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EM 2024 | Portugal: Ein Team mit (fast) allen Facetten

18. Juni 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Wenn es um die Frage nach dem Turnierfavoriten bei der EM 2024 geht, werden vor allem Frankreich und England zuerst genannt. Portugal fliegt dahingehend ein wenig unter dem Radar, was der Auswahl durchaus gelegen kommen dürfte. Dabei haben die Portugiesen einen herausragenden Kader. 

Nicht falsch verstehen: Kaum jemand unterschätzt Portugal oder würde ihnen absprechen, eine gute Rolle spielen zu können. Die Franzosen und Engländer stehen nur noch mehr im Fokus. Dabei lohnt es sich, genauer auf die Portugiesen zu schauen. Aus verschiedenen Blickwinkeln.



Portugal: Die fast perfekte Qualifikation

Portugal hatte in der Qualifikationsphase eine sehr machbare Gruppe. Liechtenstein, Luxemburg, Bosnien, die Slowakei und Island waren die Gegner. Es gab zwar die ein oder andere Stolperfalle, aber insgesamt war eigentlich klar, dass es nur um den Gruppensieg gehen würde. Wie überzeugend sich die Portugiesen aber qualifizierten, war beeindruckend. Alle zehn Spiele wurden gewonnen, vier davon mit vier oder mehr Toren Unterschied. 

Neun der zehn Spiele absolvierte Portugal sogar ohne Gegentreffer. Der einzige kleine Schönheitsfehler waren die zwei Gegentore beim 3:2-Sieg gegen die Slowakei. Das Länderspieljahr 2023 war also ein voller Erfolg. 2024 hingegen, ausgerechnet vor der EM in Deutschland, tauchten ein paar Fragezeichen auf. Ja, drei der fünf Spiele wurden gewonnen, aber gegen Slowenien und Kroatien gab es Niederlagen. Zudem wurden acht Gegentore in fünf Partien kassiert. Bisher ist das aber nicht mehr als ein kleiner Warnschuss. 

Die Mischung im Portugal-Kader stimmt 

Portugal-Trainer Roberto Martinez hatte vor dem Turnier die Qual der Wahl. Viele Topspieler standen ihm zur Verfügung, am Ende hat er eine sehr ordentliche Mischung gefunden. Mit rund 27 Jahren im Durchschnitt ist das Team in einem sehr guten Alter, auf allen Positionen finden sich erfahrene Spieler, die bei einem solchen Turnier besonders wichtig sind. In der Defensive wäre allen voran Pepe zu nennen, der auch mit 41 Jahren noch ein abgeklärter Spieler ist und seine Einsatzminuten bekommen dürfte. 

Portugal EM 2024

(Photo by PATRICIA DE MELO MOREIRA/AFP via Getty Images)

Und das, obwohl in der Innenverteidigung viele Topspieler im Aufgebot stehen. Ruben Dias von Manchester City zum Beispiel, der den Aufbau koordiniert. Aber auch Goncalo Inacio (Sporting) und Antonio Silva (Benfica) sind Topspieler auf dieser Position, gehören zur nächsten Generation, sind gerade einmal Anfang 20. Im Mittelfeld gibt es Techniker wie Vitinha oder Matheus Nunes, aber auch Arbeiter wie Joao Palhina, der den Künstlern den Rücken freihalten könnte. 

Gerade offensiv können einige Spieler verschiedene Rollen und Positionen übernehmen, je nach Systematik. Martinez ließ Portugal schon im 4-3-3, aber auch mal mit einer Dreierkette auflaufen. Bernardo Silva ist einer der Spieler, die sowohl auf dem Flügel als auch auf der 10 oder im zentralen Mittelfeld mit entsprechendem Offensivdrang zum Einsatz kommen könnten. Diogo Jota, Rafael Leao, Joao Felix & co. sind weit mehr als nur Auffüller im Kader. Und einen sehr guten Torhüter hat Portugal auch noch in petto: Diogo Costa vom FC Porto. 

Der entscheidende Punkt bei Cristiano Ronaldo 

Zum Kader gehört übrigens auch weiterhin Cristiano Ronaldo. Auch mit 39 Jahren ist er noch jemand, der den Unterscheid ausmachen kann. Gewiss ist der Angreifer, der mittlerweile in Saudi-Arabien sein Geld verdient, nicht mehr so spritzig wie zu besten Zeiten, dennoch hat er viele Dinge nicht verlernt. Und fit ist er noch immer. Topfit sogar. Er wird mehrere Spiele über 90 Minuten absolvieren können, daran besteht kein Zweifel. Seine Schusstechnik ist unverändert gut, seine Bewegungen, um sich in Abschlusspositionen zu bringen, sitzen. 

Ronaldo kann funktionieren und der portugiesischen Mannschaft etwas geben, wenn er ideal eingesetzt wird. Der 39-Jährige darf nicht der Mittelpunkt, sondern muss der Endpunkt sein. Als reiner Abschlussspieler im Neunerraum ist er ideal aufgehoben. Das kann in einem 4-3-3 als einzige Spitze sein, aber auch in einem System mit zwei Stürmern mit einem Spieler, der um ihn herum die Räume besetzt und die kombinativen Elemente einbringt. Das würde es Ronaldo erlauben, sich vollumfänglich auf seine Topqualitäten zu konzentrieren. 

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Und sind wir ehrlich: Wenn der erfahrene Angreifer im Strafraum an den Ball kommt und den Fokus hochhält, gibt es kaum einen Spieler, der so gefährlich ist. Der portugiesische Kader verfügt über alle Bausteine, um es Ronaldo so einfach wie möglich zu machen. Ein Puzzleteil ist dabei das Pressing, denn auch hier wird der Altstar nicht die Hingabe eines 22-Jährigen zeigen (können). Wenn das auch kaschiert werden kann, hat Portugal offensiv alle Möglichkeiten. 

Portugal: Die Außenverteidiger als einziges Fragezeichen

Man muss schon lange suchen, bis man eine Schwachstelle im Kader Portugals findet. Und ohnehin: Hier reden wir über Meckerei auf höchstem Niveau. Aber: Auf der Außenverteidigerposition ist Luft nach oben. Nicht einmal, weil Nuno Mendes, Diogo Dalot, Joao Cancelo oder Nelson Semedo nicht den höchsten Ansprüchen genügen würden. Das tun sie vor allem unter Berücksichtigung der offensiven Fähigkeiten. Doch das ist bei einem Außenverteidiger, der die Balance halten soll, nun einmal nicht alles. 

Cancelo Portugal EM 2024

(Photo by Carlos Rodrigues/Getty Images)

Wenn Portugal etwas anbietet und zu knacken ist, dann über die defensive Außenbahn. Cancelo hat auf Vereinsebene mehrfach bewiesen, was er für ein begnadeter Fußballer ist, aber auch, dass er gerne einmal die Rückwärtsbewegung vergisst. Nuno Mendes ist ein schneller Spieler mit viel Offensivdrang, der defensiv aber noch Nachholbedarf hat und zudem nach langer Verletzung noch nicht im Rhythmus ist. 

Gut möglich, dass Trainer Martinez diese Schwachstelle auch sieht. Denn er testete zuletzt die Dreierkette mit zwei Wingbacks, was zumindest für das erste Spiel ohne Gegentor in diesem Jahr reichte. Jetzt ist die Frage, ob es bei der Veränderung bleibt oder ob sie nur eine Option im Turnier ist, wenn die großen Namen warten. Diese gibt es in der Gruppenphase bei allem Respekt vor Tschechien, Georgien und der Türkei nämlich noch nicht. Vielleicht wird man deshalb auch erst in der K.O.-Runde sehen, wie gut Portugal wirklich ist.

(Photo by Carlos Rodrigues/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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