EM 2024 | Österreich: Auch ohne Alaba ein Geheimtipp?
17. Juni 2024 | Spotlight | BY Till Gabriel
Kein David Alaba, kein Xaver Schlager – Österreich muss bei der EM 2024 auf etliche Schlüsselspieler verzichten. Warum man mit der ÖFB-Elf dennoch rechnen sollte.
EM 2024 ohne Alaba: Real-Star mischt nur im Staff mit
Wenn einen Geheimtipp auszeichnet, dass er wirklich geheim ist, kann man Österreich bei der EM 2024 nicht mehr als solchen bezeichnen. Die Alpenrepublik schickt ihre vielversprechendste Mannschaft seit Jahrzehnten ins Rennen – dabei fällt der wohl beste österreichische Fußballer aller Zeiten verletzt aus.
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David Alaba wird nicht mit dem Adler auf der Brust auflaufen können, nachdem er sich im Dezember das Kreuzband gerissen hatte. Der Verteidiger von Real Madrid wird seine Landsleute jedoch als Teil des Trainerstabs begleiten.
Dass die Fans auch ohne den Superstar „mindestens das Achtelfinale erwarten“, wie es Thomas Gottsmann von den Salzburger Nachrichten formuliert, liegt in erster Linie am Trainer. Mit Ralf Rangnick steht ein ausgewiesener Fachmann am Seitenrand, der den österreichischen Fußball seit seinem Amtsantritt im Mai 2022 von Grund auf umkrempelt.
Der 65-jährige Deutsche wäre kurz vor dem Turnier beinahe beim FC Bayern gelandet, sagte aber im letzten Moment doch noch ab. Rangnick fühlt sich beim ÖFB wohl und hat bei „Rot-weiß-rot“ einen Spielstil etabliert, gegen den kein Gegner gerne spielt. Mit intensivem Pressing, wie es der Fußballlehrer bereits bei RB Leipzig implementierte, marschierte die Auswahl souverän durch die Qualifikation und setzte zuletzt mit einem 6:1 gegen die ebenfalls hochgehandelte Türkei ein echtes Ausrufezeichen.
Baumgartner in Top-Form: „Er strotzt vor Selbstvertrauen“
Schon im November letzten Jahres musste die DFB-Elf schmerzhaft erfahren, wie gut das Nachbarland die Vorstellungen seines Coaches umsetzt. Beim 0:2 in Wien wurde die Nagelsmann-Elf phasenweise her gespielt, für Österreich trafen die Bundesliga-Legionäre Christoph Baumgartner und Marcel Sabitzer.
„Rangnick hat von Beginn an alle wichtigen Personen im und rund um das Team mit ins Boot geholt. Die Spieler und Funktionäre vertrauen ihm und der Verband erfüllt ihm fast jeden Wunsch“, erklärt Gottsmann die steile Entwicklung, die das ÖFB-Team in den letzten zwei Jahren seit der erneut verpassten WM-Qualifikation genommen hat.
Rangnick profitiert bei der Nationalelf extrem davon, dass viele Spieler die RB-Schule durchlaufen haben, teilweise unter der Leitung des Deutschen in den Red-Bull-Kosmos wechselten. Sie kennen den Fußball, den sie spielen sollen, von der Pike auf. Das trifft auf Christoph Baumgartner zwar nur bedingt zu, doch dem Bundesliga-Legionär kommt im ÖFB-Team dennoch eine besondere Rolle zu.
Der 24-Jährige entstammt der Jugend des SKN St. Pölten und fand über die TSG Hoffenheim vor einem Jahr den Weg zu RB Leipzig. Dort ist der variabel einsetzbare Offensivspieler zwar meist Joker, füllte diese Rolle jedoch mit fünf Treffern formidabel aus. „Das kann man sich eigentlich kaum vorstellen, wenn man ihn hier bei uns sieht“, lobte Rangnick seinen Schützling zuletzt in höchsten Tönen: „Er strotzt vor Selbstvertrauen, ist wirklich auch ein Spieler, der vorangeht, der mit diesen Aktionen auch den Unterschied macht. Wir sind froh, dass wir ihn haben.“
Im Nationaldress ist Baumgartner absolut gesetzt und derzeit der formstärkste ÖFB-Stürmer. In den letzten fünf Spielen vor der EM traf Baumgartner immer, darunter das Tor gegen Deutschland und im März beim 2:0 gegen die Slowakei das schnellste Tor der Länderspielgeschichte.
Neben dem Leipziger stehen elf weitere Akteure im Kader, die in Deutschland ihr Geld verdienen. Das Prunkstück ist dabei das Mittelfeld, das auch ohne Xaver Schlager (Kreuzbandriss) jede Menge individuelle Qualität aufweist. Mit Bayerns Konrad Laimer, RBL-Sechser Nicolas Seiwald und Marcel Sabitzer, der bei Borussia Dortmund zuletzt aufblühte stehen gleich drei erprobte Bundesliga-Profis bereit. Im Sturm dürfte entweder Altstar Marko Arnautovic (Inter) auflaufen, sofern es seine Fitness zulässt, oder aber Freiburgs Michael Gregoritsch, der sich im Nationalteam lange schwer tat, unter Rangnick aber in der Auswahl angekommen ist.
Österreich: Wird die starke Gruppe zum Trumpf?
Bei der EM 2024 ist das Team gleich in der Gruppenphase auf höchstem Niveau gefordert. Mit Frankreich und den Niederlanden trifft man auf zwei große Namen, auch Polen ist als Außenseiter nicht zu unterschätzen. Doch die schwere Vorrunde könnte laut Gottsmann sogar gut zur Rangnick-Elf passen: „Frankreich, die Niederlande und Polen sind natürlich starke Gegner, aber Österreich hat unter Ralf Rangnick in den vergangenen Monaten schon des Öfteren bewiesen, dass es auch starke Gegner schlagen kann. Probleme hat die Mannschaft am ehesten mit tiefstehenden Gegnern, wenn man das Spiel machen muss und kreative Lösungen in der Offensive braucht.“
Genau da hakt es bei der Rangnick-Truppe. Gegen vermeintlich schwache Gegner tat man sich immer wieder schwer, es fehlt ein kreativer Akteur im Zentrum, um aus eigenem Ballbesitz gefährliche Situationen zu kreieren. Dazu kann kein Verteidiger auch nur annähernd die Weltklasse eines David Alaba ersetzen, auch wenn die letzte Kette mit Philipp Lienhart (SC Freiburg) oder dem früheren Augsburger Kevin Danso (mittlerweile RC Lens) durchaus solide besetzt ist.
Mit Österreich wird bei der EM 2024 dennoch zu rechnen sein. Doch wie weit kann es gehen für Rangnicks Pressingmaschine? „Eines ist klar: Gegen Österreich spielt derzeit wohl kein Gegner gerne. Trotz der Ausfälle der Führungsspieler David Alaba, Xaver Schlager und Alexander Schlager hat Österreich eine Mannschaft, die die Gruppenphase überstehen kann. In K.O.-Duellen ist dann alles möglich. Denn, wie gesagt, gegen starke Gegner passt der Spielstil von Rangnick perfekt“, blickt Gottsmann optimistisch voraus.
(Photo by Christian Hofer/Getty Images)