Weißt du noch? | Der Weg des MSV Duisburg ins Pokalfinale 2011
20. April 2020 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion
Spotlight | Im Jahr 2011 schaffte der MSV Duisburg als bislang letzter Zweitligist den Einzug ins DFB-Pokalfinale. Gegen den FC Schalke 04 verlor man mit 0:5. Der Grundstein dafür wurde durch eine grandiose Pokal-Saison gelegt, bei der die Meidericher allerdings auch vom Losglück profitierten. Aber der Reihe nach:
Losglück zum Start
In der ersten Runde, am Freitag den 13. August 2010, ging es in den hohen Norden zum Regionalligisten VFB Lübeck. Es entwickelte sich ein Spiel ohne wirkliche Höhepunkte, Lübeck stand defensiv gut und probierte durch schnelles Umschalten zum Erfolg zu kommen. Der MSV fand gegen diese kompakte Defensive keine Mittel. Bezeichnenderweise erzielte den ersten Treffer der Partie VFB-Kapitän Moritz Marheinke mit einem Eigentor (51.), als er eine Hereingabe des schnellen Sefa Yilmaz ins eigene Tor grätschte. Danach drängte Duisburg auf das 2:0 und vergab einige gute Gelegenheiten, letztlich setzte der eingewechselte Manuel Schäffler in der Nachspielzeit den Schlusspunkt. Der MSV konnte sich also vor 6202 Zuschauern im Stadion an der Lohmühle mit 2:0 durchsetzen.
Der Erstrundensieg bescherte den „Zebras“ eine weitere Auswärtspartie bei einem Nord-Regionalligisten. Am 27. Oktober 2010 hieß der Gegner in der zweiten Runde dann Hallescher FC. Da sich das Stadion der Hallenser zum damaligen Zeitpunkt allerdings im Umbau befand, wurde das Spiel im benachbarten Leipzig ausgetragen. Das WM-Stadion von 2006 war mit gerade einmal 4629 Zuschauern nur sehr spärlich gefüllt. Den MSV störte dies nicht, auf dem Platz entwickelte sich das Spiel schnell zu einer klaren Angelegenheit. Bereits in der siebten Spielminute traf Stefan Maierhofer per direktem Freistoß. Danach scheiterte der Stürmer zunächst mit einem Elfmeter an HFC-Keeper Darko Horvat (31.), ehe er in der 34. Minute per Kopf das 2:0 nachlegte. Am Ende stand ein souveräner 3:0 Sieg, den Ivica Grlic, heutiger MSV-Sportdirektor, nach Vorarbeit des an diesem Tage überragenden Maierhofers erzielte.
Zwei Bundesligisten? Kein Problem!
Im Achtelfinale gab es dann die erste große Prüfung: Es ging auswärts zum NRW-Duell gegen den klassenhöheren 1.FC Köln. Am 22. Dezember 2010 fanden sich 44500 Zuschauer im RheinEnergieStadion ein, um dieses DFB-Pokalspiel zu verfolgen. Aufgrund des Zuschauerandrangs begann das Spiel mit knapp zehnminütiger Verspätung. Diese Maßnahme sollte sich lohnen, denn bereits in der dritten Spielminute ging der MSV per Kopf durch Maierhofer nach einer Grlic-Ecke in Führung.
Mit dieser frühen Führung im Rücken konnte sich Duisburg es erlauben, sich defensiver zu orientieren. Vom FC ging nicht viel Gefahr aus, sodass der MSV kaum etwas zuließ, im Gegenzug aber oft mit schnellem Umschaltspiel und gut vorgetragenen Kontern gefährlich wurde. Viele dieser Gelegenheiten blieben ungenutzt, ehe Julian Koch in der 76. Spielminute einen Konter zum 2:0 vollendete. Köln steckte allerdings nicht auf und kam in der 84. Minute durch Simon Terodde zum Anschlusstreffer. Dieser war allerdings zu wenig für die Kölner, sodass der MSV ins Viertelfinale einzog.
Im neuen Jahr stieg dann das Viertelfinale gegen den damaligen Bundesligisten 1.FC Kaiserslautern. Erstmals in dieser DFB-Pokalsaison bekamen die MSV-Anhänger ihre Mannschaft vor heimischer Kulisse zu sehen. 22917 Zuschauer fanden sich an diesem Mittwochabend in der Schauinsland-Reisen-Arena ein. „So ein Spiel setzt übermenschliche Kräfte frei“, sagte MSV-Trainer Milan Sasic vor dem Spiel und seine Mannschaft zeigte, was er damit gemeint hatte. Der MSV zeigte Kampf-, Einsatzbereitschaft und Leidenschaft und war dem klassenhöheren Gegner mindestens ebenbürtig.
In der 34. Minute patzte FCK-Torhüter Tobias Sippel, als er den Ball nach einer Ecke nicht entscheidend wegfausten konnte. Maierhofer legte per Kopf für Bajic auf, der mit einem Linksschuss die zu diesem Zeitpunkt verdiente Führung für den MSV erzielte. Nach der Halbzeit drängte der MSV auf den zweiten Treffer, der dann durch Goran Sukalo in der 56. Minute fiel. Auch hier sah Sippel nicht gut aus, nach einer Freistoß-Flanke aus dem Halbfeld von Benjamin Kern entschied sich der Keeper nicht herauszukommen, sodass Sukalo aus fünf Metern einköpfen konnte.
Auch nach dem 2:0 spielte der MSV weiterhin auf das Lauterer Tor. Die Duisburger boten begeisternden Offensivfußball, besonders Olcay Sahan stach auf dem rechten Flügel besonders hervor. Hatte Kaiserslauterns Linksverteidiger Alexander Bugera schon am Wochenende zuvor bei der 1:5 Niederlage gegen den FC Bayern mit seinem Gegenspieler Arjen Robben heillos überfordert gewirkt, konnte er auch gegen den Türken nicht viel ausrichten. Nach weiteren Chancen durch Koch, Sahan und Trojan gewann der MSV hochverdient mit 2:0. In der Schlussphase sangen die Duisburg-Fans sich bereits für das anstehende Halbfinale warm. „Oh wie ist das schön“, halte es durch die Arena.
Halbfinale: „Thriller“ gegen Cottbus
Spätestens nach diesem Spiel war so eine große Euphorie entfacht, dass jeder MSV-Fan an die Möglichkeit, es nach Berlin zu schaffen glaubte. Und das Losglück meinte es gut mit den Duisburgern: Waren im Halbfinale noch die Mannschaften des FC Bayern, des FC Schalke 04, Energie Cottbus und der MSV selbst vertreten, hatte man das große Glück, dass Schalke zu den Bayern reisen musste und man selbst im Duell der Zweitligisten das Heimrecht erhielt. So war nach dem Viertelfinal-Erfolg gegen Kaiserslautern der Weg für ein zweites Fußballfest bereitet:
Es gab nicht nur einen Ansturm auf die Tickets für das Halbfinalspiel, sondern es wurden auch eine Menge Restrundendauerkarten verkauft, da sich die Fans ein Vorkaufsrecht für ein eventuelles Pokalfinale in Berlin sichern wollten, dass Dauerkarteninhabern und Mitgliedern vorbehalten war. Die bisherige Saisonbestmarke aus dem Viertelfinale gegen Kaiserslautern wurde geknackt. 31500 Zuschauer verfolgten das Halbfinale am 1. März 2011 gegen Energie Cottbus, das Stadion war damit ausverkauft.
Das Spiel startete ereignisreich, bereits in der neunten Minute kam es zur ersten umstrittenen Szene im Duisburger Strafraum, beim Zweikampf zwischen Ivica Banovic und dem heranrauschenden Jiayi Shao blieb der Pfiff von Schiedsrichter Michael Weiner aber aus. Glück für den MSV! Und Glück hatte der MSV auch in der 24. Spielminute, als Sahan in den Strafraum von Energie Cottbus flankte, wo kein Duisburger stand außer Maierhofer. Uwe Hünemeier hatte die Situation eigentlich schon im Griff und klärte per Kopf, allerdings köpfte er den heranlaufenden Stürmer an, von dem der Ball ins Tor sprang.
Ein sehr kurioses Tor, die „Bild“ schrieb später von einem „Doppelkopf-Tor“. Danach folgte ein emotionaler Jubel: Die MSV-Spieler liefen zur Auswechselbank und schwenkten das Trikot von Koch, der sich in der vorherigen Woche schwer am Knie verletzt hatte. Trainer Sasic hatte vor dem Spiel noch gesagt man wolle „für Julian gewinnen“ und der MSV war auf einem guten Weg dahin. In der 54. Minute legte man das 2:0 nach, Maierhofer eroberte den Ball in der eigenen Hälfte und schaltete schnell um, Banovic legte quer zu Baljak, der nur noch einzuschieben brauchte.
Wer nun allerdings glaubte, das Spiel sei bereits entschieden, der hatte sich gewaltig getäuscht. In der 77. Spielminute sah Bruno Soares Rot wegen einer Notbremse, er hatte Jules Reimerink im Strafraum gefoult. Den fälligen Strafstoß verwandelte Nils Petersen und so stand es nur noch 2:1. Cottbus drängte nun in Überzahl auf den Ausgleich und besaß einige gute Möglichkeiten. In der 90. Minute dann war Duisburgs Torwart David Yelldell bereits geschlagen, Oliver Veigneau klärte einen Kopfball von Hünemeier in letzter Sekunde, allerdings war sehr schwer zu erkennen, wo genau. Die Cottbuser hatten den Ball bereits im Tor gesehen und reklamierten, für die Duisburger war der Ball noch auf der Linie. Auch mit den TV-Bildern später war eine Auflösung nicht zweifelsfrei möglich.
Cottbus-Trainer Klaus-Dieter Wollitz sagte nach dem Spiel zwar, Veigneau habe zugegeben, dass der Ball im Tor war, der Schiedsrichter entschied aber auf Weiterspielen. In diesem Trubel ging fast unter, dass Shao in derselben Aktion per Kopf nochmal den Pfosten traf. Danach war Schluss, die dramatische und turbulente Schlussphase konnte nichts daran ändern, dass Duisburg im Pokalfinale stand. Der Jubel war riesengroß, bei Fans, Verantwortlichen und Spielern. Man feierte den Finaleinzug so ausgelassen, als hätte man schon einen Titel gewonnen. Trainer Sasic wurde noch auf dem Platz Opfer einer Bierdusche und man feierte mit einer aufblasbaren Pokal-Attrappe.
Einen Tag später fand dann das zweite Halbfinale statt, in dem der FC Schalke den FC Bayern mit 1:0 nach Verlängerung schlagen konnte. Das befeuerte bei vielen Duisburgern die Hoffnung auf den Pokalgewinn, sah man den FC Schalke 04, der eine schwache Bundesliga-Saison spielte und diese mit dem 14. Tabellenplatz abschloss, als wesentlich leichteren Gegner im Vergleich zum deutschen Rekordmeister.
Chancenlos in Berlin
So kam es im Endspiel zu einem „kleinen“ Revierderby zwischen dem MSV und dem FC Schalke 04. Die Vorzeichen für den MSV standen allerdings alles andere als gut. Soares fehlte nach seiner Roten Karte aus dem Halbfinale gesperrt, Koch fiel mit der Knieverletzung aus, die er sich Ende Februar unmittelbar vor dem Halbfinale zugezogen hatte. Kapitän Baljak fiel mit einem Kreuzbandriss aus und Maierhofer, der im Pokal in fünf bisherigen Spielen bereits vier Tore erzielt hatte, hatte sich Anfang April einen Mittelfußbruch zugezogen. Der Angreifer kämpfte sich allerdings überraschend schnell zurück und saß im Pokalfinale nur anderthalb Monate nach seinem Mittelfußbruch bereits wieder auf der Auswechselbank. Dort saßen aufgrund der Verletzungsprobleme mit Maurice Exslager, Andre Hoffmann und Burak Can Kunt drei Spieler, die allesamt 20 Jahre oder Jünger waren.
Schalke erwies sich als Gegner jedoch eine Nummer zu groß für den MSV Duisburg. Die „Königsblauen“ übernahmen von Beginn an die Kontrolle und dominierten das Spielgeschehen nach Belieben. Der damals erst 17-jährige Julian Draxler brachte Schalke mit einem satten Schuss von der Strafraumgrenze in Führung (18.). Wenig später legte Klaas-Jan Huntelaar nach, nachdem er von Jefferson Farfan mustergültig in Szene gesetzt wurde (22.). Kurz vor der Halbzeitpause erhöhte Benedikt Höwedes durch einen Kopfball nach einer Ecke von Farfan (42.). Damit war das Spiel quasi schon nach 45 Minuten entschieden. Nach der Halbzeit konnte Jose Manuel Jurado nach Vorarbeit von Huntelaar auf 4:0 erhöhen, da waren gerade einmal 55 Minuten gespielt. Danach passierte allerdings nicht mehr allzu viel, in der 70. Minute setzte Huntelaar mit dem 5:0 den Schlusspunkt. Vorausgegangen war ein Stockfehler von Sukalo, dem der Ball im eigenen Strafraum versprang.
Das Fundament zerbricht
Das Spiel war bereits entschieden, die Reaktion der Duisburger Fans aber um so erstaunlicher. In den letzten 15 Spielminuten feierten die Anhänger ihre Mannschaft lautstark, was auch in der TV-Übertragung deutlich zu vernehmen war. Auch wenn diese Reaktion auf den ersten Blick nicht sehr verständlich erscheint, seine Mannschaft beim Stand von 0:5 so anzufeuern, so setzten die MSV-Anhänger einen angemessenen Schlusspunkt unter diese Saison 2010/2011.
Nach der Hinrunde hatte man noch den 5. Platz belegt, mit nur drei Punkten Rückstand auf einen direkten Aufstiegsplatz und auch wenn es in der Endabrechnung nur zum achten Platz reichte, so spielte man noch bis März um den Aufstieg mit. Neben diesem Erfolg in der Liga legte man als Zweitligist eine überragende Pokalsaison hin und schaltete auf dem Weg nach Berlin mit dem 1.FC Köln und dem 1.FC Kaiserslautern zwei Bundesligisten aus. Dies ist umso höher zu bewerten, da Trainer Sasic zu Beginn der Saison eine komplett neue Mannschaft formen musste. Die MSV-Fans dankten mit ihrem besonderen Support der Mannschaft für diese großartige Saison.
Zeitgleich war es auch eine Art des Abschiednehmens, da auch nach dem Pokalfinale im Sommer 2011 beim MSV große Veränderungen stattfanden. Bruno Hübner, damaliger Sportdirektor und Architekt dieser erfolgreichen Mannschaft, wechselte nur drei Tage nach dem Pokalfinale zu Eintracht Frankfurt. Im Sommer folgte mit 18 Abgängen und 19 Zugängen der nächste große Umbruch. Grlic, der die Mannschaft im Pokalfinale als Kapitän aufs Spielfeld geführt hatte, beendete seine Karriere, Leistungsträger wie Oliver Veigneau und Olcay Sahan verließen den Klub ablösefrei.
Mit Stefan Maierhofer, Filip Trojan, Ivica Banovic, Manuel Schäffler und Julian Koch kehrten fünf Leihspieler, von denen die meisten eine wichtige Rolle gespielt hatten, zu ihren Stammklubs zurück. Der Start in die neue Saison 2011/2012 misslang, Sasic musste schon am 28. Oktober 2011 gehen, für ihn übernahm der bisherige Torwart-Trainer Oliver Reck, Grlic wurde Sportdirektor. Die Tatsache, dass Grlic miterleben musste, wie die Mannschaft durch den Verlust der vielen Leihspieler geschwächt wurde, ohne dass der MSV eine Ablöse kassierte, mit der man neue Spieler hätte holen können, gilt als einer der Gründe, weshalb Grlic nicht sonderlich als Freund von Leihgeschäften gilt. In den mittlerweile knapp neun Jahren seit Amtsantritt als Sportdirektor hat Grlic gerade einmal sieben Spieler per Leihe zum MSV geholt.
Von Gero Lange
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(Photo by JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)