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Showdown im Titelkampf: Von Mentalitätsmonstern beim BVB und einem Endspiel für Kovac

5. April 2019 | Spotlight | BY Nico Scheck

Spotlight | Spitzenspiel liegt in der Luft: der FC Bayern München gegen Borussia Dortmund, der Tabellenzweite gegen den Spitzenreiter, mehr geht nicht im deutschen Oberhaus. Dem Sieger winkt der Platz an der Sonne und möglicherweise eine Vorentscheidung im Kampf um die Meisterschaft. Gelingt den Münchnern die Revanche für die 2:3-Schlappe im Hinspiel, welche taktischen Kniffe behalten die Trainer der beiden Teams bereit und warum ist dieses Gipfeltreffen insbesondere für Niko Kovac so wichtig? Die 90PLUS-Redakteure Manuel Behlert und Julius Eid sowie Johannes Mittermeier (schreibt u.a. für Focus Online u. Eurosport.de) haben sich diesen und weiteren Fragen gestellt und eine Prognose gewagt.

Bayern darf nicht verlieren

90PLUS: Der FC Bayern gegen Borussia Dortmund, der deutsche „Clasico“, wie er in den Medien hierzulande oft geschimpft wird. Zunächst einmal: Es wird oft von einer Vorentscheidung gesprochen, gewinnt der BVB wären es fünf Punkte Vorsprung. Ist dieses Duell also tatsächlich eine Art Vorentscheidung oder muss man das Ganze relativieren?

J. Mittermeier: Durch Bayerns Punktverlust in Freiburg und Dortmunds Sieg über Wolfsburg sehe ich das Spiel als Vorentscheidung an. Nicht vergessen: Bayern spielt noch gegen den aktuell Ersten (Dortmund), Dritten (Leipzig) und Vierten (Frankfurt). Holt der BVB in München zumindest ein Unentschieden, ist die Meistertür weit offen. 

M. Behlert: Das ist im Vorfeld natürlich nicht so einfach zu beantworten. Klar ist, dass der Gewinner dieses Spiels einen mentalen Schub bekommen dürfte. Beide Mannschaften sind nicht unfassbar stabil, auch wenn die Serie des FC Bayern vor dem Spiel in Freiburg sehr positiv war. Der psychologische Aspekt eines solchen Sieges sollte aber keinesfalls unterschätzt werden und für den Fall eines Auswärtssiegs des BVB würde das bedeuten, dass man fünf Punkte Vorsprung und diesen angesprochenen Vorteil besitzt. Eine Vorentscheidung ist das gewissermaßen schon, auch wenn noch viel passieren kann – in beide Richtungen.

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

J. Eid: Aus Dortmunder Sicht ist eine Vorentscheidung möglich, aus Münchner eher nicht. Dass es zu diesem Urteil kommt, ist allerdings alleine dem letzten Spieltag und dessen Ergebnissen geschuldet. Im Falle eines Dortmunder Sieges bei einem Restprogramm von sechs Spielen nach diesem Samstag wären fünf Punkte eine enorme Hausnummer und schon als Vorentscheidung zu bewerten. Sollten die Münchner gewinnen, handelt es sich nur um einen Punkt Rückstand für den BVB, jederzeit drehbar, um beim letzten Spieltag zu bleiben.

„Die Mentalitätsmonster kommen aus dem Ruhrpott“

90PLUS: Bisher schien vieles für die Münchner zu sprechen, neun Punkte auf die Schwarzgelben aufgeholt, zuletzt drei Kantersiege in Folge und nun das 1:1-Remis in Freiburg: Hat sich die Favoritenrolle kurz vor dem Duell etwas in Richtung BVB verschoben, frei nach dem Motto, „Momentum is king“?

M. Behlert: Naja, das würde ich so nicht sagen. Denn Borussia Dortmund hat gegen den VfL Wolfsburg wirklich kein Offensivfeuerwerk abgebrannt, sondern durch zwei ganz späte Tore gewonnen. Sicher gibt der Sprung auf Platz eins mehr Selbstvertrauen, aber man darf auch nicht vergessen, dass die Personallage in Dortmund alles andere als einfach ist. Die Rollenverteilung ist dementsprechend alles andere als klar, auch weil Bayern wieder einen Rückfall erlebte, defensiv wackelte und offensiv lange ohne Konzept mit dem Ball agierte. 

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

J. Eid: Spielerisch haben die Münchner trotz zuletzt schlechterem Ergebnis in den vergangenen Wochen mehr geliefert als die Borussia. Eine Trendwende auf dem Feld bei den Schwarzgelben kann man nur erahnen, nicht aber konstatieren. Was sich definitiv geändert hat, ist das psychologische Momentum. In Dortmund war man schon fast am Resignieren nach der Rückrunde. Doch die letzten Last-Minute-Siege haben die Mentalität der Mannschaft unterstrichen und das Umfeld quasi mitgerissen. Die Mentalitätsmonster kommen in diesem Jahr aus dem Ruhrpott.

J. Mittermeier: Die Rolle hat sich verschoben, für mich übrigens nicht erst seit vergangenem Wochenende. Dortmund trumpft nach seinem Frühjahrsdurchhänger mit einem Wesensmerkmal der Bayern auf: späte Siege durch Willensleistungen. Ich wage mal eine These: Marco Reus‘ 3:2-Siegtor in der Nachspielzeit gegen Hertha BSC wird retrospektiv als Meisterschuss gelten. 

90PLUS: Niko Kovac hat in den bisher „großen“ Spielen beim FCB noch nicht gewinnen können. Das Hinspiel beim BVB ging mit 2:3 verloren, gegen den FC Liverpool sind die Münchner nun auch mit nur einem Treffer aus der Königsklasse ausgeschieden. Prompt wurden wieder die Gerüchte rund um einen möglichen Trainerwechsel im kommenden Sommer lauter. Ist dieses Spitzenspiel also auch eine Art Bewerbung von Kovac, vielleicht sogar der entscheidende Indikator für die Vereinsbosse?

J. Eid: Aus der Sicht von außen auf den Verein würde ich eine solche Einstellung bedenklich finden. Ein Klub der Größe Bayern Münchens sollte seine (langjährige) Zukunftsplanung nicht von einem oder drei Spielen abhängig machen. Sollte Kovac den Ligatitel verpassen, dann nicht aufgrund zweier Spiele gegen Dortmund, sondern, weil man gegen schwächere Gegner ungewohnt oft mittellos schien. Deshalb wäre ein Trainerwechsel für mich zum Sommer hin nachvollziehbar. Klar ist aber auch: Eine Niederlage dürfte fast das Ende der Titelambitionen bedeuten und damit an einem Standort wie München für erhebliche Unruhe sorgen.

(Photo credit should read CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images)

J. Mittermeier: Es ist zumindest sehr entscheidend für die Sichtweise auf Kovac, intern wie extern. Im Winter schien er die Kurve bekommen zu haben, dann kam das Hinspiel gegen Liverpool (destruktiv, aber ordentlich) und dann das Rückspiel: leblos, mutlos, wirkungslos. Mir fehlt nach wie vor eine Idee, wie die Kovac-Bayern eigentlich Fußball spielen und Tore erzielen wollen; es genügt nicht, die Stärken des Gegners zu torpedieren. Wenn‘s ganz dumm läuft, wird die Trainerfrage im Sommer neu überdacht. Ich will Kovac nichts Böses, aber überzeugt bin ich nicht. 

M. Behlert: Dieses Spiel kann auf jeden Fall mehr Dinge negativ als positiv beeinflussen. Ein entscheidender Indikator im Hinblick auf die Zukunft wäre das Ergebnis also folglich nur dann, wenn der FC Bayern das Spiel und die Meisterschaft verliert. Selbst im Erfolgsfall denke ich, dass man die Personalie Kovac kritisch hinterfragen wird. Die letzten Aussagen des Trainers, die angesprochenen Aufritte gegen die Topmannschaften (auch gegen Ajax konnte man zweimal nicht gewinnen) und die fehlende Entwicklung in die richtige Richtung sollten, auch bei einem Sieg, nicht außer Acht gelassen werden. 

Liverpool als Paradebeispiel

90PLUS: Auf der anderen Seite ein BVB, der zwar noch nicht wieder die Sterne vom Himmel spielt, aber immerhin punktetechnisch auf Kurs liegt und jetzt trifft auch Paco Alcacer wieder. Kommt die Partie also genau zum richtigen Zeitpunkt für die Dortmunder? Was erwartet ihr von Lucien Favre? Wie wird er seine Mannschaft auf den deutschen Rekordmeister einstellen? Konter-Fußball oder Offensiv-Feuerwerk? 

J. Mittermeier: Favre wird Bayerns Rückspiel gegen Liverpool seziert haben und den Münchnern kaum den Gefallen tun, blind ins Messer zu laufen. Wie immer basiert vieles auf einer stimmigen Balance. Und ich glaube, dass Dortmund – als Verein, als Mannschaft, als Gesamtpaket in dieser Situation – darauf eingestellt sein wird, was zu tun ist.

(Photo by Jörg Schüler/Getty Images)

M. Behlert: Nun, Borussia Dortmund gehört definitiv zu den Mannschaften in der Bundesliga, die dem FC Bayern am ehesten wehtun können. Zwar wird der BVB defensiv wohl etwas angeschlagen nach München fahren, aber die Offensive um Guerreiro, Reus, Sancho und co. verfügt über genau die Mittel, die den Rekordmeister oft ins Wanken brachten. Dortmund bringt enorm viel Tempo mit und hat nicht den Druck, nach vorne spielen zu müssen. Ein Offensivfeuerwerk wird Dortmund also nicht entfachen, vielmehr wird der BVB versuchen, die Räume eng zu machen, schnelle Nadelstiche nach vorne zu setzen, gleichzeitig aber auch den Ball zur Spielberuhigung in den eigenen Reihen zu halten. Ein offener Schlagabtausch kann nämlich auch schnell in die Hose gehen.

J. Eid: Der perfekte Zeitpunkt ist es auch für den BVB nicht. Seit längerem geht dem Spitzenreiter die Schnelligkeit und Kreativität der Hinrunde ab. Aber: Das Selbstvertrauen ist zurück und Lucien Favre könnte zudem aufgrund der Verletzungssorgen zu seinem Glück gezwungen werden. Denn im Moment scheint Raphael Guerreiro die wahrscheinlichste Option für die Linksverteidigerposition zu sein. Damit würde in Dortmunds System mehr Offensiv- und Kreativdrang entstehen, etwas, auf das Favre in den letzten Spielen mit Diallo und Wolf bewusst verzichtete. Die Münchner sind in dieser Saison unter Druck schlagbar, das sollte also auch das bevorzugte Mittel Favres sein.

Endspiel für Kovac?

90PLUS: Beim 3:2-Hinspielsieg der Borussen hatte Favre durch seine Umstellungen in der zweiten Halbzeit einen großen Anteil an den drei Punkten. Seinem Gegenüber Kovac wird in dieser Saison häufig vorgeworfen, auf Spielentwicklungen taktisch oder auch personell gar nicht oder zu spät zu reagieren. Geht ihr bei diesem Vorwurf mit?

M. Behlert: Das fehlende oder zu späte Reagieren wirft man übrigens nicht nur Niko Kovac vor, auch Lucien Favre wechselt oft später als erwartet oder vielleicht notwendig. Aber natürlich erkennt man beim FC Bayern in der laufenden Saison oft eine gewisse Ratlosigkeit, wenn der Gegner sich während des Spiels auf das Spiel der Kovac-Elf einstellt oder wenn „Plan A“ nicht funktioniert. Das ist auch ein großer Kritikpunkt in dieser Saison, daher kann dieses Spiel auch auf der Trainerbank entschieden werden.

(Photo CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images)

J. Eid: Niko Kovac wirkt taktisch relativ unflexibel. Gerade gegen Liverpool wäre in der zweiten Halbzeit zu Hause durchaus etwas drin gewesen, hätte man irgendwie auf die veränderte Ausgangssituation (es wird mindestens noch ein Tor benötigt) reagieren können. Kovac war dazu nicht in der Lage, löste zudem viel zu spät die Doppelsechs mit Thiago und Martinéz zu Gunsten Goretzkas auf. 

J. Mittermeier: Für die Hinrunde trifft der Vorwurf vollständig zu, das 3:2 vom November war in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel. In der Rückrunde adaptiert Kovac stärker, etwa durch frühere Einwechslungen, auch wenn sich das Ganze weit, weit unter Standards von Pep Guardiola bewegt. Ist ja nicht lange her, dass die Bayern taktische Pioniere waren. Unter dem Strich ist Favre in meinen Augen der bessere, weil wandelbarere Trainer.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images)

90PLUS: Zum Schluss wie immer kurz und knackig: Wie geht das Spitzenspiel aus und wer wird am Ende Meister und warum?

J. Eid: Das Spiel endet 3:2 für Dortmund, standesgemäß dramatisch in der Schlussphase. Der BVB hat fantastische Offensivspieler in den Reihen, die die Bayernabwehr 2018/2019 überfordern. Der Sieg bedeutet auch die Vorentscheidung in Richtung Meisterschaft.

J. Mittermeier: Dortmund gewinnt 3:1 und hat dann fünf Punkte Vorsprung, was reichen muss, um es über die Ziellinie zu retten. Bayerns Titelambitionen in dieser sehr seltsamen Saison werden jäh gestoppt. 

M. Behlert: Das Spiel endet 2:2 und Meister wird, wer seine Auswärtsaufgaben in der Folge besser löst. 

Nico Scheck

Nico Scheck

Aufgewachsen mit Elber, verzaubert von Ronaldinho. Talent reichte nur für die Kreisliga, also ging es in den Journalismus. Seit 2017: 90PLUS. Manchmal: SEO. Immer: Fußball. Joga Bonito statt Catenaccio.


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