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Champions League | „Klopp geht das erste Mal als klarer Favorit in ein Endspiel“

30. Mai 2019 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Interview | Das am Samstagabend in Madrid stattfindende Endspiel in der UEFA Champions League wirft seine Schatten bereits voraus. Nach jahrelanger spanischer Dominanz fehlt ausgerechnet in Spanien eine Mannschaft aus La Liga. Vielmehr kämpfen mit den Tottenham Hotspurs und dem FC Liverpool zwei englische Mannschaften um Europas Krone.

Doch wie kamen diese Mannschaften dorthin? Was könnte im Endspiel entscheidend sein? Und welche Trends setzte diese Saison allgemein? All diese Fragen klären wir im Gespräch mit Constantin Eckner (u.a. Spielverlagerung)!

90PLUS: Die laufende Saison in der UEFA Champions League ist eine absolut besondere. Spektakuläre Spiele hat es bisher in jeder Spielzeit gegeben, aber insbesondere die Halbfinalspiele und die Überraschungsmannschaften wie Finalteilnehmer Tottenham oder auch Ajax Amsterdam sorgten für Aufsehen. Welche Mannschaft oder welche Entwicklung auch im Laufe des Wettbewerbs hat dich am ehesten erstaunt?

Constantin Eckner: Ich wusste um die spielerische Weiterentwicklung von Ajax. Aber ich hätte nicht unbedingt erwartet, dass die Niederländer ihren Stil auch auf diesem Niveau erfolgsbringend umsetzen könnten. Immerhin lässt Erik ten Hag sehr aggressiv und risikofreudig und mit einer recht geringen Restabsicherung spielen. Da hätte es mich nicht erstaunt, wenn hochklassige Gegner wie Juventus oder Real Madrid über 180 Minuten mehr Schnellangriffe herausgespielt hätten. 

(MARCO BERTORELLO/AFP/Getty Images)

„Die Intensität hat die Partien geprägt“

90PLUS: Der Fußball befindet sich in einer permanenten Entwicklung, jedes Jahr werden neue Konzepte angewendet, Elemente verfeinert und es wird sich auf mögliche gegnerische Antworten vorbereitet. Wenn du die Saison noch einmal Revue passieren lässt: Welche Entwicklungen taktischer Natur sind dir aufgefallen? Was sind für dich die „Trends“ der Champions League?

CE: Schauen wir uns die vier Halbfinalisten in diesem Jahr an. Alle vier spielen einen aggressiven Offensivstil, der nur funktionieren kann, wenn das Gegenpressing greift und Ballverluste in direkte Drucksituationen für den Gegner münden. Diese Intensität hat die Partien in der Champions League in dieser Saison geprägt. Allerdings muss auch gesagt werden, dass das hohe Risiko, das viele Teams gehen, und das kräfteraubende Gegenpressing auch zu torreichen Partien führen kann. Es fielen schließlich Treffer en masse in der KO-Phase. 

90PLUS: Beim Blick zurück fällt natürlich auch auf, dass die Mannschaften aus der Bundesliga nicht besonders gut abgeschnitten haben. Hoffenheim musste in der Gruppenphase die Segel streichen, Schalke, Bayern und Dortmund im Achtelfinale. Was waren die Gründe und – vor allem – was muss sich ändern, damit die Bundesliga wieder eine größere Rolle spielt?

CE: Ich glaube nicht, dass es einen übergeordneten Grund gab, weshalb die Bundesliga so schlecht abschnitt. Schalke spielte sowieso eine schwache Saison. Da war der KO im Achtelfinale wenig überraschend. Dortmund schied in einer Phase, in der es immer weniger stabil wirkte, gegen den Finalteilnehmer aus. Und die Bayern verloren auch aufgrund ihrer wenig risikofreudigen Taktik gegen den Favoriten auf den Titel. Hier und da fehlt der Bundesliga eventuell die individuelle Klasse gegen die hochgerüsteten Spitzenteams Europas. Deshalb müssen sie sich taktisch etwas einfallen lassen. Aber momentan schwimmen die Bundesligisten nur mit und sind keine Innovationstreiber.

90PLUS: Ein großes Thema ist auch Juventus Turin. Die „Alte Dame“ spielte in den letzten Jahren eine sehr gute Rolle in der Königsklasse, schaffte es immer zu den Mitfavoriten zu zählen. Mit der Verpflichtung von Cristiano Ronaldo sollte endlich der „große Wurf“ gelingen, der auch für Massimiliano Allegri das Ziel Nummer 1 war. Doch ein Titel in der Champions League ist nicht planbar, Juventus schied aus, gab nun sogar die Trennung von Allegri zum Saisonende bekannt. Was hat den Italienern konkret in dieser Saison gefehlt? Und denkst du, dass die Allegri-Trennung nach vielen Jahren vielleicht der genau richtige Impuls für Juventus ist?

(Photo by Emilio Andreoli/Getty Images)

CE: Einerseits verfügt Juventus über hohe Qualität – gerade in der Offensive. Andererseits fehlt das kreative Element im Mittelfeld, um gerade auf internationaler Ebene die Angriffe durchschlagskräftig zu gestalten. Miralem Pjanic ist der einzige klassische Spielmacher und selbst er wird aufgrund seiner tiefen Grundpositionierung und Rolle im Zentrum vorsichtiger, weil er sich Ballverluste nicht leisten kann. Allegri konnte an diesem Problem nichts ändern. Das habe ich von ihm auch nicht erwartet. Er ist ein guter Verwalter, aber kein out-of-the-box-thinker. Die Trennung kann Juventus helfen, wieder näher ans Finale zu kommen. Dazu braucht es aber auch noch den einen oder anderen Neuzugang. Cristiano Ronaldo allein genügt nicht.

Tottenham „keine Mannschaft für ein Champions-League-Finale“

90PLUS: Blicken wir nun nach vorn, auf das Finale in Madrid. Mit dem FC Liverpool und den Tottenham Hotspurs stehen sich zwei englische Mannschaften gegenüber. Wenn du dich noch einmal an den Saisonbeginn zurückerinnerst: Hättest du dem FC Liverpool nach der Finalniederlage und mit den Anpassungen im Kader zugetraut, erneut in das Endspiel zu kommen? Welche Veränderungen im Vergleich zur letzten Saison sind dir bei den „Reds“ aufgefallen?

CE: Zugetraut habe ich es der Mannschaft auf jeden Fall. Nur so recht daran glauben konnte ich nicht, weil für eine Finalteilnahme viel zusammenkommen muss. Der Kader wurde klug verstärkt, wobei das Gerüst dem der vergangenen Saison stark ähnelt. Die Anpassungen im Mittelfeld waren notwendig. Allerdings hat sich dort im Verlaufe der letzten Monate noch keine feste Konstellation herausgebildet. Taktisch versuchen die „Reds“ ihr Ballbesitzspiel konzeptionell zu verbessern. Sie behalten mehr Ruhe bei langen Passstafetten und nutzen Positionsverschiebungen innerhalb der Formation bewusster. Alles andere ist Klopp-Fußball, wie wir ihn kennen. Mit solch einem Team kann der deutsche Top-Trainer immer für Furore national wie international sorgen. 

90PLUS: Auch die Geschichte der Spurs ist beeindruckend. Im Sommer verpflichtete man keine Neuzugänge, in der Gruppenphase war man fast ausgeschieden, raffte sich aber auf und erreichte doch noch die K.O.-Runde. Dort schlug man Dortmund, Manchester City und behielt gegen Ajax in einer packenden Schlussphase die Nerven. Was macht die Mannschaft von Trainer Pochettino aus? Ist es die enorme Konzentration, die Fähigkeit immer noch einen Zahn zulegen zu können oder spielt vor allem das Vertrauen des Trainers in die Mannschaft, die nach der langen Zusammenarbeit gefestigt ist und über ein stabiles taktisches Konstrukt verfügt eine entscheidende Rolle?

CE: Tottenham wirkt insgesamt sehr gefestigt. An diesem Eindruck änderten auch zwischenzeitliche Schwächephasen nichts. Pochettino konnte nahezu kein Geld in den Kader investieren. Auf dem Papier sind die Spurs – trotz Kane, Eriksen und Son – keine Mannschaft für ein Champions-League-Finale. Aber sie können sehr gut zwischen Stabilität- und Angriffsmodus hin- und herschalten. Die Spieler kennen Pochettinos strategische Anweisungen haargenau. Diese reibungslose Kommunikation sehen wir nur bei ganz wenigen Teams. Insofern hat sich vielleicht der sehr überschaubare personelle Wechsel im Kader sogar positiv ausgezahlt. 

90PLUS: Jürgen Klopp und Mauricio Pochettino haben beide noch kein internationales Endspiel gewonnen. Klopp bestritt zwar einige, verlor diese aber allesamt. Ein solches Endspiel wird auch auf der Trainerbank entschieden. Wie würdest du die beiden Trainer einschätzen, was die Fähigkeit angeht großen Einfluss auf dieses Spiel zu nehmen? Und können die Erfahrungen von Jürgen Klopp den Trainer der „Reds“ eher lähmen – oder sind sie vielleicht sogar hilfreich?

CE: Klopp geht jedoch das erste Mal als klarer Favorit in ein Endspiel. Das ist eine neue Situation für ihn und auch für seine Mannschaft. Nun stellt sich die Frage, ob Liverpool die Partie von vorne weg spielen kann. Klopps Plan sieht oftmals vor, in der Anfangsphase mit viel Power zu starten und im besten Fall ein Tor zu erzielen. Sollte dies gelingen, wird es extrem schwer für Tottenham. Pochettinos Verhalten in solch einer Partie ist nicht wirklich einzuschätzen. Er bestritt erst ein Finale – und das im Capital One Cup 2015. Eigentlich lebt Tottenham davon, im entscheidenden Moment die Intensität erhöhen zu können. Nur ist ein solches Intensitätsduell mit Liverpool zu gewinnen? Sehr fraglich.

(Photo CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images)

90PLUS: Davon ausgehend, dass beide Mannschaften mit ihrer zu erwartenden Elf spielen oder nur kleine Anpassungen vornehmen. Welche Schlüsselduelle auf dem Platz siehst du? Welche Mannschaft hat möglicherweise genau dort Stärken, wo der Gegner Schwächen hat? Was kann dieses Spiel also entscheiden?

CE: Das Interessante bei den Spurs ist die taktische Variabilität mit ein und derselben Startelf. Das ist gerade an Christian Eriksen zu erkennen, der sowohl auf dem Flügel, auf einer Halbposition und auf der Zehn spielen kann. So könnte Pochettino beispielsweise mit Eriksen den schwächsten der drei Liverpooler Mittelfeldspieler attackieren – eventuell James Milner. Gleichzeitig würde er Alli gegen den Sechser der „Reds“ stellen und hier im besten Fall eine Neutralisierung erzeugen. Ein weiteres Schlüsselduell findet auf dem Flügel statt. Sadio Manés inverse Bewegungen sind problematisch für Tottenhams Rechtsverteidiger, der sich entscheiden muss, ob er mit nach innen geht und die Bahn öffnet oder im passenden Moment an seinen Nebenmann übergibt. Die Cleverness der drei Liverpool-Angreifer ist in meinen Augen der entscheidende Unterschied zwischen beiden Teams. 

90PLUS: Zum Schluss, die obligatorische Frage: Wer gewinnt das Endspiel und wie geht es aus?

CE: Liverpool wird einen recht dominanten Sieg einfahren. Ich erwarte ein Endspiel ähnlich jenem im Sommer 2018.

(Photo by Ian MacNicol/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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