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Schalke und die Goretzka-Problematik

5. Mai 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Bleibt er? Geht er? Verlängert er langfristig mit einer Ausstiegsklausel? Wird er den Verein ablösefrei verlassen? Leon Goretzka beschäftigt die Medien und die Anhänger des FC Schalke 04 dieser Tage permanent. Es vergeht keine Woche, in der es nicht aus irgendeinem Bereich Neuigkeiten gibt. Seine Vertragssituation ist klar. Daraus ergibt sich sowohl für den Spieler als auch für den Verein eine schwer zu lösende, weitreichende Problematik.

Er soll eines der Gesichter des Umbruchs auf Schalke werden: Leon Goretzka. Was der Verein will, ist klar, eine langfristige Verlängerung, möglichst ohne Ausstiegsklausel. Der Spieler scheint das nicht zu bevorzugen. Für beide Seiten ergibt sich dadurch eine komplizierte Situation, bei der es jetzt für beide Parteien darum geht, eine möglichst vorausschauende Analyse zu tätigen.

 

Enorme Wichtigkeit für Schalke

Goretzka verbrachte seine Jugendzeit beim VfL Bochum, wechselte nach einer sehr guten Saison in der 2. Bundesliga im Jahr 2013 zum FC Schalke 04.  Seitdem bestritt der zentrale Mittelfeldspieler 115 Spiele für die „Königsblauen“, nahm eine positive Entwicklung und empfahl sich nachhaltig für Spitzenvereine in ganz Europa. Auch das Debüt in der Nationalmannschaft war ein Meilenstein für Goretzka, der in diesem Sommer die U-21-Europameisterschaft spielen soll. Danach geht der Blick in Richtung Weltmeisterschaft 2018 mit der A-Nationalmannschaft.

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Der 22-jährige ist unheimlich wichtig für Schalke. Er ist schon jetzt erfahren, kann die Mannschaft führen und bringt in den wichtigen Spielen konstant seine Leistung. In dieser Saison absolvierte Goretzka 38 Pflichtspiele für Schalke, erzielte dabei acht Treffer und bereitete fünf weitere vor. Er fungiert im Schalker System als Antreiber, der überall auf dem Platz zu finden ist. Sein Passspiel ist gut, Goretzka traut sich zu, das Risiko zu gehen und seine Mitspieler in Szene zu setzen. Sowohl defensiv als auch offensiv stellt er seine Qualität regelmäßig unter Beweis, gehört in dieser Saison zu den besten Spielern der Schalker.

 

Weiteres Entwicklungspotenzial

Klar ist, dass Goretzka in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. Klar ist aber auch, dass bei einem 22-jährigen noch eine Menge Potenzial schlummert, das ausgeschöpft werden muss. Der FC Schalke 04 verpasst in dieser Saison womöglich die Europa League, die Konkurrenz schläft nicht und die Entwicklung ist nicht absehbar. Goretzka muss sich auf höchstem Niveau beweisen, spielt nach jetzigem Stand in der kommenden Saison bei den Königsblauen aber nur die nationalen Wettbewerbe. Die U-21-EM ist für ihn allerdings ein Highlight. Und ein Übergang zur A-Nationalmannschaft. Die ambitionierte Nachwuchsmannschaft hat das Potenzial den Titel zu holen, Spieler wie Brandt, Süle, Weiser oder Gnabry spielen ihr letztes Turnier im Nachwuchsbereich.

Für Goretzka wird dieses Turnier sehr wichtig. Er wird die Mannschaft mitführen und an seinen Leistungen in dieser Saison gemessen werden. Deutschland ist einer der Favoriten, trifft in ihrer Gruppe auf Tschechien, Dänemark und Italien. Ein gutes Turnier würde ihm außerdem helfen sich im Hinblick auf die WM 2018 in den Fokus der A-Nationalmannschaft zu spielen. Bisher lief Goretzka dreimal für die Löw-Elf auf, eine gute Saison 2017/18 wäre perspektivisch von elementarer Bedeutung. Goretzka muss gefordert werden um sich weiterzuentwickeln. Konkurrenzkampf, internationale Erfahrung und Spiele auf höchstem Niveau sind dafür erforderlich.

 

Nur noch 1 Jahr Vertrag

Der Vertrag von Leon Goretzka läuft zurzeit noch bis Sommer 2018. Laut Christian Heidel wurden zumindest noch „keine intensiven Gespräche“ geführt. Das ist tendenziell auch nicht überraschend, die Schalker Saison bestand aus Höhen und Tiefen, viel Zeit für elementare Vertragsgespräche blieb nicht. Auch jetzt soll der Fokus auf das Erreichen der Ziele gelegt werden. Nach dem 4:1-Erfolg in Leverkusen, als Goretzka wieder einmal hervorstach und viele kluge Entscheidungen traf, hat man die Europa League weiterhin vor Augen. Ein Restprogramm aus Freiburg, Hamburg und Ingolstadt ist interessant, aber machbar.

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Doch was ist nach der Saison? Goretzka wird schnell zur U-21 reisen, sich dort auf das Turnier vorbereiten. Auch hier wird es nicht einfach Gespräche zu führen. Spieler und Verein müssen genau überlegen mit welcher Strategie sie in die weiteren Gespräche gehen wollen, wie man den Gegenüber von seinen Ansichten überzeugen möchte. Leon Goretzka wirkt zielorientiert und auch klug. Zwei Eigenschaften, die ihm bei seiner weiteren Karriereplanung weiterhelfen werden. Die Zeit auf Schalke hat auch bei ihm Spuren hinterlassen, er hat den Königsblauen viel zu verdanken, umgekehrt ist das aber ebenfalls der Fall.

 

Die Hauptproblematik – Goretzkas Sicht

Für Goretzka ist die Situation einfacher als für den Verein. Der 22-jährige steht an einem Punkt in seiner Karriere, an dem er sich die Vereine aussuchen kann. Viele internationale Spitzenklubs können sich vorstellen Goretzka im Kader zu haben. Die Flexibilität, die Dynamik, die Erfahrung und die Führungsqualitäten in jungen Jahren ergeben ein Gesamtpaket, das verlockend ist. Außerdem kann Goretzka seinen Marktwert mit einem guten Turnier im Sommer noch einmal steigern. Doch der Schritt in die europäische Spitze ist in der kommenden Transferperiode keine Pflicht. Auch auf Schalke besitzt er die Möglichkeit während des Umbruchs eine Schlüsselrolle einzunehmen, noch mehr Verantwortung zu übernehmen.

Ob Schalke für Goretzka eine hochemotionale Herzensangelegenheit ist, darf bezweifelt werden. Zwar ist er im Ruhrpott verwurzelt, aber wenn sich die Möglichkeit ergibt für den FC Bayern, Juventus Turin, den FC Liverpool oder einen anderen Topklub aufzulaufen, wird das auch keine große Rolle mehr spielen. Es ist durchaus denkbar, dass der 22-jährige im Sommer wechselt. Ebenso denkbar ist, dass er seinen Vertrag erfüllt und 2018, nach der Weltmeisterschaft, ablösefrei den Verein wechselt. Mit einer guten Saison und einer WM-Teilnahme würden sich erneut diverse Möglichkeiten auftun. Eine langfristige Verlängerung auf Schalke scheint derzeit eher unwahrscheinlich, zumindest ohne eine Ausstiegsklausel für den Spieler. Ob ihn die Tatsache, dass er beim anstehenden Umbruch die zentrale Figur sein könnte, nachhaltig beeindruckt, ist ebenfalls ungewiss. Ihm stehen jedenfalls alle Türen offen.

 

Die Hauptproblematik – Schalkes Sicht

Für den FC Schalke 04 ist die Situation schon schwieriger. Man verliert Sead Kolasinac und Choupo-Moting wohl ablösefrei, auch der Verbleib von Leihspieler Baba scheint ausgeschlossen. Zudem ist keine Vertragsverlängerung mit Meyer in Aussicht, Geis möchte mehr spielen und mit Huntelaar, Di Santo, Aogo und Sam werden weitere Spieler abgegeben. Christian Heidel hat eine klare Vorstellung vom Umbruch auf Schalke. Mit dem wahrscheinlichen Abgang von Kolasinac fehlt bereits frühzeitig eines der prominenten Gesichter, um die eine Mannschaft aufgebaut werden sollte. Die Schalker müssen viele neue Spieler verpflichten, Geld in die Hand nehmen und sich umstrukturieren. Auch Heidel weiß, dass das ein gewisses Risiko für Goretzka beinhaltet, gerade im Hinblick auf den Europapokal.

(Photo by Sascha Steinbach/Bongarts/Getty Images)

Doch was hat Schalke für Optionen? Man kann Goretzka in diesem Sommer verkaufen, vielleicht 20-25 Millionen Euro einstreichen und dieses Geld ebenfalls für den, dann noch größeren Umbruch verwenden. Ein Verkauf wäre aber auch zumindest eine kleine Niederlage für Schalke, die alles daran setzen um den Spieler in Gelsenkirchen zu halten. Der Plan wurde ganz klar formuliert: Man will mit Leon Goretzka in die nächste Saison gehen. Eine weitere Option ist es tatsächlich, ihn am Vertragsende ablösefrei abzugeben. Es würde zumindest für eine weitere Saison auf dieser Position eine gewisse Ruhe und auch Kontinuität entstehen, ein goretzkaesker Spielertyp könnte längerfristig beobachtet werden. Der finanzielle Aspekt spielt bei Schalke aber auch immer eine Rolle, dahingehend wird knallhart kalkuliert werden müssen.

Eine Vertragsverlängerung bietet aber auch Problempotenzial. Goretzka wird sich nicht für 4-5 Jahre an den Verein binden ohne eine Möglichkeit zu haben, den Klub vorzeitig zu verlassen. Christian Heidel will eine Ausstiegsklausel vermeiden, würde wohl sogar „all in“ gehen um Goretzka eine Verlängerung so schmackhaft wie möglich zu machen. Wenn der Mittelfeldspieler allerdings mit einer Ausstiegsklausel verlängert, beutetet das für die Schalker ebenfalls keine langfristige Planungssicherheit. Der Umbruch wird noch mindestens 1-2 Jahre andauern, eine permanente Entwicklung im Kader ist notwendig. Wenn Goretzka einer der Grundpfeiler dieser Entwicklung sein soll und er jederzeit wechseln könnte, muss man immer einen Plan B in der Tasche haben und ihn vor allem auch jederzeit realisieren können.

 

Goretzkas Perspektiven

Schließt man einen langfristigen Verbleib auf Schalke aus, bleiben noch andere, lukrative Möglichkeiten für den 22-jährigen. Zuletzt tauchten einige vage Gerüchte auf, nach denen Juventus Turin seine Fühler nach Goretzka ausgestreckt haben soll. Im Mittelfeld ist aber gerade nach der Systemumstellung nicht besonders viel Platz, die Konkurrenz mit Marchisio, Khedira, Pjanic, Lemina und mit Abstrichen Asamoah ist groß. Auch der FC Liverpool wird mit ihm in Verbindung gebracht. Jürgen Klopp als Trainer aus Deutschland, ein dynamischer, aggressiver Spielstil und internationale Ambitionen könnten Goretzka durchaus auf die Insel locken.

Im Mittelfeld der „Reds“ würde Klopp definitiv eine Möglichkeit finden um Goretzka einzubauen. Auch der FC Bayern ist eine Option für den 22-jährigen. Auch der deutsche Rekordmeister befindet sich in einem Teilumbruch, dessen Ausgang derzeit vollkommen offen ist. Es gibt zahlreiche Gerüchte und viele Spieler werden mit dem Team von Trainer Ancelotti in Verbindung gebracht. Es ist bekannt, dass der FC Bayern die Situation von Goretzka schon seit seiner Zeit in Bochum verfolgt, auch Hermann Gerland schwärmt in höchsten Tönen von Goretzka. Die Situation im Mittelfeld der Bayern ist allerdings zurzeit noch nicht absehbar, der Spielertyp Goretzka ist vielleicht nicht ideal, auch wenn junge deutsche Spieler wieder häufiger im Fokus des FCB stehen und Goretzka als eines der Toptalente gelten muss.

 

Fazit

Leon Goretzka wird in den kommenden Jahren den nächsten Schritt machen. Ob das 2017, 2018 oder gar erst 2019 geschieht, ist derzeit nicht absehbar. Schalke muss möglichst optimale Rahmenbedingungen schaffen und alles menschenmögliche tun um den Spieler weiterhin zu halten. Gleichzeitig muss man sich auf Schalke aber schon jetzt nach einem Plan B umsehen, Spieler scouten und erste Kontaktaufnahmen tätigen. Sollte der Tag kommen, an dem Goretzka den Verein verlässt, muss man vorbereitet sein und schnell handeln gönnen. Besonders das Mittelfeld bietet keine Zeit für Experimente, dort müssen neue Spieler möglichst sofort einschlagen.

Goretzka selbst wird sich auf die kommenden drei Ligaspiele und die Europameisterschaft im Sommer konzentrieren. Er ist in einer komfortablen Situation. Trotzdem muss der nächste Schritt wohlüberlegt getroffen werden. Der nächste Vereinswechsel könnte seinen weiteren Karriereverlauf entscheidend beeinflussen. Der Spieler ist gerade auf dem Weg in die Weltklasse. Es ist gut möglich, dass er sich zeitnah einen Verein aussuchen wird, der dort bereits ist.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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