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Seoane und Bayer 04 – Ein Abschied, der zu früh kommt?

6. Oktober 2022 | Spotlight | BY Hendrik Wiese

Spotlight | Am gestrigen Mittwoch gab Bayer Leverkusen den Abschied von Gerardo Seoane bekannt. Nach lediglich fünf Punkten aus den ersten acht Spielen ein logischer Schritt – oder etwa nicht?

  • Der Fall des Gerardo Seoane
  • Spielerentwicklung sprach für ihn
  • Fehlende Konstanz
  • Xabi Alonso als Optimallösung?

Seoane – From Hero to Zero

Nach einer in vielen Belangen guten ersten Saison standen die Vorzeichen vor der laufenden Spielzeit sehr gut für Bayer 04. Mit Platz drei im Rücken bewies die „Werkself“ endlich Konstanz und sicherte sich den „Best of the Rest“-Titel. Auch die bittere Knieverletzung von Florian Wirtz, der bis dato 17 Torbeteiligungen in 24 Spielen aufzuweisen hatte, wurde aufgefangen. Die Vertragsverlängerungen von jenem Wirtz und Patrik Schick, die Transfers von Adam Hlozek und Callum Hudson-Odoi, der Umbruch bei den Bayern, die Unsicherheit beim BVB: Nicht wenige haben mit einem Großangriff der „Werkself“ gerechnet. Nach acht Spieltagen steht Bayer 04 auf dem ersten Abstiegsplatz und entließ den Cheftrainer. Mit Xabi Alonso kommt ein ehemaliger Weltklassefußballer auf die Trainerbank – doch wird die Entlassung Seoane gerecht?

Haifischbecken Bundesliga – Dieses Mal trifft es Seoane

Mit einem reinen Blick auf die Ergebnisse scheint eine vorzeitige Trennung logisch. Das peinliche Aus gegen den Drittligisten Elversberg, schwache Spiele wie das 1:2 gegen Augsburg oder das 0:3 gegen die TSG Hoffenheim sprechen für sich. Allerdings kann man beim Champions-League-Teilnehmer ein typisches Phänomen erkennen. Aus einer Ergebniskrise ergab sich eine sportliche Krise.

Statistisch war die Elf von Gerardo Seoane in den ersten drei Ligaspielen überlegen. Gegen Borussia Dortmund vergab Patrik Schick eine Menge Möglichkeiten, Augsburg und Hoffenheim übertrumpfte Leverkusen in fast jeder Statistik. Der 0:3 Erfolg in Mainz schien eine Wende herbeizuführen, doch eine unglückliche Niederlage gegen den SC Freiburg nagte eindeutig am Selbstbewusstsein. In der Folge wurden auch die spielerischen Leistungen immer schlechter, ehe das 0:2 in der Champions League gegen Porto samt verschossenem Elfmeter den Verantwortlichen zu viel wurde. Das Krisenduell gegen den FC Schalke 04, sowie die Partien gegen Frankfurt und Wolfsburg hätte Seoane allerdings wohl noch verdient gehabt. Doch das sagt sich so leicht. Gerade in der aktuellen Phase mit vielen Spielen und wenig Zeit, um Inhalte zu trainieren, sahen die Verantwortlichen die Zeit wohl gekommen, eine neuen Impuls zu setzen.

Gerardo Seoane

(Photo by Octavio Passos/Getty Images)

Wirtz, Demirbay, Diaby – Seoane machte viele besser

Einerseits ist in puncto Spielerentwicklung ein deutlicher Fortschritt zur Zeit vor dem Schweizer an der Seitenlinie erkennbar. Gerade im Offensivbereich schulte der Schweizer seine Leute und machte fast jeden einzelnen Profi besser. Moussa Diaby entwickelte er zum flexiblen, unausrechenbaren Flügelspieler, nachdem seine Eindimensionalität ihm immer wieder Hindernisse in den Weg stellte.

Florian Wirtz formte er zum geradlinigen, kreativen Kopf der Mannschaft. Der Nationalspieler betonte des Öfteren, welchen Anteil der Trainer an seinen Leistungen besaß. Kerem Demirbay zeigte endlich konstant, weshalb er immer wieder zumindest als Kandidat für die Nationalmannschaft galt. Und Patrik Schick unterstrich sein Talent mit einer starken letzten Saison, auch wenn beim Tschechen der Knoten in der laufenden Spielzeit noch nicht platzte. Seoanes System war auf Schick zugeschnitten, das beweist auch der Wert von 4,54 expected goals in der laufenden Saison. An der Chancenverwertung kann ein Trainer nicht allzu viel ändern, was auch Julian Nagelsmann beim FC Bayern jüngst betonte.

Kritikpunkt Transfers – Wer ist in der Innenverteidigung gesetzt?

Jedoch agierte auch der Cheftrainer nicht fehlerfrei, insbesondere was die Integration der Neuzugänge beweist. Sardar Azmoun, mit großen Vorschusslorbeeren schon im Winter aus Russland gekommen, erzielte bisher nur einen einzigen Treffer. Der Iraner ist ein Fremdkörper, agiert teils als hängende Spitze, teils neben Patrick Schick. Ein klarer Plan hinsichtlich seiner Personalie ist nicht erkennbar.

Mit Adam Hlozek kam der nächste Spieler, der im offensiven Zentrum beheimatet ist. Der 20-Jährige muss sich erst an die Liga gewöhnen, doch sowohl auf Linksaußen, als auch hinter den Spitzen passt er bisher noch nicht ins System.  Klar können die – bisweilen – unerfolgreichen Transfers auch auf Sportdirektor und Vorstand geschoben werden, doch in der Innenverteidigung zeigt sich ein ähnliches Bild.

Es stehen in persona Jonathan Tah, Edmond Tapsoba und Odilon Kossounou drei ähnliche Spielertypen zur Verfügung. Ein Stamm-Duo bildete sich nicht. Mal gab es eine Viererkette mit zwei Außenverteidigern, mal mit vier Innenverteidigern, teilweise auch verletzungsbedingt. Seoane verpasste es, Konstanz in jenen prekären Positionen zu bringen. Hinzu kamen individuelle Aussetzer, zuletzt auch häufiger von Torhüter Hradecky.

Seoane – Bei den Spielern sehr beliebt – Alonso als Hoffnung

Ein Blick auf die Social-Media-Kanäle der Spieler beweist jedoch schnell, dass der Coach bei seinen Spielern sehr beliebt war. Er zeigte sich sehr menschlich, human und ehrlich. Egal ob Florian Wirtz, Jonathan Tah oder Jeremie Frimpong. Viele Akteure zeigten sich dankbar für die sportliche und mentale Weiterentwicklung. Bei einem Trainer, der nur etwas länger als zwölf Monate im Amt war, nicht selbstverständlich.

Angesichts der Optionen, die auf dem Markt sind, hat Bayer 04 mit Xabi Alonso einen sehr interessanten Trainer verpflichtet. Der Spanier liebt dominantes, kreatives Ballbesitzspiel. Der Kader gibt dem Übungsleiter durchaus Optionen. Alonso besitzt zusätzlich ein gewisses Standing bei den Spielern. Jeder Profi dürfte die beste Zeit des Welt- und Europameisters miterlebt haben. Zudem ist bei einem Trainerwechsel auch häufig ein Dominoeffekt zu beobachten. Automatismen funktionieren wieder, die Akteure können frei aufspielen.

Angesichts der am Ende gewählten Lösung ist die Entlassung von Gerardo Seoane zu erklären, der Schweizer wird aufgrund seiner Qualitäten aber voraussichtlich auch bei seinem nächsten Verein Erfolge feiern. Hoffentlich für einen längeren Zeitraum.

PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP via Getty Images

(Photo by MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images)

Hendrik Wiese

Aufgewachsen mit dem Spielstil von Bastian Schweinsteiger bevorzugt Hendrik spielerische Dominanz und technisch ansehnlichen Fußball. Seit Dezember 2019 ist er für 90PLUS unterwegs, bevorzugt im deutschen Oberhaus.


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