BVB-Sensation in der Königsklasse: Die Rache der Abgeschriebenen

8. Mai 2024 | News | BY Till Gabriel

Borussia Dortmund steht im Finale der Champions League. Der Coup war nur möglich, weil der BVB einmal mehr sein Königsklassen-Gesicht zeigte und scheinbar abgeschriebene Spieler wieder aufblühen.

BVB: Überragende Innenverteidiger wollen zur EM

Siegtorschütze Mats Hummels wollte nach dem Einzug ins Endspiel der Champions League am liebsten direkt nach London reisen. „Es gibt für uns gar keinen Grund, nicht dran zu glauben“, gab sich der Routinier, der mit seinem Tor das Halbfinale gegen Paris St. Germain entschieden hatte, selbstbewusst. Gegen den französischen Meister hatte der BVB das Spielglück (und das Aluminium) zwar auf seiner Seite, verdiente sich das Finale durch zwei engagierte Vorstellungen jedoch redlich. Auch, weil im Team von Edin Terzic vier Spieler aufblühen, auf die noch im Winter so mancher Abgesang formuliert wurde.



Hätte Mitte Dezember jemand das Finale in Wembley als Saisonziel ausgegeben, man hätte denjenigen wohl für verrückt erklärt. Sechs Pflichtspiele in Folge blieb der BVB ohne Sieg. Im Pokal war beim VfB Stuttgart frühzeitig Endstation, in der Liga hechelte man der bereits enteilten Spitzengruppe mit schwankenden Leistungen hinterher. In den Fokus der Kritik rückte dabei immer wieder das Abwehrzentrum. Hummels‘ Zeit schien abgelaufen, zu langsam, zu behäbig sei der Weltmeister von 2014 mittlerweile.

Sein Nebenmann Nico Schlotterbeck, mit 24 Jahren zwar deutlich jünger und dynamischer, leistete sich immer wieder individuelle Aussetzer und gab der Abwehrkette nicht die Sicherheit, wie er sie in der Rückrunde der Vorsaison und zuvor in Freiburg ausgestrahlt hat. Auch Niklas Süle konnte nicht vollends überzeugen. Ein halbes Jahr später wirken die Kritikpunkte wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. In beiden Halbfinalspielen gegen PSG waren Schlotterbeck und Hummels unter den besten Spielern der Borussen, mit seinem Kopfballtor krönte der 35-Jährige seine tolle Vorstellung.

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Noch bei den erfolgreichen Länderspielen im März verzichtete Bundestrainer Julian Nagelsmann auf die Dienste der Dortmunder Defensivkünstler. In der aktuellen Verfassung dürfen sich beide wieder Hoffnungen auf die Heim-EM machen, zumal sie mit Ball am Fuß ohnehin zu den Besten Europas auf ihrer Position gehören.

Im Mittelfeld überzeugte einmal mehr Marcel Sabitzer. Im Sommer vom FC Bayern geholt, fand sich der Österreicher im Spiel des BVB lange nicht zurecht und galt bereits als Fehleinkauf. Pünktlich zum Saisonfinale platzte der Knoten beim 30-Jährigen. Seine Präsenz im Zentrum paart Sabitzer mit Zweikampfstärke und Torgefahr. Er nimmt als Führungsspieler auf dem Platz die Rolle ein, die eigentlich Emre Can zugetraut wurde, der weiterhin nicht richtig in Tritt kommt. Gegen PSG war der Kapitän aber gerade im Rückspiel mit seiner Arbeit gegen den Ball wichtig.

Nicht zu fassen: Mats Hummels köpft den BVB ins Finale – und sich zur EM? (Photo by FRANCK FIFE/AFP via Getty Images)

Sancho blüht auf und macht’s wie Messi

Der Vierte im Bunde ist Jadon Sancho. Viele schüttelten den Kopf als Sebastian Kehl im Januar den verlorenen Sohn auf Leihbasis zurück an den Borsigplatz holte. Sancho hatte zuvor mehrere Monate nicht gespielt und durfte bei Manchester United nach einem Streit mit Erik ten Hag nicht einmal mehr mit den Profis trainieren. Zurück an dem Ort, wo die Karriere des immer noch erst 24-jährigen Engländers einst Fahrt aufgenommen hatte, fügte er sich im ersten Spiel gleich mit einer Vorlage ein, fiel danach aber in ein Leistungstief.

In den letzten Wochen erinnert der Flügelspieler jedoch wieder an das Megatalent, das der BVB für 85 Millionen Euro an die Red Devils verkaufte. Seine Sternstunde erlebte Sancho vor einer Woche im Hinspiel gegen Paris. Zwölf Dribblings schloss er ab, mehr erfolgreiche Sololäufe verzeichnete in der Königsklasse zuletzt 2008 ein gewisser Lionel Messi. „Er schickt Leute auf den Boden. Er lässt Leute tanzen. Es war ein Witz. Wir haben das von ihm nicht mehr gesehen, seitdem er Dortmund verlassen hatte“, geriet sogar United-Legende Rio Ferdinand ins Schwärmen.

Beim Rückspiel im Prinzenpark stand Sancho zwar weniger im Fokus, da die Terzic-Elf die meiste Zeit in der Defensive alle Hände voll zu tun hatte, doch schaffte der Engländer mit seinen Vorstößen immer wieder Entlastung und strahlte auch in Paris die Spielfreude aus, die ihm während seiner Jahre im Old Trafford völlig abhandengekommen war. Wenig verwunderlich, dass die Borussia Sancho, genau wie Chelsea-Leihgabe Ian Maatsen, gerne über den Sommer hinaus halten möchte.

Dass große Teile des Kaders zum Saisonendspurt aufblühen und selbst nach Rückschlägen wie dem 1:4 in Leipzig die richtige Reaktion folgt, muss auch dem oft belächelten Terzic angerechnet werden, der sich in der Rückrunde immer wieder schützend vor seine Mannschaft stellte. Der Schachzug, dem jungen Trainer mit Sven Bender und Nuri Sahin zwei Vereinslegenden an die Seite zu stellen, ging voll auf. Für beide ist das Endspiel im Wembley eine Rückkehr, standen sie doch beim letzten deutschen Champions-League-Finale 2013 auf dem Platz.

Am 1. Juni wartet entweder Rekordsieger Real Madrid oder der FC Bayern auf den BVB. „Wir wissen, es wird extrem schwer“, ist Terzic bewusst, dass sein Team gegen beide Gegner als Außenseiter in den Londoner Fußballtempel einlaufen wird: „Aber in einem Spiel ist alles möglich. Das haben wir bewiesen.“

(Photo by MIGUEL MEDINA/AFP via Getty Images)


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