EL Vorschau | Halbfinale gegen Atlético – Wengers letzter Dienst für den FC Arsenal?

26. April 2018 | Champions League | BY Chris McCarthy

Im Europa League Halbfinale wartet mit der Begegnung FC Arsenal gegen Atlético Madrid ein Top-Duell auf Champions League Niveau. Während die Gunners ihrem Trainer ein würdiges Abschiedsgeschenk liefern und sich vor allem doch noch für die Königsklasse qualifizieren wollen, haben die Spanier ihre Augen auf den ersten Titel seit 2014 gerichtet…

 

Arsenal

Der Weg ins Halbfinale

Der erste Auftritt der Gunners in einer Europa League Gruppenphase seit 1997 verlief wie erwartet: Wenig glamourös. Der FC Arsenal sicherte sich in einer Gruppe mit dem 1. FC Köln, BATE Borisov und Roter Stern Belgrad zwar souverän den ersten Platz, nahm den Wettbewerb aber sichtlich auf die leichte Schulter.

So war es auch in der Zwischenrunde gegen den FK Östersund, als der klare Favorit trotz eines 3:0 Hinspielsiegs in Schweden, beim 1:2 zuhause zwischenzeitlich nochmal zittern musste. Im Achtelfinale gegen den AC Mailand nahm die Elf von Arsene Wenger den Wettbewerb endgültig an, setzte sich gegen die damals sehr formstarken Italiener überraschend deutlich mit 2:0 und 3:1 durch. Gegen ZSKA Moskau im Viertelfinale legte man dank eines 4:1 im Hinspiel den Grundstein für das Weiterkommen, musste in Russland aber erneut bangen, als man 0:2 in Rückstand geriet (Endstand 2:2).

 

Ein letzter Dienst zum Ausstand

Nach über 20 Jahren an der Seitenlinie des FC Arsenal verpasste Arsene Wenger letztes Jahr erstmals die Champions League. Da in der laufenden Saison die erhoffte Wende ausblieb, der Rückstand auf den so wichtigen Platz vier sogar auf 14 Punkte heranwuchs, musste sich auch der ehrgeizige Franzosen eingestehen, dass es bei seinem Herzensverein Zeit für eine Veränderung ist. Vergangene Woche verkündete Arsene Wenger seinen Rücktritt als Trainer der Gunners.

Die Trainerlegende, die den FC Arsenal zweifelsohne auf das Level gehoben hat, auf dem er heute steht, hat nun die Gelegenheit „seinem“ Verein einen letzten großen Dienst zu erweisen: Die Qualifikation zur Champions League 2018/2019. Wenger würde dabei nicht nur einen versöhnlichen Ausstand mit einem Titel erhalten, sondern seinem Verein und seinem Nachfolger mit der Königsklasse ein besseres Fundament für die Jahre nach seiner Ära legen. Damit das gelingt, bedarf es im Halbfinale gegen den vermeintlich schwersten übrig gebliebenen Gegner einer hoch konzentrierten Leistung.

(Photo MARCO BERTORELLO/AFP/Getty Images)

 

 

Initialzündung?

Vielleicht wählte Wenger gerade deshalb diesen Moment, um seinen Abschied zu verkünden. Schon seit Wochen ist klar, dass sich Arsenal im zweiten Jahr in Folge nicht über die Liga für die Königsklasse qualifizieren wird. Wie schon bei Manchester United im Vorjahr, bietet die Europa League auch bei den Gunners einen sehr willkommenen Umweg.

Das Problem daran: Beim FC Arsenal schlich sich Bequemlichkeit ein. Obwohl die Offensive um Mesut Özil und die Top-Neuzugänge Pierre-Emerick Aubameyang und Henrikh Mkhitaryan ohne Druck plötzlich befreit aufspielte, häuften sich die kapitalen Aussetzer im suspekten Defensivverbund. Die ohnehin schon dürftige Konzentration der gesamten Mannschaft ließ durch die Gewissheit, dass es in der Liga mehr oder weniger um nichts mehr geht, deutlich nach. Glücklicherweise gelang es dem Team, ausgerechnet gegen die härteste Nuss der bisherigen Europa League Saison, nämlich dem bis dahin so formstarken AC Mailand, sich zusammenzureißen und recht bequem durchzusetzen. Einen Monat später drohte nun einmal mehr der Schlendrian einzukehren. Die Ergebnisse wurden gegen die schwächeren Teams der Liga zwar eingefahren, doch die Leistungen waren alles andere als zufrieden stellend. Nach einer desolaten Leistung beim 1:2 gegen Newcastle, blickte wohl kaum einer in Nordlondon optimistisch auf das Halbfinale gegen Atlético Madrid.

Bis eben zu diesem 20. April 2018. Der Tag, an dem Arsene Wenger wohl nicht ganz unbewusst das Ende seiner Ära einläutete. In einer Phase, in der die Gunners wieder den Fokus verloren, könnte die Verkündung seines Abschieds nach fast 22 Jahren eine enorme Initialzündung bewirken.

Gegen West Ham ließt diese etwas auf sich warten. In einer verkrampften ersten Halbzeit gegen die tapfer kämpfenden Gäste tat man sich ohne das Mitwirken von Mesut Özil schwer, die letzte Präzision in die Angriffe zu bekommen. Nach der Pause kamen die Hausherren besser in die Partie, gingen in der 51. Minute hoch verdient in Führung. Trotz des Ausgleichstreffers, zeigten die Gunners um einen gut aufgelegten Aaron Ramsey und Doppeltorschützen Alexandre Lacazette eine starke zweite Halbzeit.

Das Selbstbewusstsein wurde gestärkt und man hat das Gefühl, sowohl die Mannschaft als auch das zuletzt so gespaltene Fan-Lager möchten ihrem langjährigen Trainerurgestein mit einem letzten Titel einen würdevollen Abgang ermöglichen.

(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

 

Atlético

Der Weg ins Halbfinale

Obwohl Atlético Madrid mit AS Rom, FC Chelsea und Qarabag Agdam eine vergleichsweise schwere Gruppe zugelost bekam, war die Enttäuschung über das Aus nach der Vorrunde der Champion League groß. Die Rojiblancos verloren zwar lediglich gegen die Blues, patzten allerdings mit zwei Unentschieden gegen den Underdog aus Aserbaidschan. Als Gruppendritter ging es 2018 in der Europa League weiter.

Nachdem Kopenhagen (4:1 & 1:0) und Lokomotiv Moskau (5:1 & 3:0) problemlos überrollt wurden, gab es im Viertelfinale gegen Sporting die ersten Probleme. Trotz des 2:0 Hinspielsiegs wurde es in Portugal noch einmal gefährlich. Die verletzungsgeschwächte Mannschaft von Diego Simeone konnte jedoch den 0:1 Rückstand über die Zeit retten.

 

Wiedergutmachung in Europa

Trotz Transfersperre, einem dezimierten Kader und einem etwas frustrierenden Saisonauftakt mit zahlreichen Unentschieden, meldeten sich die Rojiblancos eindrucksvoll zurück und entwickelten sich nominell zum einzigen Meisterschaftskonkurrenten für den FC Barcelona. Wirklich gefährlich wurde man den Katalanen dabei nicht wirklich, der Rückstand beträgt mittlerweile elf Zähler. Obwohl Platz zwei seit elf Monaten in fester Hand ist, ist der Vorsprung auf Real Madrid auf vier Punkte geschmolzen, doch die Champions League Qualifikation ist vier Spieltage vor Schluss bereits garantiert.

Die Europa League hat als potentiellen Umweg zur Königsklasse also keine Relevanz, bietet aber dennoch die Chance, nach der spanischen Meisterschaft 2014/2015, endlich mal wieder einen bedeutenden Titel einzufahren. Darüber hinaus ist Atléti nach dem schwachen Abschneiden in der Königsklasse auf Wiedergutmachung aus, weshalb auch für die Spanier die Europa League in den vergangenen Wochen zur Priorität geworden ist. Nach 2010 und 2012 wäre es für Atletico der dritte Gewinn dieses Wettbewerbs.

(Photo by Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

 

Dünnes Eis

Diego Simeone ist aktuell wahrlich nicht zu beneiden. Im Sommer durfte er aufgrund einer Transfersperre (Verstöße gegen Bestimmungen bei Transfers von minderjährigen Spielern) nicht personell nachlegen und im Winter wurde der ohnehin schon überschaubare Kader sogar weiter dezimiert. Nico Gaitán und Yannick Carrasco folgten den kontroversen Lockrufen aus China. Ihre Verkäufe entspannten zwar die finanzielle Situation der Madrilenen, strafften jedoch die Personaldecke.

Die Folge: Diego Simeone verfügt 2018 über den kleinsten Kader aller fünf europäischen Top-Klubs und trotzdem ist sein Team nach wie vor einer der ungemütlichsten Gegner des Kontinents. Grund dafür ist ein eingespieltes Kollektiv. Die Kader-Homogenität und taktisch variable Spieler wie Koke, Thomas oder Sául, die die Vorgaben des Trainer perfekt umsetzen, machen die Colchoneros zu einem Bollwerk. Ganz nebenbei hat die Verpflichtung von Diego Costa den bisherigen Alleinunterhalter der Offensive gewaltig entlastet: Antoine Griezmann ist mit insgesamt 26 Pflichtspiel-Toren und 13 Vorlagen insbesondere seit der Rückrunde der überragende Mann der Rojiblancos.

Nichts desto trotz ist die Defensive das große Prunkstück. Die beste Abwehr der spanischen La Liga ließ 2017/2018 bisher lediglich 18 Gegentore zu und gab sich auch in der Champions League und der Europa League (jeweils vier Gegentore) keine Blöße.

Der kleine Kader überzeugt, bewegt sich allerdings auf ganz dünnem Eis. Obwohl Simeone aufgrund der Priorisierung der Europa League in der Liga – so weit möglich – zuletzt etwas rotierte, zeigt die Formkurve nach unten. Ermüdungserscheinungen und Verletzungen nehmen zu. Nur vier der letzten zehn Pflichtspiele wurden gewonnen, der Halbfinaleinzug gegen Sporting war nicht gerade souverän. Die wohl kompletteste Mannschaft aller vier Halbfinalteilnehmer droht aufgrund der engen Personaldecke im entscheidenden Moment der Saison zusammenzubrechen.

(Photo by Denis Doyle/Getty Images)

Kadersituation

Arsenal

In seinem letzten Arsenal-Heimspiel auf der europäischen Bühne muss Arsene Wenger neben dem langzeitverletzten Santi Cazorla nun auch auf seine neuen Hoffnungsträger verzichten. Pierre-Emerick Aubameyang, der sich eindrucksvoll in der Premier League eingelebt hat (9 Scorerpunkte in 9 Spielen) ist aufgrund seiner Dortmunder Vergangenheit nicht spielberichtigt. Zum Glück für die Gunners präsentiert sich Alexandre Lacazette nach überstandener Knieverletzung in exzellenter Verfassung (6 Tore in 6 Spielen). Der zweite Neuzugang der Winterpause, Henrikh Mkhitaryan, verletzte sich im Hinspiel gegen Moskau am Knie. Neben dem Armenier, der jedoch im Rückspiel zurückkehren könnte, muss auch Mohamed Elneny passen. Der Ägypter entwickelte sich in den letzten Wochen zu einem heimlichen Leistungsträger im defensiven Mittelfeld. Gegen West Ham verletzte er sich nun am Knöchel.

Mesut Özil (Grippe), Jack Wilshere (Knöchel) stehen ebenso wie Torhüter Petr Cech wieder zur Verfügung . Es bleibt allerdings abzuwarten ob der die eigentlich Nummer 1 Cech oder „Pokal-Keeper“ David Ospina das Tor hüten wird.

 

Atlético

Neben Felipe Luis (Beinbruch) wird aller Voraussicht nach auch der verletzte Rechtsverteidiger Juanfran beide Halbfinal-Partien vor dem Fernseher verfolgen. Diego Costa (Oberschenkelverletzung), mit dem Arsenal zu seiner Zeit bei Chelsea immer wieder alle Hände voll zu tun hatte, ist überraschend mit nach London gereist. Der Stürmer dürfte aber eher von der Bank kommen.

Koke, Diego Godin und Antoine Griezmann wurden am Wochenende gegen Real Betis geschont und kehren in die Startelf zurück. Diego Simeone spielte gegenüber der Presse öffentlich mit dem Gedanken, mit einer Dreierkette anzutreten.

 

(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

 

Mögliche Aufstellungen

Arsenal: Cech (Ospina) – Bellerin, Mustafi, Koscielny, Monreal – Xhaka, Wilshere, Ramsey – Özil, Welbeck – Lacazette

Atletico: Oblak –  Godin, Savic, Giménez – Correa, Koke, Gabi, Thomas (RV Vrsaljko), Saul Niguez, Vitolo (Costa) – Griezmann 

 

Prognose

Während sich Atlético auswärts zweifelsohne auf die starke Defensive verlassen wird, wird die Mannschaft von Arsene Wenger ihr Glück weiterhin in der überaus potenten Offensive suchen. Die Gäste sind allerdings enorm konterstark, schalten blitzschnell um und haben in Antoine Griezmann natürlich einen Weltklasse-Stürmer in den Reihen, der nur wenige Chancen benötigt. Auch wenn sich die Gunners an der außergewöhnlichen Defensive die Zähne ausbeißen sollten, wären sie gut beraten, die Vernunft siegen zu lassen und nicht auf Biegen und Brechen ein Tor zu erzwingen. Die Abwehrreihe ist, insbesondere bei schnellen Gegenangriffen, nämlich äußerst anfällig und ein Auswärtstor könnte für Atletico tatsächlich den Unterschied machen…

Hinspiel-Tipp: 1:1

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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