Champions League | Ein Duell zwischen Leichtigkeit und magischer Aura – Die Vorschau zum Finale

28. Mai 2022 | Vorschau | BY Victor Catalina

Vorschau | Vorhang auf für den letzten großen Akt der Saison 2021/22, dem Finale der Champions League zwischen dem Liverpool Football Club und dem Real Madrid Club de Fútbol! Während bei Liverpool nach den Titeln der letzten Jahre die Leichtigkeit regiert, will man in Madrid einmal mehr die „magische Aura“ ausspielen.

Vor dem Spiel sprachen wir mit Chris Williams, Journalist für Bundesliga und Premier League sowie Álex Jiménez, der für Goal España und die Marca tätig ist.

 



 

Liverpool FC: Mit Erfahrung und ohne Druck – Durchbrechen Klopps Wiederholungstäter Real Madrids Serie?

Hörte man Jürgen Klopp in den letzten Wochen zu, merkte man, dass ihn nichts mehr nervt, als das elendige Q-Wort. Ein Nebeneffekt des Erfolgs, den seine Mannschaft vor allem in dieser Spielzeit hat, ist, dass immer wieder Fragen zum Quadruple kamen. Premier League, FA Cup, EFL Cup, Champions League. Noch nie zuvor hat eine englische Mannschaft alle vier Trophäen binnen einer Saison gewonnen. Mit den beiden nationalen Pokalwettbewerben, die Liverpool jeweils im Elfmeterschießen gegen Chelsea holte, machten sie einen großen Schritt.

Seit vergangenem Wochenende hat es sich allerdings auch für die Reds ausquadruplet. Zwar leisteten die beiden ehemaligen Liverpooler Steven Gerrard und Philippe Coutinho mit Aston Villa im Etihad, wie von vielen LFC-Fans vor dem Spiel erträumt, Schützenhilfe. Selbst bekam man es allerdings nicht hin, Manchester City mit einem Führungstreffer gegen die Wolves endgültig in die Ecke zu drängen. Die Mannschaft von Pep Guardiola verbrachte daher die gesamten 90 Minuten an der Tabellenspitze und erlöste sich selbst mit drei Toren binnen fünf Minuten. Als die Treffer von Mohamed Salah sowie Andy Robertson fielen, führte der alte und neue Meister bereits 3:2.

Was als Quintessenz bleibt, unabhängig vom Ausgang des Champions-League-Finals, ist die Tatsache, dass Liverpool jedes mögliche Pflichtspiel dieser Saison bestritten haben wird, jedes Finale, national wie international. Dazu haben sie das Titelrennen bis zum letzten Spieltag offen gehalten. Eine Konstanz, die ihnen in dieser Form unter Jürgen Klopp erstmals gelang. Laut Chris Williams half dabei besonders eine Sache: „Hätten sie nicht die 30 Jahre ohne Premier-League-Titel beendet, wären auch der Ligapokal und FA Cup weniger wert. Die Kaderbreite hilft natürlich auch. Klopp-Teams hatten in den vergangenen Jahren sieben bis acht Top-Spieler. Jetzt ist eigentlich jede Position abgedeckt, sodass Rotation und Regeneration ohne Qualitätsverlust möglich sind.“

Das wurde vor allem in der Gruppenphase ersichtlich, als Liverpool alle sechs Spiele gegen Atlético Madrid (3:2, 2:0), den FC Porto (5:1, 2:0) sowie die AC Milan (3:2, 2:1) gewann. Als eines von drei Teams, neben dem FC Bayern sowie Ajax, spielten die Reds die perfekte Gruppenphase. Im Achtelfinale setzte man sich gegen Inter durch (2:0, 0:1), wenngleich die Nerazzurri eine Delle in Liverpools Makellosigkeit schlugen. Das Viertelfinale gegen SL Benfica (3:1, 3:3) sowie vor allem die Halbfinalduelle mit Villarreal (2:0, 3:2) gerieten spektakulär.

Williams: „Mannschaften, die mit Liverpools Intensität mithalten können, sind genauso anfällig für schnelle Gegenstöße“

Für Jürgen Klopp etwas zu spektakulär. In der Halbzeitpause des Rückspiels im Estadio de la Cerámica, verriet er Amazon Prime, „habe ich zu Piet Krawietz (seinem Co-Trainer, Anm. d. Red.) gesagt, finde Situationen, wo wir’s gut machen, wo wir Halbräume finden. Ich komme rein, da sagt Piet: Nix gefunden.“ Der 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel war zu diesem Zeitpunkt komplett ausradiert. Die Zahlen sprachen ebenfalls eine überraschend deutliche Sprache. 5:2 Torschüsse, 72:65 Prozent Passquote, 57 Prozent Zweikampfquote, 13:3 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum – und drei Kilometer mehr war Villarreal ebenfalls gelaufen. Es war das zweite Mal binnen weniger Wochen, nach dem 2:2 im Etihad, dass sich Liverpool von einer dominant und giftig auftretenden Mannschaft vor der Pause komplett am Nasenring durch die Manege ziehen ließ.

Champions League Liverpool FC Real Madrid CF

Photo by Eric Alonso/Getty Images

„Ich glaube nicht, dass das ein Nachteil ist“, gibt Chris Williams dennoch zu. „Mannschaften, die mit Liverpools Intensität hinter den hochstehenden Außenverteidigern mithalten können, sind genauso anfällig für schnelle Gegenstöße. Villarreal, Manchester City und Chelsea haben allesamt ihre Stärken gegen Liverpool gezeigt – aber auch ihre Schwächen. Es spielt Liverpool fast in die Karten zu sagen, ‚Kommt, greift uns an!‘, weil Klopps Mannschaft Tore schießen kann und es auch tut.“

Mit Real Madrid wartet am Samstagabend der nächste hochkarätige Gegner. Eine Mannschaft, gegen die man sich zuletzt eher schwertat. Vergangene Saison gab es nach einem 1:3 im Estadio Alfredo Di Stéfano das Aus im Viertelfinale. In Anfield reichte es lediglich zu einem torlosen Remis. Wesentlich eher kam dieser Tage aber ein anderes Spiel zur Sprache. Eines vor vier Jahren in Kyiv. Für Liverpool geriet das Endspiel 2018 nach starkem Beginn zur Geisterbahnfahrt. Zuerst fiel Mohamed Salah verletzt aus. Dann patzte Loris Karius schwer und doppelt. Real Madrid gewann abermals 3:1. Für die Königlichen war es, seit der Umstrukturierung des Wettbewerbs vom Europapokal der Landesmeister zur Champions League im Jahr 1992, das siebte gewonnene Finale am Stück.

Vor allem mental sieht Williams Liverpool diesmal stärker: „Erfahrung und die Tatsache, dass sie dank der beiden Pokalsiege ohne Druck spielen, wird Liverpool stark machen. Sie haben den Wettbewerb bereits 2019 gewonnen, es ist kein must-win, wie das Tottenham-Spiel. Dazu hat Liverpool diesmal eine wesentlich bessere Kaderbreite. Als Mo Salah 2018 vom Feld musste, haben sie ihren besten Spieler verloren. Jetzt haben die Reds Mané, Luis Díaz, Thiago, van Dijk, Konaté, Alisson, Diogo Jota sowie Roberto Firmino, die allesamt vor Qualität strotzen.“ Qualität, die auch am Samstagabend in Gänze verfügbar sein wird. Hinter den angeschlagenen Fabinho und Thiago standen zuletzt Fragezeichen. Beide werden allerdings im Kader stehen.

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Real Madrid C.F.: „Tödlicher, als der weiße Hai“ – trägt die „magische Aura“ Real zum nächsten Titel?

„Keine Ahnung, was die ausschenken, aber es muss magisch sein!“ So beschrieb DAZN-Kommentator Uli Hebel den Moment von Reals 2:1 gegen Manchester City. Sein Kollege Peter Drury, der sich im angelsächsischen Sprachraum einen Namen als Poet des Fußballs gemacht hat, meinte: „Sie (Real Madrids Fans, Anm. d. Red.) haben für Wunder bezahlt – und Wunder kommen.“

178 von 180 Minuten verbrachten die Königlichen gegen Manchester City in Rückstand – bevor Rodrygo unvermittelt binnen 88 Sekunden doppelt zuschlug. Es hat tatsächlich etwas Überirdisches, wie die Königlichen durch diese Champions League schweben. Ja, in der Gruppenphase gönnte man sich gegen Sheriff Tiraspol einen allzu weltlichen Moment. Die restlichen fünf Partien konnte Real allerdings gewinnnen, bevor in der K.O.-Runde ein Superlativ den nächsten jagte. 0:2 nach Hin- und Rückspiel gegen Paris Saint-Germain? Benzema-Hattrick, Viertelfinale. 0:3 nach 3:1 im Duell mit Titelverteidiger Chelsea? Kein Problem, dann macht eben Rodrygo die Verlängerung klar, in der einmal mehr Karim Benzema zuschlug.

Im Halbfinal-Hinspiel war Real Madrid eigentlich komplett chancenlos. Dennoch gelang es ihnen, mit einem 3:4 den Schaden vergleichsweise gering zu halten. Und als im Rückspiel bereits alles entschieden schien, zog Carlo Ancelotti an der Seitenlinie kurz die linke Augenbraue hoch und Real drehte das Spiel.

Schaut man sich die Mannschaft an, fällt schnell auf, mit welcher Wucht und Überzeugung sie in dieser Spielzeit auftreten, verglichen zur letzten, als ein ausgelaugtes Team mit über 60 Verletzungen im Halbfinale gegen Chelsea sang- und klanglos ausschied. Für Álex Jiménez hat das mehrere Gründe: „Zuallererst war die Startelf in einer ausgezeichneten Form, ihre Auftritte waren die gesamte Saison über brilliant.

Ancelotti hat nur wenig rotiert und Real Madrid daher den Großteil der Saison mit 12-13 Spielern bestritten. Aber viele davon haben den Unterschied gemacht, besonders Luka Modrić, Thibaut Courtois und – natürlich – Karim Benzema. Andere, darunter Vinícius, Rodrygo, Éder Militão oder Fede Valverde haben einen großen Schritt nach vorne gemacht. Daher hat Real Madrid stärker, als jeder andere in dieser Champions-League-Saison an die eigenen Möglichkeiten geglaubt. Sie haben diese magische Aura, die in der Champions League immer wieder aufblitzt.“

Überfall statt Pressing: Wie Real Madrid seine Gegner überwältigt

Ein weiterer Faktor ist eine relativ unscheinbare Figur. Antonio Pintus, ein 59-jähriger Italiener, Real Madrids Fitnesstrainer. Von den Spielern hochgeschätzt, kümmerte er sich während Zidanes erster Amtszeit um ihr körperliches Wohlbefinden – und auch unter den Nachfolgern Julen Lopetegui sowie Santiago Solari. Im Sommer 2018 soll sich die Beziehung zwischen Zidane und Pintus allerdings verschlechtert haben, als sich der Italiener für einen Verbleib bei Real Madrid und nicht in Zidanes Stab entschied. Bei der Rückkehr von Reals Ikone auf den Trainerposten, brachte er Grégory Dupont mit, Pintus zog es derweil zu Inter. Mit Ancelotti kam auch er wieder zurück – und die heruntergegangene Anzahl der Verletzungen spricht eine mehr als eindeutige Sprache. Jiménez bezeichnet seine Arbeit als „beeindruckend“. Er sei einer der Hauptcharaktere für die erfolgreichen Auftritte von Reals Spielern in dieser Saison.

An einer Sache konnte aber auch Pintus nichts ändern: dem vollgepackten Spielplan. Zwar hat Real Madrid durch das Copa-Aus im Viertelfinale beim Athletic Club (0:1) – anders, als Liverpool – nicht alle in dieser Spielzeit möglichen Partien bestritten. Dafür bekam Pintus deutlich mehr Arbeit, dadurch, dass Ancelotti „seiner zweiten Einheit misstraute“, so Jiménez. Spieler wie Isco, Eden Hazard, Gareth Bale, Mariano Díaz, Ex-Frankfurter Luka Jović oder Marcelo kamen selten wirklich zum Zug. Auch deshalb erwartet Jiménez, dass Real Madrid Liverpool nicht ähnlich pressen wird, wie es Manchester City oder Villarreal getan haben. „Liverpool ist ein physisch starkes Team. Also, glaube ich, Real Madrid wird abwartend spielen, wie in einem Schachspiel. Das ist in dieser Saison üblich, weil sich Real Madrid wohler fühlt, abzuwarten, bis der Gegner einen Fehler macht. Aber wenn das passiert, sind sie tödlicher als der weiße Hai.“

Champions League Liverpool FC Real Madrid CF

Photo by JAVIER SORIANO/AFP via Getty Images

Besonders waren die Überfallmomente der Madrilenen zu beobachten. Sie pressen selten wirklich durchgehend, aber wussten genau dann zuzubeißen, wenn der Gegner am verwundbarsten ist. Direkt nach dem 2:1 gegen Paris Saint-Germain nahm sich Carlo Ancelotti Fede Valverde zur Seite und gab ihm das Kommando. Die Mannschaft presste das eine Mal geschlossen extrem hoch und zwang Marquinhos so in den Fehlpass, den Karim Benzema zum 3:1 verwertete – zehn Sekunden nach dem gegnerischen Anstoß. Auch vor dem 2:1 gegen Manchester City überluden die Königlichen den Strafraum, sodass im Zentrum bei Rodrygo die Zuordnung zwischen Aymeric Laporte und Rúben Dias nicht mehr stimmte und der Brasilianer einköpfen konnte.

Nun also das Finale. Bereits 2000, damals unter Vicente del Bosque, bezwang man im Stade de France den Valencia Club de Fútbol 3:0. Wenn es nach den Madridistas geht, soll am Ort des achten Titelgewinns auch Nummer 14 folgen. „Real Madrid ist für mich das zuverlässigste Team, wenn es darum geht, Finals zu bestreiten“, meint Jiménez. Nicht zuletzt aufgrund ihrer „magischen Aura“, die ihnen in den ganzen entscheidenden Momenten der vergangenen Endspiele geholfen hat. „Sergio Ramos‘ Tor im Finale in Lissabon, die vergebenen Elfmeter von Juanfran Torres und Antoine Griezmann bei Atléticos Revanche gegen Real Madrid 2016 oder die Fehler von Loris Karius im Finale zwischen Real Madrid und Liverpool 2018. Natürlich hatte Real Madrid in all diesen Momenten auch Glück. Aber es ist unbestreitbar, dass sie fest an ihre Möglichkeiten glauben. Und was noch viel wichtiger ist: Die Gegner wissen das auch.“

Prognose von Chris Williams

Ich beschäftige mich nicht nur mit Liverpool, ich bin Liverpudlian durch und durch, also werde ich natürlich „Liverpool“ sagen. Wenn sie an ihrem absoluten Maximum spielen, haben sie die Chance, Real Madrid wegzuhauen, ähnlich wie Manchester City es im Etihad getan hat. Die echte Prüfung ist aber, dass ein 2:0 gegen dieses Real keinen Wert hat, vielleicht sogar eine Drei-Tore-Führung. Sie haben ihre mentale Stärke durch die gesamte K.O.-Runde hinweg gezeigt. Liverpool muss in Paris das perfekte Spiel spielen. Wenn sie das allerdings tun, wird die Trophäe am Sonntagmorgen im Flugzeug Richtung John Lennon Airport sein.

Vorraussichtliche Aufstellungen:

Liverpool FC: Alisson – Alexander-Arnold, J. Matip, van Dijk, Robertson – Fabinho, Henderson, Keïta – Salah, Mané, Luis Díaz

Real Madrid C.F.: Courtois – Carvajal, Éder Militão, Alaba, F. Mendy – Casemiro, Kroos, Fede Valverde, Modrić – Vinícius Júnior, Benzema

Photo by Denis Doyle/Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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