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Kommentar | Beschämend wie bezeichnend: Der FC Bayern und Boateng

6. Oktober 2023 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Dass der FC Bayern doch noch von einer Zusammenarbeit mit Jérôme Boateng abgesehen hat, ist die einzig richtige Entscheidung. Dass es überhaupt zum Entscheidungsprozess kam, wirft jedoch ein sehr negatives Licht auf den Klub. Ein Kommentar.

Boateng hätte nie zur Debatte stehen dürfen

Seit dem vergangenen Sonntag trainierte Jérôme Boateng (35) mit der Mannschaft an der Säbener Straße in München. Der FC Bayern wollte den Fitnesszustand des aktuell vertragslosen Triplesiegers von 2013 testen, sah in ihm eine Chance, die lädierte Innenverteidigung personell zu verstärken und damit Versäumnisse des Transfersommers nachträglich auszubügeln. Was die Menschen auf dem Platz und im Geschäftsgebäude in den letzten Tagen offenbar weniger interessierte: dass Boateng schwere Straftaten zur Last gelegt werden. Ende September wurde die Verurteilung des ehemaligen Innenverteidigers aufgrund von Verfahrensfehlern zwar zunächst aufgehoben. Zweifel bestehen an den Anschuldigungen der Körperverletzung jedoch kaum, zu klar ist die Lage.



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Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des FC Bayern moralisch verwerflich, eine Verpflichtung des Ex-Spielers auch nur in Erwägung gezogen zu haben. Auch die öffentlichen Aussagen der Verantwortlichen hinterlassen einen äußerst fragwürdigen Eindruck. Während Trainer Thomas Tuchel (50) auf die Unschuldsvermutung verwies, bezeichnete Christoph Freund (46) die schweren Anschuldigungen gegen Boateng als „private Geschichten“, die für den FC Bayern „keine Rolle“ spielen würden. Bitte was, privat? Hat der neue Sportdirektor der Münchner auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, welche Botschaft er damit nach außen vermittelt? Wie gedemütigt muss sich die betroffene Ex-Freundin von Boateng fühlen? Und: Wie moralisch abgestumpft muss ein Mensch sein, um erhebliche Anschuldigungen wie diese als Lappalie abzutun?

Hinzu kommt, dass die ganze Causa Boateng vorne und hinten nicht mit den Werten übereinstimmt, die der FC Bayern vermittelt. Oder besser gesagt: auf dem Papier gerne vermitteln würde. Erst kürzlich hat der Rekordmeister mit dem Programm „Obacht“ ein Awareness-Konzept entwickelt. Dieses soll dafür sorgen, „dass man aufeinander schaut, sich gegenseitig unterstützt – und dass Hilfe zur Stelle ist, sollten Besucher*innen diese benötigen“. Wie passt das damit zusammen, dass man einen Spieler verpflichten wollte, dem schwere Körperverletzung vorgeworfen wird? Zudem entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der Klub ausgerechnet am Mittwoch zusammen mit Mitgliedern einen Antrag zur Satzungsänderung veröffentlicht hat – mitsamt einem neuen Paragraphen (Seite 2, 3.), der sich gegen „jede Form von Gewalt“ einsetzt. 

Dass der FC Bayern erst das negative Echo von Fans und Medien brauchte, um von einer Verpflichtung Boatengs abzusehen und damit die einzig richtige Entscheidung zu fällen, ist beschämend und bezeichnend zugleich. Beschämend, weil bei der Aussicht auf sportlichen und unternehmerischen Profit über stichhaltige Anschuldigungen schwerer Straftaten hinweggesehen wurde. Bezeichnend, weil es in der Blase des Profifußballs mittlerweile leider zum Usus geworden ist, dass sich Protagonisten ihren eigenen moralischen Kompass basteln.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 im Team. Hat unter anderem das Champions-League-Finale 2024 und die darauffolgende Europameisterschaft vor Ort für 90PLUS begleitet.


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