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Überzeugende Halbzeit in Leipzig: Warum Guerreiro zum Problemlöser für den FC Bayern werden kann

1. Oktober 2023 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Das 2:2 im Spitzenspiel zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern war reich an Erkenntnissen. Zwei Unterschiedliche Halbzeiten gab es auf dem Rasen zu sehen, am Ende teilten beide Topteams verdientermaßen die Punkte. Zur Halbzeit noch führte der Gastgeber mit 2:0, hatte den Rekordmeister am Haken. Bis Raphael Guerreiro das Spiel entscheidend beeinflusste. 

Wieder fußballerische Makel beim FC Bayern

Mit Spannung wurde das Topspiel in der Bundesliga zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern erwartet. Weil der Rekordmeister die letzten beiden Duelle gegen diesen Gegner verlor. Und auch, weil die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel (50) seit dessen Amtsantritt noch auf das erste vollumfänglich überzeugende Spitzenspiel wartet. Bis heute, denn die erste Halbzeit in Leipzig glich nach guten Auftaktminuten einem Desaster. Der FC Bayern wackelte im eigenen Ballbesitz, fand keine Lösungen gegen das Gegenpressing der Hausherren. Im Gegenteil: Durch das Bespielen der Räume, in denen RB besonders aktiv an der Balleroberung arbeitet, erleichterte die Tuchel-Elf dem Gegner die Umsetzung der eigenen Idee.



Leipzig spielte nach Ballgewinnen schnell nach vorne, verwickelte die Defensivspieler der Gäste häufig in Eins-gegen-eins-Situationen. Das sollte aus Sicht des amtierenden Meisters verhindert werden. Die Folge war eine erste Halbzeit, in der das Spiel aus Sicht des FC Bayern von zu viel Hektik geprägt war. Mehrere Faktoren spielen dabei eine Rolle. Allen voran fehlt es dem Rekordmeister aber an Fußballern auf dem Platz. Das ist keine Neuigkeit, denn die Veränderungen der letzten Jahre, was die Besetzung des Kaders angeht, sorgte für ein zunehmendes Missverhältnis zwischen Athleten und Technikern, die ein Spiel beruhigen können. Vereinfacht gesagt: Es gibt zu viele Spieler, die zwar laufstark sind, aber mit dem Ball im Vergleich wenig anfangen können.

Bayern Leipzig Guerreiro

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Ein Spiel gegen einen angestachelten, aggressiven und hochmotivierten Gegner zu beruhigen, ist nicht möglich, wenn immer wieder technische Fehler dafür sorgen, dass das Spielgerät verspringt oder ein Pass den einen, entscheidenden Meter zu weit oder zu kurz gespielt wird. Beispiele aus dem Leipzig-Spiel gibt es genügend, Sven Ulreich (35) ermöglichte Emil Forsberg (31) mit einem katastrophalen Ball eine große Möglichkeit, Leon Goretzka (28) trieb den Ball bei einem Konter deutlich zu lange durch das Mittelfeld, schickte Kingsley Coman (27) am Ende ins Abseits. Die Tuchel-Elf lud Leipzig förmlich dazu ein, das eigene Spiel durchzuziehen. Gleichzeitig ließ Bayern Gleich- oder Überzahlsituationen ungenutzt, weil die Präzision fehlte.

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Guerreiros Einfluss führt zu Bayerns Reaktion

Zur zweiten Halbzeit musste sich etwas ändern. Der FC Bayern wechselte Mathys Tel (18) für den durchschnittlichen Coman ein, wollte einen Spieler auf dem Feld haben, der mehr den Abschluss sucht als vorbereitend agiert. Und Thomas Tuchel ersetzte Goretzka durch Raphael Guerreiro (28), der nach seiner Verletzung erst zum zweiten Mal in einem Pflichtspiel für den Rekordmeister auflief. Schon vor dem Handelfmeter, der zum Anschlusstor führte, war eine Veränderung der Statik im Spiel zu sehen. Guerreiro spielte gemeinsam mit Jamal Musiala (20) eine „Doppel-8“, was gleich auf mehreren Ebenen eine gute Idee war. Die Besetzung der Halbräume, defensiv wie offensiv, gelang dem FC Bayern besser. Hinzu kam, dass im Aufbau mehr Lösungen gefunden werden konnten, weil Guerreiro und Musiala beide ein gutes Verständnis für die Räume, in die sie sich bewegen müssen, aufweisen.

Außerdem fand der Portugiese im Verlauf der zweiten Halbzeit einfache Lösungen. Er kam dem Passgeber entgegen, ließ den Ball präzise klatschen, bewegte sich sofort wieder in die gefährlichen Räume. Von der Balltreiberei der ersten Halbzeit war wenig zu sehen. Bayern konnte direkter, schneller, schnörkelloser spielen. Und übernahm mehr und mehr die Kontrolle über die Partie. Insbesondere die Phase vor dem 2:2, als der Gast Leipzig förmlich einschnürte, griffiger im Gegenpressing war, überzeugte. Immer mittendrin: Raphael Guerreiro. Es war keine spektakuläre Halbzeit von ihm, aber er hatte massiven Einfluss darauf, dass die Zahnräder im Spiel der Gäste immer besser ineinandergriffen und die Spielidee von Tuchel jetzt plötzlich fruchtete. Kurz gesagt: Guerreiro hob das Spiel des FC Bayern fußballerisch auf ein höheres Level.

Ein Problemlöser für die kommenden Aufgaben

Die hohe Spielintelligenz und das Raumgefühl sind zwei der wichtigsten Eigenschaften im Spiel des Neuzugangs. Für den Rekordmeister lautet die gute Nachricht, dass sich der Portugiese allmählich den 100 Prozent nähert, in den nächsten Wochen mehr und mehr Spiele absolvieren kann und wird. Und muss. Denn an der Zusammensetzung des Kaders kann der FC Bayern bis zur Winterpause nicht viel ändern. Guerreiro könnte zumindest dafür sorgen, die Versäumnisse des Sommertransferfensters zu kaschieren. Nicht nur, weil er ein exzellenter Techniker ist, sondern auch aufgrund seiner Flexibilität. Er kann links in der Abwehr dafür sorgen, dass Alphonso Davies (22) in den harten englischen Wochen eine Pause erhält und dessen Position anders interpretieren, also ein zusätzlicher Aufbauspieler in der Defensive sein.

Außerdem ermöglicht er dem FC Bayern, verschiedenste Mittelfeldbesetzungen zu bespielen. Wie in Leipzig als Doppel-8 mit Musiala, aber auch defensiver eingesetzt neben Joshua Kimmich (28), hinter einem klassischen 10er oder zwei Stürmern mit einem sich fallen lassenden Harry Kane (30). Selbst auf dem Flügel, als einrückendes Element, um Davies die Außenbahn freizugeben, kann der Portugiese auflaufen. In Anbetracht des Kaders, dem auf vielen Positionen die nötige Homogenität fehlt, ist die Rückkehr von Guerreiro ein Segen für den Rekordmeister.

Die nächsten Aufgaben heißen Kopenhagen, Freiburg, Mainz, Galatasaray und Darmstadt, unterbrochen von einer Länderspielphase. Es würde nicht überraschen, wenn der Portugiese in dieser Phase viele Spielminuten erhält, um die nötige Bindung zum Spiel zu erhalten und Automatismen im Zusammenspiel mit seinen Mitspielern zu generieren. Je eher das gelingt, desto mehr kann Guerreiro die Rolle des Problemlösers im Spiel des FC Bayern vollständig ausfüllen.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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