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Füllkrug beim BVB: Viel Kritik und wenig Dankbarkeit

1. Juni 2024 | Spotlight | BY Damian Ozako

Niclas Füllkrug steht kurz vor dem größten Spiel seiner Karriere. Mit dem BVB steht er im Finale der Champions League und hat die Chance, sich in Dortmund unsterblich zu machen. Ausgerechnet dort wird er allerdings auch besonders kritisch gesehen.

BVB: Füllkrug kommt als Notlösung

Dass sich Borussia Dortmund am Ende der vergangenen Saison überhaupt in die Situation brachte, eine realistische Chance auf die Meisterschaft zu haben, lag vor allem auch an der Rückkehr von Sébastien Haller. Der Ivorer kam nach seiner überstandenen Krebserkrankung in 19 Ligaspielen auf neun Treffer und fünf Vorlagen.



Eins wurde trotz des verspielten Titels klar: Der BVB funktioniert unter der Führung von Edin Terzic deutlich besser mit einer klassischen Nummer Neun. Umso dringender war dann der Handlungsbedarf, als zu Beginn der aktuellen Spielzeit ersichtlich wurde, dass bei Haller dann doch noch Auswirkungen seiner schwerwiegenden Erkrankung zum Vorschein kamen.

Als Notlösung wurde am 31. August Niclas Füllkrug präsentiert, der als Torschützenkönig aus Bremen in den Ruhrpott kam. „Ich habe mich riesig über das Angebot gefreut, denn der Schritt zu diesem Klub ist genau der, den ich mir gewünscht habe. Beim BVB habe ich die Chance, mich als Spieler weiterzuentwickeln und neue Erfahrungen zu sammeln“, erklärte der Nationalspieler nach der Bekanntgabe des Wechsels.

Ohne Vorbereitung musste der 31-Jährige ab dem dritten Spieltag in einem neuen Umfeld sofort funktionieren. Zunächst über Kurzeinsätze und dann recht zügig in der Startelf. Füllkrug, der vor zwei Jahren noch in der 2. Bundesliga spielte, war plötzlich Stammkraft beim Vizemeister und durfte zum ersten Mal in seiner Karriere in der Champions League antreten.

Viel Kritik an Füllkrug

Neun Monate, 16 Tore und zehn Vorlagen später könnte man denken, dass Füllkrug ein gutes Standing in Dortmund hat, aber davon ist er dann doch recht weit entfernt. Die Liebe, die er bis heute aus Bremen oder auch im Trikot der DFB-Elf bekommt, wird ihm von einem nicht gerade kleinen Teil des Dortmunder Umfelds verwehrt. Das Publikum, das in den letzten Jahren das Privileg hatte, Stürmern, wie Erling Haaland, Robert Lewandowski oder auch Pierre-Emerick Aubameyang zu zu jubeln, hat eine mindestens distanzierte Haltung, wenn nicht sogar unterkühlte Beziehung zu Füllkrug.

Der 31-Jährige hat durchaus frustrierende Aspekte in seinem Spiel, insbesondere technisch fällt er im Vergleich zu vielen seiner Teamkollegen deutlich ab. Kommt dann noch eine schwache Tagesform hinzu, fallen seine Ungenauigkeiten im Kombinationsspiel und mitunter überhasteten Abschlüsse negativ auf. In so mancher Saisonphase tauchte er dann auch mal komplett ab, weil das Team ihn überhaupt nicht in Szene setzen und er sich selbst nicht ins Spiel gewinnbringend einschalten konnte.

So richtig negativ ist die Stimmung dann nach dem Auswärtsspiel im Januar in Köln geworden. Rückkehrer und früherer Publikumsliebling Jadon Sancho holte einen Elfmeter raus und wollte diesen selbst schießen. Füllkrug, der auserkorene Schütze, ließ das vollkommen berechtigt nicht zu, trat an und verwandelte. Der BVB gewann mit 4:0, aber im Internet brach sofort ein Shitstorm los. Obwohl die Angelegenheit zwischen der Leihgabe von United und Füllkrug längst geklärt war, erhielt der Stürmer viele Kommentare, die über das Ziel hinausschossen. Bis heute hat er die Kommentarfunktion auf seinem Instagram-Account eingeschränkt.

BVB: Konflikt zwischen Sancho und Füllkrug

(Photo by Mika Volkmann/Getty Images)

Permanente Forderungen, Füllkrug aus der Startelf zu nehmen und Youssoufa Moukoko oder den zwischenzeitlich wieder fit gewordenen Haller spielen zu lassen, waren überall zu lesen. Zu schlecht sei der ehemalige Bremer. Ein Stürmer, der eben nicht für höhere Aufgaben bereit sei. Eine Serie von gleich neun Partien ohne eigenen Treffer stellte den Tiefpunkt seiner Saison dar. Abgerundet wurde es mit einem extrem schwachen Auftritt in Madrid. Bei der 1:2-Niederlage gegen Atlético im Viertelfinalhinspiel der Königsklasse musste er nach rund einer Stunde den Platz verlassen. Der für ihn eingewechselte Haller erzielte den sehenswerten Anschlusstreffer, der die Tür zum Weiterkommen öffnete.

Füllkrug beendet Torflaute beeindruckend

„Wenn du Stürmer von Borussia Dortmund bist und neun Spiele nicht getroffen hast, ist das natürlich ein Thema in der Öffentlichkeit“, kommentierte Terzic die immer vehementer geäußerte Kritik an Füllkrug (Zitate via kicker). Vieles deutete darauf hin, dass der formschwache Stürmer seinen Startplatz an Haller verlieren könnte, ehe sich dieser im nächsten Spiel in Mönchengladbach nach wenigen Minuten erneut verletzte.

Und die Reaktion von Füllkrug? Er brach die Torflaute mit einem sensationellen Kopfballtor gegen Atlético. Nur wenige Minuten später erzielte Marcel Sabitzer das 4:2 und Dortmund zog ins Halbfinale der Königsklasse ein. Die Borussia im Freudentaumel – auch dank Füllkrug. Fast noch besser als sein Auftritt waren seine Worte nach dem Spiel gegenüber Prime Video. Angesprochen auf seine vorherige Torflaute machte er das, was viele seiner Kritiker eben zu keinem Zeitpunkt der Saison taten: den Kontext der Gesamtsituation betrachten.

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„Neun Spiele nicht getroffen – ich bin da immer ein bisschen realistisch mit der ganzen Sache. Ich finde, dass wir da immer ein bisschen entspannter mit umgehen müssen“, erklärte er und begründete seinen Standpunkt weiter: „Wenn man diese ganze Saison sieht, wo ich herkomme, was ich erlebt habe in meiner Karriere und dass ich jetzt mit Borussia Dortmund im Champions-League-Halbfinale stehe: Da ist es doch scheißegal, ob ich neun Spiele getroffen hab oder nicht.“

Der 31-Jährige wies erneut darauf hin, dass er in einer schwierigen Phase zum Verein kam, in der die gesamte Mannschaft Probleme hatte. Damit hat er uneingeschränkt Recht. Dass er hier und da wirklich schlechte Leistungen zeigte, ist wohl auch unumstritten, aber sein Engagement auf dem Platz, wie er sich immer in den Dienst der Mannschaft stellte, sollte eigentlich gerade in Dortmund doch wertgeschätzt werden.

Dass dies nicht der Fall ist, verwundert aufgrund der vergangenen Jahre nicht. Die Mischung aus einer immer größer gewordenen Erwartungshaltung und diversen vergebenen Titelchancen hat für ein gewissen Grundfrust gesorgt, den immer wieder einzelne Akteure abbekommen. Auch Vereinslegende Marco Reus musste sich immer und immer wieder harsche Kritik anhören, wenn es mal nicht so gut lief. Das BVB-Umfeld kann beim kleinsten Anflug von Krise extrem toxisch sein.

BVB im Finale der Champions League – auch explizit dank Füllkrug

Bei Füllkrug geht es dann schon sogar so weit, dass seine Leistungen, fast gar nicht positiv besprochen werden. Dabei hatte er gerade in der Champions League viele prägenden Szenen. In der Gruppenphase schoss er am vierten Spieltag gegen Newcastle United sein erstes Champions-League-Tor und brachte den BVB auf die Siegerstraße. Dortmund eroberte erstmals die Tabellenführung in der Todesgruppe F. Im San Siro war er entscheidend bei der Entstehung zum zwischenzeitlichen 2:1 von Jamie Bynoe-Gittens beteiligt. Durch den 3:1-Auswärtssieg sicherte sich die Terzic-Elf vorzeitig das Weiterkommen. Am letzten Spieltag bereitete er beim 1:1 gegen PSG den Treffer von Karim Adeyemi vor, der letztendlich auch den Gruppensieg einbrachte.

In der K.O.-Phase hatte Füllkrug in jeder Runde eine Torbeteiligung. Im Achtelfinalrückspiel gegen PSV legte er das 2:0 von Reus auf, das für die endgültige Entscheidung sorgte. Im Viertelfinale folgte, wie bereits angesprochen, das zwischenzeitliche 3:2 gegen die Rojiblancos und dass der BVB mit einer 1:0-Führung zum Rückspiel nach Paris reiste, lag an einem kaltschnäuzigen Abschluss des gebürtigen Hannoveraners. Ballannahme, paar kleine Schritte, um sich zu ordnen und ein schnörkelloser, aber wuchtiger Schuss. Bei diesem Auftritt gerieten einige ins Schwärmen. „Das geht nur, wenn auf einem gewissen Niveau ist und dieser Typ spielt meiner Meinung nach auf diesem Niveau“, stellte Italien-Legende Alessandro Del Piero klar.

BVB: Füllkrug im Zweikampf

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Er brachte es bei CBS auf den Punkt, warum der oftmals so spielschwache BVB so stark von Füllkrug profitiert: „Wenn du nicht die Energie, den Raum oder die Qualität hast, immer von hinten raus zu spielen, dann wähle den langen Ball. Und er kann sich eben verteidigen, kämpfen, den Ball fest machen und seinem Kollegen die Möglichkeit bieten, vorzurücken.“

Anstatt auf Füllkrugs Schwächen zu gucken und diese ohne Pause tot zu diskutieren, hätte man über die Saison gerne auch mal darüber sprechen dürfen, dass dieses oftmals so uninspirierte Dortmunder Team sich regelmäßig auf einen hart arbeitenden und mannschaftsdienlichen Stürmer verlassen konnte. Füllkrug warf sich in jeden Zweikampf, betrieb die gesamte Spielzeit über einen enorm hohen Aufwand, war fleißig und ließ auch seine Mitspieler glänzen. Vor wenigen Jahren wäre genau diese Art von Malocher noch in Dortmund gefeiert worden.

Dankbarkeit bei Füllkrug: Historische Chance für den BVB

„In einer Karriere muss sehr viel passieren, damit man dieses Spiel überhaupt einmal spielen darf“, teilte Füllkrug über die offiziellen Vereinskanäle mit. Er verwies auf „einige Weltklasse-Spieler“ hin, die nie im Finale der Königsklasse standen, weil es die Umstände nie zuließen. „Deswegen bin ich sehr dankbar, dieses Spiel erleben zu dürfen“, betonte er weiter. Dass er selbst einen riesigen Anteil daran hat, wird dieser Tage zu sehr unter den Teppich gekehrt.

Niclas Füllkrug kam als Notlösung ohne richtige Vorbereitung zu einem kriselnden Verein, machte dabei den größten Schritt seiner bisherigen Karriere und strahlt dabei trotz überharter und mitunter schlicht unfairen Kritik eine Dankbarkeit aus, die eigentlich auch mal ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht werden sollte. Es wird die Zeit kommen, wo sich Fans einen solch engagierten Spieler zurückwünschen. Er hat bereits Geschichte im Trikot der Borussia geschrieben. Am Samstag kann er sich im Wembley unsterblich machen.

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


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