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TSG Hoffenheim: Unruhe und Transferchaos statt Europa-Euphorie

23. August 2024 | Spotlight | BY Till Gabriel

Die TSG 1899 Hoffenheim steht vor einer ungewissen Saison. Nach einer auf allen Ebenen chaotischen Vorbereitung muss Trainer Pellegrino Matarazzo den Blick zunächst nach unten richten.

Hoffenheims Sommerpause: Geplatzte Deals und Fan-Proteste

Es war schonmal ruhiger in Sinsheim. Hinter der TSG 1899 Hoffenheim liegt ein bewegter Sommer. Personalwechsel auf der Führungsebene, aufgebrachte Fans und eine Transferperiode voller Pleiten, Pech und Pannen haben die Freude über die Qualifikation für die Europa League schwer getrübt. Wo steht die TSG zum Saisonstart?



„Der Kader ist – Stand heute – wesentlich schwächer als in der Vorsaison“, betont Nikolas Beck, der als stellvertretender Ressortleiter Sport für die Rhein-Neckar-Zeitung über den Bundesligisten berichtet. Grund dafür ist eine Transferphase zum Vergessen. Bis vor zwei Wochen konnte Hoffenheim keinen einzigen Neuzugang vorstellen, einzig die Leihe von David Jurasek wurde verlängert. Mittlerweile konnten mit Alexander Prass und Adam Hlozek zwar zwei durchaus vielversprechende Neuankömmlinge präsentiert werden, ob der Tscheche, der von Meister Leverkusen in den Kraichgau wechselt, den zum BVB abgewanderten Maximilian Beier ersetzen kann, bleibt jedoch abzuwarten.

Auf die erhoffte – und dringend benötigte – Verstärkung in der Innenverteidigung warten die TSG-Anhänger dagegen weiterhin. Mit Oumar Soulet und Armel Bella-Kotchap war eigentlich alles klar, doch bei beiden platzte ein Wechsel beim Medizincheck. Derzeit stehen mit Youngster Tim Drexler, Kevin Akpoguma, Stanley Nsoki und dem eigentlich aussortierten und Attila Szalai nur vier gelernte Innenverteidiger zur Verfügung. Ozan Kabak fehlt nach seinem Kreuzbandriss weiterhin.

Routinier Andrej Kramaric kommt weiterhin eine Schlüsselrolle zu. (Photo by DANIEL ROLAND/AFP via Getty Images)

Zu wenig Personal, um die von Pellegrino Matarazzo bevorzugte Dreierkette aufzustellen, weshalb der Trainer aktuell Sechser Anton Stach in der Defensivzentrale aufbietet. „Fakt ist, die Liga startet und die eine oder andere Position im Kader ist nicht besetzt, das ist nicht optimal“, machte der Trainer keinen Hehl daraus, dass er mit der Transferphase alles andere als einverstanden ist.

Auch im Sturm ist die Personaldecke dünn. Routinier Andrej Kramaric agiert mittlerweile aus einer tieferen Position hinter den Spitzen. Der Kroate geht in seine neunte komplette Saison in der PreZero-Arena. Nur einmal, 2021/2022 blieb er unter der 10-Tore-Marke. Mit 33 Jahren ist der Vizeweltmeister von 2018 auf der Zielgeraden seiner Karriere, aber weiterhin die große „Hoffe“-Konstante.

Vor dem Hoffenheimer Rekordtorschützen (115 Bundesligatore) wird es eng: Zwar soll Herthas Haris Tabakovic kommen, dazu rückt mit Max Moerstedt ein U17-Weltmeister zu den Profis. Allerdings fehlt der schnelle Ihlas Bebou mit einer Knieverletzung, zudem verlor man mit Beier seinen besten Torschützen an Borussia Dortmund. Im Pokal stürmten gegen die Würzburger Kickers mit Marius Bülter und Leih-Rückkehrer Jacob Bruun Larsen zwei gelernte Flügelspieler.

Hlozek könnte Abhilfe schaffen, wobei auch der junge Tscheche lieber als hängende Spitze agiert. Vorjahresneuzugang Mergim Berisha wird nach seinem Kreuzbandriss noch Zeit brauchen, kam beim Zittersieg im DFB-Pokal aber immerhin 42 Minuten zum Einsatz und verwandelte seinen Versuch beim Elfmeterschießen. „Auch auf den Außenbahnen müsste Verstärkung für Spitze und Breite her. Anders formuliert: In diesem Kader drückt der Schuh eigentlich nur im zentralen Mittelfeld nicht“, ordnet Beck ein.

Seine Demission sorgte für Proteste der Ultras: Ex-Sportchef Alexander Rosen.(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Nach Rosen-Trennung: Tischtuch zwischen Hopp und Fans zerschnitten

Neben der schleppenden Personalplanung auf dem Platz, haben Personalentscheidungen abseits des grünen Rasens zu einem wahren Flächenbrand geführt. „Die Vorbereitung war und ist mit Blick auf die Ereignisse zu Beginn des Trainingslagers sicherlich die denkwürdigste in der inzwischen 16-jährigen Bundesliga-Geschichte der TSG“, ordnet Experte Beck ein. Die Trennung von Sportchef Alexander Rosen im Juli kam überraschend und sorgte bei einem Teil der TSG-Fans für Empörung.

Mit dem langjährigen Entscheidungsträger musste quasi die gesamte Sportliche Leitung um Ex-Profi Pirmin Schwegler gehen. Die Ultras verliehen ihrem Ärger, der sich in erster Linie gegen Hoffenheim-Gesellschafter Dietmar Hopp richtet, lautstark Luft. „Jetzt seid Ihr zu weit gegangen. Ihr habt einen Krieg begonnen, den Ihr nicht gewinnen könnt“ war auf einem Banner am Trainingsgelände zu lesen.

„Den Dialog mit der verbliebenen Klubspitze lehnen die beiden Ultras-Gruppierungen aktuell ab, drohen sogar damit, einen Spielabbruch herbeizuführen. Eine Lösung der Problematik ist nicht in Sicht. Denn die Forderung der kleinen, aber lautstarken Gruppe, Gesellschafter Dietmar Hopp möge sich zurückziehen und Alex Rosen zurückkehren, wird natürlich nicht erfüllt werden“, erklärt Beck und ist sich sicher, dass die Unruhen sich auf das sportliche Abschneiden auswirken werden: „Auch die Spieler sind von der Thematik, die ja nichts mit dem Geschehen auf dem Rasen zu tun hat, zunehmend genervt. Beim Zittersieg am Freitag im Pokal in Würzburg haben die mitgereisten Fans erst zur zweiten Hälfte mit dem Support begonnen.“

Als wären das nicht schon genug Störfeuer, kamen zudem Gerüchte auf, dass Matarazzo Nationaltrainer der USA werden soll. Zwar widersprach der 46-Jährige den Meldungen, für weitere Aufruhr sorgten die Spekulationen jedoch allemal. Der Coach hat Hoffenheim während seiner Amtszeit aus dem Abstiegskampf in den Europapokal geführt, saß dabei aber nicht immer fest im Sattel. Die wacklige Defensive bekam er bis heute nicht in den Griff, sein Steckenpferd war auch in der Vorsaison die starke Angriffsreihe, die 66-mal ins Schwarze traf.

Anton Stach ist als Aushilfs-Innenverteidiger gefragt. (Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Was ist eine erfolgreiche Saison für die TSG Hoffenheim?

Was also ist zu erwarten von einer TSG 1899 Hoffenheim, die einerseits von der Teilnahme an der Europa League beflügelt sein sollte, aber andererseits einen hollywoodreifen Sommer erlebte? Beck glaubt, dass der Blick zunächst nach unten gerichtet werden sollte: „Für die TSG geht es in der Liga darum, nicht erneut in Abstiegsnöte zu geraten.“

Das Abschneiden in der Bundesliga dürfte unmittelbare Auswirkung darauf haben, ob die Europa-League-Auftritte zu den erhofften Highlightspielen werden oder zur Bürde. „Denn mit einigen Niederlagen zu Beginn würde bei einem Spiel an einem kalten Donnerstagabend im November und in einem dann vielleicht halbleeren Stadion gewiss Tristesse herrschen“, befürchtet Beck.

Coach Matarazzo übt sich derweil in Diplomatie und versucht seit Wochen, den Fokus aufs Sportliche zu lenken: „Als Trainer versucht man Klarheit, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. Ich versuche, so klar und fokussiert wie möglich zu bleiben für diese Mannschaft. Damit sie eine faire Chance hat auf eine erfolgreiche Saison.“ Die könnte für die TSG Hoffenheim unter den aktuellen Vorzeichen schon mit dem Klassenerhalt erreicht sein.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)


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