Aufeinandertreffen von zwei chaotischen Riesen – Barcelona empfängt Paris Saint-Germain

16. Februar 2021 | Vorschauen | BY Steffen Gronwald

Vorschau | Erstmals seit dem furiosen Achtelfinal-Duell 2017 treffen der FC Barcelona und Paris Saint-Germain wieder in einem Pflichtspiel aufeinander. An ein Spektakel ist momentan aber kaum zu denken…

Anpfiff der Partie ist am Dienstag, 21:00 Uhr, Live bei Sky.

  • Bisher bestimmte das Chaos die Saisonverläufe beider Teams
  • Sowohl Barcelona als auch PSG hängen hinter ihren nationalen Erwartungen
  • Spektakel wie 2017 scheint aus mehreren Gründen ausgeschlossen

Vor der Partie zwischen dem FC Barcelona und Paris Saint-Germain haben wir uns außerdem die Expertise von Robby Hunke, Sportkommentator bei der ARD, dem WDR und dem Schweizer Fernsehen, eingeholt.

FC Barcelona: Langsam zurück zur Normalität

Der FC Barcelona scheint sich von dem wahrlich gruseligen Saisonstart erholt zu haben. Die Katalanen kommen spürbar besser in Form. Sie arbeiten mittlerweile als Kollektiv zusammen und auch Lionel Messi (33) hat die Leichtigkeit am Fußballspielen wieder entdeckt. So steht Barca im nationalen Pokalwettbewerb im Halbfinale (auch wenn das Hinspiel mit 2:0 gegen Sevilla verloren ging) und arbeitete sich in La Liga auf Tabellenplatz drei vor – kann mit der noch ausstehenden Nachholpartie jedoch an Real Madrid vorbei ziehen.

Mit Blick auf die ansteigende Form wird die Tatsache, dass die Katalanen in der Gruppenphase der Champions League „nur“ den zweiten Platz belegt haben, noch ärgerlicher. Bei der 3:0-Niederlage gegen Juventus Turin kassierte Barca ein Gegentor zu viel. Dieses kostete den Platz an der Sonne und ein vermeintlich leichteres Los im Achtelfinale. So heißt der heutige Gegner Paris Saint-Germain – wie schon im Achtelfinale 2017. Damals konnte PSG das Hinspiel im heimischen Stadion mit 4:0 gewinnen und sah sich schon auf der Siegerstraße, ehe der FCB in letzter Sekunde einen 6:1 Rückspielsieg einfahren und in das Viertelfinale einziehen konnte.

Doch das furiose Spiel von damals interessiert die Elf von Trainer Ronald Koeman (57) heute nur geringfügig. Vieles hat sich seither verändert und die Ausgangslage ist mittlerweile ebenfalls eine komplett andere. Barcelona geht zwar mit Selbstvertrauen in das Duell, weiß aber um die eigenen Schwächen, die jüngst erst der FC Sevilla ausnutzen konnte. Die Defensive ist momentan immer wieder für einen haarsträubenden Aussetzer gut, lädt die Gegner viel zu regelmäßig zu Großchancen ein. Auch wenn es zuletzt aufgrund von vielen Verletzungen schwierig war, eine eingespielte Defensivabteilung auf das Geläuf zu schicken, so muss sich jeder Profi des FC Barcelona bewusst sein, dass in der Hintermannschaft noch längst nicht alles so abläuft, wie es sich für eine Spitzenmannschaft gehört.

Lionel Messi: Spielfreude ist wieder da

Immerhin funktioniert die Offensive mittlerweile wesentlich zuverlässiger, sodass die Spiele zuletzt immer wieder auch deutlich pro Barca entschieden worden sind. Erst am vergangenen Wochenende wurde Alaves mit 5:1 nach Hause geschickt, wieder einmal war hierbei Lionel Messi der Matchwinner. Der Argentinier konnte den Frust aus dem Sommer nun endgültig abschütteln, identifiziert sich nun voll und ganz mit der aktuellen Mannschaft und geht – wie es sich für einen Kapitän gehört – voran. Die Spielfreude und Kreativität, die der mehrfache Weltfußballer nun wieder an den Tag legt, tut seinem Verein spürbar gut. Zusammen mit Pedri (18), de Jong (23) und Griezmann (29) harmoniert die Offensive Barcas wieder wesentlich besser und lässt den Gegner kaum Ruhe. Ein wichtiges Zeichen im Kampf um den Henkelpott.

 

(Photo by LLUIS GENE / AFP)

Erleichterung vor dem Showdown – das Lazarett wird kleiner

Die Liste der Ausfälle seitens des FC Barcelona wurde in den vergangenen Wochen länger und länger. Neben den Langzeitverletzten Gerard Piqué (34), Ansu Fati (18) und Philippe Coutinho (28) fielen zuletzt auch Martin Braithwaite (29), Sergi Roberto (29), Ronald Araujo (21), Segino Dest (20) und Miralem Pjanic (30) aus. Die beiden Letztgenannten standen allerdings gegen Alaves wieder im Kader und bekamen auch Einsatzminuten – ein wichtiger Schritt für die beiden Akteure vor diesem so wichtigen Fußballspiel. Und auch Gerard Piqué könnte noch in den Kader rutschen. Der Innenverteidiger trainiert mittlerweile wieder mit der Mannschaft und kann laut Koeman heute auch zum Einsatz kommen. Wie wahrscheinlich dies nach der langen Pause ist, bleibt jedoch abzuwarten.

Das Lazarett wird beim FC Barcelona also wieder etwas kleiner, sodass bei den Cules das Selbstvertrauen vor der Aufgabe PSG größer wird. Die Formkurve zeigt in Katalonien wieder steil nach oben. Die Tatsache, dass aus den vergangenen zehn Pflichtspielen lediglich zwei Pokalspiele verloren gingen, ansonsten alles gewonnen wurde, spricht für das neu zusammen gewachsene Barcelona. Bei den Torjubeln sieht der Fan wieder eine Mannschaft und keine zehn bis elf Individuen. Bei Barca scheint eins bewusst worden zu sein – der Erfolg in dieser chaotischen Zeit, trotz aller negativen Schlagzeilen außerhalb des Platzes, ist nur als Mannschaft zu bestätigen. Und das zeigte sich zuletzt konstant…

PSG: Zwischen Spaßfußball und Minimalismus

Auch Paris Saint-Germain erlebt in dieser Spielzeit chaotische Zeiten. Trotz insgesamt solider Statistiken und dem Einzug in das letztjährige Champions-League-Finale trennten sich die Franzosen über die Weihnachtsfeiertage von Thomas Tuchel (47). Mit dem deutschen Übungsleiter gab es offenbar zu viele Reibungspunkte und auch sportlich lief es nicht mehr so rund, wie noch im vergangenen Frühjahr. Mit Mauricio Pochettino (48) kommt nun ein Übungsleiter, der ebenfalls für einen offensiven und angriffslustigen Fußball steht, der den Verein aber auch noch aus seiner aktiven Laufbahn kennt. Natürlich hat sich das operative Geschäft seitdem massiv geändert, dennoch bringt Pochettino so etwas wie Identität mit.

Doch Paris scheint weiterhin schlagbar zu sein. Die Hauptstädter fuhren zwar in den vergangenen zehn Pflichtspielen acht Siege ein, trennten sich einmal Remis und verloren nur gegen Lorient, allerdings ist die Leichtigkeit bei Weitem nicht immer zu erkennen. Auffällig ist dabei, dass die Mannschaft um Superstar Kylian Mbappé (22) immer wieder souveräne Spiele abliefert, die auch mit drei oder vier Toren Unterschied gewonnen werden. Allerdings reihen sich auch regelmäßig Partien ein, die denkbar knapp für Paris entschieden werden. Die individuelle Klasse setzt sich so zwar häufig durch, kostet aber auch denkbar mehr Kräfte und Nerven – keine guten Voraussetzungen im engen Corona-Terminkalender.

Dass sich die Pariser in der Gruppenphase der Champions League noch als Erster durchsetzen werden, schien nach den ersten drei Partien noch nahezu unmöglich. Paris hatte zu diesem Zeitpunkt lediglich drei Punkte auf dem Konto und lieferte gerade gegen die direkte Konkurrenz alles andere als eine Galavorstellung ab. Doch die Kritiker sahen sich getäuscht, mussten neidlos anerkennen, dass in dieser Truppe doch weitaus mehr steckte, als es ihnen zugetraut wurde. Der erste Platz war demnach der verdiente Lohn, das Los FC Barcelona jedoch bitterere Realität.

(Photo by FRANCK FIFE / AFP)

Paris glaubt auch ohne Neymar an die nächste Runde

Mauricio Pochettino hat heute längst nicht so viele Ausfälle zu vermelden, wie sein Gegenüber, doch auch der Argentinier vermeldet schmerzhafte Neuigkeiten aus dem Kreis der Verletzten. Mit Superstar Neymar (29) und Flügelspieler Angel Di Maria (33) fallen gleich zwei Spieler aus, die in jedem Fall den Unterschied ausmachen können. Zudem kann auch Juan Bernat (27) als nomineller Stammspieler nicht mitwirken, der Linksverteidiger fällt mit seinem Kreuzbandriss noch bis Mitte März aus.

Nichtsdestotrotz geht PSG optimistisch in die heutige Begegnung. In der obligatorischen PK gab man sich sehr konzentriert und fokussiert, der Blick geht ganz klar in Richtung Viertelfinale. Dafür muss der Grundstein bereits heute gelegt werden – in einem Stadion, in dem Paris vor vier Jahren die wohl bitterste Auswärtsniederlage seiner Geschichte einstecken musste und generell noch in keinem Pflichtspiel gewinnen konnte. Klappt es dennoch mit dem ersten Schritt in Richtung Weiterkommen?

Prognose

Die Partie dürfte gerade für den neutralen Beobachter sehr interessant sein. Beide Mannschaft leben einen offensiv geführten Fußball vor, die individuelle Klasse ist hüben wie drüben unbestritten. Barca dürfte aber nicht nur auf Grund des Heimvorteils leicht favorisiert sein, die Mannschaft zeigte sich zuletzt insgesamt sehr harmonisch und fokussiert. Ein Spektakel wie 2017 darf wohl ausgeschlossen werden, doch das Spiel kann aus vielen anderen Gründen ähnlich reizvoll werden… 

Sportkommentator Robby Hunke schätzt die Partie wie folgt ein:

Permanente Unruhen dominieren derzeit beide Vereine, in Barcelona bestimmen die Präsidentschaftswahlen das Vereinsleben, in Paris „musste“ aufgrund von Meinungsverschiedenheiten ein Trainerwechsel stattfinden. Wie können es die beiden Truppen schaffen, das Sportliche momentan in den Vordergrund zu stellen und wer könnte das derzeit eleganter schaffen?

Barca und PSG machen dieses Jahr wirklich einen unglaublich unglücklichen Eindruck. Ich traue es eher Barca zu dem Turnaround hinzubekommen. So würdelos der Saisonstart und die Posse um Messi war, ich habe in Barcelona das Gefühl, dass man im direkten Vergleich vor Paris steht. Messi und Co. haben einfach diese große Erfahrung in direkten internationalen Top Duellen. Auch wenn es in La Liga nicht so rund läuft wie in den letzten Jahren. Zu PSG: Ihr fragt nach Ruhe und Fokus aufs Sportliche? Ganz ehrlich: Kann es das geben, wenn man Neymar im Kader hat?

Bei Paris fällt Neymar definitiv für das Hinspiel aus, das Rückspiel steht auf der Kippe. Wie kann Paris deiner Meinung nach den Ausfall kompensieren?

Ich finde, dass der Ausfall von Neymar sogar eher positiv für PSG sein kann. Er wäre als Ex Barca-Mann DAS Thema des Spiels gewesen. Ohne ihn kann man sich vielleicht ein bisschen mehr aufs Wesentliche beschränken.

(Photo by DAMIEN MEYER/AFP via Getty Images)

Die Formkurven beider Mannschaften sind per se keinesfalls schlecht, allerdings fallen jeweils immer wieder kleinere Ausrutscher auf. Womit sind diese zu begründen?

Ach, ich finde man soll gar nicht immer alles so negativ sehen. Ist doch toll, das in Frankreich endlich mal Spannung im Titelrennen herrscht, oder? Vielleicht sind Lille und Lyon auch einfach gut. Kein Team, auch nicht Barca mit Messi, kann jahrelang dominieren. Aber Barcelona wird in der Champions League voll da sein. Das Team ist erfahren. Weiß, wann man liefern muss. Das hat Messi jetzt am Wochenende wieder gezeigt. Außerdem ist der finanzielle Druck für die Katalanen enorm. Corona hat dem Verein finanziell ja arg zugesetzt.

Wie lautet dein Tipp für das Hinspiel? Kann Paris wie 2017 das Hinspiel dominieren oder dürfte das Spiel weitaus defensiv geprägter sein?

Tatsächlich glaube ich an zwei vorsichtige Teams. Allerdings denke ich nicht, dass Pochettino sich defensiv einlullen lässt. Er denkt offensiv. Insofern wird das spannend. Insgesamt sehe ich Barca nach Hin-und Rückspiel vorne, ich traue aber PSG durchaus zu Barcelona vor allem im Hinspiel zu stressen. Denn Pochettino finde ich als Trainer besser als Koeman. Barcelona hat aber das bessere Team. 1:1 im Hinspiel.

Mögliche Aufstellungen:

FC Barcelona: ter Stegen – Dest, Lenglet (Mingueza), Umtiti, Alba – de Jong, Busquets (Pjanic), Pedri – Dembélé (Trincao), Messi, Griezmann

PSG: Navas – Florenzi (Kehrer), Marquinhos, Kimpembe, Kurzawa – Gueye, Paredes, Varratti – Kean (Sarabia), Icardi, Mbappé

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(Photo by CRISTINA QUICLER / AFP)

Steffen Gronwald

Steffen verfolgt primär den Vereinsfußball, fühlt sich im deutschen Ober- und Unterhaus zu Hause - verfolgt zugleich aber auch La Liga und die Premier League intensiv. Ob Offensivspektakel oder "park the Bus", fesseln tut ihn beides, zudem steht bei ihm auch der Schiedsrichter im Fokus. Seit 2016 bei 90PLUS.


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