Union Berlin trainerlos im Nirgendwo: Zwischen fehlendem Fokus und falschem Anspruch
27. Dezember 2024 | Featured | BY Manuel Behlert
Immerhin hat man bei Union Berlin die Feiertage noch abgewartet, ehe man Cheftrainer Bo Svensson entlassen hat. Nach neun sieglosen Spielen mag diese Maßnahme logisch erscheinen, sie ist aber eher die Folge einer Verkettung diverser Umstände. Und diese hat man sich bei Union höchstselbst zuzuschreiben.
Dass es nicht immer nur steil bergauf gehen würde bei den Köpenickern, das war jedem klar. Aber nach dem Höhenflug mit der Champions League ist nun eher ein Tiefflug zu beobachten, mal mit einem kleinen Ausreißer nach oben, mal mit einem nach unten.
Union entlässt Svensson
Ein solcher Ausreißer nach unten hatte nun Konsequenzen. Zu Beginn der Winterpause wurde eine klare Analyse bei Union durchgeführt. Alles, was in der Hinrunde bis dato passierte, wurde auf den Tisch gelegt. Die Erkenntnis: Es ist eine Veränderung notwendig. Und wenn man sich die 15 Spiele ganz isoliert ohne Betrachtung der äußeren Umstände ansieht, könnte man der Meinung sein, dass das auch die richtige Entscheidung ist. Denn: Neun Spiele in Folge wurden nicht gewonnen, in der Liga steht man auf Platz zwölf.
Und in den letzten Wochen gab es fußballerisch nun wirklich eher Magerkost von den Köpenickern zu sehen. Hinzu kommt, dass die Defensive, Anfang der Saison svenssontypisch noch sehr stark, immer wieder Fehler produzierte. Das kann natürlich dazu führen, dass man eine Veränderung vornehmen will. Allerdings hat das Team zu Saisonbeginn etwas überperformt und mehr Punkte als erwartet geholt, was den Fokus dahingehend ein wenig verschiebt. Später wurde unterperformt, was am Ende bedeutet, dass sich die Dinge halbwegs die Waage halten, Unions Punktzahl nur um gut zwei von der zu erwartenden abweicht.
Union Berlin hat den Fokus verloren
Auf den ersten Blick mag die Entscheidung, sich vom Dänen zu trennen, also gar nicht so überraschend sein. Die Blicke zwei und drei verraten aber: Es ist nicht alles, wie es scheint. Denn: Unter Svensson hat sich Union wieder ein wenig zum Union früherer Tage unter Urs Fischer zurückgearbeitet. Ein kompakter Block, viel Laufarbeit, viel Sprints, enge Räume. Es sollt wieder ehrlicher Fußball sein. Auch jetzt noch hat Union eine der besten Abwehrreihen der Liga. Dass darunter die ohnehin etwas leblos zusammengestellte Offensive wird leiden müssen, war von Anfang an klar.
Kurz gesagt: Union erlebt die erste Delle unter dem neuen Coach und handelt sofort. Das ist eine Abkehr von dem Weg der Kontinuität, der Union früher ausgemacht hat. Die Wahrheit ist: Viel besser als Platz zwölf ist dieser Kader, den Horst Heldt und co. im Sommer zusammengestellt haben, auch einfach nicht. Und einen solchen, nur auf manchen Positionen mehr als durchschnittlichen Kader zu verbessern, braucht Zeit. Schwierige Phasen sind da nun einmal mit einzuplanen, die gab es auch unter Fischer.
Und mal ehrlich, genau rund um den Abgangs des Schweizers haben die Köpenicker ihren Weg verlassen. Der Fokus wurde anders gesetzt, der sportliche Erfolg höher gerichtet als eine etwaige Vorbereitung auf die Zukunft. Union hat sich, schon vor Heldt, in Zeiten der Champions League bei Transfers mitunter verhoben oder zumindest Spieler verpflichtet, die schnell wieder weg waren. Leonardo Bonucci ist nur ein Beispiel von mehreren. Robin Gosens blieb auch nicht lange. Das vorher sehr gute Scouting litt darunter, auch weil in den letzten Monaten durch verschiedene Trainer verschiedene Faktoren bei der Spielersuche berücksichtigt werden mussten.
Für Union wird es jetzt wichtig sein, erst einmal für sich selbst zu definieren: Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Es muss wieder ein klarerer Fokus herrschen, man muss sich dem eigenen Anspruch, der realistisch ist, bewusst werden und dann sein. Momentan jedenfalls steht das Team trainerlos im Nirgendwo der Bundesliga und hat sich dafür entschieden, nicht mit Svensson einen kontinuierlichen Weg zu gehen und etwas aufzubauen, ihm die Chance zu geben nach der Vorbereitung an Stellschrauben im Offensivspiel zu drehen. Und wer weiß, vielleicht läuft mit einem neuen Cheftrainer ja wirklich alles in die entgegengesetzte Richtung. Momentan fühlt es sich aber nicht so an.
(Photo by Selim Sudheimer/Getty Images)
Manuel Behlert
Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.