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„Sie werden noch hungriger sein“ – 5 Fragen zum PL-Restart

17. Juni 2020 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion

Am Mittwoch geht es auch in der Premier League weiter. Die Meisterfrage scheint zu Gunsten des FC Liverpool fast geklärt, Gesprächsthemen gibt es dennoch genügend.

Ehe das Leder auf der Insel wieder rollt, setzen sich die Kommentatoren und England-Experten Uli Hebel und Joachim Hebel vom Podcast „KLICK & RUSH & FUMS“ sowie 90PLUS-Redakteur Chris McCarthy mit den wichtigsten Fragen vor dem Restart der Premier League auseinander.

Die Premier League vor dem Restart

90PLUS: Hier in Deutschland gab es anfangs viel Protest gegen die Geisterspiele. Wie sieht das in England aus?

Uli Hebel: Vereinzelt mag es die geben oder gegeben haben. Ich vermute, da COVID-19 und die Auswirkungen in England aufgrund der politischen Fehler im Umgang damit sehr viel folgenreicher waren, haben die Menschen ein anderes Bewusstsein für die Gefahren. Außerdem haben die übertragenden Sender einen Großteil der Spiele im Free TV angeboten. Das gemischt mit der Sehnsucht nach Fußball lässt die Fans wohl recht ruhig warten.

Joachim Hebel: Auch in England hat kein Fan das Saisonticket gerne zerrissen. Aber ich habe das Gefühl, dass dort ein wenig besonnener damit umgegangen wurde. Ich habe immer wieder Artikel gelesen, in denen zu lesen war, dass Fans die Geisterspiele als notwenig erachten, weil die Gefahr sich mit dem Virus anzustecken sonst zu groß wäre. Die abschreckenden Beispiele sind in England überall zu sehen gewesen, deshalb erscheint mir die Vorsicht auch größer zu sein – und somit ist die Akzeptanz auch größer. 

Chris McCarthy: Es gab moralische Zweifel aus vielen Ecken, auch von Spielerseite. In Anbetracht der vergleichsweise höheren Folgen des Virus auf das Land England, hielt sich der Protest gegen die Wiederaufnahme des Spielbetriebs m.M.n. aber sehr in Grenzen. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass man in England was das „Geschäft“ Fußball angeht, auch etwas abgestumpfter ist. Man rechnete allgemein mit einer Fortsetzung des Spielbetriebs, die Frage war nur wann.

(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

90PLUS: Inwiefern hat die Bundesliga mit ihrem frühen Restart auch die Premier League mitgezogen?

Uli Hebel: Ganz sicher sehr viel. Ohnehin ist die Entwicklung von COVID-19 in England immer ca. vier Wochen nach hinten versetzt und somit der Premier-League-Start ebenso. Analog zur selben Verzögerung Österreichs zu Deutschland. Ich hatte nie Zweifel am Willen Englands die Saison zu Ende zu bringen – da war die Bundesliga sicher nicht meinungsgebend. Vor allen Dingen bei der Umsetzung der Wiederaufnahme des Spielbetriebs haben sich sicherlich weltweit alle Sportligen an der DFL orientiert.

Joachim Hebel: Wenn man sich ansieht, wie sehr das englische Konzept dem der Bundesliga gleicht, dann würde ich sagen: Sehr! Tag für Tag wird wieder eine Karte mit einem Konzeptpunkt aufgedeckt, den wir bereits aus der Bundesliga kennen. Die fünf Wechsel, die Abläufe vor und nach dem Spiel, die Fanaktionen auf der Tribüne. Hätte es in Deutschland nicht so gut geklappt, wäre England sicher auch zögerlicher. Aber da fühlt sich der Engländer dann schon herausgefordert. ‚Was, die spielen wieder und machen Geld? Dann wollen wir das auch…’

Chris McCarthy: Wie gesagt: Die meisten rechneten damit, dass die Saison zu Ende gespielt wird. Allerdings hat die „deutsche Lösung“ aufgrund der geleisteten Vorarbeit und der insgesamt positiven Umsetzung die Rückkehr beschleunigt.

Liverpool darf nicht feiern

90PLUS: Zum Sportlichen: Für Liverpool ist es eine besondere Situation. Einerseits werden sie diese Saison ihren ersten Meistertitel seit 30 Jahren holen, andererseits werden sie ihn in geschlossener Gesellschaft feiern müssen. Was bedeutet das für einen Klub, der sich so sehr über seine eigenen Fans definiert? 

Uli Hebel: Bitterer kann es gar nicht laufen. Dafür spielst du Fußball. Um am Saisonende Erreichtes mit den Zuschauern zu feiern. Aber in dieser Situation geht es um Größeres. Im Verein sind genug schlaue Menschen, die das wissen und kommunizieren werden – hoffentlich auch unter den Fans. Denn die Existenz einer lokalen Feier sollte nie die Leistung bewerten. Meisterschaft ist Meisterschaft. Und: Drehen wir es positiv. An diesen Titel wird sich zu 100 Prozent immer jeder erinnern. 

Joachim Hebel: Ideal ist das sicher nicht – alle Beteiligten und Experten würden sich wünschen, dass Liverpool den Titel so feiern kann, wie alle anderen Teams zuvor auch. Aber es kam etwas dazwischen, was uns alle verändert hat. Und so werden die Reds da durch müssen. Es wird sicher steril wirken, aber so ist das eben aktuell. Für mich ist aber eine Sache klar: Die Meisterschaft ist dennoch kein Körnchen weniger Wert. Liverpool war vor der Krise das beste Team dieser Saison. Nicht nur in England, sondern der Welt. Deshalb werden sie hochverdient Meister. 

Chris McCarthy: Hochverdient ist die Meisterschaft allemal, das ist keine Frage. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass die Umstände die Freude über den ersten Titel seit 30 Jahren etwas schmälern. Da führt in solch einem emotionalen Umfeld kein Weg dran vorbei.

In Bezug auf die nächste Saison, könnte der FC Liverpool davon aber vielleicht sogar profitieren. Die Sättigung, die vielen Teams eine Titelverteidigung kostet, dürfte nicht so ausgeprägt sein. Sie werden noch hungriger sein, endlich mit den emotionalen Fans zusammen die Meisterschaft zu feiern. Daran wird Jürgen Klopp seine Jungs 2020/2021 permanent erinnern.

Premier League: Der Kampf um Europa

90PLUS: Kommen wir zum Kampf um Europa. Da gibt es auf der einen Seite die „Underdogs“ Wolves und Sheffield United und auf der anderen die beiden Nordlondoner Klubs, die eine eher enttäuschende Saison spielen. Welche Seite könnte eher von der Pause profitiert haben und warum?

Uli Hebel: Gespannt bin ich vor allem auf Wolverhampton und Sheffield. Einerseits dürften die kleinen, vielspielenden Kader die Pause gut vertragen haben, andererseits leben kaum Teams mehr von geschmierten Automatismen, als diese. Arsenal ist bestimmt ein Sonderfall. Grundsätzlich ist Zeit für Arteta gut, um seine Vorstellungen weiter einzustudieren. So viel Mannschaftstraining gab es aber nicht in der Pandemie. Tottenham betrachte ich eher als benachteiligt. Vor allem mit Blick auf die kommende Saison. Mourinho wollte und will nichts mehr, als einen arbeitsamen und transferreichen Sommer. 

Joachim Hebel: Das kommt natürlich immer darauf an, wie die Teams aus der Pause kommen. Aber für die Wolves und Sheffield kann allein der Fakt einer Pause von Vorteil sein. Beide Teams sind dafür bekannt, wenig zu rotieren und fast immer mit der gleichen Elf aufzulaufen. Diese Spieler konnten die Pause sicher gut gebrauchen. Bei Arsenal sieht es ähnlich aus, durch den neuen Trainer Mikel Arteta. Er hatte im Winter wenig Zeit, sein System zu installieren – das konnte er jetzt sicher ein wenig nachholen. Bei den Spurs sieht es dagegen ganz anders aus: Jose Mourinho meinte schon Ende Februar, dass er sich wünsche, dass die Saison endlich zu Ende geht. Damit er den Kader so anpassen könne, wie er sich das wünscht. Die Krise hat nicht verkürzt – sondern verlängert. 

Chris McCarthy: Wie die Mannschaften diese Pause genutzt oder verkraftet haben, bleibt abzuwarten. Es kommt letztendlich darauf an, wie diszipliniert die einzelnen Spieler in dieser Zeit waren. Den kleinen Kadern der Wolves und Sheffield dürfte das beim ersten Gedanken entgegen kommen, allerdings spielten gerade die Blades teilweise über ihren Verhältnissen und waren in einem gewissen „Flow“. Die Wolves sind individuell besser besetzt und haben daher die Nase vorn.

Einer der Gewinner der Pause ist für mich Arsenal, da die Handschrift von Mikel Arteta selbst ohne eine Vorbereitung immer stärker zu sehen war. Nun hatte er sehr viel Zeit, dem Team via Videocalls die Theorie einzuhämmern und Gespräche zu führen. Im roten Teil Nordlondons macht sich etwas wie Euphorie breit. Bei Tottenham dagegen sehe ich das ähnlich wie Jogi. Dort herrscht eher das Gefühl „wann ist die Saison endlich zu Ende“, einige „Skandälchen“ taten ihr Übriges. Darüber hinaus bin ich nach wie vor eher skeptisch, ob Mourinho selbst mit mehr Vorbereitung spielerisch noch groß etwas bewältigen wird.

(Photo by BEN STANSALL/AFP via Getty Images)

Wer steigt aus der Premier League ab

90PLUS: Einfache Frage zum Schluss: Norwich muss wohl zurück in die Championship, ansonsten kämpfen noch Brighton (29), West Ham (27), Watford (27), Bournemouth (27), und Aston Villa (25) um ein Ticket für die nächste Saison. Wer bekommt es?

Uli Hebel: West Hams Einfältigkeit hat mir wirklich Angst gemacht. Sie sollten aber über genug Einzelqualität verfügen, um drin zu bleiben. Brighton war zu überzeugend. Ich glaube nicht an Aston Villa und Watford hatte ich schon zu Saisonbeginn unter den Absteigern. Ein zwischenzeitlicher Lauf unter Nigel Pearson hat mich höchstens kurz stocken lassen. Bournemouth bleibt nach dem Ausschlussprinzip.

Joachim Hebel: Sehr schwierig, weil man den Konstantesten der Inkonstanten wählen muss. Dazu kommt eben, dass Heimvorteile so gut wie weg sind und sich Vorzeichen nach der Krise verändern können. Dennoch würde ich sagen, dass es Brighton, West Ham und Bournemouth schaffen werden. Ich tippe, es erwischt Watford und Aston Villa. Beide Teams haben es nicht geschafft, über einen längeren Zeitrum hinweg konsequent und kontinuierlich Tore zu erzielen. Ich denke, das wird nicht reichen. 

Chris McCarthy: Bei Aston Villa wurde nach dem Aufstieg zu viel verändert und das hat sich bis heute nicht eingependelt. Die Villains gehen runter. Bei Watford zeigte die Formkurve unter Nigel Pearson in die richtige Richtung, aber die Mannschaft verpasste es, sich zu belohnen. Das könnte sie den Klassenerhalt kosten. Watfords große Hoffnung ist Brighton: Nach einem herben Formtief seit dem Jahreswechsel könnte ein brutales Restprogramm der finale Todesstoß sein.

West Ham hat trotz verhaltenen Trainereffekts wohl zu viel individuelle Klasse, Bournemouth zu viel spielerische Qualität und einen zu guten Trainer, um abzusteigen.

Die Fragen stellte Victor Catalina

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(Photo by Christopher Furlong/Getty Images)


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