U21-Auswahl triumphiert bei der EM: Elf „Hyänen“ sollt ihr sein

8. Juni 2021 | Global News | BY Victor Catalina

Spotlight | Am Sonntagabend wurde Deutschland dank eines Treffers von Lukas Nmecha im Finale gegen Portugal zum dritten Mal U21-Europameister. Gerade dieser Sieg zeigt, dass in einem Turnier nicht alles so laufen muss, wie erwartet, aber alles für einen laufen kann, wenn man es erzwingt. Wie Stefan Kuntz die Mannschaft zum Erfolg führte.

Von Favoriten – und solchen, die es werden wollen

Eigentlich war die Einöde der slowenischen Hauptstadt Ljubljana ein relativ spartanischer Rahmen für den Anlass, den es zu feiern galt. Aber das soll laut Stefan Kuntz (58) genau so geplant gewesen sein. Man wollte mögliche Ruhestörungen vermeiden. Denn so gut, wie die U21 Fußball spielen kann, so ausgelassen kann sie es auch nach dem großen Erfolg über Portugal krachen lassen.

Viel hatte man ihnen vor dem Turnier nicht zugetraut. Auch Kuntz selbst gab das im Interview nach dem Spiel offen zu. Frankreich galt als der große Favorit. Nicht zulezt, weil sie Spieler wie Dayot Upamecano (22/RB Leipzig -> FC Bayern), Ibrahima Konaté (22/RB Leipzig -> Liverpool FC), Colin Dagba (22/Paris Saint-Germain), Moussa Diaby (21/Bayer Leverkusen) oder Houssem Aouar (22/Olympique Lyon) hatten, die die Champions-League-Hymne inzwischen textsicher auf allen drei Sprachen mitsingen können dürften.

 



 

Die Engländer boten derweil Japhet Tanganga (22/Tottenham), Emile Smith Rowe (20/Arsenal) oder Ryan Sessegnon (21/TSG Hoffenheim) auf. Bei den Niederländern waren es Perr Schuurs (21/Ajax), Calvin Stengs (22/AZ Alkmaar), Justin Kluivert (22/RB Leipzig) und Myron Boadu (20/AZ Alkmaar) und Spanien hatte mit Óscar Mingueza (22/FC Barcelona) und Brahim Diaz (21/Milan) zwei Spieler, die mit dem Hochadel des europäischen Fußballs inzwischen auch per du sind.

Allein, mit Ausnahme der Spanier und Portugiesen taten sich sämtliche Favoriten schwer, ihrer Rolle gerecht zu werden. England verabschiedete sich mit zwei Niederlagen schon nach der Vorrunde, die Niederlande kamen gegen tapfer kämpfende Rumänen nicht über ein Unentschieden hinaus – und die Franzosen verloren gleich ihr erstes Spiel gegen Dänemark und wurden lediglich Gruppenzweiter.

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Selbstvertrauen als Grundlage zum Titelgewinn

Zwar tat sich auch Deutschland in der Vorrunde schwer. Doch angesichts der Tatsache, dass mit Ridle Baku (23/VfL Wolfsburg), Nico Schlotterbeck (21/Union Berlin) und Mateo Klimowicz (20/VfB Stuttgart) nur drei Profis für Mannschaften aus der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga spielen, war das eher erwartbar, als bei der hochkarätig besetzten Konkurrenz.

Mehrere Male stand die Mannschaft von Stefan Kuntz kurz vor dem Aus. Gegen die Niederlande, als Finn Dahmen (23) im Duell mit Justin Kluivert das 0:1 verschuldete, beim erkämpften 0:0 gegen Rumänien und im Viertelfinale, als sie den bis dahin noch gegentorlosen Dänen binnen der letzten 20 Minuten ihren ersten Treffer einschenken mussten. Das Besondere: Jedes Mal wussten sie sich aus den jeweiligen Situationen noch zu befreien.

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Weil Stefan Kuntz ihnen nicht nur ein funktionierendes System zur Hand gegeben hat, sondern auch Selbstvertrauen. Er agierte eher als Vaterfigur, denn als wirklicher Vorgesetzter der Spieler. Nach dem gewonnenen Finale erzählte er, wie er bei einem Rührei Lukas Nmecha (22) davon überzeugte, für Deutschland statt England aufzulaufen. In der virtuellen Pressekonferenz überraschte Kuntz ihn und Ridle Baku, bevor die gesamte Mannschaft zum Feiern dazukam.

Natürlich gehört zum Gesamtkontext dazu, dass viele Spieler bereits mit Vorfreude auf das Turnier anreisten. Ridle Baku qualifizierte sich mit dem VfL Wolfsburg für die Champions League. Nico Schlotterbeck wurde mit Union Berlin Siebter und spielt in der neuen Europa Conference League. Dazu gelang Amos Pieper (23), Kapitän Arne Maier (22), Salih Özcan (23) und Ismail Jakobs (21) der Klassenerhalt mit Bielefeld, beziehungsweise dem 1. FC Köln. Paul Jaeckel (22), David Raum (23) und Anton Stach (22) sind mit Greuther Fürth aufgestiegen, genauso wie Vitaly Janelt (23) mit Brentford. Die Grundatmosphäre vor dem Turnier war also durchweg positiv.

Wie Stefan Kuntz eine Einheit formte – und was der Erfolg für die Nationalmannschaft bedeutet

Trotzdem galt es noch, die verschiedenen Charaktere und Talente zu einer wirklichen Einheit zusammenzuschweißen. Dazu bildete Kuntz eine Hierarchie mit Finn Dahmen im Tor, Ridle Baku, Amos Pieper und Nico Schlotterbeck in der Defensive, Arne Maier und Mërgim Berisha (23) im Mittelfeld sowie Lukas Nmecha, die allesamt in jedem der sechs Spiele von Beginn an aufliefen. So konnten sich Automatismen einspielen, was der Mannschaft Sicherheit gab. Die Spieler auf dem Platz mussten sich nunmehr lediglich darauf konzentrieren, ihre individuelle Qualität vollumfänglich abzurufen. Und natürlich zu kämpfen.

Sie wollten diesen Titel. Für sich, für die Mannschaft, für Stefan Kuntz. Aber vor allem wollten sie beweisen, dass man Talent nicht in Marktwerten messen kann. „Was interessieren uns Marktwerte? Wir haben ein unfassbares Mannschaftsgefühl!“, so Ridle Baku leicht provokant nach dem Spiel. Und Kuntz legte nach: „Was ist denn jetzt Talent wirklich? Ist es das, dass man zum Schluss gewinnt? Oder sind es nur Sprintzeiten oder sonst irgendwas?“

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Deutschland war, wie es Kuntz seiner Mannschaft vor dem 2:1 gegen die Niederlande beschrieb, ein Wesen mit einem „Löwenherz, aber auch Adleraugen“. Damit sie „alles erkennen, was den Matchplan angeht“. Und sie müssen „eine Hyänenbande sein. Die kann keiner leiden, aber die kriegen zum Schluss immer das, was sie wollen.“

Mit diesem Titel hat die U21 nicht nur ihrer eigenen Geschichte ein Happy End verpasst, sondern sie hält auch den Druck auf die A-Nationalmannschaft aufrecht, die nun beginnende EM ähnlich erfolgreich zu gestalten. Ein frühes Ausscheiden würde Mannschaft und Trainer gleichermaßen in schlechtes Licht rücken. Aber das ist nichts, was die neue Generation von U21-Europameistern jetzt beschäftigen muss. Sie haben sich ihre Party verdient. Egal ob in der Einöde von Ljubljana – oder bei der eigenen Oma mit Sauerbraten und Haxe.

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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