es negative Auswirkungen für einen selbst haben kann. Habe ich eine Lösung für das ganze Problem? Natürlich nicht. Nur eine Bitte: Lasst die Opfer nicht alleine in diesen Situationen. Hört zu, unterstützt sie und arbeitet präventiv gegen Rassismus an. Natürlich kann das anstrengend sein, aber ohne eure Unterstützung wird es nichts. Und hört auf so zu tun, als seien Menschen, die menschenfeindliche Ideologien besitzen, normalisieren wollen oder auch dulden, zwingend dumm. Damit macht man es sich zu einfach. Auch höchst gebildete Personen können diese Ansichten vertreten oder relativieren. Nehmt die Gefahr ernst. Es ist an der Zeit, dass nun auch mal die Anderen Extra-Meter gehen, um unsere Gesellschaft offen und tolerant zu gestalten. 

Dem Fazit von Jordan Torunarigha kann ich mich nur anschließen.

Damian Ozako

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(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


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