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Der bestmögliche Zerstörer für das Zentrum: Das ist Bayern-Neuzugang Joao Palhinha

11. Juli 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Im zweiten Anlauf hat es funktioniert. Der FC Bayern hat seinen Wunschspieler für das defensive Mittelfeld verpflichtet. Joao Palhinha wechselt für mehr als 50 Millionen Euro zum Rekordmeister und soll in Zukunft vor der Abwehr aufräumen. 

Und das ein Jahr, nachdem sein damals schon sicher geglaubter Wechsel vom FC Fulham zum FC Bayern in letzter Sekunde aufgrund einer fehlenden Freigabe der Cottagers scheiterte. Von Palhinha wird nun nichts anderes erwartet, als ein Gamechanger zu sein. Doch kann er dem gerecht werden?

Palhinha: So kam der Transfer zustande

Erinnern wir uns kurz zurück: Es war der Sommer 2023, der FC Bayern veränderte den Kader auf einigen Positionen. Thomas Tuchel forderte öffentlich einen Spieler für das defensive Mittelfeld, der Vorstand kam diesem Wunsch nur zögernd nach, war sich nicht einig, was Budget und Bedarf für diese Position angeht. Was folgte, war der Zeitdruck, der Bayern am Ende zum Verhängnis wurde. Auch wenn Joao Palhinha bereits auf dem Vereinsgelände war, fiel der Hammer um 18 Uhr deutscher Zeit. Das Transferfenster schloss, Fulham erteilte dem Portugiesen keine Freigabe, weil bis dahin noch kein Ersatz gefunden wurde.



Der Frust war groß – auf beiden Seiten. Schließlich wollte sich der Spieler einen Traum erfüllen, der FCB eine vakante Position im Kader besetzen. Wenig später verlängerte der Portugiese gar seinen Vertrag beim Fulham. Zu besseren Bezügen, aber offenbar dennoch mit einer Hintertür, den Klub 2024 verlassen zu dürfen, wenn ein gutes Angebot eintrifft. Die Verantwortlichen des FC Bayern hielten derweil den Kontakt zu Palhinha und dessen Berater, sondierten aber auch den restlichen Markt für diese Position.

Vor wenigen Wochen fiel dann die Entscheidung: Es soll ein neuer Versuch unternommen werden, Palhinha zu verpflichten. Die ersten Offerten wurden noch abgelehnt, doch der Druck auf Fulham stieg, auch weil der Spieler selbst selbigen erhöhte. Bayern passte das Angebot schrittweise an, bis es zur finalen Einigung kam. Rund 50 bis 51 Millionen Euro Ablöse fließen in Richtung Fulham, Bonuszahlungen gibt es obendrauf. Der Medizincheck wurde kurz nach dem EM-Aus Portugals absolviert, der Vertrag wenig später unterzeichnet.

Joao Palhinha: Der Prototyp des defensiven Mittelfeldspielers

Doch wer ist der 29-Jährige, der beim FC Bayern als die absolute Toplösung angesehen wird? Ausgebildet wurde er in Portugal, 2013 wechselte er dort in die U19 von Sporting CP. Dort entwickelte er sich Schritt für Schritt zu einem wichtigen Spieler für den Klub, absolvierte insgesamt 164 Spiele in Portugals höchster Spielklasse. 2022 schlug der FC Fulham für etwas mehr als 20 Millionen Euro zu. In England bewies er seine Qualitäten auch, passte vom Stil her sehr gut in diese Liga. So gut, dass auch Topklubs auf ihn aufmerksam wurden. 

Palhinha

(Photo by Jan Kruger/Getty Images)

Der FC Bayern bekommt mit Palhinha einen Spieler, dessen Stärken vor allem im Spiel gegen den Ball liegen. Er ist ein Zerstörer, der Prototyp des defensiv ausgerichteten Mittelfeldspielers. Bei den Zweikampfwerten gehört er zum obersten Prozent in der Premier League, bei den geblockten Bällen zu den besten fünf und bei den abgefangenen Bällen zu den besten zehn Prozent. Die Intensität, mit der er verteidigt, ist enorm. Das zeichnet ihn aus. Er versucht, gegnerische Spielzüge im Keim zu ersticken und zu antizipieren, wie diese genau verlaufen. Dabei ist er immer wachsam, scannt das Feld und versucht, potenzielle Gefahrenherde zu erkennen.

Deswegen stellt er für viele Teams einen absoluten Mehrwert dar. Bei Fulham, einer Mannschaft, die zwar ambitionierten Fußball spielen will, aber dennoch eher dem Mittelfeld der Premier League angehört, ist er in viele Defensivaktionen verwickelt, kann seine Qualitäten dadurch ausspielen und sich vollends auf die Arbeit gegen den Ball konzentrieren. Aber auch bei der portugiesischen Nationalmannschaft zeigte er, dass er umgeben von individuell stärkeren Spielern ebenfalls einen guten Einfluss haben kann.

„Er ist Weltklasse in dem, was er tut“

Um den Spielertypen Palhinha noch ein wenig besser zu verstehen, haben wir uns mit Peter Rutzler unterhalten. Er arbeitet für The Athletic und hat unter anderem den FC Fulham besonders im Blick. Er schwärmt von den Defensivfähigkeiten des Portugiesen: „Joao Palhinha ist Weltklasse in dem, was er tut. Und was er tut ist: Die Abwehr zu schützen und die Defensive zu verstärken. Er hat die herausragende Qualität, Bälle zu erobern. Völlig egal, ob mit normalen Zweikämpfen oder seinen charakteristischen Grätschen. Er hat die physische Fähigkeit, überall auf dem Platz genau diese Zweikämpfe zu führen und zu gewinnen. Es gibt glaube ich niemanden, der in dieser Sache so gut ist wie er. Das ist sein typischer Stil. Und wenn er dabei bleibt, dann ist er überragend.“

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Doch passt ein Spieler, der nun 29 Jahre alt ist und noch nie bei einem großen Klub in Europa war, wirklich zum FC Bayern und den Ambitionen des Rekordmeisters? Ja, findet Peter Rutzler. „Wenn ihn Bayern richtig einsetzt, dann kann er auch für sie ein sehr guter Spieler sein. Er hat sehr gut gelernt, wo genau seine Stärken liegen und wo seine Schwächen zu finden sind. Er macht nur das, worin er sehr gut ist. Und das ist wichtig. Zudem glaube ich, dass Bayern als dominantes Team noch einmal mehr von ihm profitieren könnte, weil es genau diese Aktionen braucht.“

In der Tat fehlte es Bayern in den letzten Monaten bis Jahren im Defensivzentrum an der nötigen Konsequenz. Aber eben nicht nur. Das führt zu einem nächsten, interessanten Punkt: Der fußballerischen Klasse.

Mit dem Ball fällt Palhinha ab

Denn es ist gewiss nicht so, dass Bayern nur einen Spieler auf der 6 benötigt, der Zweikämpfe gewinnt – und schon läuft wieder alles. Die Gesamtentwicklung im Kader manifestierte sich sehr deutlich auf dieser Position vor der Abwehr. Gemeint ist die Rückentwicklung der spielerischen Komponente. Diese zeigte sich einerseits im Aufbau. Ob aus der Viererkette heraus oder aus dem Mittelfeldzentrum: Ein strukturierter Aufbau mit klaren Abläufen und vielen progressiven Pässen war nicht immer erkennbar. Da sind andere Topklubs in Europa, seit Beginn der letzten Saison sogar in der Bundesliga, weiter.

Ebenfalls erkennbar war das Problem bei vielen Kontersituationen, in denen nach dem Ballgewinn oder im letzten Drittel schlampige Pässe gespielt wurden. 2-3 Meter zu weit, zu kurz oder im falschen Moment. Das ist die Folge der Kaderentwicklung hin zu mehr Athleten und weniger Fußballern. Und Palhinha wird nachgesagt, im fußballerischen Bereich seine Schwächen zu haben.

Palhinha

(Photo by Ryan Pierse/Getty Images)

„Ich glaube schon, dass seine Fähigkeit mit dem Ball nicht fantastisch ist. Ich denke aber auch: Er ist da gar nicht so schlecht. Joao kann auch mal Verlagerungen spielen und das relativ genau, spielt sonst natürlich eher simple Pässe. Er ist technisch gut genug, damit das reicht, um  auf dem hohen Level mitzuhalten, aber natürlich kein kreativer Spieler. Er spielt keine linienbrechenden Pässe. Deswegen muss man ihn seinen Stärken gemäß einsetzen und genau deswegen wird es auch so interessant, wie ihn Bayern einsetzt, weil er häufiger in das Ballbesitzspiel involviert ist. Bayern spielt nun einmal dominanter“, so Experte Peter Rutzler. Ja, wie könnte Bayern Palhinha überhaupt einsetzen?

So könnte der Bayern-Plan mit Palhinha aussehen

Der Portugiese wird direkt vor der Abwehr spielen und dort aufräumen. Das sollte klar sein. Der 29-Jährige ist genau der Spieler, der den offensiven Künstlern den Rücken freihalten soll. Und er soll für Kontinuität sorgen, möglichst jedes (wichtige) Spiel machen. In der letzten Saison herrschte beim FC Bayern im „Maschinenraum“ keine Klarheit, verschiedene Konstellationen wurden ausprobiert oder mussten ausprobiert werden. Dabei kristallisierte sich eine Option heraus, die ganz besonders von Palhinha profitieren könnte: Aleksandar Pavlovic.

Jener Pavlovic, der die EM 2024 nur aufgrund eines hartnäckigen Infekts verpasste, bringt alles mit, um ein kompletter Mittelfeldspieler zu werden – außer die letzte Konsequenz im Spiel gegen den Ball. Wobei er auch hier ein besonderes Gespür dafür hat, wann ein taktisches Foul zu ziehen ist. Die Robustheit im Zweikampf geht ihm zuweilen aber noch abhanden, er muss körperlich noch ein wenig draufpacken. Hier kommt wieder Abräumer Palhinha ins Spiel, der nach Ballgewinn mit Pavlovic einen Spieler in der Nähe hätte, der als Passmaschine gilt, intuitiv spielt und als ideales Bindeglied zur Offensive dienen kann.

Palhinha

(Photo by ANGELOS TZORTZINIS/AFP via Getty Images)

Auch Raphael Guerreiro bringt ein Skillset mit, das ihn für das zentrale Mittelfeld, besonders neben einem defensivstarken Spieler, qualifiziert. Palhinha als Abräumer, Guerreiro und Jamal Musiala als spielstarke 8er, davor Leroy Sané, Michael Olise und Harry Kane? Das klingt schon sehr gut. Hier könnten gerade die antrittsstarken Außenspielern vom Spielertyp Palhinha profitieren, denn wenn die Zahl der Balleroberungen steigt, steigt auch die Anzahl der möglichen Umschaltsituationen, bei denen ein Gegner ungeordnet ist.

Heißt konkret: Findet der Rekordmeister Mittel und Wege, Palhinha so einzubinden, dass er seine Stärken auf den Platz bringen kann und im Spielaufbau nicht die große Verantwortung trägt, dann kann er ein sehr wichtiger Bestandteil des Kaders sein und den Unterschied ausmachen. Inwieweit das gelingt wird auch von den weiteren Transferplanungen und dem endgültigen Kader abhängig sein.

„Ein Spieler, den man in der Kabine haben möchte“

Nun ist es so, dass Vereine bei Transfers längst nicht mehr nur auf die Position, das Skillset und die Statistiken achten. Auch die charakterliche Dimension spielt eine Rolle. Eine Kabine, davon kann der FC Bayern ein Liedchen singen, sollte im Idealfall nicht aus Charakteren bestehen, die nicht zusammenpassen. In den letzten Jahren gab es aber immer wieder Berichte über Differenzen und eine „schwierige Kabine“, weswegen nun noch einmal mehr darauf geachtet werden muss.

Im Fall von Palhinha scheint der Rekordmeister aber einen Volltreffer gelandet zu haben. „Als Spieler ist er aggressiv, wild, fliegt förmlich in die Grätschen rein. Auch im Training ist er ein Spieler, der immer alles gibt. Seine Persönlichkeit hingegen ist komplett anders. Er ist eher zurückhaltend und komplett vernünftig, ein absoluter Profi. Er ist nicht wie ein Gennaro Gattuso, dessen Personalität sich auf dem Platz zeigt“, erklärt Peter Rutzler.

Und ergänzt: „Palhinha ist ein Spieler, der, sobald er die Linie des Platzes überquert, in seinen Modus schaltet. Er lässt alles auf dem Platz, jubelt euphorisch, wenn er oder ein Teamkollege ein Tor schießt. Aber er ist außerhalb des Platzes komplett geerdet. Das ist ein Spieler, den man in der Kabine haben möchte, auch als Trainer.“

Vorbildlich war auch der Umgang des Spielers mit dem geplatzten Wechsel nach München: „Das war sehr hart für ihn, einer der härtesten Tage seines Lebens. Es war sehr interessant zu sehen, wie er darauf reagiert hat. Er spielte weiterhin auf einem sehr guten Niveau, spielte fast jedes Spiel, warf sich weiterhin in die Zweikämpfe und war auf einem ähnlichen Level. Es gab eigentlich keinen Zweifel daran, aber es zeigt noch einmal deutlich seinen Charakter.“

Sollte der Palhinha-Transfer zum FC Bayern keine Erfolgsgeschichte werden, dann wird es nicht an der Einstellung und der Hingabe liegen. Dass der Portugiese alles in seiner Macht stehende geben wird, um mit seinem neuen Klub Erfolge zu feiern, steht außer Frage. Jetzt müssen die Rahmenbedingungen nur noch auf das Maximum angehoben werden.

(Photo by Paul Harding/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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