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CL-Finale gegen den BVB: Das sind die Gefahren für Real Madrid

1. Juni 2024 | Spotlight | BY Simon Seitz

Real Madrid, die Könige der Champions League, treffen im Finale auf Borussia Dortmund, die als Außenseiter in diese Partie gehen. Trotz der deutlichen Ausgangslage bestehen für den BVB durchaus Chancen, die Königlichen zu ärgern.

Standardsituationen und Real Madrids Passivität

In La Liga waren die Königlichen die beste Mannschaft beim Verteidigen von Standardsituationen, aber der BVB hat in dieser Saison gezeigt, dass sie Standards beherrschen. Mats Hummels köpfte im Halbfinal-Rückspiel nach einer Ecke zur Führung ein und auch defensiv gelang es dem BVB, alle Standardsituationen zu verteidigen. Aber auch die Blancos haben hier durchaus ihre Stärken und erzielten u. a.  ihren Treffer zum 2:1 gegen den FC Bayern nach einem Eckball. Gelingt es Hummels & Co., defensiv vor allem Zielspieler Antonio Rüdiger in Schach zu halten und bei den Offensivstandards für Gefahr zu sorgen, steigen die Chancen des BVB.

Zudem muss Dortmund die Phasen nutzen, in denen Real Madrid passiv agiert. In jeder ihrer K.O.-Begegnungen gab es immer wieder Momente, in denen die Madrilenen ihrem Gegner viel Raum und Ballbesitz überließen. RB Leipzig scheiterte an der schwachen Chancenverwertung und an unglücklichen Schiedsrichterentscheidungen. Manchester City ließ vor allem im Rückspiel viele gute Gelegenheiten liegen, als sich Real nach der frühen Führung rund um den eigenen Strafraum einigelte.

Die Bayern verpassten es in der Schlussphase im Estadio Santiago Bernabéu, die Konter sauber zu Ende zu spielen, ließen die Königlichen am Leben und wurden dafür bestraft. Auch Dortmund wird im Finale solche Phasen von Real Madrid erleben, muss diese dann aber auch ausnutzen. Ansonsten können Spieler wie Toni Kroos, Jude Bellingham oder Vinícius Júnior mit einer Aktion das Spiel entscheiden.



Real Madrid trifft auf defensive Stabilität

Borussia Dortmund stellt mit sechs Zu-Null-Spielen und acht Gegentreffern die beste Defensive des Wettbewerbs. Auch wenn sie gegen Paris das nötige Glück hatten, ist die Abwehr das Prunkstück des BVB. Im Finale wird es von großer Bedeutung sein, dass Hummels und Nico Schlotterbeck zu Höchstform auflaufen und auch Gregor Kobel wieder einen Sahnetag erwischt. Der Schweizer hat sich mit seinen Leistungen zur Weltklasse befördert und kann mit einer weiteren überragenden Leistung die Saison veredeln.

Mats Hummels und Nico Schlotterbeck stellen mit dem BVB die beste Defensive der Champions League (Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Während die Defensive der Borussia sehr solide steht, ist die der Blancos anfällig. Mit 14 Gegentreffern in zwölf Spielen sind Rüdiger und Co. nicht immer ganz sattelfest. 49 Paraden zeigten die Real-Keeper in dieser Saison. Das sind die meisten im gesamten Wettbewerb, was ein deutliches Zeichen ist, dass es auch gegen den spanischen Rekordmeister Torgelegenheiten für den BVB geben wird.

Wie auch im Halbfinale braucht der BVB gegen Real Madrid wieder das nötige Glück auf seiner Seite, sollte sich jedoch nicht ausschließlich darauf verlassen. Dafür sind die Königlichen dann doch zu abgezockt – insbesondere in der Champions League.

Dortmunds Underdog-Mentalität

Im Gegensatz zum spanischen Hauptstadtklub war der BVB gefühlt seit der Gruppenauslosung der Underdog. In der Gruppe kam die Borussia als Gruppensieger vor PSG weiter und schaltete in der Hammergruppe Milan und Newcastle United aus. Bei der Auslosung wurden dem BVB nicht viele Chancen eingeräumt, doch bereits vor dem letzten Spieltag war Dortmund als einziges Team in dieser Gruppe für das Achtelfinale qualifiziert. Auch gegen PSV tat sich der BVB lange schwer, aber mit einer überzeugenden kämpferischen Leistung kam die Terzic-Elf weiter.

Auch gegen Atlético Madrid stand Dortmund nach der Hinspiel-Niederlage mit dem Rücken zur Wand und als sie im Signal Iduna Park einen 2:0-Vorsprung hergaben, dachten viele, es sei um die Schwarzgelben geschehen. Jedoch antworteten sie mit zwei Toren und dem Einzug ins Halbfinale. Dort wartete wieder PSG und dieses Mal gab es für den BVB zwei 1:0-Siege. Neben einer kämpferischen Leistung hatte der BVB auch das nötige Glück auf seiner Seite; sechsmal rettete das Aluminium.

Selbstverständlich wird Borussia Dortmund auch in das Finale als Außenseiter in die Partie gehen und für viele neutrale Beobachter und Medien scheint der 15. Champions-League-Titel für Real bereits sicher zu sein. Eine Ausgangssituation, mit der sich Dortmund wohlfühlen dürfte.

Dortmund hat nichts zu verlieren

In der vergangenen Saison verspielten Hummels, Reus & Co. am letzten Spieltag die Meisterschaft in der Bundesliga. Die Mannschaft, der Trainer und das gesamte Stadion hatten Tränen in den Augen. In dieser Spielzeit wollte der BVB zwar wieder angreifen, merkte jedoch schnell, dass er keine Rolle im Titelkampf spielen wird. Am Ende sprang für die Schwarzgelben nur ein enttäuschender fünfter Platz heraus. Auch im DFB-Pokal war bereits früh Schluss und man schied gegen die Überraschungsmannschaft aus Stuttgart aus.

Nach der verspielten Meisterschaft 2023, will der BVB nun die Champions League gewinnen. (Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Real Madrid hingegen holte sich souverän die Meisterschaft, auch den spanischen Supercup konnte sich die Ancelotti-Elf holen. Einzig in der Copa del Rey schied man früh gegen den Stadtrivalen Atlético aus. Die Blancos konnten im Gegensatz zum BVB bereits Silberware einfahren, der Champions League-Titel wäre die Krönung einer guten Saison. Bei Borussia Dortmund könnte man mit dem Champions League-Titel hingegen die gesamte Saison retten und darüber hinaus das Trauma aus der Vorsaison endgültig überwinden. Allein der Einzug ins Finale ist schon derart sensationell, dass der BVB ab jetzt nichts mehr zu verlieren hat.

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Selbstverständlichkeit vs. Sehnsucht

Nach fünf Champions-League-Titeln in den letzten zehn Jahren ist der Gewinn des Henkelpotts für Real Madrid eine Selbstverständlichkeit. Die Königlichen gehören in jeder Saison zum Favoritenkreis und lassen auch aufgrund ihres Mythos und der unvergesslichen Aufholjagden die Gegner verzweifeln. Die letzten acht Champions-League-Finals konnte Real Madrid siegreich bestreiten und es spricht vieles dafür, dass sie auch im neunten gegen Borussia Dortmund als Sieger vom Platz gehen.

Toni Kroos und Luka Modric gewannen bereits jeweils fünfmal die Champions League (Photo by ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP via Getty Images)

Im Gegensatz zu dieser Selbstverständlichkeit taucht beim BVB die Sehnsucht nach dem Gewinn der Champions League auf. Nach der Niederlage 2013 in Wembley gegen den FC Bayern wartet der BVB nun schon seit 1997 auf den großen Wurf in Europa. Diese Sehnsucht wollen die Dortmunder Spieler nun stillen. Sie treffen auf das große Real Madrid und am Ende wird es ein Spiel sein, in dem auch der Wille entscheidet.

Viele Akteure des BVB haben wahrscheinlich eine einmalige Gelegenheit auf den Titel, während es bei Real Madrid fast schon Normalität ist. In London wird eine extrem sehnsüchtige Mannschaft auf einen routinierten Dauerfinalisten sowie -sieger treffen. Vielleicht sorgt der größere Titelhunger für die paar Prozent mehr Bereitschaft, die den Ausschlag zugunsten des BVB bedeuten könnten.

Individualität vs. Kollektiv

Real Madrid besitzt schon allein aufgrund ihres Standings ganz andere Möglichkeiten, Spieler zu verpflichten, als Borussia Dortmund. Während bei den Blancos viele Stars des Weltfußballs auflaufen – Vinícius Júnior und Jude Bellingham sind Kandidaten für den Ballon d’Or – steht beim BVB das Kollektiv im Vordergrund. Nur aufgrund starker Teamleistungen war es möglich, Paris Saint-Germain aus dem Wettbewerb zu werfen. Während die Königlichen in ihren Begegnungen immer wieder von den individuellen Aktionen einzelner Spieler profitieren, agieren die Schwarzgelben als Einheit und verteidigen kompakt. Dieser Zusammenhalt wird jetzt nicht plötzlich aufhören. Sollte Real bei einem offenen Spiel dazu neigen, sich nur noch auf Einzelaktionen zu verlassen, könnte Dortmund erneut einen auf dem Papier überlegenen Gegner niederkämpfen.


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