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Serge Gnabry am Scheideweg: Spielentscheider oder verzichtbar?

25. Februar 2023 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Im Sommer 2017 wechselte Serge Gnabry zum FC Bayern München. Zunächst sammelte der Offensivspieler ein Jahr Spielpraxis bei der TSG 1899 Hoffenheim, anschließend wurde er in den Profikader des Rekordmeisters integriert. Nun, knapp fünf Jahre später, befindet sich der 27-Jährige möglicherweise an einem ganz entscheidenden Punkt in seiner Karriere. 

Serge Gnabry: Ein Spieler für die Highlights

Denkt man an bestimmte Spiele und Szenen von Serge Gnabry (27) im Trikot des FC Bayern, dann fallen einem spontan viele Highlights ein. Sein Viererpack in der Gruppenphase der UEFA Champions League bei den Tottenham Hotspurs wäre ein solches Beispiel. An diesem Abend in London gelang dem Ex-Arsenal-Profi nahezu alles. Perfekte Ballannahmen, Dynamik ohne Ende, Zug zum Tor und platzierte Abschlüsse: So krönte sich der Offensivspieler zum Spieler des Spiels. Auch beim 3:0 des Rekordmeisters in der gleichen Saison beim FC Chelsea erzielte er einen blitzschnellen Doppelpack, war beim Finalturnier in Lissabon unter anderem im Halbfinale gegen Olympique Lyon mit einem herausragenden Tor entscheidend.



Auch in der Bundesliga finden sich Beispiele für Partien, in denen Gnabry als Torschütze und Vorlagengeber glänzte, fünf Scorerpunkte im Dezember 2021 gegen Stuttgart waren sein Bestwert. 2018/19 sammelte der Offensivspieler 22 Torbeteiligungen, ein Jahr später waren es sogar 37. Zu dieser Zeit befand sich der Nationalspieler in einem absoluten Formhoch. Es folgte eine kompliziertere Saison mit „nur“ elf Toren und sieben Vorlagen, ehe 2021/22 wieder eine Steigerung vernommen werden konnte. Auch in der laufenden Saison liest sich die Statistik bisher mehr als nur gut, elf Tore und elf Vorlagen sind ein guter Wert. Doch es fehlt etwas. 

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2022/23: Die Statistiken kaschieren die Konstanzprobleme

Viele werden sich noch erinnern, dass sich die Gespräche zur Vertragsverlängerung von Serge Gnabry im ersten Halbjahr des Jahres 2022 extrem in die Länge gezogen haben. Am Ende einigten sich beide Parteien, der Offensivspieler unterschrieb bis 2026 und das Gehalt wurde entsprechend angepasst. Die Verantwortlichen forderten vom Nationalspieler im Gegenzug aber auch eine Leistungssteigerung, ein Anknüpfen an die starke Saison 2019/20.

Gnabry

(Photo by MICHAELA REHLE/AFP via Getty Images)

Doch viel ist davon nicht zu sehen. Die elf Tore und elf Vorlagen kaschieren ein wenig das, was regelmäßig auf dem Feld zu sehen ist. Auch in dieser Saison zeigte Gnabry vereinzelt seine Highlightspiele, je ein Tor und eine Vorlage gelangen ihm gegen Leipzig im Supercup, Frankfurt, Bochum und Freiburg in der Bundesliga, drei Tore gegen Bremen, drei Vorlagen gegen Barcelona. Das Problem sind auch nicht diese Spiele, sondern die anderen. In 17 Partien der laufenden Saison konnte der 27-Jährige nämlich keine Torbeteiligung vorweisen. 

53 Torschüsse feuerte der Angreifer in dieser Saison in der Bundesliga bei 21 Einsätzen ab, 28 gingen neben das Tor. Die Präzision im Abschluss fehlt mitunter, teilweise wirkt der 27-Jährige auch zu verspielt im letzten Drittel. Mitunter fällt zudem auf, dass es an der letzten Explosivität fehlt, sein Sprint“rekord“ 2022/23 liegt bei unter 33 km/h, einige Spieler im Bayern-Kader haben hier bessere Werte vorzuweisen. Es ist die Mischung aus alldem in Verbindung mit Formdellen der gesamten Mannschaft, die bei Gnabry zu einer wellenförmigen Saison führen, mit kleinen Hochs und einigen Tiefs. 

Gnabry muss wieder kompromissloser werden

Nun ließe sich das Argument anbringen, warum gerade Gnabry besonders unter Zugzwang steht, wo doch auch Kingsley Coman (26) und Leroy Sané (27) mit Schwankungen zu kämpfen hatten.  Im Fall von Sané ähneln sich einige Statistiken sogar, der Linksfuß trug den FC Bayern aber gemeinsam mit Jamal Musiala (19) durch eine längere Phase in der Hinrunde, erreichte ein höheres Level als sein gleichaltriger Teamkollege. Hinzu kommt, dass Sané zwar noch immer mitunter der Nimbus der Lustlosigkeit anhaftet, er sich bei den intensiven Läufen aber nicht vor anderen verstecken muss und häufig nach Ballverlusten 40, 50 oder 60 Meter nach hinten arbeitete, um den Ball wieder zu erobern.

Im Fall von Sané ist vor allem das Spiel auf engstem Raum entscheidend. Er flankt im Vergleich zu Gnabry seltener, nimmt häufiger am Kombinationsspiel teil und versucht, kreative Lösungen zu finden. Coman hingegen ist ein klassischer Flügelspieler, der im 1-gegen-1 in dieser Saison erfolgreicher ist als Gnabry. Zudem haben sowohl Coman als auch Sané eine höhere Endgeschwindigkeit und einen explosiveren Antritt. Der Franzose war besonders zuletzt sehr aktiv und überzeugte im größten Spiel der bisherigen Saison in Paris als bester Spieler, während Gnabry, nur eingewechselt, auf seiner Seite riesengroße Probleme hatte.

Gnabry

(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Doch wie kann der 27-Jährige (wieder) zu seiner absoluten Topform finden? Die Antwort ist naheliegend und hängt von zwei Faktoren ab. Die letzten Wochen zeigten, dass es Gnabry schwer fällt, der Aktivposten zu sein, der in der Offensive Verantwortung übernimmt und Impulse setzt. Deswegen ist ein Formanstieg der gesamten Offensive mit einem besseren Rhythmus im Spiel und mehr Präzision unabdingbar. Vieles war zuletzt Stückwerk, häufig fehlte die Bewegung im gesamten offensiven Drittel.

Eine weitere Möglichkeit ist, dass der 27-Jährige selbst sein Spiel wieder umstellt. Gnabry war dann besonders wichtig, wenn er, übertrieben gesagt, kompromisslos aus allen Lagen in Richtung Tor gefeuert hat. Der Angreifer verfügt über einen sehr guten und wuchtigen Abschluss, der nicht nur direkt zu Toren führt, sondern auch zu Abprallern, die wiederum gefährlich werden und von den Kollegen abgestaubt werden können. Speziell in der aktuellen Saison wich dieses Element zu oft einem Quer- oder Hackenpass respektive einem anderen Schnörkel, der sich am Ende nicht auszahlte.

Nagelsmann-Einfluss und Zukunftsaussichten

Gemessen an den aktuellen Geschwindigkeitsvorteilen der Konkurrenz (Sané, Coman) und der höheren Kreativität mit dem Ball (Musiala, Sané) muss Gnabry also Lösungen finden, damit er unverzichtbar für den FC Bayern ist. Der 27-Jährige will ein entscheidender Mann sein, also sollte er regelmäßig Spiele entscheiden, denn seine Fähigkeiten in Topform geben genau das her. Nun hat auch Trainer Julian Nagelsmann (35) die Aufgabe, ihn so einzusetzen, dass er diese Fähigkeiten so gut es geht auf den Platz bekommen kann. Das beginnt schon bei der Wahl der „richtigen Seite“, denn während ein Spieler wie Sané auf links oder in den Halbräumen seine besten Spiele zeigte, gilt das für Gnabry auf dem rechten Flügel.

Das lässt sich auch mit Zahlen belegen. Auf der rechten Seite war er in vier der fünf Spielzeiten beim FC Bayern statistisch deutlich besser, die Ausnahme bildet die Saison 2020/21. Konkret erzielte Gnabry auf links spielend 23 Tore in 61 Spielen, dazu kommen elf Vorlagen, summa summarum also 0,56 Torbeteiligungen pro Partie. Rechts waren es 46 Tore in 36 Vorlagen in 92 Partien, umgerechnet also 0,89 Scorerpunkte pro Spiel. Dass diese Zahlen insgesamt sehr gut sind und der 27-Jährige dennoch Phasen hat, in denen er glücklos oder unauffällig agiert, zeigt, dass er der Spieler in der Bayern-Offensive ist, der am deutlichsten von den Zahlen abhängig ist.

Ganz grundsätzlich gehören einige Profis im Kader des FC Bayern in die Kategorie der Spieler, die noch einen letzten Schritt machen müssen, um in die oberste Kategorie zu gehören. Angesichts der geringeren individuellen Klasse im Zentrum nach dem Lewandowski-Abgang und einigen Spielen, in denen es dem gesamten Team an der Kreativität mit dem Ball fehlte, was ohnehin ein größerer Faktor im Bayernspiel ist, bleibt die Frage, wie lange die Verantwortlichen des Rekordmeisters die aktuelle Kaderkonstellation noch fortführen wollen und können.

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Verantwortlichen des Klubs in Erwägung ziehen, die strukturellen Probleme anzugehen und einen athletischen Spielertypen durch einen besseren Fußballer zu ersetzen. In diesem Fall wäre Gnabry einer der logischen Kandidaten, die auf den Markt kommen könnten, alleine schon, um eine Ablösesumme zu generieren. Will der 27-Jährige eine große Zukunft beim FC Bayern haben, dann muss er die Frage, ob er nun ein effizienter Spielentscheider ist oder doch ein verzichtbarer Mosaikstein deutlich zugunsten der ersten Option beantworten. Es liegt zu einem sehr großen Teil an ihm selbst.

(Photo by MICHAELA REHLE/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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