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FC St. Pauli – Vom Abstiegskandidaten zum formstärksten Team der Rückrunde

9. März 2021 | Trending | BY Jasper Glänzer

Der FC St. Pauli durchlebt eine sehr besondere Saison. Nach langer Durststrecke inklusive Negativrekord in der ersten Saisonhälfte, stehen die Kiezkicker in der Rückrundentabelle auf Rang eins und sind das Team der Stunde in der zweiten Liga. Woher kommt der plötzliche Leistungsaufschwung der Hamburger?

  • Der FC St. Pauli ist in der 2. Bundesliga die Mannschaft der Stunde
  • Nach der Hinrunde kam der Aufschwung
  • Trainer Timo Schultz findet die richtigen Mittel

St.Pauli: Eine Hinrunde zum Vergessen 

Ein 2:2 in Bochum und ein 4:2-Heimsieg gegen Heidenheim: So begann die Saison 2020/21 für den FC St. Pauli, ein durchaus ordentlicher Start für den neuen Coach Timo Schultz (43). Besonders Neuzugang Daniel-Kofi Kyereh (25) ließ die Herzen der Pauli-Fans schnell höher schlagen. Der Offensivakteur, der im Sommer ablösefrei von Ligakonkurrent Wehen-Wiesbaden geholt wurde, traf gleich drei Mal und bewies auch spielerisch schnell seinen Wert. Die Stimmung war gut im Hamburger Stadtteil, einen solchen Torhagel ist man als Anhänger der Kiezkicker nicht gewohnt. Sollte es nach der enttäuschenden Saison 2019/20, in der der Abstand zum Relegationsplatz am Ende nur zwei Punkte betrug, endlich wieder bergauf gehen?

Nein. Zumindest vorerst nicht. Denn auf den vielversprechenden Saisonauftakt folgte eine Hinrunde, in die Highlights mehr als rar gesät waren. Immerhin das Stadtderby gegen den HSV endete 2:2, wodurch St. Pauli zumindest die Stadtmeisterschaft nach den zwei gewonnen Derbys der Vorsaison nicht aus der Hand gab. Doch anschließend an die Partie im Volkspark verloren die Braun-Weißen mehr und mehr den Fokus. Trainer Schultz probierte einiges aus, setzte immer wieder auf Nachwuchstalente und rotierte sein System. Ohne Erfolg, Anfang Januar stellte der FC St. Pauli mit zwölf aufeinanderfolgenden Partien ohne Sieg den vereinseigenen Negativrekord ein. Über zehn Wochen hinweg belegte der Klub den vorletzten Tabellenplatz.

Photos: Imago

Burgstaller als Heilsbringer

Doch es war nicht alles schlecht auf St. Pauli. Bereits während der langen Durstrecke deutete sich immer wieder ein gewisses Potenzial an. Gerade die Neuzugänge Kyereh und Rodrigo Zalazar (21) ließen immer wieder spielerische Qualitäten erahnen. Was fehlte, war neben einer stabilen und gesetzten Defensive vor allem ein Unterschiedsspieler im Sturm. Kyerehs Qualitäten zeigten sich mehr und mehr im offensiven Mittelfeld und auf der Außenbahn. Im Angriff hatte mittlerweile der erst 17-jährige Igor Matanovic dem stets glücklos gebliebenen Simon Makienok (30) den Rang abgelaufen. Doch Besserung wollte sich nicht einstellen. 

Die kam erst in Form von Guido Burgstaller (31). Der Österreicher, der bei seinem Ex-Klub Schalke 04 aussortiert und im Sommer ablösefrei ans Millerntor gewechselt war, verpasste die erste Hälfte der Saison nahezu vollständig verletzungsbedingt und feierte erst am 9. Januar gegen Holstein Kiel sein Comeback. Sollte er dabei zwar noch torlos bleiben, so markierte das Spiel doch die Trendwende für St. Pauli. Beim 2:2 gegen den damaligen Tabellenzweiten deutete sich bereits einiges an, was in den folgenden Wochen umgesetzt werden sollte. 

Photo: Imago

Von den nächsten acht Partien gewann Pauli sieben und erzielte mehr Tore als in den 15 vorangegangenen Spielen zusammen. Wie ein Phoenix aus der Asche erhob sich Burgstaller, traf gleich sieben Mal in Folge, und stellte damit ganz nebenbei einen neuen Vereinsrekord auf. Er avancierte innerhalb kürzester Zeit zum Gesicht des neuen Erfolgs bei St. Pauli, denn er füllt genau die Lücke, mit der der Klub so lange zu kämpfen hatte. „Burgi“ hat den Torriecher, steht als klassischer Strafraumstürmer genau da, wo er stehen muss und ist eiskalt im Abschluss. Die Form des Österreichers erinnert wieder an seine Glanztage in Nürnberg. Als erfahrener Bundesligaakteur ist er außerdem ein wichtiger Führungsspieler bei den Kiezkickern, was gerade nach dem Abgang von Robin Himmelmann (32) und den langen Ausfällen von Christopher Avevor (29) und Christopher Buchtmann (28) ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Mit Burgstaller kam der Erfolg.

Pauli: Wintertransfers mit Hand und Fuß

Doch auch neben dem neuen Knipser hat sich bei St. Pauli einiges getan. Die Verantwortlichen um Sportchef Andreas Bornemann (49) haben die Problemstellen erkannt und diese im Winter mit zielgenauen Transfers bekämpft. So konnte man mit Omar Marmoush (22) vom VfL Wolfsburg einen Sturmpartner für Burgstaller ans Millerntor lotsen, der sofort eingeschlagen ist. Der junge Ägypter fand schnell ins Team, steht Woche für Woche in der Startelf und hat bereits vier Treffer und einen Assist vorzuweisen. Vor allem aber strahlt Marmoush ein hohes Maß an Spielfreude aus, sucht immer wieder das Eins-gegen-Eins und wirbelt durch die Abwehrreihen der Gegner. Dabei ist er zwar bei Zeiten noch zu ballverliebt, seine technischen Fähigkeiten bieten ihm allerdings auch einigen Spielraum.

Ähnliches gilt für Rodrigo Zalazar. Der Uruguayer ließ bereits zu Saisonbeginn immer wieder sein Können aufblitzen, hat sich aber in den vergangenen Wochen mehr und mehr stabilisiert und kann sein Talent nun viel konstanter abrufen. Auch er trennt sich nur äußerst ungern vom Spielgerät und muss in mancherlei Hinsicht noch reifen, trotzdem ist er mittlerweile einer der Schlüsselspieler bei St. Pauli. 

Photo: HMBxMedia/xHeikoxBecker

Neuer Rückhalt sorgt für Stabilität im Pauli-Kasten

Für die Nachfolge von Torwart Robin Himmelmann, dessen plötzliche Aussortierung nach über acht Jahren im Dress von St. Pauli für Viele unerwartet kam, wurde Dejan Stojanovic (27) vom englischen Zweitligisten FC Middlesbrough ausgeliehen. So fragwürdig und wenig „Pauli-like“ die Art und Weise der Absetzung von Himmelmann auch gewesen sein mag, aus sportlicher Sicht hat sich die harte Entscheidung bezahlt gemacht. Mit Stojanovic ist deutlich mehr Sicherheit ins Tor des Klubs zurückgekehrt, als es in den vergangenen Monaten der Fall war. Nach der Rückkehr des lange verletzten Abwehrrecken James Lawrence (28) hat sich darüber hinaus auch die Innenverteidigung mit Philipp Ziereis (27) gefunden und stabilisiert. Flankiert werden die beiden von Sebastian Ohlsson (27) und Leard Paqarada (26), wobei sich vor allem Letzterer in den vergangenen Wochen immer auffälliger zeigte. Der Linksfuß ist schnell und ballsicher und auch in der Vorwärtsbewegung ein wichtiges Element auf dem Flügel. 

Eigengewächs Fin-Ole Becker (20) und wahlweise Rico Benatelli (28) oder Eric Smith (24) komplettieren die 4-1-2-1-2-Formation, in der Schultz seine Mannen auf den Platz schickt. Der Übungsleiter hat nach viel Herumprobieren sein System und seine Startelf gefunden, seine Strategie funktioniert. 

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Pauli findet endlich wieder Selbstvertrauen

Der Aufschwung des FC St. Pauli ist kein Produkt des Zufalls, sondern das Resultat einer zugegeben langen trial-and-error-Phase sowie einer geschickten und resoluten Transferpolitik. Gleichzeitig scheint das nötige Spielglück zurück ans Millerntor gekehrt zu sein. Betrachtet man die bisherige Saison rückblickend, so fällt aber vor allem eines auf: Das Selbstvertrauen ist wieder da. In der Hinrunde war in jeder Partie aufs Neue förmlich spürbar, wie unwohl sich die Truppe auf dem Rasen gefühlt hat. Klar, bei solchen Resultaten auch kein Wunder. Das Auftreten der Pauli-Akteure erweckte häufig den Eindruck, als wolle jeder Spieler den Ball bloß schnell wieder loswerden, bloß nichts riskieren, bloß keine Fehler machen. Die wurden freilich trotzdem zuhauf gemacht, das ist bei einer solchen Mentalität auch kaum zu vermeiden.

Tatsächlich wirkten die Rückkehr von Burgstaller und die Transfers des Winters, insbesondere der von Marmoush, wie ein Dosenöffner: Plötzlich geht doch was, plötzlich trauen sich die Spieler und suchen sogar den Zweikampf. Und auch, wenn einige Akteure das in ihren Dribblings dann manchmal etwas übertreiben, so ist das am Ende doch nicht nur die effektivere Variante, sondern auch diejenige, welche die Fans sehen wollen. 

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Derby-Sieg als Höhepunkt

Das Highlight der Saison dürfte mit dem 1:0-Sieg im letzten Stadtderby gegen den HSV bereits feststehen. Auch hier ging beim Siegtreffer eine Einzelleistung und ein gewagter Chipball von Zalazar voraus, den Kyereh nach Ablage von Luca Zander (25) mit vollem Risiko in die Maschen prügelte. Diese Art von Fußball sollten die Kiezkicker weiter aufrechterhalten, dann werden zumindest in dieser Saison die positiven Resultate von alleine folgen. Im Sommer dann muss sich erneut zeigen, wie viele Leistungsträger Pauli wird halten können. Gerade die feste Verpflichtung von Leihspielern wie Zalazar und Marmoush erscheint ob der Klasse der beiden doch sehr unwahrscheinlich. Die Zeichen könnten also einmal mehr auf Umbruch stehen – aber das sind aktuell noch Zukunftsprobleme. 

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Jasper Glänzer

Wegen Ronaldo gekommen und für Asamoah geblieben. Gefangen zwischen Bolzplatz und VAR, dabei stets ein Herz für’s Mittelmaß. Kein Bock auf Bollwerk. Seit 2019 bei 90Plus.


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