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Kompany: Von Hamburger Fehlinvestition zum wichtigsten Cityzen aller Zeiten?

22. Mai 2019 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Spotlight | Sommer 2008. Nur zwei Jahre nach seiner Ankunft aus Anderlecht stellt der Hamburger SV den 22-jährigen Vincent Kompany ins Schaufenster. Eine schwere Verletzung warf ihn während seiner Debüt-Saison zurück. Eine Meinungsverschiedenheit mit Trainer Huub Stevens und ein verlängerter Aufenthalt bei den Olympischen Spielen ließen beim frustrierten Bundesliga-Dino den Geduldsfaden reißen. Gab der HSV im Sommer 2006 noch 10,5 Millionen Euro für den talentierten Innenverteidiger aus, so begnügte er sich nun mit einem 8,5 Millionen-Euro-Angebot von Manchester City.

„Wir sind sehr zufrieden“, kommentierte der damalige Klubchef Bernd Hoffmann das Verlustgeschäft und ergänzte:

„In den vergangenen zwei Jahren hat er unter dem Strich die Erwartungen nicht erfüllen können“.

(Photo by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Sommer 2019. Wieder nimmt ein Klubboss Abschied von Vincent Kompany, dieses Mal der der Cityzens, Khaldoon al-Mubarak: 

„Für eine Dekade war er die Essenz, das Blut, die Seele und das Herz eines höchsttalentierten Kaders“ 

Zwischen diesen Aussagen liegen elf Jahre. Der Hamburger SV ist seitdem erstmals aus der Bundesliga abgestiegen, tritt in wenigen Monaten die zweite Zweitligasaison seiner Existenz an. Ein Umstand, mit dem Kompanys Abgang selbst natürlich nur wenig zu tun hat, wenngleich er einige Bedauern dieser Zeit verkörpert.

Für die erfolgreichste Ära in der Geschichte Manchester Citys dagegen war er unverzichtbar…  

Die Konstante

Nur zwei Tage nach seinem Transfer zu Manchester City stand Vincent Kompany in der Startelf. Zusammen mit Michael Johnson formte er das Mittelfeld vor der Abwehr um Tal Ben Haim, Micah Richards, Verdan Corluka, Michael Ball und Keeper Joe Hart. Die Cityzens bezwangen West Ham mit 3:0. Auf der Tribüne saß Klubbesitzer Thaksin Shinawatra, dessen Geldhahn aufgrund politischer Konflikte zugedreht wurde.

Wenige Wochen später wurde die Vereinsübernahme durch Sheikh Mansour und die Abu Dhabi United Group beschlossen. Der Geldhahn wurde größer und begann stärker zu fließen als je zu vor. Kompanys Mitspieler wurden durch die neuen finanziellen Ressourcen Jahr für Jahr aufgewertet und ausgetauscht. Einzig Kompany blieb die Konstante.

Eckpfeiler einer Ära

Der Belgier wurde von Verletzungen verschont und reifte, sowohl als Mensch als auch als Spieler. In den kommenden Jahren entwickelte er sich im Gleichschritt mit den steigenden Ambitionen des neureichen Klubs stetig weiter. Kompany gehörte schon bald zu den besten Innenverteidigern der Liga. Für Manchester City wurde er mehr, er wurde zum entscheidenden Eckpfeiler der erfolgreichsten Ära der Vereinsgeschichte.

2010/2011 begann endlich diese Ära. Bereits im Halbfinale des FA Cups bekamen wir ein Bild zu sehen, an das wir uns gewöhnen würden. In der Abwesenheit Carlos Tevez‘ führte Kompany die Cityzens als Captain zu einem 1:0 Sieg über Stadtrivale Manchester United. Im Finale kehrte Tevez zurück und stemmte nach dem 1:0 über Stoke mit der Binde am Arm die Trophäe in die Luft.

Für ManCity war es die erste Trophäe seit 1976, zugleich die erste von zehn in den nächsten acht Jahren und bis heute die letzte, die ein City-Spielführer in Empfang nehmen würde, der nicht Vincent Kompany hieß.

(Photo by Alex Livesey/Getty Images)

Geborener Kapitän

Bereits im folgenden Sommer (2011) wurde Kompany, schon lange der Chef der Mannschaft, offiziell zum Kapitän ernannt. Weder Roberto Mancini noch Manuel Pellegrini oder Pep Guardiola würden diese Wahl in den folgenden acht Jahren nur eine Sekunde in Frage stellen.

Der elegante Verteidiger war der geborene Anführer, sowohl für Klub als auch für sein Land. Er strotze vor Autorität, steckte sein Team mit seiner Siegermentalität an und übernahm in den entscheidenden Momenten Verantwortung.

Diese entscheidenden Momente fanden nicht nur in Kompanys Hoheitsgebiet, der Defensive, statt. Nein, auch in der Offensive, wenn das Team unbedingt einen Treffer benötigte, war er zur Stelle.

Der Mann für die wichtigen Momente 

Kompany traf nicht oft, ganze 20 Mal in 360 Spielen, aber wenn er traf, war es wichtig.

Die Meisterschaft 2012, die erste der Cityzens seit 1968, wird natürlich auf Ewigkeiten wegen Sergio Agüeros Last-Minute-Treffer am letzten Spieltag gegen die Queens Park Rangers in Erinnerung bleiben. Ohne Kompany wäre dieser Moment allerdings gar nicht erst möglich gewesen. Zwei Spieltage zuvor erzielte er gegen Manchester United nämlich den 1:0 Siegtreffer. Ein Tor, das ManCity im Stadt-Duell um den Titel überhaupt erst an die Tabellenspitze hievte.  

2013/2014 war es ebenfalls Kompany, der mit seinem 2:0 über West Ham am letzten Spieltag der Saison die Nerven beruhigte und dafür sorgte, dass City seinen Zwei-Punkte-Vorsprung auf Liverpool verteidigen konnte. Nach einer Saison im Old Trafford kehrte die Meister-Trophäe zurück ins Etihad Stadium.

Anders als in der Rekordsaison 2017/2018, als man mit 19 Punkten Vorsprung Meister wurde, lieferte sich Manchester City 2018/2019 den wohl hochklassigsten und intensivsten Kampf um den Titel, den die Insel je gesehen hatte. Wieder hieß der Kontrahent Liverpool. Wieder wurde Kompany gebraucht und das, obwohl er mittlerweile 33 Jahre alt war und durch zahlreiche Verletzungen zurückgeworfen wurde.

Seit der Ankunft Guardiolas im Sommer 2016 bis zum 24. April 2019 stand Kompany nur 41 Mal in der Startelf und trotzdem war es der „alte Captain“, auf den der spanische Trainer in den letzten so entscheidenden vier Spielen der Saison setzte.

Angeführt von ihrem Ruhepol kassierten die Skyblues in diesen Partien lediglich ein Gegentor. Wichtiger noch, Kompany sorgte ganz nebenbei für den wichtigsten Moment der Saison. Am vorletzten Spieltag gegen Leicester war der damalige Tabellenzweite mal wieder zum Siegen verdammt. Trotz erdrückender Überlegenheit wollte das Tor einfach nicht fallen. In 71. Minute nahm sich Kompany ein Herz, legte sich den Ball zurecht und hämmerte ihn aus 30 Metern unwiderstehlich zum 1:0 Endstand in den Winkel. 

Das Traumtor, sein erstes für Manchester City aus dem Spiel heraus und sein mit Abstand spektakulärstes, leitete einen perfekten Ausstand ein.

(Photo OLI SCARFF/AFP/Getty Images)

Perfekter Ausstand

Durch das 1:0 über Leicester kehrten die Cityzens an die Tabellenspitze zurück. Dank eines 4:1 bei Brighton würden sie diese auch am letzten Spieltag der Saison nicht mehr abgeben. Zum ersten Mal seit 2009 konnte ein Team die Meisterschaft verteidigen. Nur eine Woche später wurde das getoppt. Im Finale des FA Cups bezwang Manchester City den FC Watford mit 6:0 und komplettierte dadurch als erste englische Männermannschaft überhaupt das nationale Triple.

Für Kompany war es der perfekte Ausstand, der perfekte Moment, um seinen Abschied zu verkünden, natürlich in gewohnt stilvoller Manier. Der 87-fache belgische Nationalspieler kehrt nun an den Ort zurück, wo im zarten Alter von sechs Jahren alles begann. Kompany wird zur kommenden Saison Spielertrainer des RSC Anderlecht.

(Photo LINDSEY PARNABY/AFP/Getty Images)

Der wichtigste Cityzen aller Zeiten

Die Lücke, die Vincent Kompany im blauen Teil Manchesters hinterlässt, ist enorm. In den letzten elf Jahren gab es einige Spieler, die maßgeblich an der erfolgreichsten Ära der Vereinsgeschichte beteiligt waren. Ein Yaya Touré dominierte über 300 Pflichtspiele mit außergewöhnlicher Physis die Mittelfelde der Liga, David Silva nun fast 400 Spiele mit Technik und Spielverständnis. Sergio Agüero ist mit 231 Treffern der ewige Top-Torjäger des Klubs und schoss das Tor zur ersten Meisterschaft dieser Epoche. Kevin De Bruyne und Raheem Sterling arbeiten mit Hochdruck daran, sich schon bald diesem elitären Kreis anzuschließen. 

Doch keiner dieser Spieler kann behaupten, in diesen elf Jahren alle zehn Titel gewonnen, geschweige denn neun davon als Kapitän in Empfang genommen zu haben. Keiner kann behaupten, so einflussreich und wichtig für den Verein gewesen zu sein, wie Vincent Kompany.

Auf dem Rasen glänzte er als einer der besten Verteidiger in der Geschichte der Premier League, als Siegertyp, als wahrer Kapitän und als professionelles Wahrzeichen der Kontinuität. Abseits des Platzes war er eine Inspiration, durch unzählige Wohltätigkeitsaktionen, durch die Entschlossenheit, insgesamt 40 Verletzungen zu überkommen und als Vorbild für seine Mitspieler.

Er ist der Mann, den die Fans des Arbeiterklubs auf den letzten Schritten zu einem der reichsten und erfolgreichsten Vereine der Welt als Identifikationsfigur brauchten…der wohl wichtigste Cityzen aller Zeiten.

(Photo by Julian Finney/Getty Images)

Chris McCarthy

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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