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Jahresawards 2022: Wer ist Trainer des Jahres?

30. Dezember 2022 | WM-News | BY 90PLUS Redaktion

Das Fußballjahr 2022 neigt sich dem Ende entgegen, also ist es Zeit für die Jahresawards. In sieben Kategorien lassen wir das Jahr noch einmal Revue passieren. Die sechste Kategorie kümmert sich um die Trainer des Jahres. 

Nun, den Trainer des Jahres zu bestimmen, gestaltet sich generell eher schwierig. Jeder Trainer arbeitet natürlich mit anderen Voraussetzungen als ein möglicher Kontrahent. Es ist ebenso beeindruckend, mit einer individuell nicht so starken Mannschaft und einem geringen Budget fernab der Abstiegsränge zu rangieren wie mit einem Topklub Titel zu gewinnen. Was beispielsweise Eddie Howe (45) bei Newcastle United machte, wie Mikel Arteta (40) Arsenal auf Vordermann brachte oder wie Christian Streich (57) und Urs Fischer (56) Freiburg und Union im Spitzenbereich der Bundesliga etablierten, ist aller Ehren wert. Nominiert wurden letztlich aber andere Trainer.

Carlo Ancelotti (Real Madrid)

Als sich Real Madrid im Sommer 2021 dafür entschied, Carlo Ancelotti (63) als Trainer zurückzuholen, zogen nicht wenige Beobachter die Augenbraue(n) wie der Italiener selbst nach oben. Sicher, der Altmeister hatte dem Verein 2014 mit dem Triumph in der Champions League die ersehnte „La Decima“ gebracht. Allerdings war die Zusammenarbeit schon ein Jahr später nach einer titellosen Saison wieder zu Ende. Zudem verliefen die jüngeren Stationen Ancelottis nicht unbedingt beeindruckend. Beim FC Bayern verlor er nach einem soliden ersten Jahr den Rückhalt des Teams bereits in den ersten Wochen der zweiten Spielzeit. Genauso verlief sein Engagement bei der SSC Napoli, wo ebenfalls nach rund 18 Monaten die Zusammenarbeit im Dezember 2019 einseitig beendet wurde. Im gleichen Monat schloss sich Ancelotti dem FC Everton an, rettete den Verein vor dem Abstieg und landete im 2020/21 – trotz einiger Investitionen – auf einem enttäuschenden zehnten Rang.

Der Stern des hochdekorierten Coaches schien also in den letzten Jahren deutlich gesunken zu sein. Von daher wirkte seine Wahl, um den legendären Zinedine Zidane (50) nach seinem Ausscheiden zu ersetzen, wenig spektakulär. Umso spektakulärer verlief allerdings die Spielzeit für Real Madrid. In der Liga feierten die „Königlichen“ einen Start-Ziel-Sieg und wurden so souverän Meister, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Für noch mehr Aufsehen sorgten die Auftritte in der Königsklasse. In einem wahnsinnig schweren Programm gegen PSG, Titelverteidiger Chelsea, Manchester City und letztendlich im Finale gegen Liverpool war Real nicht nur phasenweise die schlechtere Mannschaft und stand mehrmals vor dem Aus. Doch das Team behielt, analog zum seinem Coach, stets die Ruhe, glaubte an sich und drehte auch kaum mehr für möglich gehaltene Rückstände. So feierte eine eigentlich abgeschriebene, alternde Mannschaft um Kapitän Karim Benzema (35) einen nicht mehr für möglich gehaltenen Triumph im größten Vereinswettbewerb und gleichzeitig das „große Double“ – auch diese (widerlegte) Wahrnehmung geht einher mit jener ihres Trainers bei seiner Ankunft.

Marius

Lionel Scaloni (Argentinien)

„Scaloni kann nicht mal den Verkehr leiten. Nicht mal den Verkehr!“ Diese Worte sagte die Ikone Diego Maradona im Frühjahr 2019, kurz nach Scalonis Ernennung zum neuen argentinischen Nationaltrainer, über den damals 40-Jährigen. Maradona war zu dieser Zeit keineswegs allein mit seiner Meinung. Sämtliche Experten des argentinischen Fußballs sprachen Lionel Scaloni, der zuvor Co-Trainer der Nationalmannschaft und Cheftrainer der U20 Argentiniens war, die Eignung ab, diese Mannschaft erfolgreich zu trainieren. Es folgten 36 ungeschlagene Spiele in Folge und spätestens mit dem Triumph bei der Copa America 2021 ließ er auch die letzten Kritiker verstummen. Die sehr souveräne und ungeschlagene WM-Qualifikationsrunde tat ihr Übriges dazu, dass vor der Weltmeisterschaft in Katar die Erwartungen an den zuvor verunglimpften Trainer plötzlich riesengroß waren.

(Photo by Julian Finney/Getty Images)

Eines war bereits vor dem Turnier klar: Würde er seinem Land den dritten Weltmeistertitel bescheren und damit Lionel Messi die Krönung seiner Karriere ermöglichen, stände er in einer Reihe mit dem größten Trainern des argentinischen Fußballs. Dass man im Auftaktspiel mit einem 1:2 gegen Saudi-Arabien die erste Niederlage von Scalonis Amtszeit hinnehmen musste, schien die Albiceleste wenig zu beeindrucken. Mit einer bemerkenswerten taktischen Variabilität schien Scaloni danach gegen jede Mannschaft das passende Rezept zu finden. Die Dreierkette gegen die Niederlande, das kompakte 4-4-2 im Halbfinale gegen Kroatien und schließlich die Aufstellung von Di Maria als linken Flügelspieler im Finale, jeder seiner Schachzüge erwies sich als goldrichtig. Dass die Albiceleste nur vier Jahre nach Maradonas Tirade von Fans und Medien „La Scaloneta“ getauft wurde, dürfte Beleg genug dafür sein, welches Ansehen Lionel Scaloni inzwischen genießt.

Kilian

Oliver Glasner (Eintracht Frankfurt)

Oliver Glasner coachte Eintracht Frankfurt zum Europa-League-Titel. Rauschhaft waren die Adler durch Europa geflogen. Sie überflügelten sämtliche europäischen Spitzenklubs: Real Betis Sevilla, FC Barcelona, West Ham United, Glasgow Rangers. Die Eintracht presste aggressiv, schaltete blitzschnell um und entfaltete mit ihrem vertikalen Angriffsspiel eine ungeheure Wucht. Ihr Spiel war laut, ihre Fans noch lauter – nur ihr Trainer, Oliver Glasner, schien stets in sich zu ruhen. Lauscht man seinen Pressekonferenzen, wirkt seine Stimme fast meditativ. Er spricht klar und analytisch. Nach außen gibt er den oberösterreichischen Ruhepol in dem sonst so hysterischen Umfeld von Eintracht Frankfurt. Und auch nach innen strahlt Glasner ebendiese Ruhe aus. Von Beginn an, obwohl er von den wenigsten Eintracht-Fans herbeigesehnt wurde.

Es war kein leichtes Erbe, das Glasner im Sommer 2021 in Frankfurt antrat. Er folgte auf Adi Hütter, der in Frankfurt viele Sympathien genoss, denn er hatte den vorher identitätslosen Adlern mit seiner Idee aus Dreierkette, Pressing und schnellem Umschaltspiel wieder Selbstvertrauen gegeben. Eintracht Frankfurt unter Hütter stand für modernen und mitreißenden Fußball – den Fans gefiel das. Das spürte offenbar auch Oliver Glasner. Ganz bewusst entscheid sich der gebürtige Salzburger nicht als disruptiver Innovator in Frankfurt anzukommen, sondern machte es sich zur Aufgabe, das von Hütter gelegte taktische Fundament zu bewahren und punktuell zu verbessern. Zudem besann er sich auf seine wohl größte Stärke: die Menschenführung. Jeder, mit dem man aus dem Umfeld der Eintracht spricht, hebt diese besondere Gabe Glasners hervor. Und auch seine Spieler sprechen in höchsten Tönen von ihm. Er finde immer die richtigen Worte, sagte Ansgar Knauff. Er beschwöre einen unvergleichbaren Teamgeist, sagte Kapitän Sebastian Rode.

(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Wohlgemerkt, Oliver Glasner ist ein akribischer Arbeiter und cleverer Stratege, das soll nicht verschwiegen werden, aber einzigartig macht ihn das Ungreifbare. Die Zwischentöne und das Menschliche. „Oliver Glasner steigt in den Olymp der großen Trainer“, schrieb die spanische Sportzeitung AS nach dem Finaltriumph über die Glasgow Rangers. Doch nicht nur der Erfolg macht ihm zu einem großen Trainer. Nach dem Sieg gegen den FC Barcelona im Camp Nou, für jeden, dem etwas an der Eintracht liegt, ein Moment zügelloser Euphorie, war das erste, was Oliver Glasner vor den Mikrofonen einfiel, eine Entschuldigung. Eine Entschuldigung an Barça-Trainer Xavi – und zwar dafür, dass er nach dem 3:0 zu exzentrisch gejubelt habe.

Hier könnt ihr abstimmen!

(Photo by Julian Finney/Getty Images)


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