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Der Aufschwung von Werder Bremen – Kohfeldt ist der X-Faktor

3. April 2019 | Spotlight | BY Julius Eid

Spotlight | Werder Bremen steht, auch dank starker Ergebnisse in den letzten Wochen und schwächelnder Konkurrenz, auf Platz 6 der Bundesliga. Doch nicht nur im Bundesliga-Alltag, auch im DFB-Pokal lebt die Chance auf Europa für die Männer von der Weser weiter. Schon heute Abend könnte man sich für das Halbfinale qualifizieren. Die positive Entwicklung hängt zu großen Teilen mit einem Namen zusammen – dem des Trainers, Florian Kohfeldt.

Florian Kohfeldt: Hausgemacht

Seit 2001 bei Werder Bremen, damals noch als Spieler der dritten Mannschaft aktiv, unter Vertrag, kann Kohfeldt seine erste Trainererfahrung in selbigem Verein auf 2006 datieren, und zwar als Co-Trainer der U16-Mannschaft. Diese Entscheidung zu Beginn seiner Trainerkarriere kann man durchaus als wegweisend bezeichnen, für ihn selbst und für den Verein. Seit dem 24. Lebensjahr ist Kohfeldt nun als Trainer aktiv, seitdem arbeitete sich der mittlerweile 36-jährige kontinuierlich bei Werder nach oben. Er war Co-Trainer unter Skripnik bei der U17, Cheftrainer der U16 und wieder einmal Assistent des Ukrainers bei der U23. Und eben jener Viktor Skripnik spielte eine entscheidende Rolle in der steilen Karriere von Florian Kohfeldt.

Während Kohfeldt das Training der U15 leitete, verabschiedete sich Werders erste Mannschaft von Robin Dutt und berief Skripnik. Und dieser erinnerte sich an seinen Begleiter. Als Assistent konnte Werders jetziger Trainer dann 2014 das erste Mal Bundesligaluft schnuppern. Doch das Gespann an der Seitenlinie hatte die Halbwertszeit vieler nach Werder-Legende Thomas Schaaf. Nach der Entlassung von Viktor Skripnik blieb Kohfeldt dem Verein treu – als Trainer der U23. Und nur ein Jahr später, als Alexander Nouri seine Sachen packen musste, wurde er als Cheftrainer der Bundesligamannschaft berufen. Am 10.11.2017 begann offiziell die Ära Kohfeldt, der nun am Ziel seiner Träume angelangt war.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Offensiv und clever

Ab diesem Tag sollte es für Werder Bremen bergauf gehen Der Verein, zwar mit großer Historie gesegnet, war in den letzten Jahren zumeist froh wenn das Saisonziel Klassenerhalt ohne allzu großes Zittern erreicht werden konnte. Doch unter Kohfeldt änderte sich die Denkweise und mit ihr auch sukzessive der Anspruch, er agierte von Anfang an mutig. Die zuvor eher lethargischen oder glanzlosen Bremer waren deutlich offensiver aufgestellt, verteidigten in einem 4-4-2 und trauten sich selbst viel zu, wollten nicht nur reagieren, sondern auch aktiv das Spiel bestimmen. Angegriffen wurde im 4-3-3, Bremen setzte auf vertikales Spiel in die gefährlichen Zonen und präsentierte seit langer Zeit endlich wieder in Ansätzen den Werder-Fußball der frühen 2000er. Kohfeldts erste (halbe) Saison als Cheftrainer war vielversprechend, weil nicht nur die Resultate stimmten, sondern auch die Art und Weise. Die Entwicklung in Bremen war endlich wieder spannend.

In diesem Sommer war Kohfeldt dann zum ersten Mal vollumfänglich in die Kaderplanung eingebunden, konnte Max Kruse überzeugen nicht den Verein zu wechseln und schuf ein hervorragendes Anspruchsdenken im Umfeld. Das Wort „Europa“ schwirrte durch Bremen und wurde durch Rekordtransfer Klaassen und „Schnäppchen“ Sahin noch untermauert. Und wie erwartet startete Bremen gut in die Saison. Das System wurde noch einmal verfeinert, die Mannschaft verstärkt und das Selbstvertrauen in der Truppe stieg. Einer der Kniffe des Trainers im Offensivspiel sind einrückende Flügelspieler, vorrückende Außenverteidiger und Mittelfeldspieler des Typus Klaasen oder Eggestein, die dynamisch die Flügel für eine Überzahlsituation mitbesetzen. Doch eine längere Phase mit fehlender Konstanz der Bremer ließ Europa dann doch erst einmal weiter entfernt erscheinen. Verantwortlich dafür? Genau die eben genannten Trademarks des kohfeldtschen Spiels waren aufgrund von vielen Verletzungen nicht mehr praktikabel, der Trainer musste sich umorientieren.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

In voller Blüte

Und das tat Kohfeldt dann auch, womit wir im Hier und Jetzt angelangt sind. Der Trainer entfernte sich in den letzten Partien von seinem 4-3-3 (beziehungsweise 4-4-2 in der Defensive) zugunsten eines Systems mit einem klaren Spielmacher: Max Kruse. Und hier wird es dann besonders. Denn Kohfeldt hat seine Spielidee verändert, weil eine andere Spielidee besser zum vorhandenen Spielermaterial passt, die jetzige Ausrichtung besticht durch die genaue Anpassung an die Fähigkeiten jedes Spielers. Max Kruse ist freies und radikales Element zugleich im Spiel der Bremer. Egal ob im 4-3-1-2 oder 4-2-1-2-1, der Kapitän bewegt sich frei und clever in die Zwischenräume, lässt sich fallen um in den Spielaufbau einzugreifen, weicht auf die Flügel aus um Überzahl zu schaffen. Kruses enormes Spielverständnis und seine herausragende Intuition bescherten ihm und seinem Trainer in den letzten Spielen spektakuläre Auftritte. Kohfeldt hat erkannt, dass der Angreifer am besten funktioniert wenn er nicht taktisch als Stürmer gebunden ist.

Auch Maximilian Eggestein reift an genau dieser Überlegung Kohfeldts. Da Kruse des Öfteren auch mal Laufwege auslässt, ist die Verantwortung auf den Schultern des Shootingstars noch einmal gestiegen. Als gefühlter Marathonläufer an jedem Spieltag ist unter anderem der Neunationalspieler dafür verantwortlich die Balance in beiden Mannschaftsteilen zu gewährleisten. Dies tut er mit Bravour. Die unter Kohfeldt schon immer vertikale Spielanlage führte dann auch noch zu einer weiteren, enormen Entwicklung eines Spielers. Der junge Rashica, als Außenspieler in die Saison gegangen, fungiert nun als Stürmer und damit als Abnehmer für die tiefen Pässe eines Max Kruse. Eine teuflische Kombination, Rashicas Tempo und überraschende Kaltschnäuzigkeit geben dem Bremer Spiel eine weitere Facette. In den letzten Bundesligaspielen, gerade gegen Mainz und Leverkusen präsentierte sich Werder als eiskalte Kontermannschaft, die gleichzeitig aber auch über reife Ballbesitzelemente in ihrem Spiel verfügt.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images

Der X-Faktor ist der Trainer

Viele gute Gründe für die Europa-Chancen der Bremer sind im Kader zu finden. Ein herausragender Max Kruse als Kapitän, Pavlenka als sicherer Schlussmann und Dirigent aus der letzten Reihe, förmlich explodierende Jungspieler wie Eggestein und Rashica. Auch die Konkurrenz hat natürlich einen kleinen Anteil am jetzigen Tabellenplatz Werders, gemeinsam mit den Frankfurtern scheinen die Hansestädter als einzige Mannschaft im Moment in der Lage zu sein das Stolpern der Mitbewerber konsequent auszunutzen. Doch der X-Faktor für Werder Bremen ist Florian Kohfeldt. Der Trainer hat Zuversicht, Selbstverständnis und Offensivfußball zurück an die Weser gebracht. Er hat Anteil an einem starken Transfersommer der Bremer. Und der wichtigste Punkt: Er hat das perfekte System für seine Mannschaft, für jeden einzelnen Spieler gefunden. Ein Meisterstück des Puzzlens was sonst wohl nur Trainern mit deutlich höherem Budget gelingt.

Heute Abend wird man sehen, wie reif die Mannschaft von Werder bereits ist, wenn es um den Einzug in das Halbfinale des DFB-Pokals geht. Ein Sieg gegen den FC Schalke 04 wäre der nächste Meilenstein in der Entwicklung der Mannschaft – und könnte neue Kräfte freisetzen.

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


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