28. August 2004: Als Leverkusen den FC Bayern deklassierte
9. November 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert
Für Bayer 04 Leverkusen sind Spiele gegen den FC Bayern München, gerade auf des Gegners Platz, in der Vergangenheit meist kein Vergnügen gewesen. Nicht selten kam eine Bayer-Mannschaft in einer guten Verfassung und als eines der Topteams der Liga nach München, spielte naiv, nervös und verlor sang- und klanglos, egal ob in der Allianz Arena oder im altehrwürdigen Olympiastadion. Anders sah dies mitunter in Leverkusen aus.
So auch am 3. Spieltag der Bundesligasaison 2004/05, als am Samstagmittag um 15:30 Uhr noch 7 Spiele parallel stattfanden und dies der Mittelpunkt eines jeden Spieltags war. Bayer Leverkusen traf im wohl meist beachteten Spiel dieses Tages zuhause auf den FC Bayern und lieferte eine Leistung ab, die noch heute vielen im Gedächtnis eingebrannt ist.
Vorzeichen vor dem Spiel
Bayer Leverkusen wollte in der Saison 2004/05 oben mitspielen und sich für die Champions League qualifizieren. Die Werkself gehörte damals zu den regelmäßigen Teilnehmern im Europapokal und galt als spiel- und kampfstark. Zum Saisonauftakt schlug Leverkusen mit Trainer Klaus Augenthaler Hannover 96 mit 2:1, ehe man in Bochum beim 2:2 patzte. Zudem verlor Bayer noch unter der Woche mit 2:1 bei Banik Ostrau, sparte in einer nicht gerade glanzvollen Partie Kräfte, qualifizierte sich aber dank eines lockeren 5:0 im Hinspiel für die Champions League.
Der FC Bayern feierte zum Saisonauftakt einen 2:0-Sieg beim Hamburger SV, überzeugte fußballerisch über weite Strecken aber eher nicht. Das zeigte sich auch am 2. Spieltag, als zuhause gegen die Hertha nur ein 1:1 eingefahren werden konnte. Marcelinho brachte die Berliner in Führung, ehe Topstürmer Roy Makaay für den FC Bayern ausgleichen konnte. Das Spiel in Leverkusen war also auch eine Art Standortbestimmung, man wusste, dass man extrem gefordert werden würde und dass die Werkself zuhause sehr motiviert sein wird.
Die Aufstellungen beider Teams
Die „Werkself“ stellte im Vergleich zum Rückspiel in der Qualifikationsrunde zur Champions League auf nur einer Position um und brachte Paul „Slavo“ Freier für Lucic, die Bayern mussten auf den Gelb-Rot-gesperrten Görlitz verzichten und brachte Hargreaves und Santa Cruz für eben jenen Görlitz und Mehmet Scholl. Die Aufstellungen beider Teams im Überblick:
Bayer Leverkusen: Butt, Schneider, Juan, Roque Junior, Placente, Ramelow, Krzynowek, Freier (67. Bierowka), Ponte (69. Balitsch), Franca (84. Babic), Berbatov
Restliche Bank: Starke, Callsen-Bracker, Jones, Voronin
FC Bayern: Kahn, Salihamidzic, Linke, Lucio (60. Demichelis), Hargreaves, Frings, Deisler, Zé Roberto (60. R. Kovac), Ballack, Santa Cruz, Makaay
Restliche Bank: Rensing, Kuffour, Rau, Schweinsteiger, Hashemian
Die erste Halbzeit: Leverkusen geht in Front
Spielleiter in der mit 22.500 Zuschauern ausverkauften BayArena war der erfahrene Herbert Fandel aus Kyllburg, der in einem phasenweise sehr temporeichen Spiel keine Probleme hatte. Schon zu Beginn der Partie war zu sehen, dass Bayer sehr gut eingestellt war. Klaus Augenthaler hatte seiner Elf mit auf den Weg gegeben, dass der FC Bayern verwundbar ist und man mit viel Selbstvertrauen spielen muss. Leverkusen kombinierte gut, Ramelow hielt den Offensivspielern den Rücken frei, Krzynowek und Freier wirbelten, Franca war immer anspielbar und Ponte initiierte Angriffe aus dem Mittelfeld heraus, ließ sich gerne einmal fallen. Der Rekordmeister aus München agierte mit langen Bällen, die keinen Abnehmer fanden. Die Stimmung in der Arena war gut, die Fans honorierten die guten Anfangsminuten.
In der 20. Minute fiel das erste Tor. Und das war verdient. Aus dem Mittelfeld heraus spielte der Brasilianer Franca einen herausragenden Ball in die Spitze, wo Dimitar Berbatov das Laufduell gegen Hargreaves gewann und den Ball an Oliver Kahn vorbei ins Tor spitzeln konnte. Mit einem einfachen Mittel wurde der FC Bayern ausgespielt, Bayer gewann noch mehr Sicherheit. Gerade Berbatov und Franca düpierten die Innenverteidiger Linke und Lucio häufig, Ponte war im Mittelfeld Dreh- und Angelpunkt und immer anspielbar. Drei weitere Torchancen wurden von der Werkself vergeben, der FC Bayern hatte nur einen Kopfball von Roy Makaay in der 42. Minute vorzuweisen und die Sorgenfalten auf der Stirn von Felix Magath wuchsen ob der Spielfreude von Bayer und der eigenen, schwachen Leistung. Leverkusen hatte alles im Griff, Magath musste in der Halbzeit Anpassungen vornehmen.
Die zweite Halbzeit: Bayer schießt die Bayern ab
Doch diese Anpassungen blieben aus. Zugegebenermaßen gab die Ersatzbank des Rekordmeisters wenig her, aber eine zusätzliche Defensivoption um den häufig alleine vor der Abwehr überforderten Frings zu entlasten, hätte nicht geschadet. Magath traute seiner Mannschaft zu den Bock noch umzustoßen. Doch Leverkusen hatte andere Pläne und legte jetzt erst so richtig los. Man wurde den Eindruck nicht los, dass sich das Offensivtrio um Ponte, Franca und Berbatov jetzt erst so richtig warmgespielt hatte. Nach einem Doppelpass zwischen Franca und Berbatov in der 52. Minute am Strafraum des FC Bayern hebt Franca den Ball mit dem Außenrist – umringt von mehreren Verteidigern – unter die Latte, Oliver Kahn war chancenlos.
Jetzt spielte sich Bayer Leverkusen endgültig in einen absoluten Rausch. Nur 5 Minuten später folgte die logische Konsequenz, das 3:0. Ein Fehlpass von Deisler landete bei Placente, der schnell reagierte und den Ball in die Spitze spielt. Franca lief seinen Bewachern in der Folge davon, blieb alleine vor Oliver Kahn extrem cool und schoss den Ball flach links unten in das Tor. Die BayArena war nun eine Ansammlung euphorischer Heimfans, Magath und die restlichen Bayern-Verantwortlichen waren absolut bedient, in den Mienen spiegelte sich die Enttäuschung, fast schon das Entsetzen über diesen Auftritt wider.
Das Highlight des Spiels folgte in der 59. Minute. Ein Angriff wie aus dem Bilderbuch sorgte für das 4:0. Eine Traumkombination über sechs Stationen und nur mit Direktpässen ließ die Abwehr des FC Bayern erneut wie eine Schülertruppe aussehen, Franca, Ponte und Berbatov spielten einen Angriff wie ein Gemälde und am Ende konnte der Bulgare den Ball sicher und souverän im Kasten versenken. Nach diesem Tor und der darauffolgenden Jubelarie reagierte Felix Magath, brachte zwei neue Defensivkräfte und wollte versuchen das Resultat einigermaßen im Rahmen zu halten. Dabei half auch die Leverkusener Mannschaft, die das Tempo in der Folge herausnahm und das Spiel herunterspielte. Der Ehrentreffer gelang Michael Ballack per Kopf in der 84. Minute nach einem Freistoß von Frings. Leverkusen feierte einen völlig verdienten Erfolg und ein indisponierter FC Bayern blieb konsterniert zurück.
Die Torschützen
1:0 Berbatov (20., Rechtsschuss, Franca)
2:0 Franca (52., Rechtsschuss, Berbatov)
3:0 Franca (57., Rechtsschuss, Placente)
4:0 Berbatov (59., Linksschuss, Ponte)
4:1 Ballack (84., Kopfball, Frings)
Der restliche Saisonverlauf beider Teams
Nach diesem Spiel galt Bayer 04 Leverkusen bei einigen Experten als heißer Kandidat auf den Meistertitel 2005, doch die Defensive der Werkself war mit 44 Gegentoren in 34 Spielen nicht stabil genug. Mit 65 Treffern stellte Bayer die drittbeste Offensive, landete am Ende aber „nur“ auf Platz 6. Tolle Auftritte wie die Siege gegen Bayern und auch Real Madrid wechselten sich mit unnötigen Patzern ab. Am Ende war die Saison durchaus ordentlich, aber es hätte eine noch erfolgreichere Spielzeit werden können. Das Spiel gegen den FC Bayern München wird man in Leverkusen aber in freudiger Erinnerung behalten, auch heute noch denkt man gerne daran zurück.
Ganz anders verlief die Saison beim FCB. Die Mannschaft von Felix Magath konnte die Meisterschaft am Ende mit 77 Punkten gewinnen, hatte dabei stolze 14 Zähler Vorsprung auf Vizemeister Schalke und landete sogar 18 Punkte vor Vorjahresmeister Werder Bremen. Vielleicht war die Niederlage in Leverkusen eine Art Initialzündung für den Rekordmeister, denn von den kommenden 31 Ligaspielen konnten 23 gewonnen werden. Auch im DFB-Pokal feierten die Bayern den Titel, schlugen den FC Schalke 04 im Finale mit 2:1. Weniger erfolgreich verlief die Saison in der Champions League. Dort schied der Rekordmeister im Viertelfinale gegen ein über nahezu 180 Minuten überlegenes Chelsea verdient aus.
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Manuel Behlert
Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.