EM 2021 | Favoriten, Spektakel & mehr: Die Eindrücke des 1. Spieltags

16. Juni 2021 | Trending | BY Victor Catalina

Spotlight | Der erste Spieltag der Gruppenphase ist im Kasten! Während einige große Namen wie Deutschland, Spanien oder Kroatien stolperten, wussten andere diese Situation auszunutzen. Dabei konnte vor allem die Bundesliga überzeugen.

Gruppen A-C: Italien souverän, Finnland überrascht, Niederlande spektakulär

Die Europameisterschaft begann mit einem Heimspiel der Italiener in Rom. Zu Gast war eine weitestgehend chancenlose türkische Mannschaft. Profitierte die Günes-Elf in der ersten Hälfte noch von den vielen Fahrkarten der Azzurri, so zeigten sich die Gastgeber vor allem nach der Pause verbessert und gewannen auch in der Höhe verdient 3:0.

 

 

Dieses Spiel hielt gleich ein doppeltes Novum bereit: Zum ersten Mal erzielte eine Mannschaft in einem Eröffnungsspiel der EM drei Tore und erstmals traf Italien in diesem Wettbewerb öfter als zweimal. Besonders spielerisch wusste die Mannschaft von Roberto Mancini (56), der vor gut 20 Jahren selbst im Mittelfeld von Lazio die Fäden zog, zu überzeugen. Immer wieder inszenierten sie über das Mittelfeld aus Jorginho (29), Manuel Locatelli (23) und Nicolò Barella (24) gefährliche Angriffe. Offensiv zeigte sich Domenico Berardi (26) äußerst unternehmungslustig. Ciro Immobile (31) belohnte sich ebenfalls mit einem Treffer vor heimischer Kulisse und wurde im Anschluss mit „Ciro, Ciro!“-Sprechchören bedacht. Mit einer Tordifferenz von +3 geht Italien ins nächste Spiel gegen die Schweiz. Ein weiterer Erfolg und der Gruppensieg ist ihnen praktisch nicht mehr zu nehmen. Auf der anderen Seite steht die Türkei gegen Wales unter Druck.

Belgien souverän, Finnland rekordverdächtig eiskalt

Selbiges gilt auch für Belgien und Russland. Der ewige Geheimfavorit startete ebenfalls nach Maß in dieses Turnier. Zwei Tore von Romelu Lukaku (28) und ein weiteres des Dortmunders Thomas Meunier (29) besiegelten den 3:0-Erfolg. Belgien tat gegen eine relativ mittellose russische Mannschaft nicht mehr als nötig, verwaltete das frühe 2:0  und legte spät nochmal nach.

Hinter ihnen finden sich überraschenderweise die Finnen. Huuhkajat, die Uhus, gewannen dank eines Treffers des Unioners Joel Pohjanpalo (26) 1:0 in Kopenhagen. Ein Schuss, ein Tor, ein Sieg, die Finnen. Das war noch keiner anderen Mannschaft bei einem großen Turnier gelungen. Wobei dieses Spiel aufgrund des Zwischenfalls um Christian Eriksen (29) unter besonderen Umständen stand. Man sah den Dänen nach Wiederanpfiff an, dass sie – vor allem mental – mit der Situation zu kämpfen hatten, sodass es nicht möglich ist, ihnen für diese Niederlage irgendeinen Vorwurf zu machen. Auf der anderen Seite bietet sich Finnland eine historische Chance. Sollten sie auch gegen Russland gewinnen und auf sechs Punkte erhöhen, ist ihnen das Achtelfinale bei ihrem ersten großen Turnier praktisch nicht mehr zu nehmen.

Niederlande knüpft an fragwürdige Performances an, Arnautovic gesperrt

Gruppe C hatte die vielleicht bislang spektakulärste Partie dieses Turniers zu bieten, als die Niederlande in Amsterdam die Ukraine empfing. Nachdem Georginio Wijnaldum (30) und der Wolfsburger Wout Weghorst (28) auf 2:0 stellten, kam die Shevchenko-Elf per Doppelschlag zurück, bevor Denzel Dumfries (25) seine dritte Großchance des Abends zum Siegtreffer nutzte. Die Niederlande liefert damit den nächsten leicht fragwürdigen Auftritt und knüpft damit an Ergebnisse wie das 2:4 in Istanbul oder das 2:2 gegen Schottland an. In dieser Form fällt es schwer, sie – trotz aller individuellen Qualität – als ernsthaften Titelkandidaten zu sehen.

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Im Moment ist die Niederlande nur Gruppenzweiter – hinter Österreich. Lange Zeit tat sich die Mannschaft von Franco Foda (55) gegen Nordmazedonien schwer. Ein artistisches Führungstor des Gladbachers Stefan Lainer (28) glich Routinier Goran Pandev (37) nach einem Lapsus in der österreichischen Hintermannschaft aus. Danach bot sich dem Außenseiter sogar diverse Male die Möglichkeit, das Spiel komplett zu drehen. Letztendlich setzte sich die individuelle Qualität durch. Kapitän David Alaba (28) servierte von links punktgenau für Michael Gregoritsch (27). Marko Arnautovic (32) machte in der 89. Minute alles klar.

Allerdings erlaubte er sich im Anschluss einen kontroversen Jubel, indem er drohte, innigere Beziehungen mit den Müttern von Spielern albanischer Abstammung zu haben. „Ich bin kein Rassist und werde niemals einer sein. An alle Leute, die sich angesprochen gefühlt haben: Es tut mir leid, es tut mir leid. Lass‘ uns das alles vergessen, es gehört nicht zum Fußball“, so Arnautovic nach dem Spiel. Am Dienstag bestätigte die UEFA die Einleitung eines Ethik- und Disziplinarverfahrens. Am Mittwoch wurde bekannt, dass er wegen „Beleidigung eines anderen Spielers“ nach Artikel 15(1)(a)(IV) der UEFA-Rechtspflegeordnung „für das nächste UEFA-Wettbewerbsspiel der UEFA-Verbandsmannschaft“ suspendiert wird. Arnautovic wird somit in Amsterdam fehlen – und ist nochmal mit einem blauen Auge davongekommen. Schlimmstenfalls wäre sogar ein Turnierausschluss möglich gewesen.

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Gruppen D-F: Tschechien und Slowakei mit guter Ausgangslage, Frankreich erfüllt die Favoritenrolle

Es war die Neuauflage des Halbfinals von 2018, als England in Wembley Kroatien empfing. Es entwickelte sich ein weitestgehend ereignisloses Spiel, das durch den Treffer von Raheem Sterling (26) entschieden wurde. England musste nicht einmal alle Karten auf den Tisch legen, konnte es sich leisten, den Dortmunder Jadon Sancho (21) zu schonen. Der größte Gewinner dieses Spiels dürfte Kalvin Phillips (25) sein, der sein Können erstmals eindrucksvoll auf europäischer Bühne präsentieren durfte, die Kreise von Kroatiens Mittelfeld gekonnt einschränkte und selbst einige gute Aktionen nach vorne inszenierte.

Spektaulärer ging es gut 640 Kilometer weiter nördlich zu, im Hampden Park. Dort traf Schottland auf Tschechien. Kurz vor der Pause versenkte der Leverkusener Patrik Schick (25) einen Kopfball zum 0:1. Spätestens hier sollte klar gewesen sein, dass es das Turnier der Bundesligaspieler ist. Etwaige Zweifel daran wurden in Minute 52 beseitigt. Schick sah, dass Schottlands Torhüter David Marshall (36) zu weit vor seinem Tor stand und düpierte ihn aus 45 Metern Entfernung. Kategorie: Tor des Jahres. Mit diesem Sieg setzt sich Tschechien an die Tabellenspitze und kann sie an Ort und Stelle gegen Kroatien verteidigen. Für England ist derweil Derbytime. In Wembley empfangen sie Schottland.

Slowakei düpiert Polen, Schweden stoppt Spanien

Einen überraschenden Tabellenführer gibt es auch in Gruppe E: die Slowakei. Weil Spanien und Schweden das bisher einzige 0:0 dieses Turniers produzierten, reichte ihnen der 2:1-Sieg gegen Polen zu Platz 1. Für Robert Lewandowski (32) war es ein gleichermaßen unglückliches und undankbares Spiel. Zwar rieb sich Bayerns Starstürmer auf, bot immer wieder Laufwege an und ließ sich auch öfters tief fallen. Doch so richtig viel wollte ihm nicht gelingen. Auch, weil er kaum Unterstützung von seinen Teamkollegen bekam. Noch dazu patzten mit Wojciech Szczęsny (31) und Grzegorz Krychowiak (31) zwei eigentliche Führungsspieler schwer. Ersterer ließ sich vom Ex-Nürnberger Róbert Mak (30) am kurzen Pfosten überraschen, letzterer holte sich seine zweite gelbe Karte in genau dem Moment ab, als Polen im Begriff war, das Spiel zu drehen. Am Ende machte Inters Milan Škriniar (26) den Unterschied. Zum einen mit seiner defensiven Performance – und natürlich dem technisch hochwertigen Siegtor.

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Für Polen geht es in Sevilla schon um alles, eine weitere Niederlage und selbst der Platz unter den besten Gruppendritten ist in Gefahr. Die Slowaken könnten mit einem Sieg gegen Schweden das Achtelfinale so gut wie festziehen. Schon 2016 kamen sie in einer Gruppe mit Wales, England und Russland als Dritter weiter, im Achtelfinale war jedoch gegen Deutschland Schluss. Jérôme Boateng (32), Mario Gomez (35) und Julian Draxler (27) besiegelten den 3:0-Erfolg.

Kreatives Frankreich zeigt biederem Deutschland die Grenzen auf, CR7 bricht die nächsten Rekorde

Viel wurde gesprochen und spekuliert, über dieses Spitzenspiel der Gruppe F: Weltmeister Frankreich empfing seinen Vorgänger: Deutschland. Wie schon 2014 machte Mats Hummels (32) den Unterschied – diesmal allerdings für Frankreich. Das Spiel war eng, aus französischer Sicht enger, als nötig. Deutschland dominierte zwar spielerisch. Doch während Frankreich in der Offensive das Silberbesteck auspackte, hatte die DFB-Elf nicht mehr als Hausmannskost zu bieten. Über fast 98 Minuten musste Hugo Lloris (34) nicht ein einziges Mal ernsthaft eingreifen.

 

 

Man hatte das Gefühl, dass Frankreich nicht einmal alle Karten auf den Tisch legen musste, um einen zwar bemühten, letztlich aber doch äußerst biederen Ex-Weltmeister zu besiegen. Eine stabile Defensive in Tateinheit mit der Wucht und Kreativität von Paul Pogba (28) sowie der Geschwindigkeit und Torgefahr Kylian Mbappés (22) reichte vollkommen. Neben diesen beiden gilt es auch, Raphael Varane (28) hervorzuheben. Mit einer Zweikampfquote von 100 Prozent und ebenfalls 100 Prozent gewonnener Kopfballduelle führte er die Defensive an diesem Abend in München an.

Schon zuvor gewann Portugal 3:0 in Budapest. Das Ergebnis hört sich klarer an, als es das Spiel letztlich war. Das Titelverteidiger tat sich gegen gut organisierte Ungarn lange Zeit schwer. Erst in der 84. Minute erlöste der Dortmunder Raphael Guerreiro (27) die Seinen, bevor Cristiano Ronaldo (36) Cristiano-Ronaldo-Dinge machte. Mit seinen Toren zehn und elf bei Europameisterschaften zog er an Michel Platini (65) vorbei und ist nun alleiniger Rekordtorschütze dieses Wettbewerbs. Zudem erhöhte CR7 bei den Länderspieltoren auf 106. Nur noch drei Treffer trennen ihn von Ali Daeis (52) ewigem Rekord. Es ist keine Frage mehr, ob dieser auch noch fällt, sondern nur noch wann.

Gegen Deutschland bietet sich Cristiano Ronaldo die nächste Chance, Boden gutzumachen. Nach dem 0:1 am Dienstag steht die DFB-Elf unter Druck. Doch auch Portugal kann es sich nicht leisten, in dieser Gruppe Punkte liegenzulassen, selbst wenn sie die Tordifferenz auf ihrer Seite haben.

Fazit

Anders als 2016 bot Spieltag 1 diesmal reichlich Spannung und Unterhaltung. Mit Finnland, Tschechien und der Slowakei gab es sogar die ein oder andere Überraschung. Das ging zulasten von Mannschaften wie Kroatien, Spanien und Deutschland, die es verpassten, ihren EM-Auftakt siegreich zu gestalten und somit gleich an Spieltag 2 unter Druck stehen. Positiv aus deutscher Sicht: Es ist bisher das Turnier der Bundesliga. Von Breel Embolos (24) Führungstor über Patrik Schicks Sensationstreffer bis hin zu Raphael Guerreiros Dosenöffner wussten viele ehemalige und aktuelle Bundesligaprofis zu überzeugen. Wenn die Nationalmannschaft auch noch anfängt mitzuspielen, könnte es ein relativ vielversprechendes Turnier werden.

 

 

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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