EL | Rangers vs Leverkusen – Geht der Lauf in Schottland weiter?

12. März 2020 | Champions League | BY Marius Merck

Vorschau | Die nächste Runde der Europa League steht an: Im Achtelfinale gastiert Bayer Leverkusen im Hinspiel bei dem Rangers FC in Glasgow. Neben der Prognose des Autors teilt auch David Kappel (Soccer Laduma) als Experte seine Einschätzung mit.

Anpfiff der Partie ist am Donnerstag um 21.00 Uhr, live auf DAZN (Registriere dich jetzt auf DAZN und erhalte einen Gratismonat).

Glasgow Rangers: Tiefer Fall

Der Sommer 2012 stellte für den schottischen Rekordmeister den absoluten Tiefpunkt der Vereinsgeschichte dar. Wegen einem Insolvenzverfahren und einem damit verbundenen Wechsel der Betreibergesellschaft votierten die Klubs der schottischen Premier League für einen Ausschluss aus der Spielklasse. Der Verband gliederte den erfolgreichsten Klub des Landes daraufhin in der vierthöchsten Spielklasse ein. Die Rangers mussten somit einen langen Weg zurück an die sportliche Spitze beschreiten. Zu Beginn der Saison 2016/17 war man nach einer jahrelangen Odyssee in den niederen Ligen wieder im Oberhaus vertreten.

Von der Abstinenz profitierte vor allem der verhasste Erzrivale Celtic, welcher die sportliche Lücke nutzte, um in der ewigen Statistik hinsichtlich Meistertiteln deutlich auf den Rekordmeister aufzuholen. Mit insgesamt 54 Meisterschaften führen die Rangers zwar nach wie vor in dieser Wertung, der Stadtrivale ist mit nun mehr 50 Titeln sehr nah an diesen Rekord herangerückt. Die „Bluenoses“ gewannen zuletzt in der Spielzeit 2010/11 die Premier League, seitdem zierten stets grün-weiße Bänder die Trophäe bei der Übergabe. Auch in diesem Jahr sieht es nach einer Fortsetzung dieses Laufs aus: Celtic liegt aktuell mit 13 Punkten vor den Rangers auf dem ersten Platz in der Tabelle.

(Photo by Mark Runnacles/Getty Images)

Rangers unter Stevie G. zurück zum alten Glanz?

Und dennoch ist momentan eine kleine Aufbruchstimmung bemerkbar. Konnte man in den ersten beiden Jahren nach der Rückkehr nicht einmal das zweitbeste Team des Landes sein, haben sich die Rangers nun wieder als die zweistärkste Kraft in Schottlands Fußball etabliert. Einen großen Anteil daran hat der Coach Steven Gerrard, welcher im Sommer 2018 das Traineramt übernahm. Unter der Vereinsikone des FC Liverpool gelang beispielsweise endlich der erste Sieg im „Old Firm“ gegen Celtic seit 2012. Die Saison 2018/19 schlossen die Rangers mit deutlichen Vorsprung auf den Rest der Liga als Vizemeister ab.

In dieser Runde standen die Chancen zeitweise sogar noch besser, doch ein negativer Lauf machte jegliche Hoffnungen auf die erste Meisterschaft seit fast zehn Jahren zunichte und sorgte für den bereits angesprochenen Rückstand in der Liga. So verloren die Rangers gerade erst kürzlich mit 0:1 gegen den Elften Hamilton zuhause im Ibrox Stadium. Da sich der Erzrivale solche Ausrutscher gerade nicht leistet, wird es in diesem Jahr nichts mit der 55. Meisterschaft werden, wenngleich den Anhängern mit dem anstehenden Stadtderby am kommenden Wochenende noch einmal ein besonders Geschenk gemacht werden kann.

(Photo by Ian MacNicol/Getty Images)

Ähnlich schätzt auch David Kappel die momentane Lage der Rangers ein: „Die haben eine tolle Saison gespielt, aber sind vor kurzem etwas eingebrochen und haben richtig Punkte in der Meisterschaft liegen gelassen.“ Unter Gerrard treten „The Gers“ meist in einem 4-3-3 auf. Dabei bevorzugt der Engländer im Mittelfeld die Variante mit einem etwas tiefer liegenden „Sechser“, eine präferierte Lösung in personeller Hinsicht hat Gerrard dabei allerdings nicht. Für diese Rolle kamen mit Joe Aribo, Scott Arfield oder dem erfahrenen Steven Davis schon mehrere Spieler zum Einsatz, welche ebenso auf den beiden vorderen Positionen im Mittelfeld eingesetzt wurden.

Zwischen den Pfosten ist nach wie vor Keeper Allan McGregor gesetzt, welcher im Jahr 2001 (!) erstmal in den Profikader der Rangers stieß. Vor dem „Oldie“ halten Connor Goldson und Nikola Katic den Abwehrverbund dicht. Als rechter Verteidiger sticht vor allem Kapitän James Tavernier heraus, welchem schon länger Interesse aus englischen Premier League nachgesagt wird. Ebenso hochkarätig sind die offensiven Flügel mit den jungen Ryan Kent und Ianis Hagi (der Sohn des ehemaligen Weltstars Gheorghe) besetzt, welche Toptorjäger Alfredo Morelos (29 Pflichtspieltore in dieser Saison) in Szene setzen. Darüber hinaus kann Gerrard mit Jermaine Defoe auf einen äußerst namhaften Routinier zurückgreifen, welcher mit 13 Treffern zudem der beste Torschütze in der Liga ist, gegen B04 aber fehlen wird.

Der Weg ins Achtelfinale

Die Rangers hatten einen sehr weiten Weg durch die Qualifikation: Nach Erfolgen über St. Joseph´s FC, Progres Niederkorn, den FC Midtjylland sowie Legia Warschauen stand Teilnahme an der Gruppenphase fest. Dort trafen Gerrard und sein Team in der Gruppe G auf Feyernoord, die Young Boys Bern und den FC Porto. Nach der Auslosung dürften wenige Beobachter an ein Weiterkommen der „Teddy Bears“ geglaubt haben.

Doch mit zwei Siegen, drei Remis und nur einer Niederlage zogen die Rangers hinter Porto überraschend in die KO-Phase ein. Damit überwinterte Schottlands erfolgreichster Klub erstmals in einem europäischen Wettbewerb seit der Saison 2010/11. In der Zwischenrunde wartete mit Braga ein weiterer namhafter Gegner, doch auch hier behielten die Rangers mit zwei Siegen (3:2, 1:0) die Oberhand.

Schlüsselspieler: Alfredo Morelos (23)

An dieser Stelle hätte man vor wenigen Monaten wahrscheinlich eher Kent, den besten Jungspieler des Jahres 2018/19, genannt, doch der Youngster konnte seine Fabelsaison in dieser Spielzeit nicht vollends bestätigen. So fällt der Fokus hier auf Morelos, der im Sturmzentrum für das Team unersetzbar ist. Der Kolumbianer traf in der laufenden Runde schon 29 Mal in Pflichtspielen für die Rangers. Mit sechs Toren in der Europa League ist der 1,77m große Angreifer maßgeblich an dem Erreichen des Achtelfinales beteiligt.

Morelos besticht vor allem durch einen großen Aktionsradius und bearbeitet die gegnerischen Defensiven dauerhaft. Durch seine Körpergröße hat er natürlich Defizite im Kopfballspiel, auch in der Ballverarbeitung hat der 23-Jährige noch Luft nach oben. Dennoch könnten seine Attribute gerade gegen einen in spielerischer Hinsicht überlegenen Gegner entscheidend sein. Dafür muss Morelos allerdings sein Glück vor dem gegnerischen Gehäuse wiederfinden. 28 seiner 29 Tore erzielte er vor (!) dem Jahreswechsel, das Abstand in der Liga ist auch seiner derzeitigen Durststrecke geschuldet. Umso eher liegt dadurch auf der Hand, dass das Spiel der Gastgeber mit Morelos steht und fällt.

(Photo by Ian MacNicol/Getty Images)

Bayer Leverkusen: Bosz widerlegt Zweifler

Nicht einmal ein halbes Jahr konnte sich Peter Bosz im Amt bei Borussia Dortmund halten, dementsprechend groß war die Skepsis, als er den vakanten Posten bei Bayer am 4. Januar 2019 übernahm. Sein Fußball sorgte beim BVB zwar für Spektakel, allerdings ließ der Niederländer sämtliche Anpassungsfähigkeit im defensiven Bereich vermissen. Auch in Leverkusen gab es unter Bosz Momente, in denen man sich in die letzten Wochen seiner Amtszeit in Dortmund zurückversetzt fühlte, doch mittlerweile dominieren andere Schlagzeilen.

Als er den Posten von Heiko Herrlich übernahm hatte Bayer mit 24 Punkten eine unterirdische Hinrunde gespielt. Unter Bosz sammelte Leverkusen in der Rückrunde gleich zehn Punkte mehr und schaffte dadurch noch den Sprung auf den vierten Platz. Gerade zum Saisonende 2018/19 fanden Team und Trainer immer besser zusammen, das Erreichen der Champions League war dahingehend keinesfalls unverdient. Doch auch schon in Dortmund begeisterte Bosz zumindest temporär, wie würde es aber in langfristiger Hinsicht ausschauen?

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Bayer – 2020 eine geölte Maschine

Leichte Dellen in der Konstanz ließen sich nämlich in der Vorrunde durchaus beobachten, zeitweise dümpelte der Verein im Herbst sogar außerhalb der Europa-League-Plätze herum. Den Jahreswechsel erlebte der Klub daher auf einem nicht befriedigenden siebten Platz, was auch Kappel so bewertet: „Am Ende der Hinrunde hat man leider etwas geschwächelt und unnötig gegen Köln und Hertha verloren, sonst wäre Leverkusen ganz oben in der Bundesliga dran.“

Umso gefestigter tritt die Mannschaft von Bosz in diesem Kalenderjahr bisher auf. Leverkusen leistete sich nur eine einzige Niederlage (1:2 gegen Hoffenheim) in der Bundesliga und kletterte gerade am Wochenende erstmals seit dem 3. Spieltag wieder auf die Champions-League-Plätze. Hervorzuheben sind während dieser Phase der „Thriller“ gegen den BVB (4:3) und der überzeugende Heimsieg gegen eine eigentlich formstarke SGE auf Frankfurt (4:0). Ferner überstand Leverkusen seit Silvester gleich zwei Runden im DFB-Pokal und steht dort nun gegen den Viertligisten Saarbrücken im Halbfinale. Durch diesen starken Auftakt hat sich Leverkusen „in allen Wettbewerben in eine gute Position gebracht“, so Kappel.

Für ihn liegt dabei auf der Hand, dass das Team die Idee des Coaches „noch mehr angenommen“ hat: „Mittlerweile kann man auch tiefer stehende Mannschaften schlagen. Kai Havertz hat wieder zur Form der Vorsaison gefunden und Moussa Diaby spielt super seit Anfang 2020. Es scheint ein neuer Siegeswille da zu sein, so konnte man Spiele gegen Union and BVB noch drehen. Edmond Tapsoba und Exequiel Palacios waren auch zwei super Neuzugänge im Winter und besonders Tapsoba hat die Abwehr enorm verstärkt.“

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Der Weg ins Achtelfinale

Die Gefühle bei den Verantwortlichen dürften direkt nach der CL-Auslosung gemischt gewesen sein. Ein Weiterkommen in einer Gruppe mit Juventus und Atlético galt als recht unwahrscheinlich, lediglich Lokomotive Moskau schien auf Augenhöhe zu sein. Und doch dürfte Bayer nicht vollends zufrieden auf den erreichten dritten Rang zurückblicken, wie auch Kappel feststellt: „International haben sie sich in der Champions-League-Gruppenphase selbst geschlagen mit der Heimniederlage gegen Moskau, danach aber dann auch gegen Atlético und Juventus besser ausgesehen obwohl beide Mannschaften vom Kader und der Erfahrung einfach weiter waren.“

Nach „dem Abstieg“ in die Europa League wartete mit dem FC Porto der nächste namhafte Gegner auf den Bundesligisten. Überraschenderweise setzte sich Leverkusen hier recht problemlos mit zwei Siegen (2:1, 3:1) gegen den Sieger der Rangers-Gruppe durch. Für Kappel sah es phasenweise „einfach“ aus, dies gäbe „Hoffnung auf weitere gute Ergebnisse.“ Bestehen für die „Werkself“ sogar Chancen auf den zweiten Titel in diesem Wettbewerb nach 1988?

Kappel ist diesbezüglich noch nicht ganz sicher: „Wenn man sich die Porto-Spiele anschaut und sieht, wie einfach Leverkusen die Portugiesen rausgehauen hat, kann man hoffen dass es weit gehen kann.“ Es könnten zwar „noch echte Brocken“ wie zum Beispiel Manchester United und Inter kommen, „in der Porto-Form“ gehöre Leverkusen jedoch durchaus „zum Favoritenkreis.“

Schlüsselspieler: Kai Havertz (20)

Der wahrscheinlich begehrteste Fußballer Deutschlands erlebte in der Vorrunde eine sportliche Durststrecke. Dem Nationalspieler ging vor dem gegnerischen Gehäuse das Glück ab, lediglich zwei Tore und eine Vorlage standen in der Bundesliga nach der Hinrunde zu Buche, obwohl Havertz in fast jedem Spiel auflief. Bosz stand aber zu dem umworbenen Youngster, welcher 2020 dann wieder in gewohnter Manier brillierte. In bisher acht Bundesliga-Spielen sammelte Havertz ebensoviele Scorerpunkte (vier Treffer, vier Assists) und stellte dadurch eindrucksvoll unter Beweis, in welche Sphären er ein Team in Topform führen kann.

Genauso drückte der 20-Jährige dem Duell gegen Porto mit insgesamt vier Torbeteiligungen seinen Stempel auf. Dies dürfte ebenso die meisten seiner zahlreichen Interessenten freuen, denn es erscheint aktuell einfach ausgeschlossen, dass Havertz über den Sommer hinaus bei Bayer bleibt. Mit solchen Leistungen sammelt er ferner gute Argumente, bei der EM 2020 als Stammspieler im DFB-Team zu sein. Das beste Argument wäre in dieser Hinsicht aber sicherlich, wenn er seinen Jugendklub in seinen letzten Wochen dort zum Gewinn der Europa League führen würde.

(Photo by MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images)

Prognose

Blickt man auf das jeweilige Personal der beiden Kontrahenten, dann geht auf den ersten Blick die Schere bereits deutlich auseinander. Die gleiche Ansicht teilt hier Kappel, welcher aber noch auf einen weiteren Punkt hinweist:

„Von der Qualität im Kader sollte Leverkusen die bessere Mannschaft sein, aber das Spiel in Glasgow vor einen angeheizten Kulisse, sobald Zuschauer erlaubt sein werden, wird sicherlich nicht einfach.“ Insgesamt wären die Schotten für Bayer aber „machbar.“

„Leverkusen hat die Qualität immer ein Tor zu schießen und Rangers stehen ja schon im Hinspiel zu Hause unter Druck. Sie werden versuchen anzugreifen und das würde Räume zum Kontern öffnen. Ich denke es wird ein 2-1 in Glasgow, und dann ein 2-0 oder 3-1 zu Hause.“

Personal

Rangers

Mögliche Aufstellung: McGregor – Tavernier, Goldson, Edmundson, Barisis – Davies, Kamara Arfield – Hagi, Morelos, Kent

Es fehlen: Defoe, Jack
Fraglich: Tavernier
Gelb-Sperre droht: Barisic, Jack, Kamara

Leverkusen

Mögliche Aufstellung: Hradecky – Weiser, Tah, Tapsoba, Wendell – Aranguiz, Demirbay – Diaby, Paulinho, Bailey – Havertz

Es fehlen: Volland, Amiri, S. Bender, L. Bender, Sinkgraven, Alario
Gelb-Sperre droht: Aránguiz, Bellarabi, Demirbay, Weiser

Weitere Vorschauen zur KO-Phase des Europapokals.

(Photo by SASCHA SCHUERMANN/AFP via Getty Images)

Marius Merck

Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.


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