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Hertha BSC vor der Rückrunde: Die positiven Ansätze veredeln

11. Januar 2023 | Trending | BY 90PLUS Redaktion

Hertha BSC hat mal wieder ein turbulentes Jahr hinter sich gebracht und bereitet sich aktuell auf die Rückrunde vor. Wir nutzen die Zeit, werfen einen Blick auf mögliche Kaderaktivitäten in der laufenden Wintertransferperiode und wagen eine Prognose über das Abschneiden zu Saisonende.

Während in den anderen großen Ligen Europas der Ball längst wieder rollt befindet sich die Bundesliga in Folge der WM-Pause immer noch im Winterschlaf. Dies nutzen die meisten Vereine für ein Trainingslager, um sich bestmöglich für die Rückrunde vorzubereiten. So auch die Mannschaft von Hertha BSC, welche aktuell ihr Trainingslager in den USA (Florida) abhält. Dort sollen die Grundsteine für eine erfolgreiche 2. Saisonhälfte gelegt werden. Grund genug, um sich die Voraussetzungen für ein entsprechendes Abschneiden genauer anzuschauen und einen Ausblick zu wagen.



Hertha BSC: Der bisherige Saisonverlauf

Nach sachlicher Betrachtung sieht Herthas sportliche Situation wiederholt ernüchternd aus: 14 Punkte aus 15 Spielen, Platz 15 und punktgleich mit dem relegationsplatzierten VfB Stuttgart. Eben jenen 16. Platz belegten die Blauweißen bereits in der vergangenen Saison und zogen mit einem 2:0 im Relegationsrückspiel in Hamburg im letzten Moment den Hals aus der Schlinge. Seitdem ist einiges passiert: Sportdirektor Fredi Bobic führte seine umfangreiche Umstrukturierung im Verein fort und installierte zahlreiche neue Gesichter in der Führungsebene, u.a. Sandro Schwarz als den neuen Cheftrainer. Mindestens genauso groß war der Kaderumbruch vor der Saison (10 Zugänge, 19 Abgänge). In Anbetracht dessen sprachen Bobic und Schwarz bereits vor der Saison von der nötigen Geduld bis sich das Team finde und das neue Spielsystem verinnerlicht. Dennoch waren die Erwartungen andere als ein eher düster anmutender 15. Platz zum Jahresende.

Hertha BSC

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Doch wirft man einen genaueren Blick auf die bisherige Saison sind auch positive Tendenzen zu erkennen. Nach einem anfänglichen Fehlstart mit Pokalaus gegen Zweitligist Braunschweig und nur einem Punkt aus den ersten vier Bundesligaspielen fing sich die alte Dame und wirkte nach und nach stabiler in ihren Leistungen. In der Folge war man in allen Spielen konkurrenzfähig und die Mannschaft schien Sandro Schwarz‘ Spielidee des aggressiven Arbeitens gegen den Ball und geradlinigen Angriffsspiels mit dem Ball immer besser zu adaptieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gerade in der Schlussphase der Partien häufig die letzte Konsequenz und Kaltschnäuzigkeit fehlte, weshalb einige bittere Punktverluste hingenommen werden mussten. Beispielhaft zu nennen sei hier der Last-Minute-K.O. gegen Abstiegskonkurrent VfB Stuttgart am 14. Spieltag (1:2 Niederlage). Und trotzdem scheinen die Fans sowie die Berliner Medienlandschaft die spielerischen Fortschritte zu honorieren und verzichten auf eine obligatorische Trainerdiskussion, Schwarz sitzt aktuell fest im Sattel.

Hertha BSC im Kadercheck

Soviel zum Stand der Dinge, doch wie gut ist die Hertha für die intensive Rückrunde gewappnet? Bezieht man diese Frage auf den Kader der Spreeathener stellt sich ebenso die Frage nach möglichen Aktivitäten in der aktuellen Transferperiode. Was die erste Elf angeht, hat Sandro Schwarz es geschafft eine eingespielte Achse, vorwiegend in der Spielformation 4-2-3-1, zu formen. Im Tor ist der junge Däne Christensen gesetzt und hat größtenteils überzeugt, was ihm zuletzt die WM-Teilnahme mit Dänemark bescherte. Die Außenverteidigerpositionen sind rechts mit dem englischen Neuzugang Jonjoe Kenny und links Kapitän Marvin Plattenhardt ebenso gesetzt. Kenny etablierte sich sofort als solider Verteidiger, der allerdings offensiv nur wenige Akzente setzte (0 Tore, 1 Vorlage). Plattenhardt ist wiederum der Anführer und Antreiber über die linke Seite und für seine Qualitäten bei Standardsituationen und Flanken aus dem Spiel heraus bekannt. Allerdings: Plattenhardt stand zuletzt in der Kritik, eine Trennung im Sommer ist realistisch.

In der Innenverteidigung ist Marc-Oliver Kempf unangefochtene Stammkraft und zeigt im Vergleich zur vergangenen Saison eine deutlich erhöhte Formkurve. Neben ihm spielte an den ersten Spieltagen meist Filip Uremovic, welcher vor der Saison aus Russland von Rubin Kasan kam. Der Kroate leistete sich jedoch immer wieder erhebliche Unsicherheiten und hatte Phasenweise mit leichteren Blessuren zu kämpfen. Diese Chance nutzte Augustin Rogel und komplettiert seitdem das Stamminnenverteidiger-Duo. Der großgewachsene Uruguayer (1,91m) überzeugte bisher mit seiner körperlichen Robustheit in Zweikämpfen sowie seiner ausgewiesenen Kopfballstärke. Gewisse Defizite sind hingegen noch im Aufbauspiel erkennbar. Im zentralen Mittelfeld bildeten zumeist Lucas Tousart und Suat Serdar die Doppelsechs, wobei die Rollenverteilung klar ist. Tousart markiert den Abräumer vor der Abwehrkette, der die Bälle erobert und das Spiel von hinten aufbaut, wofür er mitunter in die letzte Kette abkippt. Suat Serdar ist hingegen etwas offensiver veranlagt, wird im Ballbesitz vorwiegend zum Achter, ist in das Angriffsspiel eingebunden und bildet somit das Bindeglied zwischen Defensive und Offensive.

Tousart Hertha BSC

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Beide Spieler scheinen von Schwarz’ geradliniger Spielphilosophie zu profitieren. So stehen bei Serdar, der seinen Coach schon aus Mainzer Jugend- und Profizeiten kennt, bereits drei Tore aus 14 Ligaspielen auf der Habenseite. An der Vorlagenstatistik (bislang 0 Assists) wolle er jedoch noch arbeiten, verriet er zuletzt im vereinseigenen Podcast „Hertha on Air“. Auf der Zehnerposition kommt es hingegen immer wieder zu personellen Veränderungen. So bekleideten mit Boetius, Boateng, Richter, Jovetic und zuweilen auch Serdar bereits einige Spieler jene Position, was für eine fehlende Optimallösung im Kader spricht. Zur Wahrheit gehört jedoch ebenso, dass bis auf Serdar alle genannten Spieler bereits mit mehr oder weniger starken Verletzungen und Krankheiten zu tun hatten.

Lukebakio besonders hervorzuheben

Auf den Flügeln ist Dodi Lukebakio rechts gesetzt. Der in der Vergangenheit immer wieder für seine Arbeitseinstellung kritisierte und zuletzt an Wolfsburg verliehene Belgier erzielte bereits sieben Treffer, ist Topscorer (9 Scorerpunkte) der Berliner und überzeugt vollends. Seine Tempodribblings und Konterqualitäten sind entscheidende Elemente im Berliner Offensivspiel. Der linke Flügel war zu weiten Teilen der Hinrunde mit Chidera Ejuke besetzt. Der aus Moskau ausgeliehene Nigerianer überzeugt ebenso mit seinen Stärken in Tempo, Beweglichkeit und Dribbling. Der 25-Jährige ist schwer vom Ball zu trennen, verpasst aber ab und an den richtigen Moment abzuspielen. Auch seine Abschlussstärke konnte der noch torlose Angreifer bis dato nicht unter Beweis stellen. Zuletzt kam vermehrt der abschlussstärkere Marco Richter auf dem linken Flügel zum Einsatz. Im Sturmzentrum setzt Sandro Schwarz zumeist auf Wilfried Kanga.

Der mit vier Millionen Euro Ablöse teuerste Einkauf des vergangenen Sommers kommt bislang auf überschaubare zwei Saisontreffer. Gerade in den ersten Spielen wirkte er nur bedingt ins Spiel der Berliner eingebunden und hing phasenweise in der Luft. Bobic lobte den ivorischen Nationalspieler hingegen zuletzt für seine mannschaftsdienliche Spielweise und prophezeite gegenüber der Bild-Zeitung eine Steigerung in der Rückrunde, was die Torausbeute angeht. Und in der Tat ist Kanga ein Spielertyp, den die Hertha seit dem Abgang von Jhon Cordoba nach Russland (2021) nicht mehr vorweisen konnte. Mit seinem bulligen Körperbau kann er als Zielspieler fungieren, Bälle festmachen sowie Verteidiger binden und somit Freiräume für seine Mitspieler auf den Außenpositionen ermöglichen. Die zuletzt ansteigende Formkurve des Westafrikaners lässt somit durchaus positive Schlüsse für die Rückrunde zu.

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Die Alte Dame verfügt somit über eine Stammmannschaft die durchaus das Niveau für einen sicheren Mittelfeldplatz hat und daher ein besseres Abschneiden als Platz 15 erwarten ließe. Jedoch macht der Blick auf die Verletztenliste gewisse Sorgen. Mit Boateng (wiederholt Rückenprobleme), Jovetic (immer wieder muskuläre Probleme), Ngankam (Knie-/Muskelbeschwerden) und Nsona (Kreuzbandverletzung) laborieren gleich vier Offensivakteure immer wieder an mehr oder weniger schweren Verletzungen und spielten somit bisher kaum eine Rolle. Der Franzose Maolida kommt hingegen aus sportlichen Gründen kaum zum Zug und ist ein Verkaufskandidat. Auch Kapitän Plattenhardt hat immer wieder mit Adduktorenproblemen zu kämpfen. Aktuell dritter Linksverteidiger nach Plattenhardt und Mittelstädt ist der junge Lukas Ullrich (18 Jahre), dessen Vertrag wie bei beiden Konkurrenten im Sommer ausläuft. Er gilt als großes Talent, ist Juniorennationalspieler und wird von mehreren Bundesligavereinen umworben. Hertha täte gut daran ihm eine Perspektive im Kader aufzuzeigen und Ullrich somit doch noch zu einer Vertragsverlängerung zu bewegen.

Was ist auf dem Transfermarkt bei Hertha möglich?

Im bisherigen Transferfenster hatte Bobic mit Selke (1. FC Köln), Darida (Aris Saloniki), Björkan (Bodø/Glimt), Gechter (Leihe nach Braunschweig) und Lee (Rückkehr nach Südkorea) bereits fünf Abgänge zu vermelden, Zugänge gibt es bei Hertha noch keine. Der Geschäftsführer Sport scheint die Entschlackung des phasenweise aufgeblähten Kaders sowie den Sparkurs weiter voran zu treiben. In Anbetracht der Abgänge, weiterer Wechselkandidaten und der beschriebenen Verletztensituation erscheinen die offensiven Flügelpositionen sowie das Sturmzentrum doch recht dünn besetzt.

Die vorvertraglich fixierten Sommertransfers von Florian Niederlechner und Fabian Reese, welche beide ablösefrei aus Augsburg und Kiel kommen, erscheinen aus finanzieller und sportlicher Sicht durchaus sinnvoll, haben auf die Rückrunde jedoch noch keinen Einfluss. Realistisch erscheint hier evtl. ein Leihgeschäft eines Spielers, der offensiv flexibel einsetzbar und für die zielstrebige Spielphilosophie der Berliner geeignet ist. Gerüchten zufolge beschäftigten sich die Blauweißen bereits mit Deniz Undav. Der Deutsche wurde vergangene Saison Torschützenkönig in der belgischen Jupiler Pro League und spielt mittlerweile in der Premier League bei Brighton & Hove Albion, wo er jedoch nur sporadisch zum Einsatz kommt. Auch das defensive Mittelfeld der Berliner ist nach dem Abgang Daridas relativ dünn besetzt.

Neben den gesetzten Tousart und Serdar verbleibt lediglich der Kroate Ivan Sunjic. Transfermarkt.de berichtete bereits von einem Vorfühlen Bobic’s in Richtung Ungarn. Denn bei Ferencvaros Budapest steht aktuell Aissa Laidouni unter Vertrag. Der Tunesier erlangte zuletzt bei der WM in Katar größere Bekanntheit und zeichnet sich durch seine ausgeprägte Mentalität und Zweikampfstärke aus. Die WM-Bühne wird jedoch sicherlich weitere Interessenten angelockt haben. Bereits im Sommer wurde auch über einen neuen Mann auf der Torhüterposition diskutiert, der Christensen Druck macht und im Zweifelsfall zur Stelle ist. Die Rede ist von einem erfahrenen Torhüter, denn aktuell bekleidet der erst 19-jährige Ernst die Nummer 2 nachdem sich Hertha und Routinier Jarstein seit längerem im Rechtsstreit befinden. Ernst gilt zwar als Torhütertalent, verfügt jedoch noch über keinerlei Profierfahrung.

Bobic Hertha

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Trotz mehreren potenziellen Baustellen im Kader scheint eine Transferoffensive allerdings ausgeschlossen. Die Zeiten in denen Hertha unter Preetz und Klinsmann 75 Millionen Euro in neue Wintertransfers investierte sind vorbei. Der Verein befindet sich auf Sparkurs und nagt nach wie vor an den Folgen der Corona-Pandemie sowie den großen Ausgaben zu Beginn der Windhorst-Zeit. Realistischer erscheinen ein bis zwei gezielte Investitionen, ohne größerem finanziellen Risiko. Ohnehin ist der Wintertransfermarkt erfahrungsgemäß kein einfacher, da die Vereine ihre Stammspieler nur ungern während einer Saison ziehen lassen. Die Zugangsseite hängt sicherlich auch von möglichen weiteren Abgängen ab, denn wer Fredi Bobic kennt weiß, dass dieser gerne lange und bis kurz vor Transferschluss wartet, bis sich die entscheidende Transferoption auftut. Und somit sind wir wohl erst am Ende des Monats wirklich schlauer.

Hertha BSC: Die Prognose für die Restsaison

Doch wie wird das Team zum Saisonende abschneiden? Wenn wir erneut einen Blick auf die Tabelle richten ist festzuhalten, dass Hertha BSC absolut konkurrenzfähig ist. Vergleicht man die bisherige Spielweise im Saisonverlauf und den Kader mit den niedriger platzierten Schalke und Bochum, erscheint ein direkter Abstieg eher unwahrscheinlich. Zu bieder waren zumeist die Auftritte der Konkurrenz aus dem Ruhrpott, die auch finanziell limitiert ist und somit wohl keine größeren Taten auf dem Transfermarkt zu erwarten sind. Mit Blick auf die weitere Konkurrenz aus Köln, Augsburg und Stuttgart ist dieser Qualitätsunterschied jedoch nicht festzustellen. Zwar sind auch die Kölner auf Sparkurs und haben wie die Augsburger einen Abwärtstrend zu verzeichnen, doch hier scheint von Unruhe im Verein keine größere Spur.

Baumgart und Maaßen sitzen fest im Trainersattel und 16. Stuttgart hat mit Labbadia einen alten Bekannten frisch installiert, der als „Feuerwehrmann“ berüchtigt ist und zuletzt noch die Hertha vor dem Abstieg bewahrte. Sich nur auf die eigene Qualität zu verlassen wird somit womöglich nicht reichen, will man nicht erneut mit dem Relegationsplatz vorlieb nehmen. So scheint eine Abschlussplatzierung zwischen Platz 13 und 16 realistisch. Entscheidend wird sein, ob Schwarz‘ Spielsystem immer besser greift und eine Verletztenmisere im Zuge der englischen Wochen aus bleibt oder ob die Hertha erneut einen schlechten Start hinlegt und somit sofort unter größeren Druck gerät. Das Auftaktduell zur zweiten Saisonhälfte am 21. Januar bei Abstiegskonkurrent Bochum wird daher direkt zu einem wichtigen Gradmesser für den weiteren Saisonverlauf werden. Es bleibt jedenfalls spannend bei der Hertha.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Niels Kunicke


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