Weißt du noch? Finale der Skandal-WM ’78 – Kempes und Bertoni lassen den Traum der Niederlande platzen

24. Mai 2018 | Weißt du noch...? | BY Manuel Behlert

Nach dem verlorenen Endspiel bei der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland gegen den Gastgeber stand die Niederlande auch vier Jahre später wieder im Finale und träumte vom Titel. Erneut ging es gegen den Gastgeber und diesmal machten die Argentinier die Hoffnungen der „Elftal“ zunichte, gewannen das Spiel mit 3:1 nach Verlängerung. 

Ein denkwürdiges Finale mit einigen bemerkenswerten Nebengeräuschen war der Schlussakt einer Weltmeisterschaft, die nicht gerade als ein Turnier voller Harmonie und Glückseligkeit in die Geschichte eingegangen ist.

 

Die wohl traurigste WM der Geschichte

Sich mit dem Gastgeber Argentinien anzufreunden fiel vor der Weltmeisterschaft durchaus schwer, denn in dem südamerikanischen Land herrschte seit 1976 eine Militärdiktatur, Folterungen und Hinrichtungen von vermeintlichen Regimegegnern waren an der Tagesordnung. In Argentinien wollte man nach Außen hin versuchen diese Geschehnisse so gut es geht zu verschleiern und der Welt ein Bild der Harmonie zu malen. Heute geht man verschiedenen Quellenangaben zufolge von mindestens 30.000 Todesopfern aus, bereits vor dem Turnier gab es Hinweise auf Menschenrechtsverstöße. In Deutschland wurde über einen Boykott des Turniers nachgedacht, im Endeffekt entschied man sich aber doch zur Teilnahme.

Die Weltmeisterschaft sollte die Herrschaft der argentinischen Machthaber aus dessen Sicht stabilisieren, was zumindest einigermaßen aufging, denn es gab keine gravierenden Zwischenfälle, die öffentlich wurden. Jedoch wurde das letzte Gruppenspiel zwischen Argentinien und Peru verschoben, die Argentinier konnten im Endeffekt das 3:1 Brasiliens gegen Polen mit einem 6:0 kontern und zogen als Gruppensieger in die nächste Runde ein. Einige Spieler in der Mannschaft Argentiniens waren keine Anhänger der Diktatoren, ebenso Trainer Menotti, was die Freude bei den Machthabern zumindest trübte.

(Photo by STRINGER/AFP/Getty Images)

Auch einige Aussagen der Nationalspieler Deutschlands sorgten für Aufregung. Kapitän Berti Vogts sagte nach dem Turnier beispielsweise, dass Argentinien ein Land sei, in dem Ordnung herrsche und dass er keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen habe. Manfred Kaltz vom Hamburger SV soll verschiedenen Medienberichten zufolge gesagt haben: „Ich fahre dahin, um Fußball zu spielen, nichts sonst. Belasten tut mich das nicht, ich habe andere Probleme.“ Hermann Neuberger, damals Präsident des DFB, rügte das Verhalten von Finalteilnehmer Niederlande, die dem Diktator Videla den Handschlag verweigerten – eine Geste, die Neuberger der deutschen Mannschaft für den Fall einer Finalteilnahme untersagte. Für die Spieler aller Nationen war diese Weltmeisterschaft schwer, Argentiniens Mittelfeldspieler Ardiles sagte zum Beispiel: „Ob wir wollen oder nicht: Wir haben einer kriminellen Regierung geholfen.“

Die Ereignisse bis zum Finale

Die Erste Runde des Turniers ist relativ schnell zusammengefasst. In einer starken Gruppe 1 setzten sich Italien und Argentinien vor Frankreich und Ungarn durch, in Gruppe 2 wurde Polen Gruppensieger vor Deutschland, Tunesien und Marokko belegten die Plätze 3 und 4. Gruppe 3 wurde etwas überraschend von Österreich gewonnen, Brasilien belegte Platz 2, Spanien wurde Dritter, die Schweden Vierter und in der verbleibenden Gruppe 4 setzte sich Peru vor den Niederlanden, Schottland und dem Iran durch.

Es folgte die Zwischenrunde, in der sich die DFB-Elf nach der berühmten als „Schmach von Cordoba“ bekannten Niederlage gegen Österreich (2:3) verabschieden musste. Die Niederlande zog in das Endspiel ein, Italien ging als Zweitplatzierter der Zwischenrunde in das Spiel um Platz 3, während in der Parallelgruppe Argentinien wie bereits angesprochen aufgrund des 6:0-Erfolges gegen Peru noch an Brasilien vorbeiziehen konnte, was für reichlich Diskussionsstoff sorgte. Die Peruaner stellten nach einer gewissen Spielzeit das Fußballspielen nahezu komplett ein – nach einer guten Anfangsphase.  In einem am Ende unbedeutenden Spiel um Platz 3 setzte sich Brasilien mit 2:1 gegen Italien durch.

Aufregung im Vorfeld

Die Vorzeichen waren klar: Argentinien wollte vor heimischer Kulisse unbedingt den Weltmeistertitel einfahren, die Niederlande nach der Pleite vier Jahre zuvor alles besser machen. Bereits vor dem eigentlichen Anstoß des Endspiels in Buenos Aires gab es Aufregung. Einerseits herrschte Ausnahmezustand auf den Straßen, die Zuschauer kamen kaum rechtzeitig zum Spiel ins Stadion, andererseits hatte auch die argentinische Mannschaft ihren Anteil an der Hektik im Vorfeld der Partie. Die von Cesar Luis Menotti trainierten Südamerikaner kamen zu spät aus der Kabine, verzögerten den Anpfiff – und trieben ihre Psychospiele gegen die Niederlande auf die Spitze.

Mandatory Credit: Allsport UK /Allsport

Der Offensivspieler der Oranje, Rene van de Kerkhof, brach sich im ersten Spiel der Niederlande gegen den Iran die Hand und lief seitdem – ohne jegliche Beanstandung – mit einer Gipsmanschette auf. Vor dem Spiel beschwerte sich aber der argentinische Kapitän Passarella beim italienischen Schiedsrichter Gonella, der van de Kerkhof erst einmal in die Kabine beorderte. Der Trainer der Niederlande, Ernst Happel, war damit überhaupt nicht einverstanden und holte seine gesamte Mannschaft in die Katakomben. Nachdem die Manschette großzügig mit weichem Stoff und einem entsprechenden Tapeverband umwickelt war durfte van de Kerkhof dann doch spielen und Schiedsrichter Gonella gab die Partie frei.

Halbzeit 1 & 2: Die Niederlande wehrt sich

Vor frenetischen Zuschauern, die für eine elektrisierende Atmosphäre sorgten, zeigte sich die Niederlande zunächst unbeeindruckt, der Torhüter der „Albiceleste“, Fillol, musste gerade in der Anfangsphase einige Szenen bereinigen. Argentinien spielte sehr körperbetont, später gab es einige Fouls auf beiden Seiten, der Spielfluss kam häufiger zum Erliegen. In der 38. Minute sorgte der spätere Torschützenkönig der Weltmeisterschaft, Mario Kempes, für den ersten Jubelsturm auf den Rängen, als er das 1:0 für die Argentinier erzielen konnte. Die Gastgeber konnten sich auf der halblinken Seite durchsetzen und mit zwei kurzen Pässen eben jenen Kempes in Szene setzen, der nach einer sehr guten Ballmitnahme vor dem Keeper der „Oranje“, Jan Jongbloed, abgezockt einschob.

(Mandatory Credit: Steve Powell/Allsport)

Nach dem Rückstand versuchte die Niederlande viel, blieb aber häufig an der stabilen Defensive der Südamerikaner hängen. Die Mischung in der Mannschaft stimmte, neben einigen guten Technikern verfügte die Menotti-Elf auch über Spieler, die rennen und ackern konnten. Die Spielfreude der Niederlande war zwar vorhanden, wurde aber eben oft unterbunden. Ernst Happel versuchte durch Spielerwechsel frischen Wind in die Partie zu bringen, wusste genau, dass seiner Mannschaft die Zeit davon läuft. Und tatsächlich war es ein Joker, der den Ausgleich erzielen konnte, nämlich der nach 58 Minuten eingewechselte Nanninga. Nach einem herrlichen hohen Ball in den Rücken der Abwehr wurde die Kugel noch einmal in die Mitte gespielt und Nanninga musste nur noch einköpfen. Der Schock stand den argentinischen Fans in die Gesichter geschrieben, die Niederländer jubelten frenetisch.

Kempes und Bertoni erlösen Argentinien

Nun war vor allem die mentale Komponente entscheidend. Wie geht Argentinien mit dem Gegentreffer um? Der Druck stieg – für beide Mannschaften. Argentinien hatte die Hoffnungen einer ganzen Nation im Rücken, die Niederlande war aber ebenfalls nicht vom Druck befreit, denn zwei Finalspiele in Folge zu verlieren ist extrem bitter. In der Nachspielzeit bot sich für Oranje-Stürmer Rensenbrink sogar noch die Chance auf das Siegestor, doch der Angreifer, der bis dato fünfmal getroffen hatte, scheiterte am Pfosten. Die Verlängerung ging dann an die Südamerikaner, die bisher unentdeckte Kraftreserven in die Waagschale werfen konnten und von Beginn der Extraspielzeit an versuchten das Spiel an sich zu reißen.

(Photo by STAFF/AFP/Getty Images)

In der 105. Minute gab es einen Freistoß für die „Albiceleste“ und der aus dem Mittelfeld nach vorne geschlagene Ball wurde erneut auf Kempes gespielt, der die Kugel unnachahmlich behauptete, in ein Dribbling ging und den Ball kurz vor Torhüter Jongbloed erreichte. Von dessen Körper sprang der Ball erneut zu Kempes, der ihn dann nur noch über die Linie drücken müsste. Dieses Tor war der endgültige Knackpunkt im Endspiel der Weltmeisterschaft 1978. Gute fünf Minuten vor dem Ende der Partie zog erneut Kempes geradlinig zum Tor der Niederländer, die zwar noch einen Fuß in den Angriff bekamen, aber aus einem unübersichtlichen Gewühl heraus war es Bretone, der das 3:1 für die Argentinier erzielte und den Traum der Europäer endgültig beendete. Nach dem Spiel sprach der argentinische Trainer Menotti einen legendären Satz, sagte: „Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt.“

 

Aufstellungen:

Argentinien: Fillol, Olguin, Galvan, Passarella, Tarantini, Gallego, Ardiles (66. Larrosa), Kempes, Ortiz (75. Houseman), Bertoni, Luque

Niederlande: Jongbloed, Jansen (73. Suurbier), Brandts, Krol, Poortvliet, Haan, Neeskens, W. van de Kerkhof, Rensenbrink, R. van de Kerkhof, Rep (59. Nanninga)

Torfolge:

1:0 Kempes (38.)

1:1 Nanninga (82.)

2:1 Kempes (105.)

3:1 Bertoni (115.)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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