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Der FC Bayern vor dem Topspiel gegen den BVB: Ein angeknockter Boxer

8. November 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Am Samstagabend um 18:30 Uhr empfängt Borussia Dortmund den FC Bayern München im heimischen Signal Iduna Park. Auch wenn der Gast aus München in den letzten Jahren regelmäßig und zumeist überlegen die deutsche Meisterschaft gewann, waren die Duelle mit der Borussia etwas ganz Besonderes. Im Vergleich zu den letzten Spielen sind die Vorzeichen in dieser Saison etwas anders, wodurch das Spiel sogar noch etwas an Bedeutung gewinnt. 

 

Wir werfen einen Blick auf das Spiel am Samstag – und zwar aus der Sicht beider Teams, nun aus der des Rekordmeisters!

 

Hausgemachte Probleme

Man hätte durchaus ahnen können, dass dem FC Bayern, insbesondere nach den Entscheidungen im Sommer, eine schwierige Saison bevorsteht. Viele Fans hoben mahnend den Zeigefinger, auch die Medien warnten früh. Warum die Verantwortlichen des Rekordmeisters die sich anbahnenden Probleme nicht lösten, ist unbekannt. Die guten Resultate, die Jupp Heynckes mit dieser Mannschaft noch einfuhr, blendeten womöglich. Doch können diese Resultate wirklich kaschieren, dass auch in der letzten Saison schon nicht alles Gold war, was glänzte? Offenbar. Die Zurückhaltung auf dem Transfermarkt, die Entscheidung sowohl mit Ribery als auch mit Robben in die Saison zu gehen sind zwei Faktoren, die für die derzeitige Situation verantwortlich sind. Dass man zuvor bereits im Frühjahr ein schlechtes Bild abgab, als ein neuer Trainer gesucht wurde, steht auch außer Frage.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Die Vorzeichen für Niko Kovac standen also nicht gerade gut. Die Ansätze zu Saisonbeginn waren positiv, gegen Hoffenheim und Leverkusen wurde der Gegner trotz mentaler Einschnitte durch die Verletzungen von Coman und Tolisso kontrolliert, auch gegen Schalke und Stuttgart war viel Gutes sichtbar, gleiches gilt für das Spiel in Lissabon. Der FC Bayern spielte seine Tore häufig sehr ansehnlich heraus und wusste zu überzeugen, Spieler wie Renato Sanches spürten das Vertrauen des Trainers. Schon zu Saisonbeginn wurde deutlich, dass man in München mehr Fußball arbeitet, weniger Torchancen hat. Und der Ausfall von Kingsley Coman tat sein übriges, sorgte für weitere Probleme im Offensivspiel. Denn dass Arjen Robben und Franck Ribery in ihrem Alter und mit ihrer Verletzungshistorie nicht mehr besser werden, sondern eher abbauen, sollte niemanden verwundern.

Dass man in München nach der Coman-Verletzung keinen Ersatz verpflichtet, ist eine Entscheidung, die man nachvollziehen kann, gerade weil sich der Klub dazu entschieden hat, mit dieser Offensive in die Saison zu gehen, Ribery und (!) Robben noch einen neuen Vertrag zu offerieren. Hier lag eher der Grundsatzfehler, hier wäre man gut beraten gewesen entsprechend zu handeln, zu erkennen, dass die einst gefürchtete Flügelzange gerade in Kombination eben nicht mehr gefürchtet ist. Dass man in München zu seinen Entscheidungen steht und dem Trainer derzeit die Rückendeckung ausspricht, ist derweil logisch. Denn wenn man eines nicht gebrauchen kann, dann noch mehr Unruhe im Verein.

Woher kam der Rhythmusverlust?

Mit dem Heimspiel gegen den FC Augsburg, als man zunächst viele hochkarätige Chancen ausließ und am Ende abbaute, das 1:1 kassierte, begann das Schlamassel für den Rekordmeister. Seitdem ist der Rhythmus verloren gegangen, positive Ansätze sind nicht häufig und wenn, dann in der Regel auch nicht von der gesamten Mannschaft zu sehen. Vereinzelte Lichtblicke sind vorhanden, aber vieles, was am Anfang noch gut aussah, wird entweder nicht mehr in dieser Form praktiziert oder wurde vom Gegner erkannt. Niko Kovac legt viel Wert auf die Defensive, doch davon merkt man dieser Tage nicht besonders viel. In fast jedem Spiel kassiert der FC Bayern ein Gegentor, in fast jeder Halbzeit lässt man eine Großchance zu. Und das häufig nicht, weil der Gegner so gut Fußball spielt, sondern weil man selbst schlafmützig agiert, individuelle Fehler produziert, den Gegner laufen lässt.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Es existiert nicht der eine Grund für den Rhythmusverlust. Vielmehr ist es eine Aneinanderreihung verschiedener Umstände, die ursächlich sind. Kovac legte viel Wert auf extrem hochstehende Achter. Diese Maßnahme fruchtete in den ersten Spielen sehr gut, gerade gegen den VfB Stuttgart war die Besetzung der Räume sehr klug, die Schwaben fanden kein Mittel dagegen und das Offensivspiel der Bayern entwickelte sich sukzessive, Lösungen wurden gefunden. Doch die Gegner erkannten die Herangehensweise von Kovac, erarbeiteten sich Mittel. Und diese Mittel fruchteten, der Offensivmotor wurde schrittweise lahmgelegt. Wenn im Zentrum keine Lösungen vorhanden oder zumindest schwierig zu finden sind, muss man auf die Außen ausweichen. Doch hier sind wir wieder beim eben angesprochenen Grundsatzproblem, das vor allem ohne Kingsley Coman deutlich wird. Es fehlt das Tempo, es fehlt der Überraschungsmoment. Das Zentrum zu verdichten hilft in dieser Saison eben häufig, weil weder Ribéry noch Robben an ihre frühere Leistungsfähigkeit anknüpfen können, insbesondere was Attribute wie Spritzigkeit, Durchschlagskraft und Dribbling betrifft.

Die Vorzeichen für Niko Kovac waren also nicht gerade ideal. Doch in den ersten Wochen zeigte seine Mannschaft gute Ansätze, die irgendwann verloren gingen. Kovac ist nicht der alleinige Schuldige für den Leistungabfall, aber natürlich hat er einen Anteil daran. Taktische Flexibilität oder neue Ideen? Weitgehend Fehlanzeige. Hinzu kommt, dass Kovac zu Saisonbeginn deutlich machte, dass auch die Standardsituationen einen hohen Stellenwert bei ihm haben. Und der FC Bayern kommt alleine aufgrund der Dominanz, die man in der Regel trotz allem an den Tag legt, zu vielen ruhenden Bällen. Kovac muss sich ankreiden lassen, dass hier keine signifikanten Verbesserungen zu erkennen sind, auch wenn die ein oder andere ordentliche Variante wie beim Treffer zum 1:0 gegen Rödinghausen gespielt wird. Insgesamt sind zu viele planlose Eckbälle oder Freistöße in den gegnerischen Strafraum getreten worden, gleiches gilt für Flanken aus dem Spiel heraus.

„Verloren“ ist noch nichts

Der Vergleich mit dem „angeknockten Boxer“ wird im Fußball nicht selten gebraucht. Auf den FC Bayern München trifft es dieser Tage aber durchaus zu, denn die Leistungen entsprechen nicht den Vorstellungen. Aber: Ein Boxer, der in den Seilen hängt, kann trotzdem gefährlich sein. Der Rekordmeister verfügt  trotz der angesprochenen Schwierigkeiten weiterhin über eine hohe Qualität im Kader . Die Frage, die sich stellt, ist folgende: Kann das Schwergewicht aus München ein Zeichen setzen und, um in der Boxsportsprache zu bleiben, beim Spiel in Dortmund zurückschlagen?

Es ist nicht selten der Fall, dass große Mannschaften – und solch eine ist der FC Bayern definitiv – in Drucksituationen große Leistungen abrufen können. Einen solchen Effekt hatte der Rekordmeister auch unter Carlo Ancelotti, als man RB Leipzig in der heimischen Allianz Arena überzeugend schlug, die Mannschaft eine Reaktion zeigte. Doch wie groß ist die Hoffnung, dass dies gerade zum jetzigen Zeitpunkt wieder geschieht? Nach den letzten Eindrücken wohl eher gering. Dennoch wäre selbst im Falle einer Niederlage noch nichts verloren. 7 Punkte sind noch aufzuholen, doch dafür müsste man nicht nur eine Reaktion sehen, sondern auch eine Entwicklung innerhalb der Mannschaft, die in den vergangenen Wochen ausblieb.

(Photo by Christof STACHE / AFP)

Aber es gibt auch den ein oder anderen Mutmacher. Kingsley Coman trainiert wieder, wird im Laufe der Wochen nach dem Spiel gegen Dortmund zur Mannschaft stoßen. Er kann das häufig vermisste Tempo, diese Spur Unberechenbarkeit, die vor allem in schwierigen Phasen notwendig ist, wieder herstellen. Seine Dribblings, seine Ballführung, seine Lösungen in engen Situationen sind das, was dem Team von Niko Kovac fehlt. Dabei ist es noch nicht einmal entscheidend, wann der Franzose wieder bei 100 % ist, denn selbst ein Coman, der nur 30-40 Minuten „im Tank“ hat, stellt eine nicht zu verachtende Belebung für das gesamte Offensivspiel des FC Bayern dar.

Die letzten Eindrücke

Betrachtet man bei den letzten 5 Pflichtspielen des FC Bayern nur die Resultate, so könnte man der Meinung sein, dass nicht viel im Argen liegt. 4 dieser 5 Spiele wurden schließlich gewonnen. Doch Resultate alleine zählen beim FC Bayern schon lange nicht mehr. In Athen wurde die Pflicht erfüllt, man tat nicht mehr als nötig und traf in den entscheidenden Momenten. Vor allem das 0:2 war schön herausgespielt, ein typischer Auswärtssieg in der Königsklasse eingefahren. Das anschließende Spiel beim FSV Mainz 05 sorgte aber für weniger Begeisterung. Erneut hing im Aufbau zu viel vom in dieser Saison überragenden Thiago ab, die Bewegung fehlte, aber die Klasse des Rekordmeisters war im Endeffekt ausschlaggebend für den Sieg. Wer jetzt dachte, dass es kaum zäher werden kann, der wurde schnell eines besseren belehrt.

Das Spiel in Osnabrück gegen Rödinghausen war durchaus eine Art Tiefpunkt. Nicht nur weil sich Thiago nach einem Foul verletzte und bis auf Weiteres ausfallen wird, sondern auch aufgrund der uninspirierten Leistung. Bayern zeigte wenig, außer einer schicken Eckballvariante zu Beginn. Natürlich steht das Weiterkommen an erster Stelle, aber wenn Unruhe herrscht, wenn Kritik geäußert wird, wäre ein überzeugender, hoher Sieg die bessere Antwort. Auch beim Heimspiel gegen Freiburg wurden wieder Probleme sichtbar. Nach einem ordentlichen Auftakt ging der Offensivfluss sukzessive flöten, die Abstände zwischen der Defensive und der Offensive waren wieder einmal zu groß. Genau dieses Problem trat in den letzten Wochen häufiger auf, insbesondere dann, wenn Thiago nicht auf dem Feld stand. Die hochstehenden Achter und ein eher nicht spielmachender Sechser sorgten für eine schlechte Raumaufteilung, die ursächlich für viele Probleme war.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Auch gegen AEK Athen in der Champions League waren die zuletzt vorherrschenden Probleme weiter präsent. Der FC Bayern wollte durchaus, bewegte sich aber zu wenig, schlug über weite Strecken des Spiels uninspirierte Flanken und traf zweimal nach den zuvor kritisierten ruhenden Bällen. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Elfmeter zum 1:0 eher in die Kategorie Geschenk fällt und der Eckball zum 2:0 von einem griechischen Verteidiger verlängert wurde. Der Sieg war am Ende verdient, aber nicht vollends überzeugend. Wie schon in den letzten Wochen, vor allem ohne Thiago, war erneut kaum Dynamik im Mittelfeld sichtbar. Die Besetzung der Räume war mangelhaft, es gelang fast nie mit einer überraschenden Bewegung oder einem kreativen Pass einen Angriff zu initiieren. Das Mittelfeld, einst Prunkstück dieser Mannschaft, liegt zurzeit brach, kann aber nicht mehr von den offensiven Flügelspielern „gerettet“ werden. Die Folge: Viele Bälle aus dem Halbfeld, die blind in den Strafraum gebolzt werden.

Reaktion oder Kollaps?

Die Frage, die sich vor dem Duell am Samstagabend stellt, ist folgende: Kann der FC Bayern München ein anderes Gesicht zeigen als in den letzten Spielen? Oder ist der Rekordmeister in der Tat nicht zu mehr fähig, als man zuletzt zeigte? Niko Kovac weiß, dass die Bewertung seiner Arbeit auch von dem Auftritt gegen Borussia Dortmund abhängt. Auf nationaler Ebene ist dieses Duell wichtiger als alles andere, vor allem zum jetzigen Zeitpunkt. Der FC Bayern muss eigentlich ein Zeichen setzen, doch ist er dazu in der Lage? Folgt nach den allerhöchstens durchschnittlichen Auftritten eine Reaktion? Oder fällt der Rekordmeister gegen einen hochkarätigen Gegner zusammen?

Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist die Herangehensweise von Kovac an das Spiel gegen den BVB. Kovac könnte, aufgrund der offensiven Qualitäten der Borussia und auch aufgrund der eigenen Leistungen der letzten Wochen, der Defensive noch mehr Aufmerksamkeit verleihen. Tritt man in Dortmund offensiv und dominant auf, so könnte man dem Gegner in die Karten spielen. Trotzdem ist es zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich anzunehmen, dass Kovac sein System verändert. Auch im Signal Iduna Park wird das 4-3-3 das Mittel der Wahl sein, auch wenn eine Systemveränderung, möglicherweise eine Dreierkette, nicht nur der Defensive mehr Wert verleihen würde, sondern auch dafür sorgen würde, dass die bisher auftretenden Probleme kaschiert werden können.

Das Spiel am Wochenende könnte für den FC Bayern richtungsweisend sein. Uli Hoeneß teilte nach dem Spiel gegen AEK erneut mit, dass er Trainer Kovac „bis auf das Blut“ verteidigen werde. Dementsprechend darf davon ausgegangen werden, dass auch im Falle einer Niederlage weiter am Trainer festgehalten wird. Die derzeitigen Probleme, die rund um den FC Bayern auftreten, könnten, sofern der Rekordmeister in Dortmund deutlich verliert, noch präsenter werden. Es wird interessant zu sehen sein, ob Niko Kovac für das Spiel in Dortmund einen ausgeklügelten Plan in petto hat oder ob er tatsächlich an seiner bisherigen Ausrichtung festhält. Für den FC Bayern gilt in jedem Fall: Man ist und bleibt, unabhängig vom Ergebnis in Dortmund, ein angeknockter Boxer.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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