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Mutlos: Warum Hertha BSC an Sandro Schwarz hätte festhalten sollen

27. April 2023 | Trending | BY Lukian Ahrens

Nach dem 5:2-Debakel gegen Schalke 04 und dem Abrutschen auf den letzten Tabellenplatz zogen die Verantwortlichen von Hertha BSC die Reißleine. Sandro Schwarz wurde entlassen und Vereinslegende Pál Dárdai installiert. Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, um die Mission „Klassenerhalt“ zu meistern, wird sich auf lange Sicht als Fehler herausstellen.

Immer wieder Dárdai: Hertha BSC dreht sich im Kreis

Nach 289 Tagen im Amt und 29 Pflichtspielen musste auch Sandro Schwarz (44) wie so viele vor ihm, die Trainerbank bei Hertha BSC räumen. Schaut man auf seine Statistiken, dann kam seine Entlassung alles andere als überraschend. Auf das DFB-Pokal-Aus in der ersten Runde gegen Eintracht Braunschweig folgten 28 Bundesligaspiele, in denen die Alte Dame lediglich 22 Punkte holte. Seit dem Aufstieg 2013 wird Schwarz’ Punkteschnitt (0,76) nur von Tayfun Korkut (0,64) unterboten.

 



Nach 2015 und 2021 soll es nun also (mal wieder) Pál Dárdai (47) richten. Das erste Spiel des neuen (alten) Trainers ging jedoch mit 4:2 gegen Werder Bremen verloren. Die Mannschaft zeigte dabei eine noch miserablere Leistung als gegen Schalke und ließ sich vom Aufsteiger im ausverkauften Olympiastadion regelrecht auseinandernehmen. Auch wenn Dárdais auf Sicherheit und Stabilität ausgelegtes Spiel eine größere Chance verspricht, noch die Klasse zu halten, als Schwarz’ Pressing-Fußball, stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit seiner Entlassung.

Keine Flügel, kein Spielmacher: Bobic lässt Schwarz im Stich

Sandro Schwarz war im Sommer aufgrund seiner klaren und offensiv ausgerichteten Spielidee verpflichtet worden. Nach den vielen Umbrüchen der Vergangenheit wünschte man sich auf der Trainerposition Kontinuität, um der Alten Dame nach Jahren des Chaos endlich eine spielerische Identität zu verleihen. Mit seinem 4-3-3 hatte er Dinamo Moskau in der Vorsaison auf den dritten Platz und ins Pokalfinale geführt. Da dieses Spielsystem auch in den Jugendmannschaften von Hertha BSC gespielt wird, lag es auf der Hand, das 4-3-3 auch bei den Profis zu installieren.

Elementar für Schwarz’ Spielsystem sind die Flügelpositionen sowie ein spielstarker Sechser. Nicht erst im Rückblick erscheint es daher unverständlich, dass Fredi Bobic (51), der damalige Geschäftsführer Sport mit Javairô Dilrosun (24) und Anton Kade (19) im Sommer sowie Dong-jun Lee (26) und Myziane Maolida (24) im Winter gleich vier offensive Flügelspieler ziehen ließ. Demgegenüber stand lediglich die Verpflichtung von Chidera Ejuke (25) von ZSKA Moskau.

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Anstatt eines spielstarken Sechsers verpflichtete Bobic zudem Ivan Sunjic (26), ein Mittelfeldspieler vom Typ Arbeiter, den man allerdings mit Lucas Tousart (25) bereits in der Mannschaft hatte. Ebenjenen Sunjic, den Bobic aufgrund „seiner Mentalität“ verpflichtete, schickte Dárdai am Sonntag nach der Niederlage gegen Bremen mit den Worten „Verpiss dich!“ vom Trainingsplatz. Mittlerweile wurde der Kroate bis Saisonende suspendiert.

Viel Lob, keine Punkte: Hertha verpasst den Durchbruch

Trotz der schlechten Kaderzusammenstellung spielte Hertha BSC in der Hinrunde teilweise ansehnlichen Offensiv-Fußball, wobei die Punkte jedoch ausblieben. Obwohl die Alte Dame jeweils ordentliche Leistungen zeigte, konnten die Spiele gegen Leverkusen (2:2), Mainz (1:1), Hoffenheim (1:1) oder Freiburg (2:2) aufgrund von fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen, Ausgleichstreffern in der Nachspielzeit und beinahe slapstickartigen Gegentoren nicht für sich entschieden werden. Mit dem Gefühl, eigentlich besser dastehen zu müssen, schloss der Hauptstadtklub die verkürzte Hinrunde auf Platz 15 ab.

In der Wintervorbereitung in den USA verletzte sich Ejuke, wodurch Dodi Lukébakio (25) als einziger Flügelspieler im Kader übrig blieb. Dennoch sah Bobic keinen Handlungsbedarf und verzichtete darauf, einen Ersatz zu verpflichten. Die ersten vier Spiele im neuen Jahr gegen Bochum (1:3), Wolfsburg (0:5), Union (0:2) und Frankfurt (0:3) gingen allesamt verloren, was die Vereinsführung dazu veranlasste, Bobic zu entlassen. Die Versäumnisse sah das Präsidium allen Anschein nach ebenfalls in der Zusammenstellung des Kaders und nicht beim Trainer.

Sandro Schwarz wiederum stellte notgedrungen sein System auf ein 3-5-2 um, was kurzfristig mit den Siegen gegen Gladbach (4:1) und Augsburg (2:0) für Entlastung sorgte, doch auch er konnte den sportlichen Absturz nicht mehr abwenden.

Schwarz’ Entlassung: Niederlage für die Vereinsspitze von Hertha BSC

Dass sich Hertha BSC nun von Sandro Schwarz getrennt hat, erscheint auf den ersten Blick alternativlos, ist dennoch eine Niederlage für die Vereinsspitze rund um Präsident Kay Bernstein (42). Seit Jahren war Schwarz der erste Trainer, der es zumindest kurzfristig schaffte, der Mannschaft eine Spielidentität zu verleihen. Wer weiß, was möglich gewesen wäre, wenn man unter ihm laut Understat nicht 8 Punkte weniger als erwartet geholt hätte.

Hertha BSC: Präsident Kay Bernstein

(Photo by RONNY HARTMANN/AFP via Getty Images)

Unabhängig vom Klassenerhalt bleiben Hertha BSC im Sommer nun nur noch zwei Möglichkeiten. Durch die finanzielle Situation wird man entweder mit Pál Dárdai weitermachen oder auf Jugendtrainer Oliver Reiß (40) setzen. Beide würden auch dem eingeschlagenen „Hertha-Weg“ entsprechen, den Bernstein nach der Entlassung von Fredi Bobic ausgerufen hatte. Vom Defensiv-Fußball Marke Dárdai hatte man sich aber eigentlich verabschieden wollen, während Oliver Reiß, trotz hervorragender Leistungen mit Herthas U19 eine Wundertüte bleibt. Schwarz wiederum wäre die ideale Wahl gewesen, um der Alten Dame einen zukunftsfähigen Anstrich zu verleihen. Dem 44-Jährigen zu vertrauen und ihm, notfalls auch für die zweite Liga, einen ausgewogenen Kader zur Verfügung zu stellen, wäre die nachhaltigere Entscheidung für den Verein gewesen.

Fest steht: Ob Hertha BSC nun absteigt oder nicht. Im Sommer kündigt sich ein erneuter Umbruch an, den man eigentlich hatte vermeiden wollen. „Wonach lechzen wir denn? Nach Kontinuität und Stabilität“, hatte Sportdirektor Benjamin Weber (43) noch am Sky-Mikrofon nach der Schalke-Pleite betont. Mit der Entlassung von Schwarz ist man diesem Anspruch erneut nicht gerecht geworden.

(Photo by RONNY HARTMANN/AFP via Getty Images)


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