Schwacher Start: Reicht der Gladbach-Kader für eine sorgenfreie Saison? Das Streitgespräch
22. September 2023 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion
Borussia Mönchengladbach veränderte im Sommer vieles. Gerardo Seoane ist neuer Trainer, dem Kader wurden einige talentierte Akteure hinzugefügt, wichtige Führungsspieler verließen den Klub. Nach vier Spieltagen sind noch viele Fragen zu beantworten.
Gladbach: Wohin geht die Reise in dieser Saison?
Vier Spieltage sind in der Bundesliga absolviert, Borussia Mönchengladbach steht bei zwei Punkten. Geholt gegen den FC Augsburg und Darmstadt 98, obwohl in diesen beiden Partien sieben Gegentore kassiert wurden. Viel mehr lässt sich auf positiver Ebene noch nicht über die Fohlen erzählen. Klar, unter dem neuen Trainer Gerardo Seoane (44) kann noch nicht von Beginn an alles nach Plan laufen. Insbesondere nicht, weil der Kader auf vielen Positionen verändert wurde und das Geld fehlte, um ihm hohe Qualität hinzuzufügen.
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Trotzdem: Es gab viele Spielphasen, in denen Gladbach behäbig, statisch und alles andere als wach im Kopf wirkte. Der frühe 0:3-Rückstand gegen Darmstadt dürfte jeden alarmiert haben. Zwölf Gegentore aus vier Spielen sind ebenfalls keine Basis für ein positives Fazit. Dafür präsentieren sich immerhin junge Spieler wie Rocco Reitz (21), auch Neuzugang Tomas Cvancara (23) zeigte schon seine Qualitäten im Abschluss. Die Findungsphase zwischen Kader und Trainer dürfte bald abgeschlossen sein, vorher geht es aber noch gegen RB Leipzig. Und über allem schwebt die Frage: Reicht der Kader der Fohlen für eine sorgenfreie Saison?
Ende gut, alles gut: Die Fohlen werden sich noch fangen
Der Saisonstart von Borussia Mönchengladbach war schlecht – sehr schlecht. Anders kann man es nicht formulieren. Trotzdem: Die Fohlen werden eine sorgenfreie Saison spielen. Sorgenfrei heißt dabei, dass die Mannschaft von Gerardo Seoane sich noch fangen wird und die Saison aller Voraussicht nach – wie bereits in den Jahren zuvor – im Niemandsland der Tabelle abschließen wird. Warum? Der Kader der Borussia ist rein individuell trotz namhafter Abgänge nach wie vor mit vielen fähigen Bundesligaspielern ausgestattet, so zum Beispiel Florian Neuhaus oder Nico Elvedi (beide 26). Vor allem Letzterer wurde bei den bisherigen Auftritten der Borussia in der wackligen Defensive schmerzlich vermisst. Weil der Verein im Vertragspoker mit dem Schweizer aber noch auf ein Bekenntnis wartet, nahm Elvedi bislang eine Reservistenrolle ein. Doch mit einer Rückkehr von Elvedi in die Startelf sollte auch mehr defensive Stabilität bei den Gladbachern einkehren.
Darüber hinaus gelangen der Borussia bei all den schmerzhaften Abschieden auch einige gute Transfers. Die Rückkehr von Julian Weigl (28) stabilisiert das Mittelfeld, wo die Borussia mit Manu Koné (22) ohnehin bereits über ein Juwel verfügt. Die zeitnah erwartete Rückkehr des zuletzt verletzten Franzosen dürfte das Spiel der Gladbacher auf ein neues Level heben. Und der aus Tschechien verpflichtete junge Mittelstürmer Tomas Cvancara (23) macht seine Sache bislang sehr ordentlich.
Zu guter Letzt wäre da noch der neue Trainer der Borussia, Gerardo Seoane, dessen Ideen und Philosophie zwar bei seiner neuen Station bislang noch nicht fruchten, der aber trotz unschönem Ende ein Jahr lang sehr gute Arbeit in Leverkusen geleistet hat und die Werkself auf Platz drei führte. Auch wenn sein Nachfolger Xabi Alsonso Leverkusen offenbar noch besser gemacht zu haben scheint, steht Seoane zumindest das Vertrauen zu, ein Team wie Gladbach sicher ins Tabellenmittelfeld der Bundesliga zu führen. Ob der Schweizer der Richtige ist, wenn die Borussia langfristig wieder weiter oben anklopfen will, sei jedoch dahingestellt.
Sicherlich wird der ein oder andere Gladbach-Anhänger seine Erwartungen etwas zurückschrauben müssen. Die Borussia steht nach dem Abgang mehrerer Leistungsträger vor einem großen Umbruch. Das internationale Geschäft, in dem die Fohlen bis vor ein paar Jahren regelmäßig vertreten waren, ist erst einmal in weite Ferne gerückt. Jetzt heißt es geduldig sein, clever scouten und in junge Talente investieren. Sorgen machen muss sich am Niederrhein jedoch keiner.
David Schöngarth
Fehlende Stabilität wird zum Problem
Wenn man „sorgenfrei“ rein darauf herunterbiegt, dass man höchstwahrscheinlich nicht bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt zittern wird, dann dürfte der Kader von Borussia Mönchengladbach wohl tatsächlich ausreichen. Doch wenn man über dieses „Bare Minimum“ hinausschaut und vor allem auch die Sorgen der Fans adressiert, dann könnte doch noch einiges an Unruhe auf den Verein zukommen. Immerhin musste man in den letzten Jahren schon einiges an Enttäuschungen hinnehmen und den, mehr oder weniger, schleichenden Abstieg ins graue Mittelfeld der Bundesliga akzeptieren. Eine punktetechnisch durchwachsene Saison würde wohl niemanden mehr schocken.
Was aber immer wieder für Unruhe sorgte, sind auch emotionale Punkte. Immer wieder zeigte sich die Elf vom Niederrhein in emotional aufgeladenen Spielen enorm schwach und verärgerte die Anhängerschaft, zudem haben viele Spieler die Fans durch eine offensichtlich fehlende Bindung zum Klub verärgert. Einen zehnten Platz an sich kann man verzeihen, aber einzelne Spiele und Derbys, in denen man nicht einmal ansatzweise die Tugenden ausstrahlt, die man sich auf den Rängen wünscht – das kann schnell heikel werden, auch für den Trainer.
Und gerade in diesem Punkt könnte der Kader für Gerardo Seoane zum Problem werden. Ein schweres Auftaktprogramm hin, Vorschusslorbeeren aus Leverkusen her. Die Defensive der Gladbacher ist mit 12 Gegentoren schon vor dem Leipzig-Spiel die zweitschwächste der Liga und wirkt nicht nur zu wenig eingespielt, sondern erschreckend schwach. Vor allem, weil man sich auf auf den Zentralpositionen vor der Defensivkette nicht auf einen wirklichen Stabilisator verlassen kann. Sowohl Julian Weigl als auch Manu Kone und Florian Neuhaus haben unbestritten ihre Stärken, ein klassischer Anker ist keiner von ihnen.
Auf dem Papier gibt jeder Mannschaftsteil zwar durchaus etwas her, aber es fehlen die Spieler, die wirklich Sicherheit geben und auf Dauer dafür sorgen können, dass die Fohlen nach den unruhigen Zeiten zumindest einmal eine Saison ohne größere Ausrutscher oder Ärgernisse überstehen. Und wenn das nicht gelingt, könnte die Stimmung kippen. Das macht Sorge.
Julius Eid
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)