Der BVB nach dem CL-Aus gegen Tottenham: Willkommen in der Realität

6. März 2019 | News | BY Manuel Behlert

Borussia Dortmund versuchte gestern die 0:3-Hinspielniederlage gegen die Tottenham Hotspurs noch zu drehen und spielte vor allem in der ersten Halbzeit sehr druckvoll nach vorne, erspielte sich zahlreiche Torchancen. Am Ende traf der BVB aber nicht und unterlag den Spurs nach 180 Minuten insgesamt mit 0:4, der negative Trend setzt sich fort. Ein Beinbruch ist das Aus und die aktuelle Situation sicher nicht, die Lehren aus den letzten Wochen muss man aber trotzdem ziehen.

Schweben auf der Euphoriewelle

Der Saisonstart von Borussia Dortmund, nahezu die gesamte Hinrunde wurde von positiven Gefühlen begleitet, die Schwarzgelben schwebten auf einer Welle der Euphorie und des Erfolgs. Neuzugänge wie Diallo, Hakimi, Delaney und Witsel schlugen ein, die Defensive präsentierte sich stabiler, es war eine Idee erkennbar. Hinzu kamen spektakuläre Spiele, Kantersiege und Last-Minute-Erfolge, dazu schrieb Paco Alcacer als überragender Joker seine eigene Erfolgsstory. Spiele wie das 4:0 in der Champions League gegen Atletico brachten die Fans in Ekstase, die Mannschaft schlug in der Bundesliga den FC Bayern, erspielte sich einen Vorsprung, der die Fans der Dortmunder von der Meisterschaft träumen ließ.

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Der Umbruch, der nach der alles andere als zufriedenstellenden Saison 2017/18 erfolgen musste, verlief erfolgreich. Und in Dortmund betonte man häufig, dass die Transferperiode im Sommer 2018 nur der erste Schritt zur Idealisierung des Kaders sei. Zwar war in der Hinrunde nicht alles perfekt in Dortmund und in einigen Spielen wurde deutlich, dass es einiges zu verbessern gibt, aber die Spielidee passte zu den Spielern, die Neuzugänge ergaben mit den bereits vorhandenen Spielern eine homogene Einheit und die Erkenntnis reifte, das der Weg mit Favre und dem schrittweise angegangenen Umbruch genau der richtige ist.

Die Situation ändert sich binnen Wochen

Nun, Anfang März, hat sich die Lage in Dortmund etwas geändert. Von den letzten 8 Pflichtspielen konnte Borussia Dortmund nur ein einziges gewinnen, zudem schied man nicht nur in der Champions League, sondern auch im DFB-Pokal gegen Werder Bremen aus. Man kann durchaus sagen, dass der BVB mittlerweile in der Realität angekommen ist. Die Dinge laufen nicht mehr wie von alleine, Paco Alcacer trifft nicht mehr mit gefühlt jedem zweiten Ballkontakt, die Defensive produziert individuelle Fehler, die vermehrt bestraft werden und die Offensive kann den hohen Druck und die enorme Kreativität, die über weite Strecken der Hinrunde herrschte, nicht aufrecht erhalten.

Natürlich haben die schwankenden Leistungen und Resultate zum Teil auch mit Verletzungssorgen zu tun. Derzeit fehlen mit Lukasz Piszczek und Maximilian Philipp zwar „nur“ zwei Spieler, zuvor fielen aber Marco Reus und auch Manuel Akanji aus, der BVB verfügt noch nicht über den Kader um gerade in Phasen mit einer schwächeren Form derartige Ausfälle problemlos zu kompensieren. Im restlichen Saisonverlauf kann sich Borussia Dortmund nun auf die Meisterschaft konzentrieren. Der Vorsprung ist zusammengeschrumpft, beträgt aktuell nur noch 2 Tore. Vor der Länderspielpause spielt der BVB noch zuhause gegen Abstiegskandidat Stuttgart und bei der Hertha, danach stehen Duelle mit dem VfL Wolfsburg und beim FC Bayern auf dem Programm. Wie hoch die Chancen auf den Titel in der Liga sind, wird man wohl vor allem nach diesen 4 Spielen beurteilen können.

Was bedeutet die Negativspirale der letzten Wochen?

Die anhaltend durchwachsenen Resultat der letzten Wochen bedeuten vor allem, dass man bei Borussia Dortmund nicht mehr träumt, sondern wieder in der Realität angekommen ist. Jeder Punkt, jeder Sieg muss sich hart erarbeitet werden, wenn man die Chance auf die Meisterschaft noch ergreifen will. Klar ist aber auch, dass man mit solchen Saisonphasen rechnen musste. Die Mannschaft ist neu zusammengestellt, hat einen neuen Trainer und auf vielen Schlüsselpositionen spielen junge Spieler, von denen man nicht zwingend verlangen kann, dass sie 50 Spiele auf Topniveau hintereinander abrufen.

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Unglücklicherweise kamen in den letzten Wochen Verletzungen und Formschwächen von Spielern wie Hakimi, der sich ungewohnte Patzer in der Defensive leistete, zusammen. Auch Lucien Favre muss sich in den letzten Wochen durchaus etwas vorwerfen lassen, reagierte in den Spielen teilweise zu selten. Für den BVB ist diese Phase aber auch ein Erkenntnisgewinn, vor allem hinsichtlich der zukünftigen Kaderplanungen.

Wichtig für den BVB: Keine Panik!

Doch selbst wenn die Saison ohne Titel endet und Borussia Dortmund nun keine Siegesserie mit spektakulärem Fußball mehr hinlegt, kann man mit der Entwicklung zufrieden sein. Platz 2 in der Liga wäre alles, nur kein Beinbruch – und noch ist natürlich nichts entschieden. Natürlich muss man sich vor Augen halten, dass der FC Bayern in dieser Saison Schwächen zeigt, nicht auf dem Niveau der letzten Jahre spielt und es der Anspruch des BVB ist diese Chance so gut wie möglich zu ergreifen, aber eine Titelpflicht existiert in Dortmund nicht, sondern lediglich die Forderung nach einer kontinuierlichen, positiven Weiterentwicklung auf einem hohen Niveau.

Der Grundstein dafür wurde durch die Veränderungen im Kader gelegt und die Qualifikation für die Champions League ist nach aktuellem Stand auch nur noch Formsache. Trotzdem: Auch wenn man öffentlich sicher nicht das Ziel formuliert, dass man Meister werden will, gibt man sich am Ende nicht mit Platz 3 oder 4 zufrieden, wenn nach 24 Spieltagen die Tabellenführung der Stand der Dinge ist. Panik ist also unangebracht, Lösungen müssen trotzdem gefunden werden. Matthias Sammer, Berater des BVB, kritisierte zuletzt die Einstellung der Mannschaft, analyiserte, dass die letzten minimalen Prozentpunkte derzeit nicht vorhanden sind und gerade diese entscheidend sein können. Für Lucien Favre und das Trainerteam muss es nun darum gehen, dass man diese letzten Prozentpunkte wieder abrufen kann.

Auch gestern im Rückspiel der Champions League gegen Tottenham spielte Dortmund vor allem in der ersten Halbzeit sehr gut. Die Favre-Elf war gezwungen offensiv zu agieren und viel zu riskieren, nachdem man das Hinspiel vor allem in der 2. Halbzeit zu leichtfertig aus der Hand gegeben hat. Und es wäre einiges möglich gewesen am gestrigen Abend! Denn die Spurs schwammen in der Defensive, konnten mehrfach erst in letzter Sekunde oder durch eine fantastische Parade von Hugo Lloris dafür sorgen, dass es zur Pause 0:0 und nicht 1:0 oder 2:0 für Borussia Dortmund statt. Erkennbar war, dass auch gegen die Spurs das letzte Quäntchen fehlte, sei es Glück, Überzeugung oder Genauigkeit im Angriffsdrittel. Das ermöglichte den Spurs durch das noch größere Risiko des BVB den entscheidenden Angriff zu setzen und durch Kane das Auswärtstor zu erzielen. In dieser Situation wurde der Unterschied zwischen einem jungen, sich in der Entwicklung befindlichen BVB und einem abgezockten, eingespielten Team deutlich.

Die Lehren für den Sommer ziehen

Der BVB muss – und das ist ganz wichtig – am Ende der Saison die richtigen Schlüsse gehen und den Weg konsequent weitergehen. Das bedeutet, dass der Kader weiter optimiert werden muss, der favresche Spielstil weiter verfeinert werden muss. Es werden in quasi allen Mannschaftsteilen, abgesehen vom Torhüter, Veränderungen stattfinden. Junge Spieler könnten verliehen oder, wie im Falle Isak, noch einmal verliehen werden, Abgänge von Toprak, Schmelzer, Weigl oder Dahoud sind möglich, Pulisic steht als Abgang bereits fest. In der Innenverteidigung tätigte man mit Balerdi bereits einen Vorgriff auf den Sommer, ein neuer Außenverteidiger könnte kommen, ebenso ein weiterer, spielstarker Mittelfeldspieler.

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Eine große Baustelle bleibt die Offensive, die „nur“ in der Spitze gut besetzt ist. Hier herrscht Verbesserungspotenzial, denn der Abgang von Pulisic muss nicht nur kompensiert, sondern auch die Qualität erhöht werden. Namen wie Thorgan Hazard, Hakim Ziyech oder Wilfried Zaha werden genannt und unterstreichen die Ambitionen der Dortmunder sehr gut. Auch sollte man unbedingt einen weiteren Stürmer verpflichten, denn die Anfangseuphorie rund um Paco Alcacer ist erloschen, der Stürmer wartet seit geraumer Zeit auf einen Treffer und eine echte Alternative fehlt im Sturmzentrum einfach, auch wenn Mario Götze diese Rolle gut ausfüllt und Argumente für eine Vertragsverlängerung sammelte.

Welche Spieler im Endeffekt verpflichtet werden, bleibt abzuwarten. Nach dem letzten Sommer sollte man sich um den Dortmunder Transfersommer aber keine allzu großen Sorgen machen, denn neben Ideen dürften auch die finanziellen Möglichkeiten vorhanden sein um die restlichen Planstellen gut zu besetzen. Eine letzte, wichtige Aufgabe kommt außerdem auf die sportliche Führung des BVB zu, denn Jadon Sancho wird nach seiner herausragenden Saison, die er bis jetzt spielt, sicher von dem ein oder anderen Topklub umworben. Dortmund muss in diesem Sommer hart bleiben und sofort unmissverständlich signalisieren, dass der Spieler nicht zum Verkauf steht. Denn das wäre höchstwahrscheinlich ein falsches Signal.

(Photo by SASCHA SCHUERMANN / AFP) 


Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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