Bundesliga | „Tuchels Verpflichtung ist ein Vabanquespiel“ – Das Expertenpanel zum Spitzenspiel und dem Titelrennen

Daniel Pinder: Erstmal, denke ich, dass der Schock uns alle überrascht hat. Julian Nagelsmann ist so ziemlich der beste junge Trainer im Fußball und Bayern hat viel Geld bezahlt, um ihn zu bekommen. Und um ehrlich zu sein, hat er seinen Job nicht allzu schlecht gemacht. Die zehnte Meisterschaft am Stück, ein Punkt hinter Borussia Dortmund und eine herausragende Bilanz in der Champions League (Acht Siege aus acht Spielen mit lediglich zwei Gegentoren, Anm. d. Red.), insbesondere, wenn man bedenkt, gegen welche Teams sie gespielt haben. Also muss das für Bayern und die Bosse schon mal funktionieren. Der Champions-League-Titel ist natürlich das große Ziel und Tuchel hat sie bereits mit Chelsea gewonnen. Sie werden auf eine Wiederholung hoffen. Vielleicht ist es ein Vorteil, dass Tuchel weiß, wie man sie gewinnt, aber insgesamt glaube ich, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen. Es ist ein Vabanquespiel, Nagelsmann zu ersetzen und es muss sich lohnen.

Jannek Ringen: Ein klarer Vorteil ist, dass sich jeder Spieler unter dem neuen Trainer beweisen muss und auch beweisen will. Das bietet einigen Spielern neue Chancen und könnte zu deutlichen Leistungssteigerungen führen. Außerdem hat Tuchel deutlich mehr Erfahrungen mit Top-Mannschaften als Nagelsmann. Ein Nachteil ist sicher die Unruhe, die durch den überraschenden Wechsel entsteht. Sollten die Ergebnisse gerade zu Anfang in der heißen Phase ausbleiben, könnten ganz schnell interne Probleme aufkommen.

90PLUS: Welche Schwierigkeiten könnte es für Edin Terzic in der Vorbereitung auf das Spiel geben, wenn man bedenkt, dass noch nicht bekannt ist, wie und wen Thomas Tuchel spielen lassen wird?

PB: Ich glaube nicht, dass Terzic sich allzu viele Gedanken machen wird, wen Tuchel aufstellen wird. Er kennt die Bayern-Spieler und ihre Stärken gut genug. Ich denke, er wird sich eher auf das Dortmunder Spiel im Vorfeld der Partie am Samstag konzentrieren.

Photo by Christof Koepsel/Getty Images

DP: Tuchel hat während seiner Zeit bei Chelsea größtenteils mit einer Fünferkette gespielt und da Bayern unter Julian Nagelsmann seit Jahreswechsel ähnlich gespielt hat, sollten wir etwas in diese Richtung erwarten – wahrscheinlich Pavard, Upamecano und De Ligt mit Davies und Coman als wingbacks. Also, ich glaube nicht, dass es allzu große Veränderungen geben wird. Choupo-Moting ist auch zurück im Training und Tuchel hat mit ihm bereits in der Vergangenheit bei zwei verschiedenen Klubs gearbeitet (Mainz 05 und Paris Saint-Germain. Anm. d. Red.). Taktisch und personell wird Tuchel in den ersten Wochen wahrscheinlich nicht viel verändern, also könnte das Terzic in die Karten spielen.

JR: Vor allem Bayerns Kader bietet natürlich unterschiedliche Grundordnungen und Ausrichtungen an. Tuchel könnte eine Dreierkette, wie zuletzt auch beim FC Chelsea, spielen lassen, allerdings ist auch eine Viererkette möglich. Alleine durch die Personalie Cancelo kann sich das Spiel um so viele Facetten erweitern. Ein Problem, welches Terzic oft nachgesagt wird, ist dass er kein guter In-Game-Trainer sein soll und Problem mit Umstellung während der Partie hat. Durch die Flexibilität des Bayern Kaders und die Unwissenheit über den Spielstil unter Tuchel wird gerade dies eine besondere Aufgabe für ihn.

„Denke, dass Tuchel die Spieler auf seine Seite bekommen wird“

90PLUS: Inwiefern könnte Dortmund einen Vorteil daraus ziehen, dass Thomas Tuchel die Mannschaft noch für sich gewinnen muss, da Julian Nagelsmann und Dino Toppmöller sehr beliebt im Team waren?

PB: Gar nicht, um ehrlich zu sein. Julian Nagelsmann und Dino Toppmöller hatten auch Kritiker innerhalb des Kaders. Kein Spieler will es verpassen, sich gegen den großen Rivalen zu beweisen. Der „Kennenlernaspekt“ nach Tuchels Verpflichtung wird sich über den nächsten Monat ergeben. Jetzt liegt die gesamte Konzentration eher auf diesem Wochenende.

DP: Joshua Kimmich hat sich kürzlich öffentlich hinter Nagelsmann gestellt, genauso wie João Cancelo und ich denke, das zeigt, was Nagelsmann im Begriff war, bei Bayern aufzubauen. Es scheinen die älteren Spieler gewesen zu sein (Neuer und Müller), die auf eine Veränderung gedrängt haben, besonders rund um die Entlassung von Toni Tapalović und das ganze Debakel drumherum. Natürlich ist Tuchel ein Trainer mit einem hohen Ansehen und kommt mit einer gewissen Erfahrung, also denke ich, dass er die Spieler bestimmt auf seine Seite bekommen wird. Ich glaube nur, dass die Entlassung von Nagelsmann ein Schock für viele war.

JR: In erster Linie wissen viele Spieler aktuell noch nicht wo sie im Kader stehen. Dies kann natürlich ein Vorteil sein, da jeder bis zu den Haarspitzen motiviert sein wird, allerdings birgt dies auch die Gefahr des Verlusts an Selbstbewusstsein. Mit Sicherheit beschäftigt es den ein oder anderen Spieler mehr, dass Nagelsmann und sein Trainerteam gehen mussten, allerdings denke ich auch, dass die Spieler des FC Bayern Profis sind und dies ausblenden können.

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90PLUS: Wessen Kader ist für die Restsaison besser aufgestellt?

PB: Kann ich auch beide sagen!? Sie haben beide die nötige Kaderbreite, um große Dinge zu erreichen.

MUNICH, GERMANY – MARCH 08: Thomas Mueller of FC Bayern Munich reacts to his team mate Leroy Sane during the UEFA Champions League round of 16 leg two match between FC Bayern München and Paris Saint-Germain at Allianz Arena on March 08, 2023 in Munich, Germany. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

DP: Karim Adeyemi hat einen Rückschlag erlitten, Jamie Bynoe-Gittens hat Schulterprobleme, Julian Brandt arbeitet sich seinen Weg nach Verletzung zurück, Gregor Kobel fehlte auch und Nico Schlotterbeck hat sich bei der Nationalmannschaft eine Verletzung zugezogen. Die Rückkehr von Marco Reus ist wichtig und sie haben etwas Erfahrung mit Spielern wie Emre Can, Niklas Süle und Mats Hummels, die alle wissen, was man tun muss, um zu gewinnen. Bayern war währenddessen nicht in Topform, aber sie haben, vor dem Spiel in Leverkusen, die Ergebnisse eingefahren. Sie kennen die Mentalität, die es braucht, um solche Titel zu gewinnen und werden Dortmund bis zum Ende herausfordern.

JR: Kadertechnisch ist der FC Bayern besser aufgestellt als der BVB, obwohl die Dortmund ihren Kader in dieser Saison gut verstärkt haben. In der Offensive kann Tuchel zwischen so vielen Spielern, die an guten Tagen das Potenzial zur Weltklasse haben, wählen. Dieses Potenzial haben beim BVB die wenigsten.

„Mainz und Köln könnten eine große Rolle im Titelrennen spielen“

90PLUS: Der FC Bayern spielt noch in allen drei Wettbewerben, dafür aber zuhause gegen Dortmund. Der BVB hat bis Saisonende ein Heimspiel mehr. Wie beurteilt ihr das jeweilige Restprogramm der beiden Titelkandidaten?

PB: Wie immer, geht es in der Bundesliga hauptsächlich darum, konstant zu sein. Heimspiele sind ein Vorteil, aber es gibt immer Stolperfallen: Dortmund auswärts in Augsburg am 33. Spieltag. Bayern in Mainz am 29. Spieltag könnte auch ungemütlich werden. Bayern wird alles daran setzen, ein weiteres Triple zu holen, also könnten Müdigkeit und Rotation gegen Ende der Saison eine Rolle spielen.

Photo by Alex Grimm/Getty Images

DP: FC Bayern gegen Borussia Dortmund ist natürlich das große Spiel und das Ergebnis wird einige Auswirkungen haben, wer die Meisterschaft holen wird. Dortmund wird gegen Union Berlin nicht zweimal denselben Fehler machen (Hinspiel an der alten Försterei: 2:0 für Union, Anm. d. Red.) und sie haben vorteilhafte Spiele gegen Stuttgart, Bochum, Augsburg und Mainz. Bayern muss derweil nach dem Dortmund-Spiel nach Freiburg, aber sie haben zum Saisonende schwierige Spiele gegen Schalke, Leipzig und in Köln. Das mag zwar auf dem Papier nicht schwierig aussehen, aber Schalke zeigt sich verbessert, Leipzig ist immer gefährlich und Köln hatte schon einige gute Momente gegen Bayern.

JR: Der BVB hat von den Top-Teams nur noch Spiele gegen Union und Frankfurt. Fünf der letzten acht Spiele sind zuhause, auswärts geht’s nach Stuttgart, Bochum und Augsburg. Bayern bekommt es noch mit Freiburg und Leipzig zutun. In Anbetracht, dass die Bayern gegen City und in einem möglichen Halbfinale einiges an Körner lassen könnten und dass der BVB noch fünf Heimspiele hat, würde ich das Schlussprogramm als einen leichten Vorteil für die Dortmunder sehen. Ich glaube, dass einige Mannschaften, die kurz vor Ende der Saison noch im Abstiegskampf stehen, entscheidend ins Titelrennen eingreifen werden.

90PLUS: Könnte ich euch bitten, das Restprogramm der beiden Teams durchzutippen?

PB: Wenn ich die Antworten darauf kennen würde, wäre ich reich! Lasst uns sagen, dass beide, von neun Spielen sechs bis sieben gewinnen werden, ein paar remis spielen oder ein bis zwei verlieren könnten. In anderen Worten, glaube ich, dass es bis zum letzten Spieltag spannend bleiben wird und Mainz sowie Köln eine große Rolle spielen könnten, wer am letzten Spieltag den Titel gewinnt.

DP:
Bayern 1:2 Dortmund
Dortmund 2:0 Union Berlin
Stuttgart 0:3 Dortmund
Dortmund 3:1 Bochum
Dortmund 1:2 Frankfurt
Dortmund 1:1 Wolfsburg
Dortmund 2:1 Gladbach
Augsburg 1:3 Dortmund
Dortmund 2:0 Mainz

Bayern 1:2 Dortmund
Freiburg 1:1 Bayern
Bayern 3:0 Hoffenheim
Mainz 1:1 Bayern
Bayern 3:1 Hertha Berlin
Bremen 0:2 Bayern
Bayern 1:1 Schalke
Bayern 2:3 Leipzig
Köln 1:2 Bayern

JR:
Bayern 2:1 Dortmund
Dortmund 2:0 Union Berlin
Stuttgart 1:2 Dortmund
Dortmund 3:2 Bochum
Dortmund 2:2 Frankfurt
Dortmund 3:1 Wolfsburg
Dortmund 1:2 Gladbach
Augsburg 1:1 Dortmund
Dortmund 3:0 Mainz

Bayern 2:1 Dortmund
Freiburg 1:1 Bayern
Bayern 3:1 Hoffenheim
Mainz 2:4 Bayern
Bayern 3:0 Hertha
Bremen 1:1 Bayern
Bayern 5:0 Schalke
Bayern 2:2 Leipzig
Köln 0:3 Bayern

Photo by Adam Pretty/Getty Images

Victor Catalina