WM Porträts | Lev Yashin – der größte Torwart aller Zeiten

3. Juni 2018 | Global News | BY David Theis

Lev Ivanovich Yashin kannten die meisten jüngeren Fußballfans wohl bestenfalls als den coolen Kerl mit der Schiebermütze aus FIFA Ultimate Team, bevor er kürzlich auf dem offiziellen Poster zur WM 2018 auftauchte. Doch „die schwarze Spinne“ war nicht nur einer der größten Sportler der Sowjetunion, sondern ist bis heute einer der einflussreichsten Torhüter überhaupt. Zeit für eine überschwängliche Würdigung des Mannes, der mit Fug und Recht als geistiger Vater von Manuel Neuer bezeichnet werden darf. 

Die Anfänge

Yashin wurde am 22. Oktober 1929 in Russlands Fußballhauptstadt Moskau geboren. Die Leidenschaft für den Sport, der ihn später unsterblich machte, sollte jedoch eine gewisse Zeit brauchen, um an die Oberfläche zu kommen. So war Eishockey die erste Liebe des vielseitig interessierten Yashin, der schon früh auch im Schach, Fechten, Tennis und Basketball seine geistigen und körperlichen Reflexe trainierte.
Wie viele junge Sowjet-Bürger wurde auch Yashin früh in den Armeedienst gezwungen und arbeitete zunächst (im Alter von 12 Jahren) in einer Fabrik für Flugzeugmotoren schuften musste. 1947 dann wurde er in den Armeedienst eingezogen – ein unerwarteter Glücksfall für den damals 19-jährigen, der bereits einige Jahre in verschiedenen Werksteams Fußball gespielt hatte. Denn auch in der Luftwaffe spielte Yashin Fußball – und wurde entdeckt. Nachdem er sich kurz darauf Dynamo Moskau anschloss, wurde er von seinem ersten großen Trainer, Arkadi Tschernyschow, entscheidend gefördert. Damals spielte die heutige Torwartlegende nämlich noch Stürmer und hatte Glück, dass Tschernyschow aufgrund seiner herausragenden Reflexe einen anderen Plan für ihn hatte…

Vereinskarriere

Yashin spielte – auch das ist ein klassische „Stoff, aus dem Legenden sind“ – nur für einen einzigen (Fußball-)Verein: Dynamo Moskau. 20 Jahre (1950-1970) und 326 Spiele stehen zu Buche. Da Yashin trotz seines unbestrittenen Talents jedoch eine gewisse Anlaufzeit auf der neuerlernten Torhüterposition benötigte und zunächst mit der Reservebank Vorlieb nehmen musste, suchte das „Arbeitstier“ (Zitat: seine Frau, Valentina Yashina) sich einen Zweitjob: Im Sommer Reserve-Torwart beim Fußball, im Winter erste Wahl zwischen den Pfosten des benachbarten Moskauer Eishockey-Teams „HK Dynamo“, wo er 1953 den UdSSR Eishockey-Cup gewann. Im selben Jahr zahlte sich seine Hartnäckigkeit auch im Fußball endlich aus: Yashin etablierte sich im Tor und war fortan eine feste Größe. Er gewann mit seinem Herzensverein 5x die UdSSR-Meisterschaft und 3x den Pokal – Dynamo stieg somit neben dem Lokalrivalen Sparta Moskau zur erfolgreichsten sowjetischen Mannschaft der 50er-Jahre auf. Eine Berufung ins Nationalteam ließ daher nicht lange auf sich warten: Yashin debütierte 1954.

Internationale Karriere

Da seine Vereinskarriere hinter dem eisernen Vorhang stattfand, waren die 78 Spiele im Nationalteam wohl noch wichtiger für Yashins internationale Anerkennung, als seine Führungsrolle bei Dynamo. So trat der laut IFFHS beste Keepers des 20. Jahrhunderts 1956 zum ersten mal groß in Erscheinung, als das UdSSR-Team die Goldmedaille bei den olympischen Spielen gewann. Auch 1958 ließen Yashins Leistungen aufhorchen: Bei der WM in Schweden war er der beste Mann seines Teams: Die schwarze Spinne etablierte einen völlig neuen Torhüter-Stil und wurde nach einem überragenden Viertelfinale gegen Brasilien (mit Zagallo, Pelé und Garrincha) trotz der unabwendbaren 0:2 Niederlage in die Elf des Turniers gewählt. Gleich 1960 folgte jedoch sein größter Erfolg: Die Sowjet-Mannschaft siegte bei der neu-installierten Fußball-Europameisterschaft – wiederum mit Yashin als bestem Spieler. Zwei Nominierungen für den Ballon d’Or (1960 & 1961) waren die Folge. So waren die Erwartungen an das UdSSR-Team bei der WM 1962 denkbar hoch, doch sie markierte den ersten Rückschlag in Yashins Karriere (und sollte ihn später noch stärker machen): Nach zwei Gehirnerschütterungen (die damals nicht in Auswechslungen und Verletzungspausen resultierten) zeigte Yashin einige ungewöhnliche Fehler, die unter anderem in einem 4:4 gegen Kolumbien gipfelten – nachdem man zwischenzeitlich mit 4:1 führte. Zwar erreichte sein Team wieder das Viertelfinale, wo man (auch wegen Yashins überragenden Paraden) mit nur 1:2 gegen Chile ausschied – doch Yashin stand nun plötzlich in der Kritik.

Photo Credit: Kroon, Ron / Anefo – Nationaal Archief, Den Haag

Diese war (vor allem, aber nicht nur) in der Heimat so hart, dass Russlands größter Fußballer aller Zeiten alsbald ans Aufhören dachte. Doch ausgerechnet ein Freundschaftsspiel für eine Weltauswahl (anlässlich des 100. Jubiläums der englischen FA) sollte seine Meinung ändern: Yashin hielt gegen ein englisches Team um Moore und Charlton so spektakulär gut, dass er mit Lob überschüttet und fortan wieder (positiv) in aller Mund war. Seine charakteristische Schiebermütze also nicht an den Nagel zu hängen, war rückblickend betrachtet eine gute Entscheidung: Im selben Jahr wurde er mit dem Ballon d’or geehrt – und bleibt bis heute der einzige Keeper, dem diese Ehre zuteil wurde.
What kind of a goalkeeper is the one who is not tormented by the goal he has allowed? He must be tormented! And if he is calm, that means the end. No matter what he had in the past, he has no future.
Bei der drei Jahre später folgenden WM 1966 steigerte sich das Sowjet-Team um Yashin nochmals und erreichte die beste Platzierung seiner Geschichte: Ein vierter Platz, der natürlich auch dank seines überragenden Torhüters zustande kam. 1970 trat der gealterte Yashin ein letztes Mal als Ersatztorhüter und Spielertrainer bei einem großen Turnier in Erscheinung – erneut erreichte die Sowjetunion das Viertelfinale. Somit ging die Ära Yashin als eine der erfolgreichsten in die Geschichte des osteuropäischen Sports ein.

Nachwirkungen

Es sind jedoch nicht seine Erfolg im Nationalteam oder bei Dynamo Moskau, die Yachin so wichtig für den Weltfußball machen. Vielmehr war es der unverwechselbare, nie dagewesene Stil, den er prägte: So wird die schwarze Spinne (basierend auf seinem pechschwarzen Torwarttrikot sowie Aussagen seiner Gegner, dieser Manns scheine „sechs Arme“ zu haben) noch heute als der erste „Sweeper Keeper“ gehandelt, einer Gattung Torhüter, deren Exemplare man an einer Hand abzählen kann und deren Spiel so schwer ist, dass nur Ausnahmetalente es zu meistern verstehen: Yashin war, 50 Jahre bevor Manuel Neuer es ihm gleichtun sollte, der ersten Keeper, der regelmäßig sein Tor verließ, um heranstürmenden Gegnern den Ball abzujagen, Flanken abzufangen und das Spiel aufzubauen. Auch die Rolle des Defensiv-Organisators, der seiner Abwehr Positionsbefehle zuruft und sie bei der Standard-Zuordnung dirigiert, geht maßgeblich auf Yashin zurück, der neben seiner sportlichen Brillanz eine geborene Führungspersönlichkeit verkörperte.  Ebenso gilt der schnelle weite Einwurf zum Einleiten eines Konters als eine Erfindung der russischen Ikone. Dass Yashin gleichzeitig der Weltbeste auf der Linie war, verdeutlich, um welch ein außergewöhnliches Talent es bei ihm handelte. So hieß der heutige „Goldene Handschuh“ für den Welttorhüter des Jahres noch bis 2010 „Lev-Yashin-Preis“.

Nach der Karriere

Yashins Stellenwert für seine Nation sollte sich auch nach seiner Karriere nicht kaum verändern. Noch kurz vor der Fußballrente (als einziger seiner Zunft) mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet, bekleidete er schon kurz nach seiner Karriere diverse offizielle Ämter bei sowohl „seinem“ Club, als auch als Vize-Vorsitzender des sowjetischen Fußballverbandes.

David Theis

War schon ein Fußball-Nerd bevor es Laptops gab. Schläft mit einer Ausgabe von "Der Schlüssel zum Spiel" unterm Kopfkissen. Seit 2017 bei 90PLUS.