Pragmatismus statt Ideologie: HSV mit Baumgart-Ball zurück in die Bundesliga?

6. März 2024 | News | BY Philipp Overhoff

Der HSV befindet sich im mittlerweile sechsten Zweitligajahr und muss erneut um die Rückkehr ins Oberhaus zittern. Neu-Coach Steffen Baumgart wurde verpflichtet, um den ehemaligen „Dino“ zurück ins gelobte Land zu führen.

HSV: Baumgart-Start verläuft durchwachsen

Der vergangene Sonntag dürfte allen HSV-Fans wie ein alljährlich wiederkehrendes Déjà-vu vorgekommen sein. Nahezu die komplette Konkurrenz spielt für einen, während man es selbst vor heimischer Kulisse mit dem abgeschlagenen Tabellenletzten zu tun bekommt. Dazu lachte die Frühlingssonne über Hamburg, es war also alles angerichtet für einen perfekten hanseatischen Fußball-Sonntag.



Doch was sich von 13.30 Uhr bis 15.30 Uhr ereignete, war mal wieder so richtig HSV-like. Die Rothosen boten ihren Anhängern eine absolut enttäuschende Leistung und verloren durch ein Last-Minute-Gegentor mit 1:2 gegen den VfL Osnabrück, das ganze auch noch in Überzahl. Die Patzer der Konkurrenz wurden nicht genutzt, der Sprung auf den zweiten Tabellenplatz verpasst. Im erst zweiten Spiel unter Steffen Baumgart muss der Traditionsklub aus dem Norden bereits den ersten Dämpfer hinnehmen.

Der richtige Mann für den Aufstieg?

Der Auftritt gegen die Lila-Weißen verwischte die eigentlich positiven Eindrücke aus dem Baumgart-Debüt eine Woche zuvor. Gegen den SV Elversberg gewann der HSV auf den ersten Blick unspektakulär mit 1:0, zeigte jedoch genau das, was viele Anhänger unter Tim Walter schmerzlich vermissten. Eine konservativere Spielanlage, weniger Risiko und vor allem: ein Sieg zu null.

Vier Spiele absolvierte der frühere Dino in diesem Jahr unter Walter, in diesen hagelte es insgesamt satte neun Gegentreffer. Bezeichnend waren die zwei aufeinanderfolgenden 3:4-Heimniederlagen, die man gegen den Karlsruher SC und Hannover 96 einstecken musste. Auch Interimstrainer und Walter-Assistent Merlin Polzin bekam den Laden nicht dicht und spielte bei Hansa Rostock nur 2:2.

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

Daher entschied sich die Klubführung für Steffen Baumgart und beorderte den talentierten Polzin nach nur einer Partie zurück ins zweite Glied. In HSV-Kreisen erntete diese Verpflichtung ein überwiegend positives Echo. Auch wenn die kernige Art und das Auftreten des Trainers vielleicht nicht jedem zusagt, so waren sich doch die meisten Anhänger einig: Steffen Baumgart ist der richtige Mann für den Saison-Endspurt und sollte dazu in der Lage sein, den HSV wieder dahinzuführen, wo er eigentlich hingehört.

Auch wenn sich Tim Walter in Hamburg einer großen Beliebtheit erfreute, lautete die allgemeine Meinung, dass eine Trennung nach über zweieinhalb Jahren notwendig war. Die Gegentor-Flut, die sich stets wiederholenden Aussetzer gegen kleinere Teams und die mangelnde taktische Flexibilität des Übungsleiters brachten die Zuschauer im Volksparkstadion zunehmend zur Weißglut.

Baumgart bricht mit der Idee seines Vorgängers

Die neue Devise schien also klar. Baumgart-Ball statt Walterball. Mehr Kontrolle statt maximalem Risiko. Höhere taktische Flexibilität statt sturem Festhalten am eigenen System. Kurz gesagt: Pragmatismus statt Ideologie. Die „Wir bleiben bei uns“-Attitüde von Walter sollte der Vergangenheit angehören, der lang ersehnte Wiederaufstieg dagegen mit Vernunft und Ergebnisorientierung erreicht werden.

Nach dem Sieg gegen Elversberg sahen sich vor allem die langjährigen Walter-Kritiker in der hanseatischen Fan-Gemeinde bestätigt. Das Duell gegen die Saarländer gewann der HSV mit einem deutlich konservativeren Spielansatz. Der Ballbesitzanteil, der über die Spielzeit hinweg bei durchschnittlich 56 Prozent liegt, betrug gegen den Aufsteiger nur 52 Prozent. Zudem gingen die Rothosen deutlich weniger Risiko im Spielaufbau ein und griffen immer wieder auch auf längere Bälle zurück. Ein Stilmittel, das unter Walter quasi gar nicht existierte. Die Restverteidigung agierte darüber hinaus deutlich tieferstehend als noch in den Vorwochen und erlaubte es den Elversbergern kaum, hinter die Kette zu gelangen.

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Auch das Spiel über die offensiven Flügelpositionen, ein Kernelement des Baumgart-Balls, wurde vermehrt forciert. Überspitzt formuliert gelang Baumgart und dem FC Köln vor zwei Jahren mit folgendem Muster der Einzug in die Europa Conference League: Tiefer Lauf eines Flügelspielers, der von Florian Kainz bedient wird und eine hohe Flanke auf Mittelstürmer Anthony Modeste schlägt. Das Endresultat war zumeist dasselbe, zehn seiner zwanzig Saisontore erzielte der Franzose aus der Luft.

Diesen Ansatz will der 52-Jährige auch in die HSV-Offensive integrieren. Und tatsächlich: gegen Elversberg schlug der HSV 23 Flanken, gegen Osnabrück waren es sogar 35. Verglichen mit dem Saisonschnitt von 14,38 Hereingaben pro Partie also ein gewaltiger Sprung. Auch wenn der Erfolg bisher noch ausbleibt, so erscheint das Personal dafür doch vielversprechend. Mit Robert Glatzel besitzen die Hamburger einen der besten Kopfballspieler der 2. Bundesliga, Linksverteidiger Miro Muheim wiederum dürfte einen der stärksten linken Füße des Unterhauses haben. Auch im Training nimmt das Spiel über die Außenpositionen einen Themenschwerpunkt ein, wie dieses Instagram-Video des Klubs aufzeigt.

 

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Das Zittern geht schon wieder los

Bei einem Blick auf die Tabellensituation in der 2. Bundesliga wird schnell klar, dass Niederlage gegen den VfL Osnabrück eine riesige verpasste Chance war. Mit einem Sieg wären die Hanseaten auf Rang zwei gesprungen und hätten außerdem ein Sechs-Punkte-Polster zwischen sich und Platz vier legen können. Durch den Patzer weilt der HSV nach wie vor auf dem Relegationsrang, ein Zustand, der in Hamburg angesichts der vergangenen beiden Jahre niemandem schmecken dürfte.

Baumgart wird also zwingend daran arbeiten müssen, seiner Mannschaft die ständigen Aussetzer gegen eigentlich klar unterlegene Teams abzugewöhnen. Von bisher 15 möglichen Punkten gegen die Drittliga-Aufsteiger holten die Rothosen gerade einmal vier. Eine absolute Horrorbilanz! Die 10 von 12 Zähler gegen die Bundesliga-Absteiger FC Schalke 04 und Hertha BSC stellen einen umso krasseren Kontrast dar.

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

Die defensive Entwicklung unter dem gebürtigen Rostocker macht dagegen durchaus Hoffnung. Gegen den SV Elversberg ließ der HSV nur eine Großchance des Gegners zu, gegen den VfL Osnabrück waren es zwei. Umso ärgerlicher natürlich, dass beide aus Standardsituationen resultierten und jeweils in einem Gegentor mündeten. Das im Anschluss an das Spiel unter Teilen der Anhängerschaft kursierende Mantra „Wir spielen genauso chaotisch wie unter Walter, nur dass wir jetzt auch offensiv harmlos sind“ entspricht somit nicht wirklich der Wahrheit.

Um noch eine Chance auf den direkten Aufstieg in die Bundesliga zu haben, müssen die Profis der Rothosen die Vielzahl an individuellen Fehlern aber schleunigst reduzieren. Beide Gegentore gegen Osnabrück resultierten aus Momenten der Unaufmerksamkeit und hätten durch kein Spielsystem der Welt verhindert werden können. Auf Baumgart und den HSV wartet im Saison-Endspurt also noch viel Arbeit, trotz vielversprechender Ansätze ist die Zwischenbilanz nach zwei gemeinsamen Spielen noch durchwachsen.

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

 

 


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