Die Hürden sind groß für die Eintracht, gleichwohl sind es die Probleme im eigenen Spiel. Ob der SGE ausgerechnet bei ihrer Rückkehr an einen besonderen Ort Wiedergutmachung und Wende gelingen?
Aus Barcelona berichtet Michael Bojkov
Der 14. April 2022 war ein Tag, der sich auf Lebenszeit ins Gedächtnis aller Eintracht-Fans einbrannte. Mit rund 30.000 mitgereisten Anhängern eroberten die Adler das Camp Nou, Frankfurt schlug den FC Barcelona sensationell mit 3:2 und qualifizierte sich für das Halbfinale der Europa League. Besagter Abend sollte wegweisend für den ersten internationalen Titel seit 42 Jahren werden, den die Mannschaft einen Monat später dramatisch im Elfmeterschießen von Sevilla gegen die Rangers gewann.
Dass sich Geschichte dreieinhalb Jahre später wiederholt, ist allein schon insofern illusorisch, als dass der FC Barcelona diesmal alle Hebel in Bewegung gesetzt an, um eine erneute Frankfurter Fanflut ins Camp Nou zu verhindern. 2.500 Eintracht-Anhänger passen in den Gästeblock, alle weiteren der rund 45.000 verfügbaren Tickets gehen unter strengsten Auflagen an Vereinsmitglieder der Blaugrana.

Die Eintracht muss Schleudertraumata verarbeiten
Auch sportlich gibt es herzlich wenige Argumente, die auch nur für einen Punktgewinn des Bundesligisten sprechen. Erst vor drei Tagen kam die SGE mit 0:6 in Leipzig unter die Räder. Beim Samstagabendspiel in der Red-Bull-Arena kumulierten sämtliche defensiven Unzulänglichkeiten, mit denen sich der Eintracht-Fan im Laufe der Saison schon vertraut machen musste: Von individuellen Fehlentscheidungen über mangelhaftes Lauf- und Zweikampfverhalten bis hin zu regelrechten Aussetzern sah Trainer Dino Toppmöller all das, was er eigentlich nicht mehr sehen wollte, aber schon so oft für die eigene Fehleranalyse durchkauen musste. Nnamdi Collins, Robin Koch und Co. dürften noch mit den Nachwirkungen eines Schleudertraumas in den Flieger nach Barcelona gestiegen sein.
Dort wartet nun eine der besten Offensivreihen des Weltfußballs auf die Eintracht. In dieser Saison kassierte die SGE bereits in neun Spielen mindestens drei Gegentreffer. Mit dieser Horror-Statistik und einer 0:6-Klatsche im Gepäck muss man durchaus kreativ werden bei der Frage, warum beim Tabellenführer aus Spanien nicht die nächste Abreibung folgen sollte. Eine richtige Antwort scheint selbst Trainer Toppmöller nicht zu haben, den zumindest für die teils unerklärlichen Aussetzer einiger Spieler höchstens eine Teilschuld trifft.
Toppmöllers Appell an die Spieler
„Wir müssen viel laufen und uns gegenseitig unterstützen. Das Wichtigste wird sein, mental stark zu sein, um diese Qualität auszuhalten. Wir müssen 90 Minuten lang bereit sein, zu leiden“, sagte der 45-jährige Übungsleiter, der gleichzeitig an seine Spieler appellierte, gegen eine der besten Mannschaften der Welt „Mut und Leidenschaft“ nicht zu verlieren.

Mut, mentale Stärke, Leidensfähigkeit – alles Attribute, die der Eintracht in dieser Saison aus nur teilweise erklärbaren Gründen regelmäßig abhandenkommen. Klar ist: Um im Camp Nou auch nur den Hauch einer Chance zu haben, müssen die Grundtugenden durch die Bank weg sitzen. Fehler sind praktisch verboten, anderenfalls wird Europas zweitstärkste Offensive hinter Bayern (Bayern: 64 Tore, Barca: 59) das eiskalt bestrafen.
Wo für die Eintracht die Chancen liegen
Allein am vergangenen Wochenende erzielten Lamine Yamal und Co. wieder fünf Treffer – kassierten beim 5:3-Sieg gegen Real Betis aber auch drei Stück. Liegt hier die Chance für die Eintracht? Wohl am ehesten. Denn Barca ist defensiv ebenfalls alles andere als sattelfest unterwegs. Der schmerzhafte Sommerabgang von Abwehrchef Iñigo Martínez wirkt nach, in Ronald Araújo fehlt aktuell ein weiterer wichtiger Verteidiger wegen mentaler Probleme. Der 18-jährige Pau Cubarsí ist eines der größten Innenverteidiger-Talente und für sein junges Alter schon unheimlich reif, aber eben auch nicht fehlerfrei – genau wie seine anderen Teamkollegen in der Hintermannschaft. Die Katalanen laufen mit ihrem hohen Pressing immer wieder ins offene Messer, hinten passen häufig Absicherung und Zuordnung nicht.
Frankfurter Fragezeichen in der Offensive
Jonathan Burkardt wäre mit seinem Tempo und dem Riecher für die richtigen Räume prädestiniert dafür, Barca an der Stelle wehzutun. Das Problem: Der Sommerneuzugang fehlt noch bis zum Jahresende aufgrund einer Wadenverletzung. Genau wie Michy Batshuayi, der vorletztes Wochenende mit seinem ersten Saisontreffer für den späten Punktgewinn gegen Wolfsburg sorgte, sich dann aber in Leipzig einen Mittelfußbruch zuzog — auch das kam am Samstag also noch dazu. Weil Toppmöller die Optionen fehlen, spricht vieles für den rechtzeitig wiedergenesenen Ansgar Knauff in der Spitze. Der 23-Jährige ist zwar beileibe kein Mittelstürmer, brächte aber immerhin das nötige Tempo mit, um einer hochstehenden Barca-Viererkette in den entscheidenden Momenten wehzutun. Bedient werden könnte er zumindest im späteren Spielverlauf von Can Uzun, dem nach einer mehrwöchigen Oberschenkelverletzung Einsatzminuten als Joker winken.

Für Toppmöller geht es auch um die eigene Zukunft
Ohnehin ist jeder fitte Spieler so etwas wie ein Segen für Toppmöller, der dieser Tage mangels Optionen besonders im Sturm kreativ werden und damit auch für die unzureichende Kaderplanung seiner Vorgesetzten mitbezahlen muss. Dass es dabei auch um seinen eigenen Job geht, lässt den früheren Assistenztrainer von Julian Nagelsmann zumindest in der Öffentlichkeit kalt. „Als Profisportler oder Trainer musst du diese Geräusche immer mal wieder ausblenden“, versuchte Toppmöller die aufkeimenden Unruhen rund um seine Person zu bändigen. „Der Fokus liegt auf meiner Mannschaft und auf dem, was wir in der Hand haben. Für mich ist wichtig, dass das gleiche Feuer brennt und die gleiche Leidenschaft da ist, diesen Weg zu gehen.“
Ob mit Feuer und Leidenschaft auch der nächste Coup im Camp Nou gelingt? Klar ist: Zu einer erneuten Überraschung historischen Ausmaßes wird es diesmal kaum kommen. Angesichts der aktuellen Gemengelage wäre aber ohnehin auch schon ein Achtungserfolg der Eintracht Balsam für die vielen Wunden der Vorwochen.

