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Wie wirkt sich das Coronavirus auf Sportjournalisten aus?

31. März 2020 | Spotlight | BY Hendrik Wiese

Das Coronavirus hat den Fußball fest im Griff. Die Wettbewerbe ruhen, die Vereine haben mit finanziellen Einbußen zu kämpfen, selbst das Privatleben ist stark eingeschränkt. Ob die Saison überhaupt beendet werden kann, darf angezweifelt werden.

Doch welche Folgen hat das für diejenigen, die mit Fußball ihr Lebensunterhalt finanzieren? Wir reden nicht von Spielern oder Trainern, sondern von Journalisten. Wir haben nachgehakt.

Um uns einen genaueren Einblick zu verschaffen, haben wir mit Tobias Altschäffl (Sport Bild), Jonas Austermann (TZ) und Sascha Bacinski (Sky) über ihren „neuen“ Alltag gesprochen – und die Konsequenzen, die die Fußballpause mit sich bringt.

„Es werden viele Telefonate geführt, wahrscheinlich mehr denn je zuvor“

90Plus: Das Coronavirus betrifft natürlich auch die Fußballwelt, sowohl auf dem Platz, als auch in Sachen Berichterstattung. Formate fallen weg, genauso der geregelte Ablauf in Abstimmung auf den Spielplan. Wie hat sich euer Tagesablauf im Vergleich zum „alltäglichen Leben“ geändert?

Tobias Altschäffl: Das Coronavirus bedeutet einen Einschnitt in unser Leben – privat wie natürlich auch beruflich. Die Arbeit als Reporter bei der SPORT BILD besteht in der Regel aus vielen Hintergrundgesprächen und Treffen mit Menschen aus der Fußballszene. Die Treffen bleiben nun natürlich aus. Aber nichtsdestotrotz werden viele Telefonate geführt, wahrscheinlich mehr denn je zuvor. Es ist beileibe nicht so, dass wir zuhause herum sitzen und nichts zu tun haben. Die Geschichten über das Verhältnis von Flick und Salihamidzic sowie unsere Berichte über den aktuellen Stand bei den Vertragsverhandlungen von Neuer und Alaba letzte Woche stehen hierfür wohl exemplarisch. Natürlich vermisse ich die Spiele und den direkten Kontakt, aber die Themen gehen uns nicht aus.

Jonas Austermann: Mein Tagesablauf unter der Woche hat sich bisher kaum geändert. Ich gehöre zu den wenigen Kollegen der Sportredaktion, die noch vom Büro aus arbeiten. Die Auswirkungen der Corona-Krise werden für mich eher auf dem Weg zur Arbeit oder in der Mittagspause spürbar. Was aber schon auffällt: Die Zahl der Telefonate, Videoanrufe und Whatsapp-Nachrichten während der Arbeit hat noch mal stark zugenommen.

Sascha Bacinski: Komplett. Statt im Stadion oder am Trainingsplatz zu stehen, Interviews nach Partien zu führen, Live-Schalten zur aktuellen sportlichen Situation zu machen oder Themen zu anstehenden Matches zu recherchieren, konzentriert sich nun natürlich vieles auf den Einfluss der Corona-Krise auf den Sport. Interviews vor Ort sind kaum möglich. Es gilt Skype-Schalten zu koordinieren, von daheim selbst zugeschaltet zu werden und zu schauen, wie jeder Verein, jede Sportart damit umgeht. Der Tagesablauf hat sich, wie bei wahrscheinlich allen in diesen Tagen, komplett geändert.

90Plus: Für viele Menschen in unserer Branche geht es auch abseits der beruflichen Verpflichtungen häufig um Fußball. Feste Zeiten, wie der Samstagnachmittag mit Bundesligafußball gehören dazu. Konkret gefragt: Es ist Samstag, 15:30 Uhr. Was macht ihr?

J.A.: Ich nutze die freie Zeit gerne, um selbst Sport zu machen. Am vergangenen Wochenende war ich am Samstag um 15.30 Uhr im Nordteil des Englischen Gartens joggen. Und ich musste dort leider feststellen, dass viele Münchner sehr sorglos mit der Bedrohung durch das Coronavirus umgehen. Dort haben sich definitiv zu viele Menschen – auch kleinere Grüppchen – aufgehalten. Bei vielen ging es weit über einen Spaziergang oder die Joggingrunde hinaus.

S.B.: Ehrlich? Die Wohnung sauber, Social Media und Podcasts hören. In dieser Reihenfolge ;)

T.A.: Die Wochenenden sind nun tatsächlich anders als sonst größtenteils frei. Ein ungewohntes Gefühl. Das bedeutet: Mehr Zeit für die Freundin, mit der man zuhause die Zeit verbringt. Vergangenen Samstag habe ich mich aber tatsächlich dabei ertappt, dass ich Samstag-Nachmittag bei Sky die Bundesliga-Classics angeschaut habe – die Saison 1994/95, als Dortmund mit Stefan Reuter Meister wurde. Da ich diese Woche mit Reuter ein Interview hatte, war das ein lustiger Einstieg ins Gespräch.

(Photo by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

„Wenn du zwischen Challenges und Kinderfotos einen möglichen Transfer erahnst, dann ist das eine willkommene Geschichte“

90Plus: Gegenwärtig herrscht Ungewissheit, wann die Wettbewerbe wieder beginnen können und wie es hinsichtlich des Transfermarktes weitergehen wird. Dennoch müssen Zeitungen verkauft werden und Webseiten weiterhin Klicks generieren. Seht ihr – insbesondere im Hinblick auf Transfergerüchte – die Gefahr, dass zu viele substanzlose Geschichten in den Umlauf kommen?

S.B.: Ihr meint, mehr als sonst? ;) Im Ernst, klar besteht die Gefahr. Jede noch so kleine interessante Geschichte bekommt natürlich derzeit noch mehr Aufmerksamkeit. Alles was anders ist, ist willkommen. Wenn du zwischen 367 Challenges mit Klopapier-Hochhalten oder Kinderfotos posten mal den Hauch eines möglichen Transfer erahnst, dann ist das für viele Kollegen natürlich auch eine willkommene Geschichte. Auch für den Leser, Zuschauer oder Hörer. Ob es zu viel wird? Derzeit NOCH nicht.

T.A.: Natürlich sind viele Gerüchte im Umlauf – in einer Zeit, in der kein Verein weiß, wie er planen kann. Spannend ist es natürlich, zu erklären, wie die Vereine für welche Szenarien planen: Abbruch der Saison, Fortsetzung mit Geisterspielen? Gerüchte gibt es viele, wir gehen darauf aber nur ein oder schreiben über Wechsel(gedanken), wenn wir sie nach dem Zwei-Quellen-Prinzip verifizieren können.

J.A.: Bislang empfinde ich die Lage so, dass nicht mehr krude Gerüchte im Umlauf sind als üblich. Ich bin aber gespannt darauf, welche Auswüchse eine womöglich noch monatelange Spielpause nach sich ziehen wird. Klar ist aber auch: Die Corona-Krise wird die Bewegung auf dem Transfermarkt und das finanzielle Volumen deutlich bremsen. Und wenn Klubs ums Überleben kämpfen, interessieren früher oder später auch die wildesten Gerüchte nicht mehr. Außerdem zeigt eine Notlage wie die aktuelle noch mal deutlich, dass Journalisten und ihren Texten eine hohe gesellschaftliche Verantwortung zuteil wird – und das gilt ressortübergreifend.

90Plus: Daran anschließend: Es tauchen viele Artikel auf, die legendäre Spiele(r) thematisieren, hinzu kommen kreative, weiterführende Texte. Ist die aktuelle Lage möglicherweise auch eine Chance für die Branche des Fußballjournalismus?

T.A.: Solche Interviews und Texte finde ich grundsätzlich sehr lesenswert. Wir hatten vergangenes Jahr schon die Rubrik „Spiel meines Lebens“ unter der Leitung unseres stellvertretenden Chefs Jochen Coenen. Die Serie kam sehr gut an: Große Spieler erzählen vom wichtigsten Spiel ihres Lebens. Das sind Elemente, die man nun natürlich gut fortsetzen kann. Ich habe hierfür beispielsweise mit Manuel Neuer über das Champions-League-Finale 2013 gesprochen. Ich war damals selbst im Stadion und erinnerte mich in diesem Gespräch mit einem der entscheidend Beteiligten noch einmal an diesen besonderen Tag.

J.A.: Ich lese in diesen Tagen viele interessante Geschichten von Kollegen abseits des aktuellen Geschehens und erlebe in der täglichen Arbeit, wenn es um die Umsetzung von Geschichten geht, sehr kooperative Menschen. Das sind zwei Punkte, die ich gerne auch im Alltag nach Corona in dieser Vielzahl sehen würde. Positiv ist für mich, dass der Fußball – und die gesamte Sportwelt – eine angemessene Einordnung erfahren. Es ist und bleibt die schönste Nebensache der Welt. Bei allen positiven Dingen muss ich aber auch ganz klar sagen: Der Rhythmus und die Spiele fehlen total. Und für das, was am Wochenende auf dem Platz passiert, schätze ich meinen Job so sehr. Vielleicht hilft die Pause der ganzen Branche dabei, den Fokus anschließend wieder mehr auf das Wesentliche zu richten: den Sport.

S.B.: Mmmh, für viele kann das sicherlich ein interessanter Aspekt sein in diesen Tagen. Ich persönlich bin kein großer Fan von Fussball-Historie. Klar kannst du mir ein Video mit den schönsten Grätschen von Mark van Bommel zeigen oder das Champions League Finale von 2005 und ich werde begeistert sein :) Aber mich interessiert mehr, welche Entwicklung der Fussball nimmt, wer ihn derzeit prägt, was auf dem Platz aktuell passiert und warum. Und das steht momentan still. Darum ist es schwierig. Aber um vielleicht anders auf die Frage einzugehen: durch die zahlreichen Skype-Schalten und Einblicke in das Privatleben der Fussballer haben, glaube ich, derzeit alle das Gefühl, näher an den Sportlern zu sein. Einen anderen Einblick zu bekommen. Vor allem die Fans. Was den Fussball- oder Sportjournalismus angeht, da lernen wir derzeit alle neue Aspekte unseres Jobs kennen. Und Kreativität kann da sicherlich nicht schaden.

90PLUS wird für die Monate März und April 15% der Einnahmen an die Initiative #WekickCorona spenden. Auch ihr könnt unterstützen: Jeder Klick, jede Spende zählt

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Hendrik Wiese

Aufgewachsen mit dem Spielstil von Bastian Schweinsteiger bevorzugt Hendrik spielerische Dominanz und technisch ansehnlichen Fußball. Seit Dezember 2019 ist er für 90PLUS unterwegs, bevorzugt im deutschen Oberhaus.


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