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Der FC Bayern vor dem Saisonstart: Von wegen Euphorie

17. August 2023 | Trending | BY Manuel Behlert

Eine neue Saison, neue Stars, eine gute Vorbereitung und gute Laune. Es hätte alles so schön sein können beim FC Bayern. Nachdem die schwierige Endphase der vergangenen Spielzeit „nur“ in einem Titel resultierte und dem Klub viele Hausaufgaben mit auf den Weg in die Sommerpause gab. Die Realität sieht aber etwas anders aus. 

Es war Anfang April 2023, als Thomas Tuchel (49) nach seinem ersten Spiel als Trainer des FC Bayern gegen den BVB (4:2) analysierte, dass noch viel Arbeit auf ihn wartet. Der Rekormeister sei „oft zu fahrig“ gewesen, man wolle „mehr Kontrolle und Dominanz“ ausstrahlen, so der Übungsleiter. Wohlwissend, dass Konzentration zu Präzision führt, diese Präzision zu besseren Chancen und höherer Kontrolle. Doch einfach an zwei, drei Hebeln zu drehen und die Dinge in die richtige Richtung zu lenken, so einfach funktioniert Fußball nicht. Schon gar nicht beim FC Bayern.



FC Bayern: Eine Transferphase als Lösungsansatz

Während der Rückrunde der Vorsaison, als der FC Bayern mit Tuchel an der Seitenlinie im DFB-Pokal und in der Königsklasse die Segel streichen musste, erkannte der Coach bereits, dass der Kader für seinen Ansatz nicht ideal besetzt ist. Schnell wurden in München einige Planstellen klar und offen benannt. Die Suche nach einem Neuner, einem echten Ersatz für Robert Lewandowski (35), der 2022 schon zum FC Barcelona wechselte, wurde intensiviert. Bayern schoss zwar viele Tore, aber die Highlight-Spiele verschönerten die Statistik, während die Offensive in anderen Partien zu blass blieb. Mangelnde Präzision, schlechte Entscheidungen: Der Rekordmeister ließ viele Möglichkeiten liegen.

Überdies wackelte die Defensive mitunter. Abstimmungsprobleme, individuelle Fehler, Unkonzentriertheiten, die zu Elfmetern für den Gegner führten, Lücken im Zentrum mangels klassischem Sechser: Die Mängelliste war lang. Einen Spieler, der Zweikampfstärke, Gegenpressing und fußballerische Elemente vereint gab es seit Thiago (32) nicht mehr. Der Offensive, so mahnten einige Kritiker, mangele es zudem an einem weiteren Spieler, der spielmachende Elemente einbringt. Viele schnelle, dynamische Athleten standen und stehen noch immer im Aufgebot. Spieler, die ihre größten Stärken in engen Räumen haben, sind Mangelware.

Bayern Bundesliga

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Es ist schon fast kurios, dass die ersten beiden Spieler, die der Rekordmeister im Sommer verpflichtete, keine der Baustellen vollumfänglich beheben werden. Konrad Laimer (26) ist ein giftiger, laufstarker Mittelfeldspieler, aber im Gesamtpaket eben nicht die „6“, die essenziell für das Spiel des FCB wäre. Und Raphael Guerreiro (29) soll als Universalbackup gleich mehrere Positionen abdecken. Beide waren ablösefrei, was immerhin Ressourcen schonte. Und diese brauchte der Rekordmeister auch.  Zuvor ergab sich aber noch eine andere Baustelle, denn Lucas Hernandez (27) wollte den Klub verlassen. Ihn konnte der Rekordmeister ohne finanziellen Mehraufwand 1:1 durch Min-jae Kim (26) ersetzen.

Der Königstransfer wurde erst eine Woche vor dem Start der Bundesliga bekannt gegeben: Harry Kane (30) soll für die Tore sorgen, der Abschlussspieler sein, der eben nicht den einen Schnörkel zu viel an den Angriff hängt. Für diesen Deal feierten sich die Verantwortlichen zurecht. Doch kurz vor dem Saisonstart bleibt zu konstatieren, dass der Kader immer noch unrund ist. Manuel Neuer (37) wird noch lange nicht spielen können, ein Ersatz fehlt. Das Werben um Kyle Walker (33) blieb erfolglos. Und ein 6er ist momentan auch noch nicht in Sicht. Statt einer Lösung ist das Transferfenster bisher eher ein Ansatz.

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Zu viele Bayern-Baustellen vor Saisonstart

Die Vorbereitung sollte dazu dienen, die im Saisonendspurt identifizierten Probleme zu beheben. Bayern wirkte dort nicht entschlossen genug, das Aufbauspiel war zuweilen hektisch, nach Gegentoren brach das Team mental wie physisch immer wieder ein. Tuchel musste viele Gespräche führen, Basisarbeit leisten. In den Tests gegen Manchester City (1:2), Liverpool (4:3) und Monaco (4:2) wechselten sich gute und schwächere Phasen ab, aber es war sukzessive ein kleiner Fortschritt zu erkennen. Allerdings noch immer durchzogen von den gleichen Problemfaktoren, die in der Endphase der Vorsaison beinahe zu einem kompletten Desaster führten.

Leroy Sané (27) und Jamal Musiala (20) sorgten für spielerische Highlights in den Vorbereitungsspielen, Serge Gnabry (27) wirkte deutlich spritziger, Mathys Tel (18) ließ zwar viele Chancen liegen, war dafür aber extrem gut in das Spiel eingebunden. Die Offensive, so wirkt es aktuell, würde von der Geradlinigkeit eines Kane und der Pressingqualität eines Thomas Müller (33), der verletzungsbedingt pausieren musste, sehr profitieren und wohl auch direkt ein neues Level erreichen. Damit sind die Baustellen aber nur in der Vorwärtsbewegung behoben.

Müller FC Bayern

(Photo by Leonhard Simon/Getty Images)

Die Rückwärtsbewegung ist aber das, was massive Sorgen bereitet. Neuzugang Kim konnte sich noch nicht mit dem bevorzugten Partner Matthijs de Ligt (24) einspielen, Abgangskandidat Pavard wirkte zuletzt unkonzentriert und das Mittelfeldzentrum wurde, völlig egal in welcher Besetzung, nicht selten überrannt. Verlor der FC Bayern im Supercup gegen Leipzig beispielsweise den Ball, hatte RB prompt eine Überzahl, wenn das Spiel schnell gemacht wurde. Die Mischung aus hohem Verteidigen mit Risiko und Kontrolle, aber gleichzeitig guter Balance, sie ist noch nicht ausgewogen.

Ein defensiver Mittelfeldspieler und ein Torhüter, der im Aufbau auch seine Qualitäten hat, würden den FC Bayern extrem weiterbringen. Doch auch in der aktuellen Besetzung sollte der Rekordmeister schon weiter sein, wacher verteidigen können. Bleibt zu hoffen, dass der Trainer derart viel Basisarbeit leisten musste, dass einzelne Spielelemente zwar schon nach dessen Wunsch umgesetzt werden, die Verbindung zwischen den einzelnen Komponenten aber noch fehlt.

Tuchel hadert, statt Euphorie droht Unruhe

Die gute Nachricht ist, dass das für den ein oder anderen Aspekt zutrifft. Es gab Sequenzen, in denen Bayern schneller, geradliniger und präziser aufbaute. Und es gab gute Reaktionen auf Gegentore, zudem sehr, sehr viele Chancen. Aber: Nach dem Supercup-Spiel monierte Tuchel in einem drastischen wie deutlichen Interview, dass er keinen Ansatz habe, warum die Mannschaft sehr gut vorbereitet in das Spiel geht, viele Dinge vorab richtig umsetzt, diese aber nicht auf den Platz bringt.

„Ich habe keine Lösung. Ich bin konsterniert und extrem enttäuscht. Es war nicht mehr zu erkennen, was wir spielen wollten, als hätten wir die letzten Wochen nicht trainiert“, so der 49-Jährige nach dem 0:3 gegen die quirligen Leipziger. „Wenn ich uns gegen Liverpool, City oder Monaco sehe, mit welcher Bereitschaft, Spielfreude und Form wir spielen — das hat nichts damit zu tun, was wir heute gezeigt haben“, analysierte Tuchel weiter. Dienten diese Aussagen als Wachrüttler? Oder steckt noch mehr dahinter?

Diese Fragen gilt es in den ersten Spielen der Saison zu beantworten. Vor der ersten Länderspielphase, die schon Anfang September stattfindet, heißen die Gegner Werder Bremen, FC Augsburg und Borussia Mönchengladbach. Neun Punkte sind eigentlich Pflicht, sieben das Minimum. Bisher sieht es nicht so aus, als würde der Rekordmeister am Freitagabend euphorisch und voller Zuversicht in das Auftaktspiel gehen, sondern eher mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass die Unruhe größer wird, sollte kein überzeugender Sieg gelingen.

Selten war ein Saisonstart im Gesamtpaket so wichtig. Für die Spieler, für den Trainer, für den Klub. Der FC Bayern will die Bundesliga wieder dominieren, doch die Konkurrenz schläft nicht. Und nach dem Supercup würden die ersten Siege nicht für Heiterkeit sondern zunächst einmal für Erleichterung sorgen. Der Weg ist also noch weit.

(Photo by Daniel Kopatsch/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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