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EM 2024 | Albanien: Außenseiter mit spannenden Ansätzen

15. Juni 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Zum zweiten Mal nach 2016 nimmt Albanien an einer EM-Endrunde teil. Die Gruppe könnte kaum schwieriger sein, es geht gegen den WM-Dritten Kroatien, den Titelverteidiger Italien und Nations-League-Sieger Spanien. 

Doch vielleicht liegt genau hierin eine Chance. Niemand rechnet damit, dass Albanien weiterkommt oder überhaupt punktet. Dabei zeigt der Blick auf das Team: Wer die Albaner unterschätzt, der könnte Probleme bekommen. 

Albanien: EM-Qualifikation mit nur einer Niederlage

Die Nationalmannschaft Albaniens hatte in ihrer Fünfergruppe in der Qualifikation mit Moldawien und den Färöer zwei machbare Gegner. Aber: Auch Tschechien und Polen forderten die Albaner. Dass das Team dabei mit nur einer Niederlage, die es auch noch direkt zum Auftakt gab, durchkam, ist durchaus beeindruckend. Von den restlichen sieben Spielen in der Qualiphase gewann Albanien vier, setzte sich am Ende durch, ohne in die Playoffs zu müssen. Besonders die vier Spiele ohne Gegentreffer waren erwähnenswert. 



Das Länderspieljahr 2024 begann für die Albaner aber eher unbefriedigend. Gegen Chile (0:3) und Schweden (0:1) kassierte man Niederlagen, die auch am Selbstvertrauen des Teams kratzten. Deswegen wurden die Gegner vor der EM-Endrunde auch bewusst aus dem eher kleineren Qualitätssegment ausgewählt. Zurecht: Denn gegen Liechtenstein (3:0) und Aserbaidschan (3:1) gab es Siege, die noch einmal für eine breitere Brust sorgten. Das verbesserte auch die Stimmung vor der EM. 

Albanien: Führungsspieler als Anker

Die albanische Nationalmannschaft ist auf keinen Fall ein Team der namenlosen Spieler. Mit etwas über 27 Jahren im Schnitt ist der Kader nicht besonders jung, was allerdings auch wichtig ist, denn erfahrene Führungsspieler können die individuelle Unterlegenheit mitunter kaschieren. Die Innenverteidigung ist physisch stark, vor allem Berat Djimsiti, der mit Atalanta die Europa League gewann, sticht hier hervor. Marash Kumbulla, der ebenfalls in der Serie A, genauer bei Sassuolo, spielt, ist ein möglicher Partner für ihn. Auch Elseid Hysaj, ein Außenverteidiger, der bei Lazio spielt, verfügt über internationale Erfahrung. 

Interessante Spieler gibt es auch im Mittelfeld. Da wäre Dauerbrenner und Kartensammler Klaus Gjasula (Darmstadt), aber auch Kristjan Asllani, der auf der Sechs abräumen soll und individuell zu den besten Spielern seines Teams zählt. Er steht bei Inter unter Vertrag, ist einer der jüngeren Akteure im Kader. Ernest Muci (23, Besiktas), ein technisch feiner Spielmacher, und Armando Broja (22, Chelsea) könnten wichtige Stützen in der Offensive sein. Außerdem gibt es hinter Broja noch drei weitere Stürmer, die eine Rolle spielen könnten, darunter Rej Manaj, der sein Geld bei Sivasspor verdient. 

Albanien EM 2024

(Photo by ATTILA KISBENEDEK/AFP via Getty Images)

Wichtig wird sein, dass die genannten Spieler im gesamten Turnierverlauf fit sind. Individuell haben die Albaner in dieser Gruppe nämlich einen deutlichen Nachteil. Gerade an den Führungsspielern, die teilweise auch bei Topklubs spielen, kann sich der Rest der Mannschaft hochziehen. Erfahrung hat übrigens auch Trainer Sylvinho (50), der als Spieler für Arsenal, Barcelona und Manchester City aktiv war. Als Coach war die Qualifikation für die EM bisher sein größter Erfolg. 

Muss der Außenseiter auch Außenseiterfußball spielen?

Klar, wenn ein Team wie Albanien gegen Kroatien, Italien und Spanien spielt, dann ist es der Außenseiter. Und Außenseiter fühlen sich nicht selten wohl, wenn sie typischen Außenseiterfußball spielen können. Heißt, dass Kompaktheit, Verknappung der Räume und viel Laufarbeit zu den Grundtugenden zählen. Natürlich wird es darauf ankommen, das auf den Platz zu bringen, aber der Ansatz der Albaner ist im Grunde etwas raffinierter als sich nur darauf zu beschränken.

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Denn es existieren durchaus Spieler im Kader, die technisch versiert sind. Asllani hat bei Inter zum Beispiel enorm von der Arbeit unter Simone Inzaghi profitiert, konnte sich von Akteuren wie Hakan Calhanoglu und Nicolo Barella einiges abschauen. Auch der bereits angesprochene Muci ist ein sehr guter Fußballer, kann dribbeln, schnelle Haken schlagen. Zudem wird im Aufbau, gerade wenn wenig Gegnerdruck herrscht, sehr ansprechend und flach gespielt. Mittelfeldspieler kommen entgegen, lassen prallen oder drehen auf, entscheiden das situativ. Sylvinho legt zudem viel Wert auf Technik, ist ein Förderer des Kombinationsspiels.

Wie viel Albanien davon am Ende wird zeigen können, bleibt abzuwarten. Das 4-2-3-1 respektive 4-3-3 ist jedenfalls ein System, in dem sich das Team wohlfühlt und auch immer einige Offensivspieler auf dem Feld hat. Von dieser Ordnung abzukehren, um bei der EM nur Abwehrschlachten zu liefern, kommt für die albanische Auswahl nicht in Frage. Frech will man sein, in der Umschaltbewegung Klarheit auf den Platz bringen und darüber hinaus auch noch die eigene Wucht bei ruhenden Bällen in den Vordergrund stellen. Und wer weiß, vielleicht jubelt am Ende Albanien in dieser Gruppe und kann sich die EM-Überraschung nennen.

(Photo by Emmanuele Ciancaglini/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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